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15.12.2010
Portraitfoto von Marcus Bocklet vor grauem Hintergrund.

Marcus Bocklet: Arbeitsmarkt braucht qualifizierte Fachkräfte

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Decker, wir werden dem Antrag der SPD-Fraktion in vollem Umfang zustimmen. Sein Inhalt zeigt in die richtige Richtung. Darum geht es heute in diesem Saal. Es geht darum, die unsäglichen Mittelkürzungen für Langzeitarbeitslose rückgängig zu machen.

Dafür setzen auch wir uns ein. Wir haben im August 2010 einen Antrag eingebracht, an den ich noch einmal erinnern möchte.

Warum haben wir das am 31. August 2010 gemacht? Wir taten das, weil wir damals in diesem Hause eine Diskussion über die Frage hatten, ob die Regelsätze für Sozialhilfeempfänger und Arbeitslosengeld-II-Empfänger eigentlich angemessen sind. Wir hatten diese Diskussion in diesem Hause, weil gerade viele aus dem rechten, dem konservativen und auch aus dem liberalen Lager gesagt haben – ich drücke das jetzt vorsichtig aus –: Es gibt noch zu viele Arbeitslose, die auf der Couch sitzen, Chips essen und RTL II gucken. Eigentlich sind das Faulenzer.

Es fielen Worte wie Schmarotzer.

(Zuruf)

– Ich habe die Zitate alle hinten liegen. Mit denen kann man mittlerweile mehrere Seiten füllen. Damals wurde auf Langzeitarbeitlose eingedroschen. Außerdem hat man gesagt, dieser Personenkreis müsse stärker gefordert werden.

In dieser Stunde haben Sie sich hierhin gestellt und gesagt, die Eingliederungsmittel sollten um 25 Prozent gekürzt werden. Wer das beobachtet hat, erkennt: Das ist eine bodenlose Frechheit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Sie können nicht auf der einen Seite die Langzeitarbeitslosen diskriminieren, und ihnen auf der anderen Seite die Hilfen, die sie brauchen, streichen. Das ist absurd. Das ist widersinnig. Das ist fatal. Das ist ein völlig falsches Signal. Das ist eine falsche Arbeitsmarktpolitik.

Wir wissen, dass etwa 50 % der Arbeitslosengeld-II-Empfänger länger als ein Jahr arbeitslos sind. Sie brauchen Förderung, Qualifizierung, Weiterbildung, Training und Beschäftigung. All das brauchen Sie.

Sie wollen in Hessen im Jahr 2011 um 87 Millionen Euro und im Jahr 2013 um 150 Millionen Euro kürzen. Was glauben Sie denn, was dann geschehen wird? Glauben Sie, es wird mehr Menschen geben, die zu Hause auf der Couch sitzen, oder werden es weniger sein? Das muss Ihnen doch vor dieser Entscheidung einmal durch den Kopf gegangen sein.

Sie haben sich doch die Post angesehen, die wir wahrscheinlich alle bekommen. Da gibt es das Schreiben eines Beschäftigungsträgers aus Darmstadt. Es gibt Briefe aus Offenbach, aus Gießen, Marburg, Frankfurt und Rüsselsheim. Die Beschäftigungsträger rechnen Ihnen vor, wie viele Plätze für Jugendliche und für Erwachsene in den Trainings und in der Qualifizierung wegfallen werden. Sie müssten da doch bleich werden. Es kann doch nicht wirklich Ihr Wille sein, diesen Menschen den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Sie müssten sie sinnvoll dem ersten Arbeitsmarkt zuführen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte nur zwei konkrete Beispiele nennen, die super ärgerlich sind. Wir haben in Frankfurt beim Rhein-Main-Jobcenter für Langzeitarbeitslose 100 Ausbildungsplätze zum Erzieher. Da werden Langzeitarbeitslose qualifiziert, um Erzieherinnen und Erzieher zu werden.

Diese Maßnahme wird nächstes Jahr wegfallen. Herr Sozialminister, angesichts des Fachkräftemangels
– –

(Zuruf)

– Er sagt, das würde nicht stimmen. Ich kann Ihnen den Brief vom Rhein-Main-Jobcenter geben. Das wird auch die Werkstatt Frankfurt belegt. 100 Arbeitsplätze, die das Rhein-Main-Jobcenter organisiert hat, werden wegfallen – 100. Das geschieht, obwohl uns Hunderte Fachkräfte in der Erziehung fehlen. Das ist fatal.

Zweites Beispiel. In dem „Frankfurter Weg“ – das wird auch von dem Rhein-Main-Jobcenter und der Werkstatt Frankfurt organisiert – gibt es über 200 Erwachsene, die über 25 Jahre alt sind. Sie bekommen beim „Frankfurter Weg“ eine Ausbildung. 70 % der Absolventen des „Frankfurter Wegs“ kommen wieder in den Arbeitsmarkt. Der „Frankfurter Weg“ steht vor dem Aus.

Drittes Beispiel. In Frankfurt gibt es in diesem Sektor 2.500 Arbeitsgelegenheiten. Die Vermittlungsquote liegt bei etwa 20 Prozent. 500 Langzeitarbeitslose kommen also wieder in den ersten Arbeitsmarkt.

