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16.11.2011

Kordula Schulz-Asche: Einzelplan 08 Hessisches Sozialministerium

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Jeden Morgen, wenn wir die Zeitung lesen, sehen wir, dass wir uns in einer Krisenzeit befinden. Krisenzeiten führen dazu, dass die Menschen verunsichert sind. Wir befinden uns in einer Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs, in der sich Familien- und Geschlechterverhältnisse verändern. Wir befinden uns in einem demografischen Wandel. Das sind große Herausforderungen für unsere Gesellschaft. Man muss verlangen, dass eine Sozialpolitik sich den Herausforderungen stellt, sich auch damit befasst. Darauf haben die Menschen ein Recht. Die Menschen erwarten, dass der Staat und die Kommunen Antworten liefern, ihre Verunsicherung ernst nehmen, Aufstiegschancen eröffnen und Hilfe in Notfällen bereitstellen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Leider finden wir in dem Einzelplan 08, den die Regierung hier vorgelegt hat, keine Ideen und keinen Mut zur Veränderung, um auf diese großen Herausforderungen zu antworten. Öffentlichkeitsarbeit ist keine Politikersatz, und keine Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit sind keine gute Sozialpolitik.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir GRÜNE legen wie in jedem Jahr mit dem grünen Sozialbudget eine kompakte Alternative zur Sozialpolitik vor. Deswegen will ich mich jetzt auf vier Beispiele konzentrieren, an denen die Agonie dieser Landesregierung besonders deutlich wird.

Das erste Beispiel ist die Arbeitsmarktpolitik. Meine Damen und Herren, wenn wir uns anschauen, wie in Hessen die Situation von langzeitarbeitslosen Menschen aussieht, dann sehen wir dauerhaft aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzte Gruppen. Das sind vor allem ältere Arbeitnehmer, kranke und behinderte Menschen, gering qualifizierte Menschen und Alleinerziehende. Die beiden letzten Gruppen werden überwiegend von Frauen gebildet, die in Zukunft verstärkt auch von Altersarmut betroffen sein werden.

Wie antwortet die Landesregierung auf diese Herausforderungen? Wir haben am Wochenende, am Montag und am Dienstag erlebt, dass der Niedriglohnbereich für Sie kein wirkliches Thema ist, dass die hessische CDU immer noch nicht verstanden hat, wie wichtig Mindestlöhne sind, um die soziale Marktwirtschaft in unserem Land dauerhaft erhalten zu können.

Zum Beispiel hat die Qualität der Jobcenter wirklich gegenüber dem nachgelassen, was unter Silke Lautenschläger und Roland Koch einmal im Sinne eines Vorbilds oder eines Leuchtturms in der Arbeitsmarktpolitik begonnen wurde. Die Jobcenter sind nicht einmal mehr in der Lage, die allgemeinen Eingliederungsmittel angemessen auszugeben und auszuschöpfen. Sie, die Landesregierung, sind nicht in der Lage, auf die Qualität zu achten.

Die Reform der Instrumente durch die Bundesagentur steht vor der Tür. Nächstes Jahr wird das erhebliche Auswirkungen haben, und die Landesregierung hat keine Antwort auf die Frage, wie sie auf die ausfallenden Mittel der Bundesebene reagieren wird.

Meine Damen und Herren, wir fordern stattdessen einen sozialen Arbeitsmarkt, der es vielen Menschen – gerade den Langzeitarbeitslosen und den Kranken – ermöglichen wird, endlich für längere Zeit sozialversicherungspflichtige Arbeit zu bekommen. Wir fordern Sie auf, einen solchen sozialen Arbeitsmarkt zu schaffen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Das „Größte“ ist, dass Sie angesichts der aktuellen Situation auf dem Arbeitsmarkt auch noch 7 Millionen € bei den kommunalisierten Ausbildungsbudgets einsparen. Das darf doch wohl nicht wahr sein. Schließlich sucht die Wirtschaft händeringend nach Fachkräften und nach Jugendlichen, die ausreichend qualifiziert sind, um eine Ausbildung zu machen. In einer solchen Situation sparen Sie in diesem Bereich. Sie haben keine Empathie für diese Jugendlichen, und Sie riskieren damit den sozialen Frieden in unserem Land.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Das zweite Beispiel für das Versagen und die Agonie dieser Landesregierung ist die Kinderbetreuung. Wenn wir uns die Betreuung der Unter-Dreijährigen ansehen, erkennen wir keinen Stillstand, sondern einen Rückschritt. Im bundesweiten Vergleich ist Hessen inzwischen von Platz 9 auf Platz 10 abgerutscht.

