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20.03.2013
Portraitfoto von Marcus Bocklet vor grauem Hintergrund.

Marcus Bocklet: Ausbildungsgarantie

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Bartelt, wir haben heute Frühlingsanfang. Aber das, was Sie heute zu dem Thema „Jugend und Ausbildung“ gesagt haben, entsprach der tiefsten Steinzeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin mittelschwer entsetzt darüber, dass es Ihnen in Ihrem zehnminütigem Redebeitrag und in Ihrer zweiminütigen Kurzintervention gelungen ist, keine einzige Antwort auf die Frage zu geben, wie wir mit diesen Jugendlichen umgehen wollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Herr Dr. Bartelt, Ihr Redebeitrag ist noch hinter die Ausführungen in der Diskussion zurückgefallen, die wir vor drei Jahren darüber geführt haben. Ich habe im Wortprotokoll die Beiträge zu der Diskussion über die Ausbildungsplatzsituation nachgelesen, die wir hier vor drei Jahren geführt haben. Die Wortbeiträge von Ihrer Seite waren um einiges deutlicher und empathischer; denn Sie haben wenigsten anerkannt, dass es eine Gruppe von Jugendlichen gibt, die keine Ausbildung haben, und dass Tausende von Jugendlichen in Übergangssystemen und in unnötigen Warteschleifen sitzen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ich hätte von Ihnen gern gehört, dass Sie wenigsten ein Problembewusstsein entwickelt haben. Selbst das haben Sie nicht gemacht. Was für ein fataler Niedergang.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Nein, es ist in der Tat so, wie es die SPD in ihrem Antrag beschreibt: Eine gute Ausbildung ist für jeden Jugendlichen eine zwingend notwendige Grundlage für den Einstieg ins Berufsleben und damit für ein selbstständiges Leben in unserer Gesellschaft. Auch wir GRÜNE wollen deshalb, dass alle Jugendliche eine Ausbildung abschließen.

Dieses Ziel ist nicht nur ein bildungspolitisches und ein sozialpolitisches, sondern auch ein gesellschaftliches Muss. Wir müssen feststellen, wir haben dieses Ziel noch nicht erreicht. Herr Dr. Bartelt, wer also nicht alles unternimmt, um dieses Ziel zu erreichen, muss sich fragen lassen, ob ihn das Thema wirklich interessiert oder ob er das hier zu einer Unterhaltungsshow machen will.

Ich möchte Ihnen einige Zahlen aus dem Berufsausbildungsbericht des Wirtschaftsministeriums nennen. Das sind die Zahlen Ihres Ministeriums, Ihrer Landesregierung. Dort wird festgestellt, dass sich 25.000 Jugendliche – eine konstant hohe Zahl übrigens – im Übergangssystem befinden. Das steht auf Seite 85 des Berichts; Sie können das gern nachlesen. Das sind nicht die Zahlen einer verzweifelten Opposition, sondern Regierungszahlen. 25.000 Jugendliche befinden sich in unnötigen Warteschleifen oder im Übergangssystem. Diesen Menschen fehlt eine Ausbildung. Herr Dr. Bartelt, liebe Mitglieder der CDU, was ist Ihre Antwort darauf?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Seite 70 des Berufsausbildungsberichts des Wirtschaftsministers: Wir haben 43.000 Ausbildungsplatzangebote und 47.000 Ausbildungsplatzsuchende. Ergo besteht ein Defizit von 4.000 Ausbildungsplatzangeboten: 4.000 Jugendliche, die keinen Ausbildungsplatz finden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, ich frage Sie: Was ist Ihre Antwort darauf?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der CDU)

– Ich kann Ihnen den Bericht nur empfehlen. Allerdings erschweren zu viele Zahlen manchmal die muntere Debatte. Ich habe jedenfalls zwei seriöse Zahlen zitiert, die von Ihrer Landesregierung vorgelegt worden sind.

Ein weiterer Punkt: Wie viele Menschen nehmen jedes Jahr zum ersten Mal an Fördermaßnahmen teil? Von den Schulentlassenen im Schuljahr 2011/2012 kamen 2.500 Jugendliche, die keinen Abschluss haben, neu in die Fördermaßnahmen. Herr Dr. Bartelt, liebe Kollegen von der CDU und der FDP, was machen Sie, um dieses Problem zu bekämpfen? Es gibt einen Vorschlag, über den Sie sich lustig machen. Aber wo sind denn Ihre Antworten auf dieses Problem?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wer etwas für die soziale Gerechtigkeit machen möchte und will, dass Jugendliche überhaupt die Möglichkeit haben, an dieser Gesellschaft teilzuhaben und einen Zugang zu finden, und wer verhindern will, dass wir Zustände wie in den französischen Vororten bekommen, wo die Jugendlichen aus Verzweiflung Autos in Brand stecken, muss sich etwas einfallen lassen.

(Zuruf des Abg. René Rock (FDP))

Da gibt es drei Felder. Ich sage Ihnen, um was es sich bei diesen drei Feldern handelt. Erstens. Sie haben einen Ausbildungspakt: Ausbildung im ersten Ausbildungsmarkt.