Das waren nur drei Beispiele. Ich könnte das noch stundenlang anhand meiner Liste fortführen. In Rüsselsheim, Darmstadt, Gießen und überall bekommen wir die Zahl der Plätze konkret benannt. Wir bekommen die Zahl der Ausbildungsplätze für Jugendliche genannt, die künftig wegfallen werden. Es wird auch bei der Erwachsenenbildung, bei der Weiterbildung und bei der Fortbildung etwas wegfallen. Hunderte Plätze sind gefährdet oder fallen weg. Das ist die Politik der CDU und der FDP. Sie schwafeln etwas von Wiedereingliederung. Aber im Prinzip ist es Ihnen völlig wurscht, was mit diesen Menschen passiert.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Lassen Sie mich noch ein paar Sätze zu der Frage sagen, dass das doch so viel Geld sei, dass es nicht überall sinnvoll verwendet werde und dass man das eigentlich nur effektiver einsetzen wolle. Vermutlich wird in der Rede des Sprechers der FDP von Effizienz die Rede sein.

Dazu möchte ich Ihnen Folgendes sagen: Das Sozialgesetzbuch II ist nicht das Sozialgesetzbuch III. Das Sozialgesetzbuch II regelt nichts für Leute, die Arbeitslosengeld I beziehen und die noch sehr nah am ersten Arbeitsmarkt sind.

Das Sozialgesetzbuch II ist ein Gesetz der staatlichen Fürsorge. Die Grundsicherung für Arbeitssuchende umfasst – Achtung – Hilfen zur Stabilisierung, Aktivierung und Wiedereingliederung der langzeitarbeitslosen Menschen und ihren Familien.

Viele, die jetzt Politik machen, vergessen das offensichtlich. Sie wollen, dass das Arbeitslosengeld II zum Arbeitslosengeld I wird. Es geht dann darum, die Creme, also die Besten der Besten, abzuschöpfen und sie sofort in den ersten Arbeitsmarkt einzugliedern.

Das ist für die Bezieher des Arbeitslosengeldes I vorgesehen. Das Arbeitslosengeld II hat, wie ich Ihnen gesagt habe, einen weitaus größeren Auftrag zu erfüllen. Da geht es um Stabilisierung, Aktivierung und Heranführung. All das wird in den Maßnahmen momentan durchgeführt.

Man kann hinsichtlich der Effizienz also nicht darauf fokussieren, ob man alle sofort in den ersten Arbeitsmarkt vermitteln kann. Es geht auch darum, dass diese Menschen stabilisiert und mittelfristig wieder fit gemacht werden. Denn wir kennen die Gruppe der Arbeitslosengeld-II-Empfänger. Ein Drittel von ihnen ist sehr arbeitsmarktnah. Das zweite Drittel muss qualifiziert werden und wird dadurch arbeitsmarktnah. Das dritte Drittel ist durchaus arbeitsmarktfern.

Aber auch diese Menschen haben einen Anspruch darauf, dass man sich um sie kümmert. Auch sie haben ein Recht darauf, die Möglichkeit zu bekommen und Signale von dieser Gesellschaft dafür zu bekommen, dass es für Sie noch eine Chance zur Teilhabe gibt. Auch das zerschlagen Sie jetzt mutwillig in dieser Stunde. Das lehnen wir GRÜNEN ab.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Ich möchte eine letzte fatale Wirkung nennen. Wir haben einen großen Teil – ich habe von der einen Hälfte gesprochen –, die länger als ein Jahr arbeitslos ist. Wir haben aber auch die andere Hälfte, die schon innerhalb eines Jahres die Möglichkeit findet, wieder in Arbeit zu kommen. Wenn Sie aber die Wiedereingliederungsmittel und die Mittel für die Fort- und Weiterbildung für diese Zielgruppe zusammenstreichen, wird es nicht mehr ein Herein und Heraus aus dem Beziehen des Arbeitslosengeldes II geben, sondern nur noch ein Herein, weil die Fördermöglichkeiten dann nämlich extrem zusammenschrumpfen. Der Umschlag an Personen, wie er momentan dort noch stattfindet, wird zukünftig nicht mehr stattfinden. Es werden also mehr Arbeitslosengeld-II-Empfänger werden.

Wir wissen doch, dass der wirtschaftliche Aufschwung deutliche Signale für den ersten Arbeitsmarkt gebracht hat. Für die Arbeitslosengeld-II-Empfänger, also für die Langzeitarbeitslosen, hat er das aber kaum.

(Zuruf)

– Herr Boddenberg, natürlich ist das so. Er hat das kaum getan.

Natürlich ist das so. Je differenzierter Sie sich mit dieser Frage beschäftigen, umso genauer wissen Sie, was diese Menschen brauchen.

Ich sage es deswegen noch einmal: Wir haben jahrelang darum gekämpft. Meine Fraktion kann das bestätigen. Sie haben immer wieder gefragt: Bocklet, was willst du eigentlich? Seit fünf Jahren haben wir darauf gesetzt, dass wir die Eingliederungsmittel mehr ausschöpfen. Frau Lautenschläger können Sie nachts um 3 Uhr wecken. Sie hört dieses Lied immer noch. Sie müssen die Eingliederungsmittel wirklich ausschöpfen.

Im Jahr 2009 war es endlich so weit, dass nahezu alle Eingliederungsmittel ausgeschöpft wurden und damit bei den Menschen ankamen. Was passiert jetzt? – Jetzt kommen CDU und FDP, sowohl im Land wie auch im Bund, und streichen 25 Prozent der Eingliederungsmittel.

Das ist doch der völlige Wahnsinn. Das unterstreicht, dass es bei Ihnen nur darum geht, Langzeitarbeitslose dazu zu benutzen, um am rechten Rand die Stimmung abzufischen, auf die einzudreschen und Regelsätze niedrig zu halten. Aber wenn es darum geht, zu beweisen, dass Sie sie wirklich fördern wollen, dann sind sie auf der Flucht

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

und streichen bundesweit 3 Milliarden Euro, die Sie im Übrigen den Hoteliers hinterher schmeißen. Das zeigt Ihre Verlogenheit in demselben Bereich. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Vizepräsident Lothar Quanz:

Danke, Herr Bocklet.

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