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27.11.2014
Portraitfoto von Marcus Bocklet vor grauem Hintergrund.

Marcus Bocklet: Anhörung zum Thema Chancen und Risiken einer Entkriminalisierung in der Drogenpolitik

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, das, was ich mir am meisten wünsche, ist eine sachliche und fachliche Diskussion. Ich will Ihnen ganz ehrlich sagen, dass mit dem heutigen Erscheinen eines Wochenmagazins mit dem Titel „Die bekiffte Republik“ kein Beitrag dazu geleistet wird, dieses Thema sachlich zu diskutieren. Es werden alte, polarisierende Positionen betont. Was wir bei dem Thema Cannabis aber brauchen, ist eine sachliche und weitsichtige Politik.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir diskutieren ein gesellschaftlich sehr umstrittenes Thema, und das schon seit 20 Jahren. Ich bin 1993 in die Frankfurter Stadtverordnetenversammlung eingezogen. Dort haben wir unter Rot-Grün den sog. „Frankfurter Weg“ beschlossen, der für viele Menschen, die diese Politik vor 20 Jahren gestaltet haben, sehr schwierig war, sowohl öffentlich als auch politisch. Er beinhaltete, auch unkonventionelle Gedanken zuzulassen. Er beinhaltete, in der Sache neue Wege zu gehen, denn in der Sache geht es um eines: Wir wollen den Menschen, den Konsumenten von Drogen, helfen. Das ist das oberste Ziel.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Übermäßiger Konsum von Alkohol und die Abhängigkeit von Drogen kann – lassen Sie mich das noch einmal sagen, obwohl es eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte – zu erheblichen Schädigungen der Gesundheit führen. Daher darf es keine Bagatellisierung und kein Vertun geben, und ich füge hinzu: Es muss alles getan werden, um Süchtigen zu helfen und sie vor gesundheitlichen Schäden und Risiken zu schützen. Deswegen bedarf es einer Sucht- und Drogenpolitik, bei der diese Elemente im Vordergrund stehen: Prävention, Beratung, Behandlung und Ausstiegshilfen. Darüber müsste es in diesem Hause eine große Einigkeit geben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, worum es nun geht, ist doch: Es geht um das Ringen in Verbindung eines neuen Problems, nämlich um das Thema Cannabis. Dabei geht es auch um die Frage: Wie werden wir einen Weg beschreiten, um den Konsum zu verringern und dem Konsumenten zu helfen? – Um dieses Ringen geht es.

Ich teile die Auffassung, dass es dazu im Hause, quer durch alle Fraktionen, unterschiedliche Auffassungen gibt. Ich betone für unsere Fraktion noch einmal gern: Wir finden das auch gar nicht schlimm. Diesen Prozess haben wir in den Neunzigerjahren mitgemacht; diesen machen wir jetzt wieder mit. Wir werden darum ringen und fragen müssen: Welche Lösungen finden wir, damit die Menschen, die zu viel von diesen Drogen konsumieren, davon wegkommen? Wie schaffen wir es, dass weniger konsumiert wird? Wie kann ihnen geholfen werden, wenn sie gesundheitliche Probleme bekommen? Um diesen klugen Weg ringen wir, und dazu gibt es unterschiedliche Auffassungen. Und ich sage: Es ist gut, dass es so ist; das macht Politik nämlich spannend.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lange Zeit ist die Diskussion über Cannabis eine sehr festgefahrene Diskussion gewesen. Nun kommt Bewegung hinein. Auf der einen Seite gibt es die Sorge, dass die Liberalisierung von Drogen oder die Entkriminalisierung von weichen Drogen den Zugang erleichtere. Diese Sorge gibt es, und dies ist meines Erachtens auch begründet. Auf der anderen Seite gibt es die Einsicht, dass eine repressive Antwort zunehmend weniger Antworten darauf gibt, wie man die Anzahl der Konsumenten reduziert oder das kriminelle Umfeld eindämmt. Beide Seiten stehen vor mehr Fragen als sie Antworten haben. Daher finde ich es gut, dass nun Bewegung hineinkommt.

Seien wir chronologisch. Es fing alles mit der Schildower-Erklärung an; von 122 Strafrechtsprofessoren, das ist nun fast die Hälfte dieses Personenkreises, wurde gesagt: Es scheint so, dass die Entkriminalisierungspolitik in dieser Frage nicht zielführend ist. – Nachdem diese Personen diese Erklärung abgegeben hatten, gab es am 4. November im Bundestag eine Anhörung, eine Anhörung von enormer Tragweite und, wie ich finde, fachlicher Tiefe. Dort wurden genau diese Fragen diskutiert. Es wurde über Kriminalität diskutiert; mit Politzisten wurde dort gesprochen sowie mit Medizinern und Wissenschaftlern. Auch Politiker kamen zu Wort.

