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26.06.2013

Kordula Schulz-Asche: 17. Juni 1953 – ein stolzes Datum in der Geschichte deutscher Freiheitsbewegungen

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir, dass ich mit einem Zitat beginne. Es lautet:

Wir können bis zum heutigen Tage stolz darauf sein, was damals Deutsche im Osten in einer schwierigen Lage gewagt haben.

Das war das Fazit, das Egon Bahr 50 Jahre nach dem 17. Juni zog, der 1953 als junger Journalist beim RIAS in Westberlin arbeitete.

Ja, meine Damen und Herren, bis heute können wir stolz auf diese Menschen sein, weil sie den Mut hatten, sich gegen ein totalitäres Unrechtsregime aufzulehnen.

Viele von ihnen haben diesen Mut mit Gefängnis und viele sogar mit ihrem Leben bezahlt. Dieser Mut setzte aber Zeichen. Er war ein Signal, auch für spätere Generationen. Im Antrag der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN heißt es:

So wurde 1989 das vollendet, was 1953 begann, und so verbinden sich mit den Ereignissen von 1953 und 1989, dem Aufstand der Arbeiterinnen und Arbeiter und der friedlichen Revolution, die Ideen von Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität.

Der Mut dieser Menschen ist von der einen oder der anderen Seite immer wieder instrumentalisiert worden. Dem sollten wir alle gemeinsam entgegentreten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Wir wissen heute, dass der Aufstand am 17. Juni 1953 kein aus dem Westen oder den USA gesteuerter Putschversuch war, wie es die SED-Propaganda behauptete. Heute wissen wir, dass der Aufstand am 17. Juni 1953 der Aufstand einer demokratisch orientierten Zivilgesellschaft gegen eine aufgezwungene Diktatur war, dass es ein Protest gegen Verfolgung, für Meinungsfreiheit und für freie Wahlen war. Die Erinnerung an den 17. Juni 1953 und die damit verbundene Hoffnung lebten in der Zivilgesellschaft bis zum Jahre 1989 fort. Es war der Mut der Menschen in der DDR – sowohl 1953 als auch 1989 –, der die Diktatur überwunden hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU, der SPD und der FDP)

Natürlich gab es viele Einwirkungen über die Außenpolitik – der Kollege Quanz ist darauf schon eingegangen –, extrem verschärfend zu Zeiten des Kalten Krieges. Wir erinnern uns aber auch an Bundeskanzler Willy Brandt, der den Kalten Krieg unter den Losungen „Wandel durch Annäherung“ bzw. „Politik der kleinen Schritte“ abmildern wollte, um die Berliner Mauer durchlässiger zu machen. Außenminister in der damaligen Regierung war übrigens Walter Scheel von der FDP. Von daher gesehen finde ich es äußerst verwunderlich, dass im Antrag von CDU und FDP ausschließlich Kanzler Kohl und Außenminister Genscher genannt werden. Wir werden nachher darum bitten, über diesen Punkt getrennt abzustimmen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Deshalb halte ich noch einmal ausdrücklich fest: Die friedliche Revolution von 1989 war eine demokratisch orientierte Volksbewegung der Menschen in der DDR. Wir alle sollten den Eindruck vermeiden, diese Bewegung parteipolitisch instrumentalisieren zu wollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Der 17. Juni 1953 war das Trauma der SED-Führung – bis zu ihrem Ende. Die Erfahrungen aus den Wochen um den 17. Juni, die Erfahrung, vom eigenen Volk, gerade auch von den Arbeitern und Bauern, nicht anerkannt zu werden, führten zu zwei Schlussfolgerungen des Regimes: nach Möglichkeit den Lebensstandard zu heben und möglichst alles über die Bevölkerung in Erfahrung zu bringen. Die Folgen kennen wir: die unsäglichen Machenschaften der Staatssicherheit, der Versuch der Totalüberwachung, die vielen Opfer und das viele Leid, dass die gesamte Geschichte der DDR bis 1989 prägen.

Dieser Überwachungswahn, diese Sammelwut an Informationen über die Bürgerinnen und Bürger führt heutzutage allerdings dazu, dass uns der Dokumentenfundus, der dabei entstanden ist und der durch die Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik ausgewertet wird, einen recht anschaulichen Blick auf die Ereignisse im Juni 1953, auf die Motive der Aufständischen und die Reaktion der Diktatur werfen lässt.