Was ist eigentlich der Grund dafür? Der Grund dafür ist, dass sich das Land Hessen seit Jahren weigert, genügend eigene Mittel für den Ausbau der Betreuung der Unter-Dreijährigen in die Hand zu nehmen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben sich darauf verlassen, dass der Bund für Betriebskosten und Investitionen aufkommt. Diese Mittel gehen jetzt aus, und die Landesmittel – das soll hier ausdrücklich gesagt sein – sind von 27 Millionen € im Jahr 2009 auf 23,5 Millionen € gesunken. Das hat nichts mit der Umsetzung eines Rechtsanspruchs zu tun.

Wir haben ein weiteres Problem. Es besteht darin, dass die 35-%-Regelung, die angestrebt werden soll, in einigen Bereichen inzwischen nicht mehr greift. Die Zahlen liegen dort weit höher. Wir haben einen gesellschaftlichen Wandel, der dazu geführt hat, dass die Nachfrage nach Krippenplätzen stärker gestiegen ist, als es am Anfang geplant war.

Wir haben schon immer gesagt, dass das passieren würde. Deshalb fordern wir ein Gesamtkonzept für die Umsetzung der Bildung und Betreuung von Kindern im Alter von null bis zehn Jahren. Dazu gehören ein schnellerer Ausbau mit Landesmitteln für die U-3-Betreuung, die Sicherung der Qualität in den Kindergärten, die Mindestverordnung und mehr Flexibilität. Wir brauchen einen besseren Übergang vom Kindergarten in die Schule. Wir brauchen Grundschulen mit Ganztagsbetreuung und Ganztagsschulen. Außerdem brauchen wir – auch das ist schon seit Jahren klar – ein Sofortprogramm, um die Ausbildungskapazitäten für Erzieherinnen und Erzieher zu erhöhen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Der dritte Bereich, bei dem man sagen kann, dass diese Landesregierung in Agonie liegt, ist ebenfalls seit Jahren bekannt. Wir haben schon heute einen extrem großen Mangel an gut ausgebildetem Pflegepersonal, und wir wissen, dass die Zahl der pflegebedürftigen Menschen steigen wird. Wir wissen, dass es auch hier einen familiären Wandel geben wird und dass in Zukunft deutlich weniger Pflegeleistungen von den Familien erbracht werden können. Der Pflegemonitor sagt voraus, dass wir bis zum Jahr 2020  1.900 zusätzliche Vollzeitstellen in der Altenpflege brauchen. Wir wissen, dass wir hier von einem Bereich reden, in dem viel Teilzeit gearbeitet wird. Das heißt, der Ausbildungsbedarf ist bei Weitem höher.

Herr Grüttner, deshalb reicht es nicht, dass Sie heute in einer Presseerklärung gesagt haben, das sei die Pflicht der Schulen. Nein, es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, sich darum zu kümmern, dass die Menschen in unserem Land ein selbstbestimmtes und menschenwürdiges Leben im Alter und ein menschenwürdiges Sterben haben.

Wir brauchen eine Erhöhung der Zahl der Ausbildungsplätze, wir brauchen eine Stärkung der Pflege in den Versorgungsketten, und wir brauchen eine Vielfalt der Wohn- und Betreuungsformen so wie vieles andere mehr. Das heißt, wir benötigen endlich ein Konzept dafür, wie wir unsere Gesellschaft wirklich auf den demographischen Wandel vorbereiten können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Frau Kollegin Schulz-Asche, die für die Fraktion angemeldete Redezeit ist abgelaufen.

Kordula Schulz-Asche:

Ich komme zum Schluss. – Ich glaube, ein wesentlicher Grund für die unzureichenden Maßnahmen, die Sie sowohl in Bezug auf die Pflege als auch in Bezug auf die Erzieherinnen und Erzieher treffen, ist das Frauenbild der hessischen CDU, das nach wie vor an den Vorstellungen des letzten Jahrhunderts orientiert ist. Bei der FDP kann man wahrscheinlich gar nicht von dem Vorhandensein eines Frauenbilds sprechen.

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Die Einsparungen, die Sie bei der Schwangerschaftskonfliktberatung vorgesehen haben, der Umgang mit dem Hessischen Gleichstellungsgesetz und – das ist jetzt deutlich geworden – die unzureichende Finanzierung des Schutzes vor häuslicher Gewalt haben gezeigt, dass Sie nicht wirklich auf die Herausforderungen vorbereitet sind, denen sich diese Gesellschaft stellen muss. Sie sind wirklich nicht darauf vorbereitet, Konzepte vorzulegen, mit denen versucht wird, die Probleme der Menschen zu lösen. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Vielen Dank, Frau Kollegin Schulz-Asche.