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02.03.2011
Portraitfoto von Marcus Bocklet vor grauem Hintergrund.

Marcus Bocklet: Einigung bei Verhandlungen zur Hartz-IV-Reform hilft bedürftigen Kindern und entlastet die Kommunen

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielleicht nur so viel zu den LINKEN, bevor ich einiges zum dem Prozess sage, der sich in Berlin abgespielt hat. Wir haben gerade versucht, uns schlau zu machen, was die LINKE für eine Position bei der Frage Grundsicherung hat. Meine Kollegin Schulz-Asche und ich kamen zu dem Ergebnis, dass die LINKE eigentlich eine bedingungslose Grundsicherung von 1.000 Euro haben möchte, plus modifiziertes Wohngeld, plus Möglichkeiten des kumulierten Einkommens. Deswegen frage ich Sie: Wie kommen Sie denn auf den erbärmlichen Betrag von 500 Euro, den Sie in Ihrem Antrag nennen?

(Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

– Herr Schaus, ich höre damit nicht auf, ich fange damit gerade erst an. Es beschreibt nämlich, dass es bei Ihnen nur um die eine Frage geht: Darf es ein bisschen mehr sein?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Manfred Pentz (CDU))

Sie wollten einmal 800 Euro. Dann haben die Sozialdemokraten über das Grundeinkommen diskutiert, und Sie haben dann erst 900 Euro und dann 1.000 Euro gesagt, und das Ganze bedingungslos.

(Zuruf der Abg.Janine Wissler (DIE LINKE))

– Doch, wir haben auf Ihrer Homepage nachgesehen. Wir liefern das gerne nach.

Dann wollten Sie 1.000 Euro plus und nun sagen Sie, Sie wollen nicht völlig darüber hinausschießen und sagen 500 Euro.

Es geht in dieser Frage um die Willkürlichkeit der Position der LINKEN nach dem Motto: Dieser Sozialstaat ist scheiße. Uns fällt auch nichts Besseres ein, aber wir können uns weiter aufblasen und das, was alle anderen machen, an Verbesserung finden wir blöde. Deswegen fordern wir willkürlich weitere Verbesserungen. – Das geht uns als GRÜNE mächtig auf den Zeiger. Und das will ich Ihnen hiermit sagen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Jetzt kommen wir zu dem Punkt, worum es eigentlich ging. Das Bundesverfassungsgericht hat den Parteien, die damals Hartz-IV auf den Weg gegeben haben, SPD und GRÜNEN und später im Bundesrat auch CDU und FDP, mitgeteilt, dass die Berechnungen der Regelsätze nicht verfassungskonform sind. Lieber René Rock, damit du 90 Prozent deiner Rede für etwas anderes verwenden kannst,

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

wir leben in dem Bewusstsein, dass damals mit auf den Weg gegeben haben. Sonst lässt du dich wieder darüber aus, dass die GRÜNEN damals dabei gewesen sind.

(Zuruf des Abg. René Rock (FDP))

Ich will drei Gründe aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts heraus nehmen.

Erstens. Die Regierung hat dafür Sorge zu tragen, Zirkelschlüsse zu vermeiden. Bei Aufstockern handelt es sich um Menschen, die erwerbstätig sind und gleichwohl auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen sind. Das heißt, diese Personen stocken ihr zu geringes Einkommen mit zusätzlichen Hartz-IV-Leistungen auf. Diese Gruppe ist im Übrigen in den vergangen Jahren erheblich angewachsen und umfasst mittlerweile über 1,3 Millionen Menschen, davon 400.000 Vollzeiterwerbstätige. Dazu heißt es in dem Urteil, es würde zu unzulässigen Zirkelschlüssen führen, wenn man das Verbrauchsverhalten dieser Hilfeempfänger zur Grundlage der Bedarfsermittlung machen würde.

Zweitens geht es um die Frage von verdeckten Armen. Ein weiterer Zirkelschluss ist dort ebenfalls auszuschließen.

Der Gesetzgeber bleibt freilich entsprechend seiner Pflicht zur Fortentwicklung des Bedarfsermittlungswissens verpflichtet, bei der Auswertung künftiger Einkommen bei Verbrauchsstichproben darauf zu achten, das Haushalte, deren Nettoeinkommen unter dem Niveau der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch und dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch … liegt, aus der Referenzgruppe ausgeschieden werden.

Punkt drei:

Die Auswahl der Referenzgruppe,

– da drückt sich das Urteil positiv aus –

nach deren Ausgaben der Eckregelsatz bemessen wird, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden …

wenn er wie bisher eine 20-prozentige Quote, also das untere Quintil als Berechnungsgrundlage zugrunde legt. Zugrunde zu legen sind also – so kommt es in dem Urteil – die Verbrauchsausgaben der unteren 20 % der nach ihrem Nettoeinkommen geschichteten Haushalte.

Ein bisschen kompliziert, ein bisschen trocken – das gebe ich zu. Es sind drei Punkte: verdeckte Armut, Aufstocker und die Berechnungsgrundlage von 20 Prozent. Jetzt bewerten wir das einmal. Die Bundesregierung hat als Grundlage nicht 20 Prozent, sondern nur noch 15 Prozent genommen. Sie hat die Referenzgruppen der Aufstocker nicht herausgenommen. Sie hat die verdeckte Armut ebenfalls nicht herausgenommen.

