Inhalt

18.05.2016

Karin Müller: § 103 Strafgesetzbuch soll gestrichen werden

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! In Ermangelung der Präsenz der FDP im Bundestag freuen wir uns, dass wir auch hier im Landtag nochmals über das Thema Majestätsbeleidigung reden dürfen.
(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))
– Genau, das war doch Ihr einziges Anliegen. Dort kamen Sie nicht vor.
Eigentlich ist alles von allen gesagt worden, was man zum Thema Böhmermann und Erdogan sagen kann. Selbst, wer das Schmähgedicht von Herrn Böhmermann noch nicht kannte – es ist bereits erwähnt worden –: Am letzten Freitag konnte man es in der Bundestagsdebatte nochmals hören. Auch Herr Rentsch hat es in Ansätzen nochmals zitiert.
Was man an dieser Stelle aber nochmals deutlich sagen muss: Herrn Böhmermann ging es doch nicht um den Inhalt dieses Gedichtes. Er hat dieses Gedicht deutlich in einen Rahmenkontext gestellt, um zu zeigen, was der Unterschied zwischen Schmähkritik und Satire ist. Das war das Anliegen von Herrn Böhmermann – ob ihn das jetzt vor der Strafverfolgung schützt, das werden die Gerichte entscheiden, nicht aber wir.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)
Damit sind wir beim Kern dessen, worüber wir heute hier reden wollen: warum wir in unserem Strafrecht noch einen Sondertatbestand haben, der die Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes strenger bestraft als die Beleidigung anderer Bürgerinnen und Bürger. – Dazu sagen wir: nein.
Auch hinsichtlich der diplomatischen Beziehungen muss abgewogen werden, ob es zu einer Ermächtigung kommen muss, wenn das von einem Staat, mit dem wir diplomatische Beziehungen unterhalten, verlangt wird. Ich denke, wir alle hier im Hause sind uns darin einig: Das ist ein Relikt aus der Kaiserzeit, das abgeschafft gehört.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Dadurch – und auch das ist schon gesagt worden – würde keine strafrechtliche Lücke entstehen, denn die sich beleidigt fühlende Person kann sich auf § 185 StGB berufen und Bestrafung verlangen. Die diplomatischen Beziehungen einschließlich des Ehrenschutzes, einschließlich der Grundsätze der Unverletzlichkeit von Staatsoberhäuptern, Regierungsmitgliedern und Diplomaten fremder Staaten sind bereits nach dem Völkerrecht und durch die allgemeine deutsche Rechtsordnung geschützt.
Würde es also § 103 in Verbindung mit § 104a nicht mehr geben, wäre der Kanzlerin viel Ärger erspart geblieben. Der Vorfall wäre nicht zu einem politischen Thema geworden, und die Bundesregierung wäre gar nicht vor die Frage gestellt worden, ob eine Ermächtigung erteilt werden solle oder nicht. So aber wurde das Ganze in den Kontext – das haben wir auch hier in der Debatte gehört – der Beziehungen zur Türkei gestellt. Erst dadurch wurde es zum Politikum.
Auch Volkes Stimme fand es nicht gut – und dann musste Frau Merkel eingestehen, dass sie einen Fehler begangen hat, indem sie schon im Vorfeld eine Bewertung bzw. eine Verurteilung des Schmähgedichts abgegeben hatte. Denn ihr wurde unterstellt, sie wolle sich gegenüber Erdogan wohlverhalten. Es wurde hier in der Debatte deutlich: Das hätte man sich alles ersparen können.
Das zeigt ganz deutlich: Die Rechtslage bewirkt genau das Gegenteil von dem, was bezweckt werden sollte. § 103 in Verbindung mit § 104a sollte nämlich in erster Linie die diplomatischen Beziehungen schützen und Schaden von der Bundesrepublik abwenden. § 104a aber erfordert, dass die Bundesregierung ihre Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt. Hätte Frau Merkel diese Ermächtigung nicht erteilt, dann wäre es sicherlich zu weiteren diplomatischen Zwisten mit der Türkei gekommen.
Wir sollten aber neben der Abschaffung von § 103 – die wir hier vordergründig diskutieren – uns auch die Erfordernisse der Ermächtigung in § 104a anschauen und in unsere Überlegungen mit einbeziehen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Michael Boddenberg (CDU))
