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28.04.2010

Kordula Schulz-Asche zum Thema: Beratung von Opfern des SED-Regimes in Hessen weiter verbessern

Herr Präsident, meine Damen und Herren! 20 Jahre nach der friedlichen Revolution und der Beseitigung des SED-Unrechtsregimes müssen wir feststellen, dass die Aufarbeitung des SED-Unrechts immer noch nicht abgeschlossen ist. Es gibt keine genauen Zahlen über die Opfer des Regimes, die zwischen 1945 und 1989 von staatlicher Seite aus verfolgt, misshandelt, gefoltert und getötet wurden. Die Schätzungen schwanken zwischen 170.000 und 280.000 Menschen, und auch von den im Zeitraum der DDR geflohenen 4 Millionen Menschen waren viele Opfer staatlicher Willkür.

Verfolgt wurden Andersdenkende und Republikflüchtige durch subtile Methoden psychischer Folter.

Viele Menschen wurden ohne Gerichtsverfahren in Gefängnisse verschleppt. Viele Jugendliche wurden in spezielle Erziehungsheime oder Jugendwerkhöfe eingewiesen. Viele der heutigen Opfer waren, als sie damals unter dieser Willkür litten, noch minderjährig. Oft hörten sie nur falsche Musik, sie waren unangepasst oder kamen aus schwierigen sozialen Milieus. Jugendliche, die zu DDR-Zeiten vom sozialistischen Persönlichkeitsbild abwichen, wurden als schwer erziehbar eingestuft und in eines der 38 Spezialkinderheime oder in einen von 32 Jugendwerkhöfen eingewiesen. Als schwer erziehbar eingestufte Jugendliche sollten sie dort umerzogen werden.

Diese sogenannte Heimerziehung in der DDR wird jetzt aufgearbeitet. Doch der Aspekt des sexuellen Missbrauchs oder der Misshandlung spielte bislang in der öffentlichen Debatte kaum eine Rolle. Erst die aktuelle Debatte über sexuellen Missbrauch in Heimen in der Bundesrepublik Deutschland hat dazu geführt, dass viele aus diesen Heimen jetzt den Mut finden, Anzeige zu erstatten.

Meine Damen und Herren, es gibt sehr viele Studien über die seelischen Folgen von politisch Verfolgten. Diese Folgen sind nicht so offensichtlich wie die körperlichen Folgen, die in der Haft oder durch Folter erlitten wurden, und deswegen schwer festzustellen. Dennoch mussten sich die Opfer solcher Behandlungen oft jahrelang mit Behörden darum streiten, bis ihre Entschädigungsanträge durchgegangen sind. Meine Damen und Herren, ich glaube, dass das wirklich nicht angemessen ist; denn viele dieser Opfer fühlen sich durch solch eine Behandlung ein weiteres Mal traumatisiert. Sie fühlen sich hilflos und schutzlos einer für sie undurchschaubaren Willkür ausgesetzt. Deswegen ist dieser Antrag so gut und so wichtig.

(Lebhafter Beifall bei der CDU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen möchte ich mich ausdrücklich bei allen Fachpolitikerinnen und Fachpolitikern bedanken, dass wir es in einem ersten Schritt geschafft haben, hier im Hause eine Anhörung durchzuführen, in der wir den SED-Opfern, die in Hessen leben, das Wort geben konnten. Wir haben sehr viel gelernt, und wir haben es in einer sehr großen gemeinsamen fachlichen Debatte geschafft, die verschiedenen Aspekte in diesem Antrag zusammenzutragen.

Ich begrüße es sehr, dass alle Fraktionen dieses Hauses an einem Strang ziehen, um die Beratungs-, Unterstützungs- und Hilfeangebote in Hessen zu verbessern. Das beginnt bei der Schulung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Entschädigungsbehörden, damit sie sich besser in der Lage fühlen, sensible und opferorientierte Beratung anzubieten und den Umgang mit den Opfern entsprechend zu gestalten. Dazu gehören der Besuch ehemaliger Gedenkstätten sowie eine Schulung durch die Landesbeauftragte von Thüringen. In Thüringen gibt es bereits sehr viel Erfahrung gerade in der Schulung von Mitarbeitern in einem respektvollen Umgang mit den Opfern.

Mir persönlich ganz besonders wichtig ist, dass es auch gelungen ist, eine gemeinsam mit den Opferverbänden zu erarbeitende Liste von fachlich spezialisierten Gutachterinnen und Gutachtern zu erstellen. Denn ich hatte bereits darauf hingewiesen, dass die fachliche Expertise insbesondere bei seelischen Schäden nicht ganz so einfach ist. Von daher halte ich das für einen sehr großen Fortschritt, den wir mit diesem Antrag erreicht haben.

Meine Damen und Herren, was auch nicht vergessen werden darf: Unrechtsregime müssen in Erinnerung bleiben und müssen uns Warnung sein für die Zukunft.

(Lebhafter allgemeiner Beifall)

Es darf nicht vergessen werden, wie Opfer unter staatlicher Willkürherrschaft leiden. Deswegen ist die Aufklärung und Bildungsarbeit in der Gesellschaft, aber insbesondere an den Schulen so wichtig.

Wenn wir diesen Antrag heute gemeinsam beschließen, dann bringen wir gemeinsam eine verbesserte Beratung und Hilfe im Bereich der Entschädigungshilfe und Unterstützungsarbeit für die SED-Opfer in Hessen auf den Weg. Das sind wir den Opfern des SED-Regimes schuldig. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Lebhafter allgemeiner Beifall)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Herzlichen Dank, Frau Schulz-Asche.