Es kam zu den Diskussionen im Vermittlungsausschuss um diese Frage Verfassungskonformität der Regelsätze. Wenn man in aller Nüchternheit zu diesem Ergebnis kommt und zu diesen drei von mir zitierten Punkte, so langweilig sie klingen mögen, so schwer vermittelbar sie in der Öffentlichkeit sind, feststellt, dass sich die Bundesregierung in keinem dieser Punkte auf die Kritik des Bundesverfassungsgerichts bewegt hat, dann kann und muss man zu dem Schluss kommen, dass die Berechnung des Regelsatzes momentan methodisch höchst fragwürdig ist. Wir haben erhebliche Zweifel daran, dass sie verfassungskonform sind. Deshalb haben wir die GRÜNE dagegen gestimmt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So einfach kann das manchmal sein. Man kann davon sprechen, die GRÜNEN hätten sich aus der Verantwortung gezogen, sie hätten sich in die Büsche geschlagen usw. Aber wenn es sachlich und nüchtern betrachtet zu der Erkenntnis führt, dass uns vom Verfassungsgericht – das ist ja nicht irgendeine Frittenbude, sondern ein wirklich wichtiges Organ – zu drei Hauptkritikpunkten ins Stammbruch geschrieben wird: „bitte verändert diese Fehler“, dann sind wir aufgefordert, diese Fehler zu begradigen, sie zu korrigieren.

Dann verhandeln wir mit der Bundesregierung. An dieser Stelle noch einmal ausdrücklich Dank – ich habe selbst mit Fritz Kuhn telefonieren können – an die Sozialdemokraten. Die GRÜNEN und SPD haben dort vorbildlich verhandelt und versucht, noch einmal ein bisschen mehr Weisheit in die Erkenntnisse der Bundesregierung zu bekommen. Daran sind wir offensichtlich gescheitert.

(Zuruf des Ministers Stefan Grüttner)

Wir sind offensichtlich daran gescheitert, weiter zu erklären, dass die Bemessungsgrundlagen höchst fragwürdig sind und darüber hinaus große Zweifel bestehen, dass sie verfassungskonform sind. Heute wissen wir es nicht. Aber wenn wir angesichts dieser drei von mir zitierten Kritikpunkte sagen: „Wir stimmen dem zu“, und dann in einem Jahr das Urteil geliefert bekommen: „Das war nicht verfassungskonform“, dann müssen wir uns heute schon die Frage stellen: Müssen wir zweimal mit demselben Kopf durch dieselbe Wand? Wir GRÜNE haben gesagt – ich finde, man kann mitgehen, was meine Bundestagsfraktion gemacht hat –: Nein, wir können diesem Verhandlungsergebnis so nicht zustimmen. – So war die Entwicklung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir begrüßen ausdrücklich – aber es geht um die Entscheidung der Verfassungskonformität – die Frage der Mindestlöhne, was dort hineinverhandelt wurde, gemeinsam mit SPD und GRÜNEN. Wir begrüßen ausdrücklich die Übernahme des Bundes bei den Wohngeldkosten. Wir kritisieren, dass das zulasten des Etats der Bundesagentur für Arbeit gemacht wird. Dort wird man wieder einige Milliarden herausholen.

Wir begrüßen ausdrücklich, dass sich das Bildungspaket deutlich von 1,2 auf 1,6 Milliarden Euro verbessert. Das sind ausdrückliche Verbesserungen durch die Verhandlungen im Vermittlungsausschuss. Die begrüßen wir auch, und daran gibt es überhaupt nichts zu deuteln. Aber man muss auch sagen, dass diese Verbesserungen überhaupt nur zustande kamen, weil sich der Bundesrat mehrheitlich geweigert hatte, der Vorlage der Bundesregierung zuzustimmen. Nur dadurch wurden die Verbesserungen überhaupt möglich.

Deswegen macht es sie nicht schlechter. Diese Verbesserungen sind richtig und gut. Wir freuen uns, dass sie tatsächlich realisiert werden. Es ändert aber nichts an der Frage, ob es in der entscheidenden Frage der Ursache, dass das Bundesverfassungsgericht gesagt hat: „Wir brauchen eine verfassungskonforme und transparente und klare Regelung“, dass in mindestens drei Punkten große Fragezeichen bestehen bleiben. Meine Bundestagsfraktion hat für sich entschieden: Den Weg gehen wir nicht mit.

Deswegen noch einmal: Kritik daran, dass man den gleichen Lohn für gleiche Arbeit bei der Zeitarbeit nicht hat durchsetzen können. Kritik daran, dass man das Geld, das der Bund jetzt für die Wohngeldempfänger übernimmt, wieder aus dem Etat der Bundesagentur für Arbeit herausnimmt. Aber es sind wirklich wertvolle richtige sozialpolitische Schritte erzielt worden. Unsere Fraktion glaubt allerdings, das wird mit der Verfassungskonformität nicht einhergehen. Deswegen haben wir in Berlin gegen diesen Kompromiss gestimmt. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Wolfgang Decker (SPD))

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Schönen Dank, Herr Bocklet.

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