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09.06.2011
Portraitfoto von Marcus Bocklet vor grauem Hintergrund.

Marcus Bocklet: Dritte Lesung des Gesetzentwurfs für ein Gesetz zur Änderung des Hessischen OFFENSIV-Gesetzes

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir befassen uns heute in der Tat zum dritten Mal mit der Änderung des OFFENSIV-Gesetzes. Nicht alle Argumente, die in der dritten Lesung vorgetragen werden, sind also neu.

Für uns GRÜNE bleibt das größte Problem dieses Gesetzentwurfs, der bisher sehr unspektakulär daherkam, die von CDU und FDP initiierte Änderung, wonach die Kommunen nun die Möglichkeit haben, beim Wohngeld und bei der Heizkostenerstattung eigene Pauschalierungen vorzunehmen.

Was mich sehr nachdenklich stimmt und auch Sie, Herr Mick, und Ihren Kollegen Burghardt von der CDU nachdenklich stimmen sollte: Sie können auch heute nicht die Frage beantworten, was ein Hartz-IV-Empfänger macht – um dieses Rechenbeispiel zu nehmen –, wenn er eine Pauschale in Höhe von 300 Euro bekommt, seine Wohnung aber 330 Euro kostet? Er hat nichts anderes. In den Großstädten und in den Ballungsräumen, wo es kaum billigen Wohnraum gibt, hat er keine anderen Möglichkeiten. Er hat keine andere Möglichkeit, als diese 30 Euro von dem Betrag zu nehmen, den er zur Sicherung des Existenzminimums erhält. Das Existenzminimum ist aber, wie mittlerweile auch höchstrichterlich anerkannt ist, unantastbar. Es ist völlig klar, dass man dieses Existenzminimum auch im Fall der Verhängung von Sanktionen nur temporär antasten darf. Mit diesem ungenauen und damit ungerechten Instrument zwingen wir Hartz-IV-Empfänger, deren Existenzminimum anzutasten, wenn die Wohnungskosten über der Pauschale liegen.

Man kann nicht sagen, es gebe möglicherweise ein paar, die daran verdienen, weil sie, im Gegensatz zu dem Hartz-IV-Empfänger in meinem Rechenbeispiel, statt 300 Euro nur 280 Euro Miete zahlen müssen.

Diese Vorteile für die geringeren Mieten werden nicht dadurch aufgewogen, dass derjenige, der keine andere Möglichkeit hat, sich das Geld woanders herzuholen, weil an die Sparguthaben gehen wir auch schon dran – –

(Zuruf des Ministers Stefan Grüttner)

– Herr Grüttner, Sie fragen: „Wo lebe ich?“ – Wir lassen den Hartz-IV-Empfängern kaum Sparguthaben. Sie dürfen kein eigenes Vermögen haben. Herr Minister Grüttner, Sie dürfen dies als Hartz-IV-Empfänger alles nicht haben. Wenn Sie in einer Stadt wie Frankfurt eine Pauschale vorgeknallt bekämen – Gott sei Dank haben wir dort eine kluge Regierung; ich hoffe nur, sie bleibt weiterhin so klug und erhebt keine Pauschale –,

(Beifall bei der CDU)

und Sie eine höhere Miete haben, bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als ans Existenzminimum zu gehen. – Herr Minister, wo lebe ich da? – Dann lebe ich in einer falschen Welt, weil es ein falsches sozialpolitisches Instrument ist; es ist Ihnen geradezu wurst, weil Sie aufgrund von vermeintlichen Verwaltungseffekten mit dem Kopf durch die Wand wollen, und das lehnen wir entschieden ab.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Minister Stefan Grüttner: Mein Güte!)

Das mit dem Argument zu begründen: Wir wollen den Kommunen nur mehr Rechte zur Verfügung stellen, ist natürlich nicht falsch. Sie bekommen mehr Rechte, aber sie bekommen ein Recht mehr, das sozialpolitisch in die falsche Richtung geht. Ich kann Sie davor nur warnen. Das ist in den Ballungsräumen ein Problem, aber es ist auch in ländlichen Räumen ein Problem, weil es auch dort Mittelzentren gibt, wo gesagt wird: Du musst auch von Bad Homburg nach Glashütten hinter die Berge ziehen, wo die sozialen Netzwerke nicht vorhanden sind und der öffentliche Nahverkehr und die Mobilität gefährdet sind. Das alles gilt es mit einer Wohnpauschale doch zu bedenken.

Wenn diese Wohnpauschale – ich wiederhole es noch einmal – zu niedrig liegt, dann muss man an seine Kosten des Lebensunterhalts gehen. Wer will das wirklich? Wir haben lange darum gefeilscht, dass die Regelsätze so sind, wie sie es sind, und Sie kündigen diesen Konsens mit einer völlig irrwitzigen Regelung sozusagen mutwillig auf. Nach meinem Wissen gibt es bisher nur ein Bundesland, nämlich Berlin, das diese Ermächtigung vorsieht.

Ich finde, das ist ein ohne Not vom Zaun gebrochener Streit, und es ist in der Tat eine Zielgruppe, die sich nicht wehren kann. Ich will nicht von der Gruppe der Ärmsten, der Allerärmsten und der Allerallerärmsten reden, auf dessen Rücken dies ausgetragen wird, aber es ist eine Gruppe, die tatsächlich keine Lobby hat, die oft in verschämter Armut lebt und jetzt auch noch gesagt bekommt: Wenn deine Miete eben zu teuer ist, dann zieh doch gefälligst um oder nimm es von deinem Regelsatz. Welche Sozialpolitik ist das? – Ich finde das höchst bedauerlich; das ist der völlig falsche Weg, und deswegen lehnen wir auch dieses OFFENSIV-Gesetz in dieser Form ab. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Vielen Dank, Herr Bocklet.

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