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10.05.2012
Portraitfoto von Marcus Bocklet vor grauem Hintergrund.

Marcus Bocklet: Frühkindliche Bildung

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Frau Präsidentin! Kollege Rock, als ich die Tagesordnung für die heutige Sitzung gesehen habe, fand ich, es ist schon einen Schenkelklopfer wert, dass ausgerechnet die FDP diesen Tagesordnungspunkt als Setzpunkt angemeldet hat.

(Zuruf des Abg. René Rock (FDP))

Ich will Ihnen vor Augen führen, warum wir das meinen. Ich darf kurze Auszüge aus dem Koalitionsvertrag zwischen CDU und FDP zitieren – Seite 29 –:

Das letzte Kindergartenjahr wird ein besonderes Schulvorbereitungsjahr (Kinderschule) …

Kommt nicht.

Es werden durch Rechtsverordnung unter Beteiligung der Träger Standards und Ziele für das Schulvorbereitungsjahr festgelegt.

Kommt nicht.

Die den Trägern entstehenden Kosten für diese Einrichtungen unterliegen der Konnexität.

Kommt auch nicht.

Vor Eintritt in die Grundschule wird die Erfüllung der Förderziele überprüft. Für diejenigen Kinder, die die Förderziele in Bezug auf kognitive Fähigkeiten, … nicht erreicht haben, wird während des ersten Grundschuljahres weiterer Förderunterricht erteilt.

Kommt auch nicht.

Kinder, die am Schulvorbereitungsjahr nicht teilgenommen haben, können im Rahmen ihrer Schulpflicht in das Vorbereitungsjahr verwiesen werden.

Kommt auch nicht. – Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich hinzufügen: Gott sei Dank kommt dieser organisatorische Murks nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit keine Missverständnisse aufkommen, will ich betonen: Wir sind ebenso wie die Expertinnen und Experten, die Kommunalen Spitzenverbände und sicherlich auch die CDU sehr froh darüber, dass diese Kinderschule nicht kommt und dass sich die FDP mit ihren Vorstellungen nicht durchsetzen konnte.

In der Debatte wurde nämlich klar – wir erinnern uns noch daran, wie Frau Kultusministerin Henzler uns verkündet hat, es gebe ein eigenes Kurrikulum für das letzte Kindergartenjahr, und alle sich mit Grausen abwandten –, dass es den Grundsätzen und Zielen eines früh beginnenden, auf die Aneignung von Kompetenzen setzenden und vor allem ohne Brüche verlaufenden Bildungsprozesses für alle Kinder, wie er im Bildungs- und Erziehungsplan beschrieben ist, nicht gedient hätte, ein solches letztes Jahr in die Struktur der Kindergärten einzuziehen. Ich danke all denen, die Widerstand geleistet haben. Man sieht, manchmal ist die Opposition auch erfolgreich – Gott sei Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist der eine Punkt. Eigentlich ist das eine krachende Niederlage für die FDP. Das kann man noch einmal unterstreichen. Aber sie versucht, das in das Gegenteil zu verkehren.

Dann kommt ein zweiter Punkt ins Spiel. Vor fünf Jahren, im Jahr 2007, hat der Hessische Landtag den Bildungs- und Erziehungsplan begrüßt und zur Kenntnis genommen. Verabschiedet werden musste er nicht; aber er wurde einstimmig begrüßt. Der Hessische Bildungs- und Erziehungsplan hat auch die Unterstützung der GRÜNEN. Er beschreibt den ganzheitlichen Ansatz des Bildungsbegriffs sowie seine Grundsätze und Prinzipien. Er ist eine wesentliche Grundlage zur Verbesserung der Qualität der Betreuungsangebote und bedeutet eine Stärkung der Bildung für die Kinder im Alter von null bis zehn Jahren. All das tragen wir mit.

Nur, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP und der CDU, was, zum Teufel, haben Sie fünf Jahre lang gemacht, um diesen Plan umzusetzen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Fünf Jahre ist es her, dass wir dieses Einvernehmen erzielt und die Landesregierung aufgefordert haben, diesen Bildungs- und Erziehungsplan mit verbindlichen Rahmenbedingungen umzusetzen. Herr Kollege Merz, Sie erinnern sich: Wir haben damals die Landesregierung aufgefordert, eine verbindliche Umsetzungsvereinbarung mit den Kommunen und den Trägern einzugehen. Auch eine solche verbindliche Umsetzungsvereinbarung gibt es noch nicht. Warum auch?

In den Kommunen heißt es, mit den Vertretern einer Landesregierung, die sie bei der Kindergartenfinanzierung über den Tisch zieht, wo immer es geht – nehmen Sie die Mindestverordnung, bei der das Konnexitätsprinzip nicht eingehalten wird –, setzten sie sich nicht an einen Tisch. Sie ließen sich von ihnen nicht erklären, wie sie den Bildungs- und Erziehungsplan selbst finanzieren könnten. Was die Landesregierung bestelle, werde nicht bezahlt, das wollten sie nicht. Sie haben die Stimmung in der Zusammenarbeit mit den Kommunen als Träger der Kindergärten vergiftet.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ich möchte nur einmal sagen: Im dritten Haushaltsjahr hintereinander sind 5 Millionen € für eine Kinderschule, wie Sie sie wollten – ein Schulvorbereitungsjahr –, vorgesehen. Seit drei Jahren steht das im Haushalt. Ich kann das nur so deuten, dass Sie sich drei Jahre lang nicht einigen konnten, was Sie eigentlich wollen. Das, was nun dabei herauskommt – Herr Kollege Merz hat es gesagt –: Man kann nicht wirklich dagegen sein. Dagegen, dass Gelder dorthin fließen und dass Grundschulen mit Kindergärten zusammenarbeiten, damit es eine bessere Verzahnung beim Übergang gibt, kann man nicht wirklich sein.