So wissen wir inzwischen, dass der Aufstand am 17. Juni 1953 eine im Wesentlichen demokratische und freiheitliche Bewegung aufgrund der seit Jahren wachsenden Unzufriedenheit in der Bevölkerung war. Die Militarisierung der DDR seit 1952 und die damit verbundene Konzentration auf die Schwerindustrie führte dazu, dass gerade die Arbeiter mit ihrem Lohn nicht einmal das Nötigste kaufen konnten, wenn es überhaupt Produkte des normalen zivilen täglichen Lebens zu kaufen gab. Wir wissen dank der Auswertung der Stasiunterlagen durch die Bundesbeauftragten – vielleicht erstmals in der Weltgeschichte –, wie eine Diktatur gegen die eigene Bevölkerung agiert, wenn sie sich bedroht fühlt, wir erfahren etwas über das nie enden wollende Misstrauen gegenüber jeder und jeden, selbst aus dem engsten Führungskreis. Ein sehr anschauliches Beispiel dafür – gerade aus dem Umfeld von 1953 – ist, so finde ich, die Kasernierte Volkspolizei, die KVP, eine hochgerüstete Bereitschaftspolizei, die einzusetzen die SED-Führung sich dann doch nicht traute, weil sie befürchtete, dass sich die jungen Soldaten mit den Demonstranten verbünden könnten. Das ist ein Beispiel dafür, dass Diktaturen unfähig sind, sich auf die Menschen in ihrem Land zu stützen. Die Stasiunterlagen erlauben uns heute einen Blick in das Innenleben einer Diktatur, und wir sollten daraus lernen, wie wir als Demokraten demokratische Bewegungen in Zukunft – besser als in den letzten 60 Jahren – unterstützen können.

Was sind unsere Aufgaben, wenn wir uns im Jahre 2013 mit dem 17. Juni 1953 befassen? Zunächst gilt es, die Erinnerung an die Opfer aufrechtzuerhalten. Das heißt auch: Natürlich muss die Aufarbeitung der Geschichte weitergehen, die Auswertung der Stasiunterlagen ebenso wie die wissenschaftliche Aufarbeitung. Deshalb muss sich auch die Linkspartei fragen lassen, wie weit sie selbst seit der Wahl von Bundespräsident Joachim Gauck mit der Aufarbeitung ihrer eigenen DDR Geschichte gekommen ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg. Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE))

Der Antrag, den Sie heute vorgelegt haben, ist ein Schritt, aber diesem Schritt müssen weitere folgen.

Meine Damen und Herren, welche Lehre können wir aus den Ereignissen des 17. Juni 1953 für heute und für die Zukunft ziehen? Der Hessische Landtag befasst sich heute zum vierten Mal seit seinem Bestehen mit diesem Thema – und zwar erst seit 2008. Ein einziges Mal, im Jahre 2009, haben wir es geschafft – das war wirklich mutig –, einen gemeinsamen Antrag zustande zu bekommen. So viel zu der Anmerkung, die Sie, Herr Dr. Wagner, vorhin gemacht haben.

Der vorliegende Antrag von Schwarz-Gelb suggeriert, dass es eine Bedrohung durch den Kommunismus gebe. Meine Damen und Herren, eigentlich ist genau das Gegenteil der Fall.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Im Europa von heute geht gerade nicht das Gespenst des Kommunismus um. Im Gegenteil, nicht nur in Europa weht der Geist der Demokratie – bei allen Umwegen und allen Rückschlägen. Es ist die demokratische Zivilgesellschaft, die sich heute vielerorts zu Wort meldet, wobei wir uns fragen lassen müssen: Wie können wir als Demokraten die demokratischen Bewegungen in anderen Ländern unterstützen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Seit über 60 Jahren bauen wir am Haus Europa, einem Kontinent der Demokratie, der Toleranz, des Friedens und der Völkerverständigung. Der von der Bevölkerung erzwungene Zusammenbruch der Militärdiktaturen und der darauf folgende Prozess der Demokratisierung in Griechenland, in Portugal und in Spanien in den Siebzigerjahren zeigen, wie wichtig gerade der Prozess der europäischen Integration ist. Bei den Volksaufständen in der DDR, in Ungarn, beim Prager Frühling und in Polen waren es die jeweiligen Zivilgesellschaften, die demokratische Rechte einforderte und die nach dem Zusammenbruch des Ostblocks zu Trägern der Demokratisierung und der europäischen Integration wurden.

Wenn seit Wochen Menschen auf die Straße gehen und für mehr Rechtsstaatlichkeit und Toleranz sowie die Bekämpfung der Korruption eintreten, dann zeigt sich der Geist der Demokratie und der Zivilgesellschaft jetzt eben auch in der Türkei. Wieder stellt sich die Frage: Wie können wir – als Lehre aus den Erfahrungen des 17. Juni 1953 – als Demokraten demokratische Bewegungen unterstützen?

Meine Damen und Herren, am 17. Juni 1953 kam es zu einem Aufstand einer demokratisch bewegten Zivilgesellschaft. Er wurde brutal niedergeschlagen. Viele Menschen wurden hingerichtet oder saßen für Jahre im Gefängnis. Diese Menschen haben keine parteipolitische Instrumentalisierung, sondern unser aufrichtiges Erinnern und Gedenken verdient.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Das sind wir diesen mutigen Demokratinnen und Demokraten schuldig.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Vizepräsidentin Ursula Hammann:

Vielen Dank, Frau Kollegin Schulz-Asche.