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03.03.2010

Kordula Schulz-Asche zur Änderung des Hessischen Feiertagsgesetzes

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Kollegin Schott, zu Recht haben Sie viele Ungerechtigkeiten angesprochen. Es wäre nur schön gewesen, wenn Sie auch noch erklärt hätten, was ein Feiertag an solchen Ungerechtigkeiten ändern würde. Das ist mir nicht so ganz klar geworden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Erlauben Sie mir eine Vorbemerkung.

Der 8. März als Internationaler Frauentag ist sehr wichtig, denn er gibt uns jedes Jahr die Möglichkeit – auch in den Wochen davor und danach –, auf bestehende Ungerechtigkeiten hinzuweisen und an verschiedenen Orten darüber zu diskutieren. Meine Fraktion wird das heute Abend mit einem kleinen Frauenempfang hier im Haus tun. Darauf freue ich mich.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Die SPD hatte ihn schon. Ich glaube, es ist angemessen, solche Gelegenheiten zu schaffen – zum Vernetzen, zum Sprechen, zum Miteinander-Spaß-haben. Dazu braucht man keinen Feiertag, sondern Orte, und man muss es organisieren. So wird es auch überall in Deutschland gemacht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Niemand will den Internationalen Frauentag abschaffen. Er erlaubt uns einen Rückblick auf die Frauenbewegung in Deutschland in den vergangenen 200 Jahren. Die erste Welle hatten wir um die Wende zum 20. Jahrhundert, da kämpften die Frauen um den Zugang zur Bildung und das allgemeine Wahlrecht. – Beim passiven Wahlrecht gibt es bis heute Fraktionen hier im Haus, wo man sagen kann, dort ist das noch nicht ganz angekommen: wenn ich mir die FDP anschaue.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Das war der Kampf, den die Frauen an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert geführt haben.

In der zweiten Welle ging es um rechtliche Gleichstellung, um Chancengleichheit und das Recht auf Selbstbestimmung. Seit den Neunzigerjahren diskutieren die Frauen, zusammen mit den Männern, über Projekte zur konkreten Frauenförderung, zur Vernetzung und insbesondere zur Nutzung des Internets.

Meine Damen und Herren, trotz alledem gibt es nach wie vor keine Gleichberechtigung von Männern und Frauen, auch nicht in Deutschland. Trotz wirklicher Erfolge in der Familienpolitik, beispielsweise durch den Ausbau der Kinderbetreuung, sind viele Probleme ungelöst. Dazu gehört die eigenständige Existenzsicherung im Erwerbsleben. Ich nenne hier nur das Stichwort gesetzlicher Mindestlohn. Dazu gehört das Problem der sozialen Sicherungssysteme und auch hier die eigenständige Absicherung. Ich verweise auf die Gefahr der steigenden Altersarmut aufgrund der besonderen Erwerbsbiografien von Frauen – das zeichnet sich bereits ab. Ich bin mir auch nicht sicher, ob nicht die Finanznot in den Kommunen dazu führen wird, dass in Zukunft auch der Schutz vor Gewalt für Frauen und Kinder darunter leiden wird, dass in den Kommunen so wenig Geld vorhanden ist, um wirkliche Daseinsvorsorge zu betreiben.

Meine Damen und Herren, entgegen dem europäischen Trend haben wir in Deutschland eine weitere Zunahme des Abstands der Löhne und Gehälter von Männern und Frauen. Das ist eine der ganz großen Ungerechtigkeiten, die unbedingt abgestellt werden müssen. In den Führungsgremien von Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Kirche haben wir eine Unterrepräsentanz von Frauen, die mit Gleichstellung überhaupt nichts zu tun hat. Ich finde, es ist an der Zeit, das tatsächlich zu ändern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Eine neue Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung führt uns nochmals vor Augen, dass wir kaum Frauen in den Vorständen der 20 größten deutschen Unternehmen haben: Dort gibt es 812 Männer und 21 Frauen. Meine Damen und Herren, mit wirklicher Qualität von Führung kann das nichts zu tun haben, wenn man sich die Bildungsabschlüsse anschaut.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Um das gleich fortzusetzen: In den Aufsichtsräten der 200 größten Unternehmen in Deutschland sitzen gerade 10 Prozent Frauen – und das auch nur in den Unternehmen, in denen Mitbestimmung herrscht; in allen anderen Unternehmen sieht es noch schlimmer aus.

Meine Damen und Herren, das sind die Ungerechtigkeiten, bei denen es wirklich an der Zeit ist, dagegen gesetzlich vorzugehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Meine Damen und Herren, nun zu der Frage: Wie kann man diese Ungerechtigkeiten beseitigen?

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der LINKS-Fraktion, da muss ich Ihnen ehrlich sagen: Dazu ist Ihr Antrag, einen Feiertag einzuführen, nicht nur falsch, sondern sogar kontraproduktiv.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Schauen wir uns beispielsweise Russland an. Dort ist das ein Feiertag. Im Prinzip ist das dort inzwischen eine Art Valentinstag oder Muttertag. Ich habe aber keine Lust, im Interesse der Frauengleichstellung die Floristikunternehmen in Deutschland zu fördern. Das ist nämlich das, was in Russland davon übrig geblieben ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU – Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

– Weil Sie gerade dazwischenrufen, erzähle ich Ihnen das Folgende: Im Jahr 1986 war ich in einem der Länder, die Sie eben gerade so schön vorgelesen haben, in Burkina Faso, und zwar in der berühmten Hauptstadt Ouagadougou – seit Steinbrück kennt auch die SPD diesen Ort. Dort gibt es seit 1985 diesen Feiertag.

Ich war damals im Stadion, als dieser Feiertag begangen wurde. Dort hat der damalige, später ermordete Präsident Thomas Sankara vor sehr vielen Frauen vom Land, die zum ersten Mal überhaupt mit dem Problem der Frauengleichstellung konfrontiert waren, gesagt: Frauen gehört die Hälfte des Himmels.

Damals habe ich mir gedacht: Schau mal, der hat es kapiert – Helmut Kohl in Deutschland hatte es zu diesem Zeitpunkt noch nicht kapiert.

(Lachen des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Zuruf der Abg. Judith Lannert (CDU))

Deswegen müssen wir darüber reden, welche gesellschaftlichen Prozesse wir haben. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Wir blicken auf 200 Jahre Frauenbewegung zurück. Das ist der Unterschied zu den Frauen in Burkina Faso. Wir blicken auf selbstbewusste 200 Jahre zurück – und da brauchen wir keinen Feiertag. Wir müssen endlich unsere Rechte durchsetzen. Wir müssen in die Führungsgremien von Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Meine Damen und Herren – oder meine Herren von der FDP –, dort gehören wir in die Führungspositionen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Petra Fuhrmann und Timon Gremmels (SPD))

Meine sehr geehrten Damen und Herren, deswegen brauchen wir eine vierte Welle der Frauenbewegung – und keine Symbolpolitik mit Feiertagen. Wir müssen dahin, wo die Entscheidungen gefällt werden. Wir müssen die Machtfrage stellen. Das heißt, wir brauchen die Frauen in den Führungsetagen – durch Vernetzung, durch gegenseitige Förderung und Unterstützung, durch Gesetze zur Gleichstellung und die gesetzliche Einführung von Quoten. Dann erreichen wir das, was Sie mit Ihrem Feiertag nie erreichen werden, nämlich tatsächliche und rechtliche Gleichstellung. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Beifall der Abg. Petra Fuhrmann und Timon Gremmels (SPD))

Präsident Norbert Kartmann:

Vielen Dank.

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