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19.05.2011

Kordula Schulz-Asche: Renten sichern – weitere Verschärfung der Altersarmut verhindern

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es gibt Themen, bei denen man nach Möglichkeit Populismus vermeiden sollte. Das Thema Rente ist ein solches Thema.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Wenn sich unsere Bundeskanzlerin vor ihre Anhänger stellt, wie am Dienstag, und den Satz sagt: „Es geht auch darum, dass man in Ländern wie Griechenland, Spanien und Portugal nicht früher in Rente gehen kann als in Deutschland, sondern dass alle sich ein wenig gleich anstrengen – das ist wichtig“, und wenn man sich dann anschaut, wie die Realität ausschaut – dass nämlich in Deutschland das Durchschnittsalter bei Renteneintritt bei 62,2 Jahren, in Griechenland bei 61,5 Jahren, in Portugal bei 62,6 Jahren, in Spanien bei 62,3 Jahren liegt –, dann zeigt das, dass sich Frau Merkel zunächst einmal mit der Analyse richtig beschäftigen sollte,

(Zuruf des Abg. Alfons Gerling (CDU))

bevor sie die Probleme angeht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Rente ist offensichtlich kein Thema, bei dem man ohne vertiefte Sachkenntnis munter diskutieren kann. Aber der Antrag, den uns die Linkspartei vorgelegt hat, geht in die gleiche Richtung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Frau Kollegin Schulz-Asche, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gerling?

Kordula Schulz-Asche:

Nein, im Moment nicht, denn ich bin gerade beim Eingang meiner Rede – aber vielleicht in der Mitte.

(Heiterkeit – Zuruf des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

– Ich wollte jetzt eigentlich, wie alle anderen immer sagen: am Ende, aber dann hat man eh keine Zeit mehr. Ich wollte damit sagen, ich bin durchaus bereit, auf Zwischenfragen zu antworten.

Meine Damen und Herren, die Linkspartei hat uns hier einen Antrag vorgelegt, in dem sie ein hehres Ziel beschreibt, nämlich die Vermeidung von Altersarmut. Sie leitet das her aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage, die sie zur gesetzlichen Rentenversicherung eingebracht hat.

Wer aus der Höhe der gesetzlichen Rente in Hessen Altersarmut ableitet, der hat einfach nicht verstanden, wie in Deutschland die Rentenversicherung funktioniert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Thomas Spies (SPD))

Die Höhe der gesetzlichen Rente macht überhaupt keine Aussagen darüber, wie viel Altersarmut es tatsächlich gibt.

Die gesetzliche Rentenversicherung ist tatsächlich die Hauptsäule der Alterssicherung. Aber Herr Gerling hat schon darauf hingewiesen – vielleicht wollten Sie mich das fragen? –, es gibt auch die betriebliche und die private Altersvorsorge. Wenn man das alles zusammennimmt, dann gibt es in der einzelnen Rentenbiografie große Unterschiede. Es kann sein, dass Leute, die nur eine sehr geringe gesetzliche Rente beziehen, im Prinzip eine sehr hohe Altersrente erhalten; und Personen, die gar keine Rentenansprüche haben und also besonders arm sind, tauchen in dieser Statistik überhaupt nicht auf. Daher ist die Herleitung der Altersarmut in Hessen aus der Antwort auf diese Kleine Anfrage der Linkspartei völlig daneben und zeigt, dass hier wirklich keine Fachkenntnis vorliegt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dementsprechend sind auch sämtliche Vorschläge in Ihrem Antrag. Sie konzentrieren sich vor allem darauf, die Bezüge aus der gesetzlichen Rentenversicherung prozentual zu erhöhen. Das hat überhaupt keine Effekte auf die Armutsbekämpfung, weil das mit den Ursachen der Altersarmut überhaupt nichts zu tun hat.

