Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es kommt in diesem Landtag in der Tat nicht oft vor, dass wir unmittelbar davor stehen, einen Beschluss einstimmig Beschluss zu fassen. Auch ich will deshalb eingangs die Gelegenheit nutzen, allen Kolleginnen und Kollegen, insbesondere denen im Rechts- und Integrationsausschuss, die am Zustandekommen dieses einstimmigen Beschlussvorschlags beteiligt waren, für die konstruktive Arbeit zu danken.
Der § 175 StGB galt in der von den Nazis verschärften Form bis 1969, in veränderter Form sogar bis 1994.
Damit waren einvernehmliche homosexuelle Handlungen zwischen Männern, um nichts anderes geht es hier, in Deutschland noch bis vor 18 Jahren strafbar. Zwischen 1945 und 1969 – es ist schon gesagt worden – kam es zu 100.000 Ermittlungsverfahren und 50.000 Verurteilungen. Strafandrohungen, Ermittlungsverfahren und Verurteilungen, das Verbüßen von Gefängnisstrafen und die Zerstörung der bürgerlichen Existenz haben das Leben einer ganzen Generation schwuler Männer massiv eingeschränkt und bedroht.
Sie wurden ihrer Menschenwürde beraubt, in der freien Entfaltung ihrer Persönlichkeit beeinträchtigt und in ihrer Ehre verletzt. Wenn sie in den Neunzigerjahren wie ich im Rahmen meiner Tätigkeit im AStA der Marburger Universität Gelegenheit hatten, mit schwulen Männern dieser Generation über ihre Erfahrungen zu sprechen, dann wissen Sie, wie sehr sie dieses ständige Verstecken, die Treffen in Hinterzimmern, die Razzien in einschlägigen Kneipen und die Angst vor Verfolgung traumatisiert haben. Dass diese Menschen dann auch in der jungen Bundesrepublik verfolgt und drangsaliert wurden, und zwar exakt auf der gleichen Rechtsgrundlage, wie es die Nazis getan haben, hat viele gebrochen.
Meine Damen und Herren, zu lieben, sich zu verlieben, zu begehren, was trägt uns Menschen eigentlich mehr in unserem täglichen Sein? – Niemand entscheidet sich willentlich dafür, heterosexuell, lesbisch oder schwul zu sein. Die Tatsache aber, dass sich auch unser Staat angemaßt hat, dieses Empfinden zu sanktionieren, weil es zwischen Angehörigen des gleichen Geschlechts stattfindet und damit von der Mehrheit abweicht, beschämt uns. Deshalb entschuldigt sich der Hessische Landtag heute bei den Opfern dieser Verfolgung, und deshalb ist das heute von hier ausgehende Signal so wichtig: Ihr seid keine Verbrecher. Es war Unrecht, was euch angetan wurde, und dieses Unrecht wollen wir heute wieder gutmachen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD, der FDP und der LINKEN)
Wir wollen aber bei der Entschuldigung nicht stehenbleiben. Wir wollen auch, dass dieses Unrecht aufgearbeitet wird, und in der Konsequenz muss dann in der Tat auch über Entschädigungen nachgedacht werden. Der Bund hat 2009 die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld gegründet. Sie erscheint uns für die Aufarbeitung und das Nachdenken über Entschädigungen als die geeignete Ansprechpartnerin.
Neben diesen Maßnahmen erwarten wir von der Landesregierung aber auch konkrete Folgen infolge dieses Landtagsbeschlusses. Im Bundesrat steht der Antrag des Landes Berlin zur Abstimmung, der erreichen will, dass die Bundesregierung Maßnahmen zur Rehabilitierung und Unterstützung der aufgrund des § 175 Verurteilten vorschlagen solle. Herr Justizminister, ich bitte Sie ausdrücklich: Stimmen Sie im Bundesrat diesem Antrag aus Berlin zu.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)
Folgen Sie den bereits erwähnten begleitenden Expertisen, die zu dem Schluss kommen, dass die Rehabilitierung nicht nur juristisch möglich, sondern auch politisch geboten ist.
Meine Damen und Herren, es liegt doch auch auf der Hand, wenn Sie das bereits erwähnte Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1957 anschauen. Damals hat Karlsruhe geurteilt, die Verfolgung schwuler Männer sei durch das – ich darf hier zitieren – „hemmungslose Sexualbedürfnis“ des homosexuellen Mannes und „die sittlichen Anschauungen des Volkes“ gerechtfertigt. Herr Justizminister, ich fände es angemessen, wenn Sie sich hier und heute auch zum Abstimmungsverhalten der Landesregierung im Bundesrat zu diesem Antrag erklären würden.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)
Meine Damen und Herren, auch wenn Homosexualität seit 1994 nicht mehr strafrechtlich verfolgt wird, leben Lesben und Schwule in Deutschland noch immer nicht frei von Anfeindungen und Diskriminierung. Homophobe Parolen in Fußballstadien, auf Schulhöfen und in bestimmten Musikszenen sind Alltag. In der „Bild“-Zeitung war vor Kurzem von „glorreiche[n] Zeit[en]“ für Homosexuelle zu lesen, die sich doch endlich darüber freuen sollen, dass sie niemand mehr ins Gefängnis stecke.
Präsident Norbert Kartmann:
Bitte kommen Sie zum Schluss.
Kai Klose:
Vielen Dank, Herr Präsident. – Das zeigt, dieser Landtagsbeschluss zur Vergangenheit ist ein begrüßenswerter Anfang. Ich finde sogar, er ist ein historischer Moment, aber auch 18 Jahre nach der Abschaffung des § 175 ist noch viel zu tun. – Vielen Dank.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD, der LINKEN und bei Abgeordneten der CDU)