Dann kam auch die Stadt Frankfurt nicht umhin, zu sagen: Angesichts dieser Diskussion werden wir in Frankfurt eine Fachtagung machen. Ich war dort – Frau Schott, ich habe Sie dort auch gesehen –; der Saal platzte aus allen Nähten; es waren über 700 Personen anwesend. Vielen, die teilnehmen wollten, musste abgesagt werden; das hat die Organisatorin noch einmal gesagt. Es gibt bei diesem Thema ein enormes Diskussionsbedürfnis. Es stellt sich die Frage: Wir haben hunderttausende Konsumenten von Cannabisprodukten in diesem Lande, warum sinkt die Zahl offensichtlich nicht, trotz einer Kriminalisierung? Sie gefährden sich und andere. Auch das ist unbestritten. Es ist ein Problem, dass sie nicht wissen, welche Stoffe sie konsumieren und dass sie sich damit auch gesundheitlich gefährden. Sie können sich selten helfen lassen, weil eine Repressionspolitik offensichtlich nicht dazu beiträgt, dass sie sich melden und um Hilfe bitten. Ich wiederhole es daher noch einmal: Uns alle treibt die Sorge um die Gesundheit dieser Menschen um.

Wir wollen, dass weniger Drogen konsumiert werden. Wir wissen auch, dass eine Abstinenzkultur allein diesem Ziel nicht gedient hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Aufforderung nach Verzicht allein hat offensichtlich nicht dazu geführt, dass heute weniger konsumiert wird, sondern der Cannabiskonsum seit Jahren konstant bleibt. Wir wollen, und da hoffe ich, dass wir uns einig sind, dass die Dealer strafrechtlich verfolgt werden und den Kriminellen das Handwerk gelegt wird. Offensichtlich hat die Fachtagung auch gezeigt, dass auch das nur mäßig gelingt. Wir brauchen, das hat Frankfurt gezeigt, mehr Präventionsangebote, und wir brauchen eine Gesellschaft, die die polarisierten Positionen verlässt, damit wir mit einer rationalen Drogenpolitik all die Ziele, die wir haben, auch tatsächlich realisieren können.

Ich wünsche mir, dass wir die unterschiedlich polarisierten Gräben verlassen können. Ich will das jetzt auch nicht namentlich benennen. Ich will Ihnen nur sagen: Die Widerstände, die es 1993 zu überwinden bei der Heroin- oder Methadonabgabe galt, waren enorm. Ich will daran noch einmal erinnern. Wozu hat das geführt? Wir hatten im Jahr 1993  150.000 Drogentote aufgrund von Heroinabhängigkeit. Wenige Jahre später waren es nur noch 33.000 Tote. Jeder Tote ist einer zu viel, aber die Reduzierung auf fünfmal so wenig Tote war der Erfolg eines mutigen Schritts, nämlich den einer akzeptierenden Drogenpolitik, die nicht nur die Junkies aus der Taunusanlage vertreibt. Neben einer Repressionspolitik braucht man unbedingt Angebote an Prävention und Hilfen. Das scheint mir die Lehre aus Frankfurt zu sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin über all die kritischen Argumente, die auf der Fachtagung vorgetragen wurden sehr nachdenklich geworden, beispielsweise bei den Argumenten von Prof. Auwärter von der Uniklinik Freiburg. Oft wird bagatellisiert, was Haschisch- oder Cannabisprodukte für Auswirkungen haben. Er hat gesagt, den Zugang zu erleichtern, sei keine leichte Nummer, das sei nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.

Ich bitte beide Positionen, die, die für ein Verbot eintreten und die, die für die Freigabe eintreten, einen angemessenen verantwortlichen Weg zu beschreiten. Das kann uns gelingen, wenn wir die Anhörung im Bundestag und die Fachtagung in Frankfurt intensiv auswerten. Vielleicht gelingt uns ein Modellversuch.

Wenn wir die Erkenntnisse zusammentragen, dann sollten wir im Landtag schauen, welche Fragen offen geblieben sind und was wir im Land noch tun müssen. Wir wollen weniger Konsum, weniger Gesundheitsschäden, stärkere Prävention und stärkere Suchthilfen. Das wird dazu führen, dass wir uns diesem brisanten Thema stellen. Ich bin froh, dass die Kolleginnen und Kollegen der CDU und meine Kollegin von den GRÜNEN sich diesem Thema so mutig stellen werden. Wir werden das diskutieren und wir werden uns nicht wegducken, weil es ein gesellschaftliches Problem ist. Ich bin mir sicher, dass wir uns hier zu einer Anhörung wiedersehen werden. So ein Thema gehört im Landtag diskutiert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Ich komme zum Schluss. Als Person, die über 20 Jahre in diesem Feld arbeitet, sehe ich, dass man Menschen immer wieder neu davon überzeugen muss, dass es keine einfachen Antworten auf komplizierte Fragen gibt. Weder ist Cannabis auf die leichte Schulter zu nehmen, noch helfen uns alleine Verbote. Wir müssen eine eigenständige Position erarbeiten. Wir müssen klug darauf achten, dass wir begleitende präventive Maßnahmen entwickeln. Wir müssen darüber offen, frei fachlich und sachlich diskutieren. Wir sind auf einem guten Weg. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken:

Danke, Herr Bocklet.

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