Meine Damen und Herren, für uns ist das Thema der steigenden Altersarmut eine ganz zentrale Frage sozialer Gerechtigkeit – ebenso, wie es die Kinderarmut ist. Die Altersarmut hat aber natürlich ein besonders tragisches Moment, denn es ist klar: Wenn jemand ein gewisses Alter erreicht hat, ist er selbst gar nicht mehr in der Lage, an seinem sozialen Status überhaupt noch etwas zu ändern. Daher gibt es eine sehr große Verantwortung der Gesellschaft, sich darum zu kümmern, dass alte Menschen nicht in Not geraten, dass alte Menschen – egal, was sie in ihrem Leben geschaffen haben und in welchem Bereich – am Ende von der Gesellschaft nicht allein gelassen werden und dass eine ausreichende Solidarität der Gesellschaft wirklich von Herzen kommt, die diese Menschen am Ende ihres Lebens nicht alleine lässt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen ist das Entscheidende der heutigen politischen Diskussion, dass wir uns darüber unterhalten, wie es überhaupt dazu kommt, dass bestimmte Menschen derart niedrige Renten erhalten. Was sind die Gründe dafür?

Wenn wir uns diese Gründe anschauen, dann sehen wir, dass diese Gründe mehr werden. Deshalb sage ich: Die Gefahr der Altersarmut nimmt zu. Deswegen müssen wir heute handeln.

Die Gründe sind die Unterbrechung der Erwerbsbiografie, Teilzeiterwerbstätigkeit, der Niedriglohnsektor und prekäre Selbstständigkeit. Nach wie vor haben wir Ausfallzeiten bei Erziehungs- und Pflegearbeit.

Wenn Sie diese Aufzählung hören, dann hören Sie auch schon, dass alle diese Bereiche besonders Frauen betreffen. Daher ist es auch eine frauenpolitische Aufgabe, sich um die Altersarmut zu kümmern und heute daranzugehen, deren Ursachen zu bekämpfen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wenn man sich mit diesem Thema etwa ausführlicher befasst, dann muss man auch fragen: Welches Renteneintrittsalter ist zu verantworten, und wie gehen wir damit um? Dazu möchte ich Ihnen eine kürzlich erschienene EU-Studie vorstellen. Sie hat gezeigt, in Deutschland ist die Erwartung gesunder Lebensjahre ab 50 im Vergleich mit anderen europäischen Ländern sehr gering, sie beträgt nämlich nur 14 Jahre. Das heißt, im Alter von über 50 hat ein Mensch in Deutschland eine Erwartung von 14 gesunden Lebensjahren. In fast allen anderen europäischen Ländern, ausgenommen die östlichen, liegt diese Erwartung gesunder Lebensjahre sehr viel höher: in Dänemark fast 24, in Frankreich rund 19 Jahre usw.

Wenn wir über das Renteneintrittsalter sprechen, dann ist doch genau das ein Punkt, an dem wir uns Gedanken machen müssen: Wie schaffen wir es denn, dass erwerbstätige Menschen möglichst lange in ihrem Beruf bleiben können, auch als Beitragszahler – dass sie nicht so frühzeitig, wie es bisher der Fall ist, als Rentenempfänger in Erscheinung treten? Hier haben wir eine Aufgabe für die betriebliche Gesundheitsprävention, aber Deutschland ist noch äußerst weit davon entfernt, sich diesem Thema tatsächlich zu nähern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Bei dem Thema, wie man gesund erwerbstätig sein kann, kann man darüber diskutieren, dass wir ein demografisches Problem haben. Das kann man einfach nicht wegreden.

