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24.03.2010

Kordula Schulz-Asche: Den 8. Mai 1945 als Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus würdigen

Herr Präsident! Ich glaube, wir erleben heute Vormittag im Hessischen Landtag mit den drei Debatten einen sehr würdigen politischen Diskurs. Zuerst ging es um den sexuellen Missbrauch, danach um die Heimkinderdiskussion, jetzt um den 8. Mai 1945. Es wird sicherlich interessant sein, alle drei Debatten im Zusammenhang zu betrachten.

Meine Damen und Herren, ich begrüße es ausdrücklich, dass wir heute die Gelegenheit haben, über den 8. Mai 1945 zu sprechen. Herr Kollege van Ooyen, Ihre Rede war in weiten Teilen besser als der Antrag Ihrer Fraktion.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Denn ich glaube, dass der 8. Mai 1945 die Eindimensionalität des Inhalts Ihres Antrags und die einfachen Erklärungsmuster genauso wenig wie einen Antrag verdient hat, der offensichtlich von Ihnen allen in allen Landesparlamenten fast wortgleich eingebracht wurde. In Hessen geschah dies allerdings erst sehr spät. Wir haben uns deshalb entschlossen, einen eigenen Dringlichen Entschließungsantrag zu diesem in der deutschen und europäischen Geschichte wichtigen Tag einzubringen.

Der 8. Mai 1945 wurde von Richard von Weizsäcker in seiner historischen Rede aus dem Jahr 1985 als ein Tag der Befreiung bezeichnet. Er steht bis heute als Symbol der Befreiung vom menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Wie ich schon sagte, symbolisiert er mit dem Kriegsende einen wichtigen Einschnitt nicht nur in der deutschen, sondern auch in der europäischen Geschichte. Denn er markiert den Beginn einer langen Entwicklung hin zu einem friedlichen, vereinten und demokratischen Europa.

Das Land Hessen hat sich in seiner Vergangenheit sehr oft mit den Jahren vor 1945 befasst. Ich möchte in diesem Zusammenhang nur an das nach wie vor sehr hoch renommierte Fritz-Bauer-Institut erinnern. Ich möchte gerade auch den Jüngeren dieses Hauses ausdrücklich noch einmal ans Herz legen, die Mitschrift des Symposiums zu lesen, das der Hessische Landtag zum Thema „Verfolgung und Vernichtung durch das NS-Regime in Hessen“ im Jahr 1995 durchgeführt hat. Es handelt sich um Drucks. 15/1001. Sie ist heute noch im Internet verfügbar. Ich möchte das gerade allen empfehlen, die sich mit der NS-Zeit in Hessen befassen wollen.

Hessen hat seit dem Jahr 1991 den NS-Härtefonds. Das ist eine Einrichtung, die vielleicht etwas in Vergessenheit geraten ist. Denn es gibt kaum noch Antragsteller. Ich bin dort im Beirat.

Die Einrichtung dieses Härtefonds im Jahr 1991 war ebenfalls ein sehr wichtiger Schritt in der Aufarbeitung der deutschen Geschichte, und zwar nicht nur, weil er Entschädigungsleistungen über die Leistungen hinaus zur Verfügung stellt, die der Bund in den Entschädigungsgesetzen vorgesehen hat, sondern auch, weil er es ermöglicht, Menschen Entschädigung zu geben, die bis dahin dieses Anrecht nicht hatten. Das sind politische Häftlinge, Homosexuelle und Personen, die als minderwertig, als Querulanten, als gemeinschaftsschädigend, als arbeitsscheu oder als wohnungslos eingestuft wurden.

Dazu gehören auch Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter und, so glaube ich, das war zur damaligen Zeit wahrscheinlich der umstrittenste Teil in diesem Hause, Wehrdienstverweigerer, Deserteure und andere durch Militärgerichte Verurteilte. Ich glaube, dass das Land Hessen mit dieser Entscheidung einen sehr wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung des Nationalsozialismus in Hessen geleistet hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU, der SPD und der FDP)

Wir haben mit dem 27. Januar einen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. Ich finde, wir begehen ihn regelmäßig mit sehr viel Würde.

Auch das hat Richard von Weizsäcker damals in seiner Rede gesagt: Natürlich ist der 8. Mai 1945 der Tag des Nachdenkens über den Gang unserer Geschichte. Die Ursachen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu untersuchen und zu analysieren, ist immer mit dem Ziel verbunden, zu verhindern, dass das noch einmal passiert. Dazu gehören auch – ich sage ausdrücklich, dass mich das an dem Antrag der LINKEN stört – die ideologischen, die ideologiegeschichtlichen und die rassistischen Wurzeln des Nationalsozialismus. Dazu gehört auch die krisenhafte Zuspitzung in der Politik, in der Gesellschaft und in der Wirtschaft. Ich finde, auch da ist es an der Zeit, die eigene Geschichte in der Weimarer Republik vielleicht noch einmal zu hinterfragen. Dazu gehören auch die zunehmende Akzeptanz der Propagandakampagne und die schrittweise Entfaltung der Herrschaft des Nationalsozialismus in allen Lebensbereichen. Dazu gehört natürlich auch die Würdigung des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus.

Es ist unsere Aufgabe, zu verhindern, dass rechtsextreme Kreise versuchen, den 8. Mai 1945 für ihre Interessen zu vereinnahmen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Präsident Norbert Kartmann:

Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Redezeit.

Kordula Schulz-Asche:

Ich komme zum Schluss meiner Rede. – Es gehört zu unserer Verantwortung, diesen Versuchen entgegenzutreten, wie wir es vermutlich alle in Wiesbaden tun werden, wenn diese Demonstration ansteht.

Aber ich glaube, unsere Hauptaufgabe ist auch, dafür zu sorgen, dass sich viele junge Menschen mit diesem Thema immer wieder auseinandersetzen können und dass sie gut informiert sind. Sie sollen lernen, was das Interessante und das Gute an unserer humanistisch-demokratischen Gesellschaft ist. Sie sollen die Gefahren nicht nur erkennen. Vielmehr sollen sie sich auch aktiv für die Erhaltung und Förderung unserer Demokratie einsetzen.

Die erste deutsche Demokratie ging an dem Mangel an Demokraten zugrunde. So etwas sollten wir verhindern. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD, der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU)