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26.09.2012

Marcus Bocklet: Bildung, Ausbildung und Erwerbsarbeit stärken – Altersarmut vermeiden – Generationengerechtigkeit sichern

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Gerling, ich dachte eigentlich, wir wären einen Schritt weiter. Sie haben zu Beginn Ihrer Rede – ich finde: ärgerlicherweise – gesagt, Sie würfen der SPD Panikmache vor.

Ich finde das angesichts der offiziellen Zahlen aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales – nicht der Zahlen aus dem SPD-Bundeshaus – interessant. Herr Gerling korrigieren Sie mich, aber ich glaube, dass es eine CDU-Arbeitsministerin ist,

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD)– Zurufe von der SPD)

die diese Studie herausgegeben hat. Sie weist zu Recht auf eine Entwicklung spätestens im Jahr 2030 hin. Ich finde es befremdlich, wie Sie das mit einem Schlag wegwischen und sagen: Liebe Kolleginnen und Kollegen vom linken Teil des Raumes, das ist Panikmache. –

Dann rufen Sie bitte Frau Bundesarbeitsministerin von der Leyen an und sagen ihr, das ist Panikmache. Wir teilen das ausdrücklich nicht.

Wir glauben nämlich, dass das, was beschrieben wird – die Tendenzen und Entwicklungen zur Altersarmut – tatsächlich alarmierend sind. Sie dürfen nicht zur Panikmache führen. Sie müssen aber dazu führen, dass wir uns heute Gedanken darüber machen, wie es mit den Einkommen im Alter weitergeht. Auch das hat Kollege Spies zu Recht beschrieben.

Dieses Thema hat bisher – so würde ich es sehen – ein Schattendasein geführt. Wir haben zur Frage, wie hoch das Armutsrisiko – Sie haben von ungefähr 13 Prozent gesprochen, auf diese Zahl kommen wir beim Armutsrisiko von Menschen über 65 auch –, im Vergleich zur Kinderarmut ist, also von Personen bis 25 Jahre; das Armutsrisiko von 21 Prozentist deutlich höher.

Man sollte aber die Armutsrisikogruppen nicht gegeneinander ausspielen. Es besteht bei über 65-Jährigen ein Armutsrisiko, das steigt. Deswegen ist die Aufforderung an uns alle, sich in der Politik frühzeitig um das Thema nüchtern und sachlich zu kümmern und nach Lösungen zu suchen, auch heute das Gebot der Stunde.

(Beifall des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wenn das Bundesamt für Statik – Sie haben es schon erwähnt, Herr Kollege – davon spricht, dass bald jeder siebte über 65 Jahre von Armut bedroht sein wird, dann können wir nicht mehr davon sprechen, dass wir einfach so wie bisher weitermachen können.

Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land müssen sich darauf verlassen können, dass sie als langjährig Versicherte der gesetzlichen Rentenversicherung, auch als Geringverdienende, Teilzeiterwerbstätige oder mit unterbrochenen Erwerbsbiografien im Alter nicht auf Leistungen der Grundsicherung angewiesen sein werden. Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen. Wir brauchen also eine Rentenpolitik, die es erlaubt, in Würde zu altern, und einen Rentenbezug, der vor Armut schützt.

Die Rentenversicherung mit ihrer Umlagefinanzierung ist sicherlich das Kernstück. Aber sie muss weiterentwickelt werden, um nicht nur den Rentnerinnen und Rentnern das Alterseinkommen heutige, sondern auch in Zukunft zu sichern und sie vor Altersarmut zu schützen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Kollege Gerling, davon ist allerdings die Politik der CDU-FDP-Bundesregierung weit entfernt.

