Inhalt

30.01.2013

Kordula Schulz-Asche: 80. Jahrestag der Machtübergabe an die deutschen Faschisten

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Machtübernahme der NSDAP am 30. Januar 1933 war nicht vom Himmel gefallen. Aber die Konsequenzen waren absolut. Demokratie und Rechtsstaatlichkeit wurden ersetzt durch eine menschenfeindliche Diktatur, der Millionen von Menschen zum Opfer fielen: die europäischen Juden, Andersdenkende und Widerstandskämpfer quer durch fast alle politischen Lager, Homosexuelle, Behinderte, Sinti und Roma sowie die vielen Opfer des Zweiten Weltkriegs, Wehrdienstverweigerer, Deserteure, usw., usf.

Dieses schreckliche Kapitel deutscher Geschichte hat uns alle von Kind an begleitet – durch Erzählungen in der Familie, in manchen auch nicht, durch die Schule, durch den Besuch von Gedenkstätten, durch Gespräche mit Zeitzeugen. Dieser schreckliche Teil deutscher Geschichte heißt für uns, besondere Verantwortung zu übernehmen für die Wiedergutmachung, soweit das überhaupt möglich ist, für die Aufarbeitung der Geschichte und für die Lehren, die aus der Geschichte für Gegenwart und Zukunft zu ziehen sind.

Hessen hat sich übrigens als eines der wenigen Bundesländer auch mit der Frage der Wiedergutmachung befasst. Der NS-Härtefonds, der hier 1991 eingerichtet wurde, wird auch in diesem Jahr noch vom Hessischen Landtag gewürdigt.

Er konnte vielen Opfern des nationalsozialistischen Terrors helfen, die von anderen Hilfsangeboten nicht Gebrauch machen konnten. Auch zur Aufarbeitung der Geschichte ist in Hessen einiges geschehen. Ich möchte hier nur das renommierte Fritz Bauer Institut in Frankfurt erwähnen. 1995 hat der Hessische Landtag ein Symposium durchgeführt, das sich mit der besonderen Verantwortung in Hessen, mit der Verfolgung und Vernichtung durch das NS-Regime befasst hat und das unter der Drucks. 15/1001 noch immer nachzulesen ist.

Meine Damen und Herren, um aus der Geschichte zu lernen, ist nach wissenschaftlichen Aufarbeitungen die Wissensvermittlung an die nächste Generation in Schule und Jugendarbeit enorm wichtig. Je weniger in Familien aus direkter Erfahrung oder durch Zeitzeugen gelernt werden kann, umso wichtiger ist es, durch gute Bildungsangebote jungen Menschen die Geschichte nahezubringen. Aber zu den Lehren aus diesem schrecklichen Kapitel der deutschen Geschichte gehört auch, dass es uns gelingt, die Begeisterung für universelle Menschenrechte, für Demokratie, für Rechtsstaatlichkeit und für Frieden zu wecken.

(Allgemeiner Beifall)

Die Machtübernahme der NSDAP am 30. Januar 1933 war nicht vom Himmel gefallen. Im Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD werden viele dieser Schläge gegen die Demokratie aufgezählt, von den Notverordnungen bis hin zur Aufhebung elementarer Grundrechte und das Verbot der Parteien. Wenn wir entschlossen sagen: „nie wieder!“, dann müssen wir uns zunächst auch mit den Gründen des Scheiterns der Weimarer Republik befassen. Die Spaltung der Arbeiterbewegung, die Reparationszahlungen für den Ersten Weltkrieg sowie die Weltwirtschaftskrise 1929, die eine Gesellschaft ohne passende Sozialsysteme erreichte, möchte ich hier der Vollständigkeit halber erwähnen. Ich möchte Ihr besonderes Augenmerk aber auf zwei Punkte legen:

Zum einen die Skepsis in der Weimarer Republik gegenüber dem demokratischen System in der Bevölkerung und zum anderen den schnellen, rasanten Aufstieg der NSDAP in den Jahren direkt vor der Machtübernahme.

Zum ersten Punkt. Es ist schon häufig gesagt worden, dass die Weimarer Republik eigentlich eine Demokratie ohne Demokraten war. Nach dem Scheitern der Revolution 1848 waren viele Demokraten ausgewandert, die meisten in die Vereinigten Staaten. Der darauffolgende Obrigkeitsstaat ließ kaum demokratische Luft zum Atmen, keine Organisationsformen, die sich entwickeln konnten, keine demokratische, keine bürgerliche, keine Kultur der Freiheit und der Demokratie.

