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07.06.2011
Portraitfoto von Marcus Bocklet vor grauem Hintergrund.

Marcus Bocklet: Änderung des Hessischen OFFENSIV-Gesetzes

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Decker hat es angesprochen. Das OFFENSIV-Gesetz kam in seiner ersten Lesung in der Tat wenig spektakulär daher. Es hat seine Brisanz erst durch den Änderungsantrag von CDU und FDP bekommen. In § 4a neu wollen Sie die Kommunen ermächtigen, zukünftig bei Heiz- und Wohnungskosten zu pauschalieren. Wir halten dieses Instrument für sozialpolitisch falsches. Folgerichtig wollen wir auch nicht, dass wir den Kommunen diese Spielräume einräumen. So einfach kann es sein. Deshalb lehnen wir diesen Änderungsantrag und somit das OFFENSIV-Gesetz ab.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Die Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 des Sozialgesetzbuches II sind neben der Regelleistung für erwerbsfähige Hilfebedürftige ein elementarer Leistungsbestandteil zur Sicherung ihrer Existenz. Wohnung und Wohnumfeld nehmen gerade für diese Leistungsbezieher einen außergewöhnlich hohen Stellenwert ein. Für uns GRÜNE ist klar: Der Sozialstaat ist zur Sicherung eines menschenwürdigen Daseins verpflichtet. Das Grundbedürfnis eines Menschen nach Wohnen ist als Teil des soziokulturellen Existenzminimums zu decken – ich füge hinzu –, und zwar nach den tatsächlich anfallenden Kosten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, wenn ich sage: „nach den tatsächlich anfallenden Kosten“, dann kommen wir schon auf das Problem. Die Pauschalierung ist ein ungenaues und damit ungerechtes Instrument. Wir haben in Hessen Wohnungskosten pro Person von 160 € in Waldeck-Frankenberg bis zu 250 Euro in Frankfurt.

Ich bleibe bei Frankfurt. Was machen Sie, wenn Sie den Menschen 250 Euro auszahlen, die Wohnung aber 280 Euro kostet? Diese 30 Euro muss der ALG-II-Empfänger von seinem Existenzminimum abzweigen. Aber das Existenzminimum ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung unantastbar. Es ist eine unantastbare Summe und dient ausschließlich der Bestreitung des Lebensunterhalts. Aber diese Person muss 30 Euro von seinem Regelsatz nehmen. Das ist sozialpolitisch ungerecht, es ist kontraproduktiv in seiner Zielführung, und es ist ein falsches Instrument. Deswegen sage ich noch einmal: Es ist falsch. Stoppen Sie den Gesetzentwurf in dritter Lesung. Wir als GRÜNE lehnen den Gesetzentwurf ab.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Lassen Sie mich noch einen Aspekt anführen. Selbst wenn es gerade in größeren Städten die Möglichkeit gäbe, umzuziehen, ist es ein falscher Weg, sozial Schwache in soziale Brennpunkte zu drängen und damit das Problem der sozialen Segregation zu vergrößern. Darauf haben viele Verbände hingewiesen. Wir sind froh, dass in großen Städten auch sozial Schwächere im normalen Mietsegment wohnen können. Wir werden aber bei den Notlagen der Haushalte zunehmend dazu kommen, dass Kämmerer sagen: „Lasst uns pauschalieren. Der Regierungspräsident hängt uns im Nacken. Wir können damit Gelder sparen, und wir werden damit eine Umzugswelle auslösen.“ Das ist sozialpolitisch schlicht und ergreifend völliger Irrsinn. Deswegen bitten wir Sie noch einmal, zu überdenken, was Sie mit dieser Ermächtigung einleiten.

Sie werden vielleicht ganz entspannt sagen: „Was wollen Sie denn? Wenn die Kommunen ihre Position teilen, werden sie das nicht einführen.“ Aber genau das ist die entscheidende Frage. Wenn wir alle im Saal davon überzeugt sind, dass es Quatsch ist, das man vor Ort pauschaliert, dann sollten wir die Ermächtigung auch gar nicht erst zulassen. Deswegen bitten wir Sie erneut: Unterlassen Sie diese Ermächtigung an die Kommunen. Es ist ein falsches Signal, ein sozialpolitisch irrsinniges Instrument. Nehmen Sie das wieder zurück. Unser Änderungsantrag fordert schließlich auch die Streichung dieses Paragrafen. So kann man Sozialpolitik und Wohnungspolitik vor Ort, gerade in großen Städten, nicht gestalten. Nehmen Sie Abstand von diesen Wegen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

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