(Zuruf des Abg. Alfons Gerling (CDU))

– Sehr geehrter Herr Kollege Gerling, ältere Menschen haben nur noch in den seltensten Fällen die Möglichkeit, ihre Situation noch zu verändern. Deswegen ist die Bekämpfung der Altersarmut ein wichtiges gesellschaftliches Thema. Es nützt nichts, uns davor wegzuducken. Deswegen haben wir GRÜNE in dem Wettstreit der Ideen vorgeschlagen, wie wir das lösen. Da gestatte ich mir den lobenden Hinweis, dass die SPD den Setzpunkt heute angemeldet hat, wenngleich sie auf Bundesebene noch im munteren Findungsprozess ist.

(Zurufe von der SPD)

Das finde ich einen Mut zur Lücke, den man auch einmal loben sollte. Ich gebe zu, es gibt da noch bestimmte Fragen, die abzuklären sind. Wollen Sie die Absenkung der Punkte, oder wollen Sie sie nicht? – Aber es gibt durchaus Übereinstimmung mit der SPD, die ich nennen möchte: Die Solidarrente im Gabriel-Papier – wir GRÜNE sprechen von einer Garantierente.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Wir wollen sie so ausgestalten, dass der Bezug der Grundsicherung im Normalfall vermieden wird. Wir schlagen eine Garantierente vor, mit der ein Mindestniveau für langjährig Versicherte innerhalb der Rentenversicherung eingeführt wird. Zielrichtung ist dabei, dass Personen, die 30 Jahre lang versichert waren – das umfasst auch andere Zeiten wie die der Ausbildung, der Arbeitslosigkeit und anderes –, mindestens 30 Entgeltpunkte erhalten, was derzeit auf einen Wert von über 800 € kommt. Wir GRÜNE sprechen von einer Garantierente von etwa 850 €. Auch da sehe ich eine große Nähe zur SPD.

Gleichzeitig streben wir eine Einbeziehung weiterer Gruppen in die Rentenversicherung an. Zu erwähnen wären z. B. die Selbstständigen, die momentan noch komplett draußen aus dem System sind. Wir brauchen neben dieser Garantierente ein Bündel von Maßnahmen zur Vermeidung von Altersarmut. Das muss nachhaltig und jetzt begonnen werden.

Eine auf mehr und bessere Beschäftigung ausgerichtete Arbeitsmarktpolitik gehört ebenso dazu, wie die Entwicklung der Rentenversicherung zu einer Bürgerversicherung anzustreben ist. Wir müssen darüber nachdenken, dass das obligatorische Rentensplitting, durch das die während der Ehe erworbenen Rentenansprüche auf beide Partner in gleicher Höhe aufgeteilt werden, eine Element ist. Wir müssen darüber nachdenken, dass die Wiedereinführung der Mindestrentenbeträge für die Menschen im ALG-II-Bezug diskutiert wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die wurden von CDU und FDP abgeschafft. Wir brauchen dieses Bündel von Maßnahmen, die sofort wirken werden, damit Altersarmut für Menschen über 65 Jahre vermieden wird.

Wir haben deshalb die Vorschläge von Frau von der Leyen mit Unverständnis zur Kenntnis genommen, weil sie dieser Gruppe real nicht helfen werden. Frau von der Leyen will erst nach 40 Versicherungsjahren, später sogar ab 45 Versicherungsjahre, diese Zuschussrente einführen. Wir wissen, dass das gerade für diese Zielgruppen mit unsteten Erwerbsbiografien überhaupt nicht greifen wird. Zum anderen ist es auch falsch, von einem maximalen Mindestniveau zu sprechen und überhaupt kein minimales Rentenniveau zu formulieren. Insofern wird die Frage nicht beantwortet, ob man dann wieder in die Grundsicherung fällt.

Genauso falsch ist es auch heutzutage, die Beitragssenkung von 19,6 Prozent auf 19 Prozent vorzunehmen. Das ist genauso falsch, weil es nämlich die Spielräume behindert, die man später braucht. Ich sehe, Sie nicken und teilen offensichtlich unsere Ansicht. Aber CDU und FDP auf Bundesebene senken ohne Not den Beitragssatz von 19,6 Prozent auf 19 Prozent. Das halten wir für falsch.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich habe gesagt, wir müssen über weitere Bündel von Maßnahmen reden. In den weiteren zweieinhalb Minuten kann ich das nur stichwortartig ansprechen.

