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08.07.2009

Kordula Schulz-Asche zum Landessozialbericht der hessischen Landesregierung

Herr Präsident, meine Damen und Herren, man geht davon aus, dass Menschen arm sind, wenn sie weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben. Der Armutsatlas des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes zeigt, dass das in Hessen bei ungefähr 12 Prozent der Menschen der Fall ist, allerdings mit starken Unterschieden hinsichtlich der Region. Wenn man Westdeutschland mit einer Armutsquote von 12,9 Prozent zum Maßstab nimmt, sieht man, dass das Rhein-Main-Gebiet mit 10,5 Prozent weit darunterliegt und dass allerdings die Region Nordhessen mit 14,9 Prozent weit über diesem Durchschnitt liegt. Sie ist damit von Armut besonders betroffen.

Wir wissen auch, dass es von Gemeinde zu Gemeinde sowohl im Rhein-Main-Gebiet als auch in Nordhessen sehr unterschiedliche Erscheinungsformen der Armut gibt. Das heißt, wir haben auch in einem reichen Land wie Hessen sehr unterschiedliche und sehr manifeste Formen der Armut.

Wir haben auch etwas anderes zu verzeichnen. Wir müssen auch bei Kindern und Jugendlichen die alarmierende Feststellung der Armut treffen. Wir müssen für Hessen davon ausgehen, dass mindestens jedes sechste Kind in Armut lebt. Das ist ein Zeichen dafür, dass man in Hessen weit von Gerechtigkeit entfernt ist und auch weit davon, sich wirklich umfassend um alle Bürgerinnen und Bürger zu kümmern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

In Hessen fehlte bisher eine solide Grundlage, um gerade auch vor diesem Hintergrund prüfen zu können, welche Maßnahmen in welcher Region und welcher Bevölkerungsgruppe helfen, wie Wege aus der Armut gefunden werden können und wie der Abstieg in die Armut verhindert werden kann. Von daher möchte ich ausdrücklich festhalten, dass es mich erfreut, dass unsere jahrelang gezeigte Hartnäckigkeit und auch ein sehr fundierter Gesetzentwurf, den wir hier in das Verfahren eingebracht haben, dazu geführt haben, dass heute das gesamte Haus, also wir alle gemeinsam, eine Landessozialberichterstattung auf den Weg bringen werden. Das ist nicht nur ein großer Erfolg grüner Politik. Ich glaube, das ist vielmehr ein großer Erfolg für die Sozialpolitik in Hessen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Nach der Debatte, die wir hier gerade über Stilfragen geführt haben, möchte ich die Kolleginnen und Kollegen der Mehrheitsfraktionen ausdrücklich bitten, sich ein Beispiel an den Sozialpolitikern ihrer Fraktionen zu nehmen,

(Zuruf des Abg. Alexander Bauer (CDU))

die hier auf unsere Vorschläge wirklich eingegangen sind, sodass diese Beschlussempfehlung und dieser Antrag umfassenden Inhalts hier angenommen werden kann. Die anderen Kollegen können viel von den Sozialpolitikern lernen. Ich finde, das sollte hier noch einmal gesagt werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU, der SPD und der FDP)

Ehrlich gesagt hat mich jedoch die Debatte heute Morgen nicht ganz so hoffnungsvoll zurückgelassen. Denn ich musste mir die zum Teil doch etwas perfide Argumentation des Herrn Minister Grüttner anhören.

Die Beschlussempfehlung zur Sozialberichtserstattung wird auch deswegen unsere Zustimmung finden, weil der Inhalt des Antrags während der Ausschusssitzung in ganz wesentlichen Punkten noch verbessert werden konnte. Das hat dazu geführt, dass wir nicht nur einen Beraterkreis, sondern einen festen Beirat für die Landesozialberichterstattung bekommen werden.

Ein ganz großer Erfolg, der die Qualität sicherstellen wird, ist, dass alle Lebenslagen und verschiedene Gruppen Berücksichtigung finden werden. Es wird eine geschlechtsspezifische Betrachtung, eine Betrachtung der Kinder und Jugendlichen, der Familien, älterer Menschen, chronisch erkrankter und behinderter Menschen und natürlich auch der Menschen mit Migrationshintergrund geben. Auch das ist ein großer Erfolg. Und es wird eine Betrachtungsweise in verschiedenen Dimensionen geben. Das betrifft  die Bildung, von der wir wissen, dass sie ein zentraler Punkt ist, der zu Armut führen kann, nämlich dann, wenn man an Bildung nicht teilhaben kann. Es geht um die Beteiligung am Erwerbsleben, um die Gesundheit, um Wohnen und vor allem auch – das ist ebenfalls ein ganz wesentlicher Punkt – um gesellschaftliche Partizipation.

Lassen Sie mich zum Schluss meiner Rede sagen, dass es mich ganz besonders freut, dass im Antrag auch der Satz steht, dass der Bericht hinsichtlich der Erfassung der Problemlagen und der Empfehlungen über die üblichen Armuts- und Reichtumsberichte hinausgehen soll. Ich finde, dass die Armuts- und Reichtumsberichte schon sehr weitgehend sind. Von daher freut mich der Anspruch, hier in eine Weiterentwicklung hinzubekommen, wie immer sie dann auch aussehen mag.

Deswegen erwarten wir mit großer Spannung die Vorlage dieses Berichtes noch in dieser Legislaturperiode. Wenn wir heute diesen Beschluss gefasst haben werden, werden wir eine Grundlage für eine konstruktive Debatte und für eine konstruktive Sozialpolitik in Hessen haben, die für mehr Gerechtigkeit sorgen wird, weil Wege in die Armut verhindert und Wege aus der Armut eröffnet werden. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

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