Auch war die Demokratie der Weimarer Republik nicht vom Volk erkämpft, sondern eher aufgesetzt, und daher gab es sehr viele Menschen, die die Werte von Demokratie gar nicht zu schätzen wussten. Diese waren natürlich besonders anfällig.

Auch die Befreiung vom Nationalsozialismus 1945 war die Folge eines verlorenen Krieges. Aber zu diesem Zeitpunkt hatten wir glücklicherweise die sogenannten Mütter und Väter des Grundgesetztes, die sich fest vorgenommen hatten, aus den Fehlern der Weimarer Republik zu lernen, und die mit den Grundrechten und der Schaffung einer klaren politischen Ordnung einen großen Beitrag dazu geleistet haben, dass wir so lange in demokratischen Verhältnissen leben können.

Die DDR ist durch eine demokratische Bürgerrechtsbewegung beseitigt worden, und deswegen glaube ich, dass wir in Deutschland insgesamt auf einem sehr guten Weg sind, um auch in Zukunft zusammen für Demokratie, Bürgerrechte und die Achtung der Menschenrechte arbeiten zu können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Aber, meine Damen und Herren, es wird viel über sich ausbreitende Politikverdrossenheit gesprochen, über die vielen Nichtwähler und über das schlechte Ansehen von Politikern. Da stellt sich natürlich für uns alle, für alle demokratischen Parteien, die zentrale Frage: Wie kann es uns dauerhaft gelingen, die Menschen für Demokratie und den Parlamentarismus zu begeistern? – Ich glaube, das geht nur mit einer Politik des Zuhörens, einer Politik, die die Menschen und ihre Probleme ernst nimmt und gemeinsam mit ihnen nach Lösungen sucht, eine Politik, die nicht Partikularinteressen Einzelner bedient, sondern das Gemeinwohl im Auge hat. So, das ist meine feste Überzeugung, wird Demokratie erlebbar, und junge Menschen lassen sich für demokratische Politik begeistern.

Auch das zweite Thema, das ich ausführlicher ansprechen möchte, ist der schnelle Aufstieg der NSDAP vor der Machtübernahme. Noch im Jahre 1928 erhielt die NSDAP bei den Reichstagswahlen nur 2,8 Prozent der Stimmen. Verzweifelte Warnrufe von Intellektuellen, Wissenschaftlern und Künstlern gab es schon früh. So schrieb Kurt Tucholsky 1930 das Gedicht mit den Zeilen – ich zitiere –:

Dass der Nazi dir einen Totenkranz flicht: Deutschland, siehst du das nicht?

Theodor Heuss, der spätere Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland, setzte sich sehr kritisch mit dem Antisemitismus der NSDAP auseinander. Aber, meine Damen und Herren, es waren leider nur Ausnahmen. 1933, als die NSDAP stärkste Fraktion im Reichstag geworden war, war es für Warnungen von Demokraten zu spät. Bei der Niedersachsenwahl vor wenigen Wochen hat die NPD 0,8 Prozent der Stimmen erhalten und damit den Anspruch auf staatliche Parteienfinanzierung verloren. Und das ist auch gut so.

(Allgemeiner Beifall)

Wir kennen aber auch die Ergebnisse verschiedener Studien, zuletzt die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung mit dem bezeichnenden Titel „Die Mitte im Umbruch“. Demnach haben in östlichen Bundesländern 16 Prozent der Menschen ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild. Und vor rund zwei Jahren hätte doch niemand von uns ernsthaft geglaubt, dass eine Naziterrorbande zehn Jahre lang mordend durch Deutschland zieht, ohne dass unsere rechtsstaatlichen Organe dies bemerken. Ich glaube, es geht uns allen so, dass wir darüber nach wie vor sprachlos sind, wie so etwas passieren konnte. Haben wir nicht genug hingeschaut?

Unsere Gesellschaft ist, glaube ich, und das muss auch gesagt werden, weit von der Situation im Jahre 1933 oder auch der unruhigen Jahre davor entfernt. Wir haben demokratische Strukturen. Aber natürlich müssen wir auch weiterhin wachsam sein. Das Gedenken an den 80. Jahrestag der NSDAP im Januar 1933 bedeutet: Gedenken an die vielen Opfer, die diese Machtübernahme zur Folge hatte. Gedenken bedeutet aber auch, aus der Geschichte zu lernen. In Deutschland ist kein Platz für Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, nicht für politischen Hass und nicht für Gewalt. Wir alle müssen aber immer wieder und überall für Demokratie und Toleranz werben. Gedenken und Verantwortung, dies sollte heute gemeinsam und würdig das Signal dieses Parlaments an alle Hessinnen und Hessen sein. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall)

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Schönen Dank, Frau Schulz-Asche.