Ich glaube, wir müssen selbstverständlich dafür sorgen, dass jeder Mensch ein selbstbestimmtes Leben mit einem auskömmlichen Einkommen führen kann, das es auch ermöglicht, Rücklagen zu bilden und für eine private Vorsorge zu sorgen. Davon sind wir in weiten Teilen abgehängt.

Fangen wir mit dem Beginn der Lebensbiografie an. Wir haben heute 29.000 Jugendliche im Übergangssystem. Jedes Jahr entlassen wir 3.500 Hauptschüler ohne Abschluss. Man kann eins und eins zusammenzählen, dass diese Personengruppe kaum in ein Erwerbsleben steuert, das sie so wohlhabend macht, dass sie eine private Vorsorge treffen kann. Das müssen wir mit aller Macht verhindern.

Deswegen haben wir GRÜNE ein Konzept vorgestellt. Das heißt: Übergänge reformieren, von Beruf zur Schule. – Wir müssen bei allen Jugendlichen für einen Berufsabschluss sorgen. Alle Jugendlichen brauchen eine Ausbildung. Alle Jugendliche müssen dorthin geführt werden. Momentan passiert dazu in Hessen überhaupt nichts

(Zuruf des Abg. Peter Stephan (CDU))

– angesichts der Zahl von 29.000 Jugendlichen im Wartesystem.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Die Frage des Mindestlohns ist angesprochen worden. Ich glaube nicht, dass der Mindestlohn dazu führen wird, dass man später, wenn man über 67 Jahre alt ist, an die Garantierente herankommt. Aber er erlaubt natürlich, dass man mehr Geld als bisher zur Verfügung hat, um Rücklagen zu bilden.

Ein weiterer Schritt wird vor allem sein, dass wir Antworten darauf brauchen, dass momentan 82 % aller Teilzeitstellen von Frauen besetzt sind. Der Anteil von Frauen an Vollzeitbeschäftigungen beträgt allerdings nur etwa ein Drittel. Das ist viel zu niedrig.

Die Frauen unterbrechen ihre Erwerbstätigkeit oder geben sie ganz auf. 84 % der Mütter im Alter von 45 Jahren haben ihre Erwerbstätigkeit mindestens schon einmal ausgesetzt, während das nur 10 % der Väter, also der Männer, im gleichen Alter sind.

Das Land und die Kommunen sind das Entscheidende bei dieser Frage, warum sie aussetzen. Da gibt es zum einen die Freiwilligkeit, weil man das nicht wünscht. Aber viele können es auch nicht. Deswegen ist es nach wie vor Landesaufgabe. Das Land und die Kommunen sind in der Verantwortung, endlich auch eine flächendeckende und verlässliche Kinderbetreuung bis zum zehnten Lebensjahr eines jeden Kindes sicherzustellen.

Das muss in das Paket mit hinein. Nur so können Frauen tatsächlich wieder voll am Erwerbsleben teilhaben. Und davon ist diese Regierung – wir diskutieren es heute Nachmittag – noch meilenweit entfernt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Herr Bocklet, die Redezeit ist um.

Marcus Bocklet:

Ich danke Ihnen, Herr Präsident. Ich will es noch einmal sagen. Insofern ein letzter Satz.

Insofern ist es klar, dass viel mehr als bisher getan werden muss. Wir tragen heute die Verantwortung für den sozialen Zusammenhalt von morgen. Wir können es uns nicht leisten, einen großen Teil von älteren Menschen in großer Armut verharren zu lassen. Wir können heute die Weichen dafür stellen. Die bisher andiskutierten Vorschläge von Frau von der Leyen sind dazu kein Beitrag. Wir müssen schon heute eine andere Sozialpolitik beginnen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Vielen Dank, Herr Bocklet.

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