Wir GRÜNE stehen nach wie vor dafür, dass die schrittweise Anhebung der Altersgrenze auf 67 ein richtiger Schritt war, und zwar weil sie die gesetzliche Rentenversicherung doppelt entlastet. Sie führt zu höheren Einnahmen durch längere Einzahlungszeiten und geringere Ausgaben, weil die Menschen später Rentenempfänger werden. Wer heute leugnet, dass wir aufgrund des demografischen Wandels eine Verschiebung zwischen Erwerbstätigkeit auf der einen Seite und der hoffentlich langen Dauer des Lebens auf der anderen Seite haben, wer behauptet, dieser Widerspruch bestehe nicht und mit diesem Widerspruch müsse sich die Gesellschaft nicht im Interesse aller befassen, der vergisst, dass auch die Beitragszahler ein Recht auf Schutz vor Armut haben. Auch die Beitragszahler haben ein Recht darauf, nicht übermäßig durch Sozialversicherung belastet zu werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Herr Gerling, ich finde, Sie haben es schön gesagt. Natürlich wird es immer Menschen geben, deren Rente trotz aller präventiven Maßnahmen nicht ausreichen wird, um den Lebensabend in Würde verbringen zu können. Deswegen setzen wir GRÜNEN uns für eine Garantierente für genau diese 2,6 Prozent – ich glaube, Sie haben diese Zahl genannt; es ist eine erhebliche Gruppe – ein, damit diese Menschen im Alter nicht in Armut leben.

Natürlich wollen wir auch, dass man den strukturellen Wandel des Arbeitsmarktes in der Rentenversicherung auch beim Einzahlen besser berücksichtigt. Wir setzen uns deswegen für eine gerecht finanzierte Bürgerversicherung ein. Aber mit solchen Anträgen, die den fachlichen Grundlagen nicht entsprechen, sollten Sie nicht versuchen, die Menschen auf die Bäume zu treiben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

In diesem Sinne gebe ich Herrn Gerling – ich bin nicht in der Mitte, sondern am Ende meiner Rede – gerne die Möglichkeit, eine Zwischenfrage zu stellen. Ich hoffe, ich habe Sie jetzt nicht damit überrascht.

Alfons Gerling (CDU):

Frau Schulz-Asche, ich wollte Sie fragen: Sie haben Bezug genommen auf die Bundeskanzlerin und ihre Äußerung, dass man in allen Ländern länger arbeiten sollte, Griechenland usw. Die Griechen arbeiten fast so lange wie die Deutschen auch, aber was sie in Griechenland nicht gemacht haben: Sie haben das Rentenalter nicht höhergesetzt, wie wir das mit unseren Reformen gemacht haben, die wir beschlossen haben. Würden Sie bestätigen, dass das bei den Griechen nicht der Fall ist und bei den anderen Ländern?

Kordula Schulz-Asche:

Ich gebe Ihnen insofern recht, dass es noch nicht passiert ist. Aber ich sage, dass in diesen Ländern, gerade in Spanien, seit Jahren darüber diskutiert wird, das Renteneintrittsalter zu erhöhen. Das effektive Renteneintrittsalter hat sehr viel damit zu tun, dass bei uns sehr viele Menschen auch aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig aus dem Erwerbsleben aussteigen. Von daher ist das faktische Eintrittsalter für mich eine viel bessere Anzeige dafür, wie es gelingt, ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer langfristig in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Das halte ich für die zentrale Frage.

Im wirtschaftlichen Bereich liegt das Hauptproblem dieser Länder. Es liegt nicht bei der Rente, sondern bei den Lohnstückkosten, bei der Produktivitätssteigerung. Dort liegen eher ökonomische Probleme zugrunde. Man sollte aufpassen, dass man auf der populistischen Ebene bei der Rente keine Gräben auftut, die es in dieser Form gar nicht gibt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Frau Kollegin Schulz-Asche, ich darf Sie bitten, zum Schluss Ihrer Rede zu kommen.

Kordula Schulz-Asche:

In allen diesen Ländern gibt es eine breite Debatte darüber, wie man soziale Sicherungssysteme langfristig sichert. Das ist auch gut so. Da unterscheiden sich die Länder nicht von uns hier in Deutschland. Aber sie haben Probleme in wirtschaftlicher Hinsicht, und ich hoffe, dass sie sie bald lösen. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Vielen Dank.

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