Lassen wir es doch einzig und allein die Strafverfolgungsbehörden entscheiden – wie sie es jetzt auch tun –, ob sie ermitteln oder Anklage erheben.
In der Sache denke ich, dieser Paragraf ist ein Relikt aus Kaiserzeiten, auch wenn er 1953 erneut ins Gesetzbuch aufgenommen wurde. Darüber sind wir uns einig. Aber auch damals, als im Jahr 1953 dieser Paragraf ins Gesetzbuch aufgenommen wurde, gab es schon Diskussionen darüber, ob er notwendig ist oder nicht. Damals hat ein Kollege der SPD in der Debatte das Beispiel angeführt, dass sich ein Amerikaner und ein Russe über die Vorzüge ihres Landes unterhalten und der Amerikaner zum Russen sagt: Ich kann mich jederzeit auf die Straße stellen und rufen: „Nieder mit Truman!“ – der war damals Präsident –, ohne bestraft zu werden; worauf der Russe sagt: Gewiss, Brüderchen, das kannst du bei uns auch sagen. – Es gab da keine Gegenseitigkeit, denn der Begriff der Meinungsfreiheit bezieht sich immer auf die anderen.
Auch die Erfahrungen mit § 103 in Verbindung mit § 104a haben gezeigt, dass das nur dann zur Anwendung kommt, wenn Staaten betroffen sind, die unter Umständen ein anderes Verständnis von Meinungsfreiheit haben als wir. Wir erinnern uns: Nicht umsonst wird § 103 „Schah-Paragraf“ genannt. Dann gab es noch Verwicklungen mit einem chilenischen Botschafter – und jetzt mit der Türkei.
Meiner Meinung nach zeigt all das: Ein moderner, demokratischer Rechtsstaat braucht dieses Instrument nicht.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Michael Boddenberg (CDU))
Darüber besteht, wie bereits gesagt, Einigkeit. Uneinigkeit besteht über den Zeitpunkt der Abschaffung. Darüber wurde aber sowohl im Bundestag als auch am letzten Freitag im Bundesrat schon heftig diskutiert.
(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))
– Ich habe Sie nicht verstanden. Sie können dann noch eine Kurzintervention machen, damit Sie als FDP in dieser Debatte auch genügend sichtbar sind.
(Heiterkeit und Beifall des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Zuruf des Abg. Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP))
Die Diskussion wird also weitergehen, da diese Anträge in den Ausschüssen weiter beraten werden. Hamburg wollte gleich darüber abstimmen lassen, doch dafür gab es keine Mehrheit. Also wird es im Rechtsausschuss und im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten weiter besprochen. Auch das Gesetzgebungsverfahren im Bundesrat läuft weiter. Hessen hat sich der Stimme enthalten.
(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))
All das wissen Sie.
Es gibt gute Gründe für die Argumentation, der wir uns anschließen, diesen Paragrafen sofort abzuschaffen. Die andere Argumentation lautet, dass man auf Ereignisse nicht sofort reagieren soll. Auch dafür haben wir sonst völliges Verständnis. In diesem Fall aber ist es längst überfällig diesen Paragrafen abzuschaffen. Wahrscheinlich wurde er nur vergessen, weil er so selten zur Anwendung kommt.
Ich fasse zusammen: Die Befassung der Gesetzgebung beim Strafrecht liegt in alleiniger Zuständigkeit des Bundes. Wir haben uns heute mit diesem Thema befasst, damit auch alle wissen, was die FDP darüber denkt – denn mangels Mandaten könnten Sie sonst nicht an dieser Debatte teilnehmen. Sie wollten noch ein bisschen Uneinigkeit in die Koalition streuen.
(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))
Auch das ist Ihnen nicht gelungen. Demokratie lebt von Auseinandersetzungen, und das sollten Sie auch Koalitionen zugestehen.
(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))
Wir sind uns alle einig, dass der § 103 des Strafgesetzbuches abgeschafft werden soll und Strafverfolgung nicht zum Spielball der Politik werden darf.
Der Zeitpunkt der Abschaffung ist offen, weil es darüber in der Großen Koalition, also auf der Bundesebene, keine Einigkeit gibt. Wir werden in Hessen über das Thema weiterhin engagiert diskutieren – mit oder ohne Hilfe der FDP.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Vizepräsidentin Ursula Hammann:

Vielen Dank, Frau Kollegin Müller.