Aber, Herr Kollege Rock, beantworten Sie mir eine Frage: Sie fördern in Hessen im Rahmen dieses Projekts 30 Grundschulen und 60 Kitas. Wissen Sie, dass wir 1.100 Grundschulen und 3.900 Kindergärten haben? Warum haben Sie in den letzten fünf Jahren die Verbesserung des Bildungs- und Erziehungsplans nicht flächendeckend für alle umgesetzt? Das ist ihr Auftrag, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abg. der SPD)

Insofern ist das ein erster Schritt. Wir fragen uns, wieso man dafür fünf bzw. drei Jahre braucht. Wir fragen uns auch, warum, zum Teufel, Sie eigentlich einen Modellversuch brauchen. Ich möchte dazu gern aus einer sehr interessanten Studie mit dem Titel „NUBBEK“ zitieren, die von der Bundesregierung in Auftrag gegeben wurde.

Ich darf daraus zitieren, sie ist übrigens kein gutes Ergebnis und besagt, „…dass sich in gut 15 Jahren die pädagogische Prozessqualität nicht verändert hat“. Das heißt, die Qualität von Kindergärten wird deutlich kritisiert, auf mehreren Seiten. Was ich jetzt zur Qualität zitieren will, bedeutet auch, dass wir bereits im Rahmen der Nationalen Qualitätsinitiative einen nationalen Kriterienkatalog für beste Fachpraxis entwickelt und erfolgreiche Methoden der systematischen Qualitätsentwicklung in Kindertagesstätten erprobt und vielfach angewendet haben. Insofern stehen konkrete erfolgreiche Methoden zur Verfügung. Ich muss es so sagen, wie es ist: Ihr Modellversuch ist wieder einmal ein Zeichen dessen, dass es ein dummer, fauler Kompromiss war und dass Sie nicht die Kraft haben, den Bildungs- und Erziehungsplan für dieses Land flächendeckend umzusetzen. – Das ist das eigentliche Problem.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. René Rock (FDP))

Ich glaube auch, dass es richtig ist, dass der Gedanke gescheitert ist, Kindergärten weiter zu verschulen. Ich glaube, der große Fortschritt der Beschreibung des Bildungs- und Erziehungsplans ist, damals auch mit Prof. Fthenakis aufgestellt, dass er genau das Richtige beschreibt, dass es mehr gibt, worauf es in Zukunft ankommt, als nur die bloße Wissensvermittlung. Er besagt: Es geht darum, wie wir die Kinder auch musisch und kulturell bilden, ihnen mehr soziale Kompetenzen beibringen und das Entdecken und Forschen lehren. Er besagt sogar, dass wir Kindern Methoden zur demokratischen Partizipation, die wir auch weiterentwickeln müssen, beibringen.

Ich bin froh, dass die Kindergärten das umsetzen. Ich muss auch ganz ehrlich sagen: Ich glaube, wir brauchen eine verstärkte Diskussion darüber, wie das jetzt auch einmal in den Grundschulen vor sich geht. Das ist auch eine schulpolitische Frage. Obwohl die Bereitschaft vorhanden ist, das in den Kindergärten zu tun, sind die Grundschulen wahrlich noch Meilen davon entfernt. Wir brauchen in Grundschulen auch eine bessere frühkindliche Bildung. Das wird ein großer Auftrag werden.

(Zuruf des Ministers Stefan Grüttner – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

– Herr Kollege Irmer, ich komme zum Fazit. Von den Zielen, die im Bildungs- und Erziehungsplan beschrieben worden sind, sind die Grundschulen – mein Sohn ist gerade in der dritten Klasse – landesweit Meilen entfernt. Es wäre an der Tagesordnung über die Qualitätsverbesserung in Grundschulen gründlich nachzudenken, nicht nur nachzudenken, sondern die Ziele auch so umzusetzen, wie sie im BEP beschrieben sind. Da merke ich momentan wenig Bewegung. Dass jetzt Grundschullehrerinnen mit in Kindergärten gehen, ist nichts Schlechtes; dass Grundschullehrerinnen ihre Methoden aber auch breit angelegt verändern, wäre eine Notwendigkeit.

Ich glaube, dass wir deshalb feststellen können: Die qualifizierte Schulvorbereitung ist ein Ergebnis dessen, dass sich die CDU und die FDP über Jahre nicht einigen konnten. Am Ende kommt jetzt ein organisatorischer Murks heraus, der aber grundsätzlich nicht falsch ist, weil es letztlich dazu führt, dass dorthin mehr Geld fließt, dass womöglich mehr Ressourcen zur Verfügung stehen, womit wir den Erzieherinnen und Erziehern dann ermöglichen, mehr Zeit und Personal zu haben, um sich besser mit den Grundschulen zu vernetzen. Das ist alles nicht schlecht. Wir sagen aber: Eine flächendeckende Umsetzung des Bildungs- und Erziehungsplans steht fünf Jahre nach der Beschlussfassung des Hessischen Landtags noch immer aus. Das, was Sie als Hessische Landesregierung, als CDU und FDP, dazu beitragen, ist eigentlich blamabel. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsidentin Ursula Hammann:

Danke schön, Herr Kollege Bocklet.

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