(Zuruf des Abg. René Rock (FDP))

Es ist doch unbestritten, dass zunächst die Wirtschaft gefordert ist, Ausbildungsplätze in ausreichender Zahl zur Verfügung zu stellen. Wenn man aber feststellt, dass es eine Lücke gibt, muss man sich seitens des Staates die Frage stellen, was man macht, um sich um diese Jugendliche zu kümmern. Das tun Sie nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Die erste Säule ist also der erste Ausbildungsmarkt.

Zweite Säule. Die Jugendlichen, denen es offensichtlich nicht gelingt, die Schule mit so einer Qualifikation zu verlassen, dass sie einen Ausbildungsplatz finden,

(Zuruf des Abg. René Rock (FDP))

Herr Rock, denen muss im allgemeinbildenden Schulsystem deutlich besser geholfen werden. Sie müssen individuell gefördert werden. Sie müssen frühzeitig ab der 7. Klasse die Möglichkeit einer Lebensweltorientierung, einer Ausbildungsorientierung bekommen. Wir wollen, dass ab der 7. Klasse eine Kompetenzfeststellung stattfindet. Wir wollen, dass die Jugendlichen darauf vorbereitet werden, dass sie spätestens ab der 9. Klasse eine Ausbildung antreten können. Dazu haben wir konkrete Vorschläge gemacht. Wir brauchen im allgemeinbildenden Schulsystem deutlich bessere individuelle Förderung, sodass weniger Jugendliche ausbildungsunfähig herauskommen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist eine ganz wichtige zweite Säule.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Bartelt, ich weiß, manche neuen Vorschläge sind für jemanden, der immer dasselbe macht und bestimmte Probleme nicht zur Kenntnis nehmen will, vielleicht nicht ganz leicht verständlich. Aber schauen Sie, wir haben eine unglaublich hohe Ausbildungsabbrecherquote. Ich selbst war beruflich in einem Träger der Berufsbildung aktiv. Es gibt bildungsschwache Jugendliche, die eine Ausbildung antreten, sie abbrechen und immer wieder aus denselben Gründen. Da ist es doch nur mehr als logisch, dass wir da nicht wegschauen, sondern dass wir eine begleitende Ausbildung anbieten, dass wir sagen: Jugendliche, wir begleiten euch bei euren Problemen in der Ausbildung, ob das ausbildungsbegleitende Hilfen sind, ob das Lebensalltagshilfen sind und vieles mehr.

Wir haben eine hohe Abbrecherquote bei der Ausbildung. Wir können doch nicht sagen: Wir haben 2.000 Jugendliche, denen es nie gelingt, eine Ausbildung abzuschließen. Wenn es dann von uns im September 2012 ein Angebot gibt oder jetzt von den Sozialdemokraten, die das triale Ausbildung nennen, also ausbildungsbegleitende Hilfe, damit Jugendliche ihre Ausbildung durchstehen, dann ist das doch ein sinnvoller Vorschlag, und dann können Sie sich doch nicht darüber lustig machen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE))

Das Dreisäulenmodell ist simpel. Erster Ausbildungsmarkt: deutlich mehr Ausbildungsplätze und dadurch auch Druck auf die Unternehmen. Ich habe die Zahlen damals zitiert. Sie haben sich nicht verändert. Die 30 Dax-Unternehmen haben eine Ausbildungsquote von 1 bis 2 %. Der Durchschnitt beträgt 7 %. Bei den 30 deutschen Dax-Unternehmen: 1 bis 2 %. Da muss man es politisch auch einmal zur Chefsache machen und mit denen deutlich reden. Das sind schlicht zu wenige Ausbildungsplätze im ersten Ausbildungsmarkt.

Zweite Säule: Das allgemeinbildende Schulsystem muss sich deutlich stärker um die Jugendlichen kümmern. Schließlich brauchen sie auch geförderte und begleitete Ausbildungsplätze, auch in Produktionsschulen. Wir haben das in unserem Konzept beschrieben. Nur durch diese drei Säulen, durch das Zusammenwirken dieser drei Maßnahmen, wird es uns gelingen, 25.000 Jugendliche aus Warteschleifen zu holen, wird es uns gelingen, dass tatsächlich jeder Jugendliche eine Ausbildung abschließen kann und einen Schulabschluss erhält. Nur wenn man es will, kann man es auch verändern. Sie wollen es gar nicht. Das ist der sozialpolitische Skandal an dieser Situation.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Aus Sicht von uns GRÜNEN wiederhole, betone und unterstreiche ich: Ich hätte hier von Ihnen von der CDU ein Problembewusstsein erwartet, dass Sie sagen: Ja, wir haben viele Jugendliche, die keinen Abschluss haben. Ja, wir haben viele Jugendliche, die keine Ausbildung haben. Ja, wir haben zu viele Jugendliche in den Warteschleifen. – Dieses Problembewusstsein hätte ich von Ihnen erwartet. Am liebsten hätten wir von Ihnen auch gehört, dass Sie dafür Lösungen haben. Aber wer verbraucht und erschöpft ist, hat keine Antworten mehr.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Danke, Herr Bocklet.

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