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22.11.2012

Karin Müller: „Staufreies Hessen 2015“ nur mit Verkehrsverlagerungen auf Busse und Bahnen möglich – Verkehrswende jetzt!

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lieber Herr Müller, ich habe Ihnen etwas mitgebracht. Das gebe ich Ihnen nachher. Es ist von Ihnen selbst herausgegeben worden: Hessen-Mobil – wann ist ein Stau ein Stau? Damit Sie auch einmal wissen, dass ein Stau nicht entsteht, wenn man zu spät losfährt.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))
Sie stehen jetzt zwar nicht im Stau, aber anscheinend auf dem Schlauch, denn Sie haben zwar den GRÜNEN Bundestagsabgeordneten zitiert, aber Sie haben ihn nicht verstanden.
(Heiterkeit)
Auch wir sagen, dass Telematik, Seitenstreifenfreigabe usw. gute Mittel sind – besser, als neue Autobahnen zu bauen. In diesem Punkt stimmen wir miteinander überein. Aber das sind nicht die einzigen Mittel. Das bekämpft nicht die Ursachen, sondern nur die Symptome. Da aber sind wir uns wieder nicht einig.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Janine Wissler und Willi van Ooyen (DIE LINKE) – Zurufe von der CDU – Zuruf des Abg. Stefan Müller (Heidenrod) (FDP))
Deswegen ist das Programm „Staufreies Hessen 2015“ – lieber Kollege Müller, ich habe Ihnen eben auch zugehört –, wie Sie eben zugegeben haben, ein weiteres Märchen in Ihrer Geschichte. Sie können bald den Grimms Konkurrenz machen und „Hausmärchen“ herausgeben. Vielleicht haben Sie damit mehr Erfolg als mit dem „Staufreies Hessen 2015“ oder mit dem Flughafen, von dem keiner fliegen will, oder mit der A 49, die nie fertig wird, oder der A 44, die nicht fertig wird.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Und wenn die fertig wird, dann fährt dort auch keiner schneller, weil die so viele Tunnel hat. In diesem Gebiet kann man einfach keine Autobahnen planen. – Gut.
Wenn ich mir die Staumeldungen von heute ansehe, dann kann es gar nicht sein, dass wir 80 Prozent weniger Staus haben – denn sonst würde sich auf den Autobahnen nichts mehr bewegen. Ich habe mir das heute Morgen einmal ausgedruckt.
(Zuruf des Abg. Kurt Wiegel (CDU))
Das sind Tatsachen, die können Sie nicht leugnen. Die Kollegen, die mit dem Auto fahren, haben mir erzählt, dass es heute ein ruhiger Tag war:
(Unruhe)
Stau auf der A 3 zwischen Köln und Frankfurt, zwischen Würzburg und Frankfurt, zwischen Kassel und Frankfurt, zwischen Frankfurt und Kassel usw.
(Zuruf des Abg. Kurt Wiegel (CDU))
Wenn das 80 Prozent weniger sind als im Jahr 2003, dann halte ich das für wenig realistisch.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Stefan Müller (Heidenrod) (FDP))
Ihr Problem ist, dass Sie immer nur die eine Seite der Medaille sehen – nämlich Staus durch mehr Straßenbau zu vermeiden. Wir haben nichts gegen Straßen,
(Zurufe)
aber wir sagen, alle Straßen sind gebaut, jetzt müssen sie unterhalten werden. Die Brücken müssen unterhalten werden, und man muss eine intelligente Verknüpfung zu Bussen und Bahnen schaffen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Stefan Müller (Heidenrod) (FDP))
Wenn Sie sagen, das tun Sie schon, dann tun Sie das ziemlich halbherzig. Ich habe mir nämlich einmal Ihre Presseerklärungen von 2005 angesehen. Damals haben Sie damit angefangen. Die beziehen sich sämtlich wirklich nur auf die Straße – kein Wort von ÖPNV, von Mobilitätssystemen oder so, nichts.
Was mir auch aufgefallen ist: Im Jahr 2012 gibt es erst zwei Pressemitteilungen. Die letzte war von Herrn Posch. Da wurde es natürlich Zeit, dass Sie einen Antrag stellen, damit Herr Rentsch auch einmal eine Pressemitteilung zu diesem Thema schreiben kann.
(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Kurt Wiegel (CDU) – Zuruf des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Heiterkeit)
Selbst die Freunde vom ADAC sind ja nicht mehr auf Ihrer Seite – auch wenn die andere Motive haben.
(Zuruf des Ministers Florian Rentsch)
Ich rede auch mit dem ADAC, aber ich kann ihn auch zitieren: Politiker und Verkehrsplaner hätten die Autobahnen nicht ausreichend für die rasante Zunahme des Verkehrs gerüstet. – Das ist der unausgesprochene Vorwurf, den eine aktuelle Studie des Automobilclubs ADAC erhebt.
Der ADAC-Referent für Straßen- und Verkehrsplanung ist sich sicher, dass es für Verkehrsplaner und Autofahrer nur einen Königsweg aus der Staugefahr gibt: den Ausbau der besonders belastenden Autobahnen. – Darin sind Sie sich dann wahrscheinlich wieder einig.
(Zuruf des Abg. Stefan Müller (Heidenrod) (FDP))
Der ADAC sagt aber: Die überlasteten Strecken von 1600 km im Jahr 2010 werden auf 2.000 km im Jahr 2025 ansteigen. Ihr Projekt „Staufreies Hessen“ hat – –
(Stefan Müller (Heidenrod) (FDP): Wir reden über Staustunden!)
– Ja, ich weiß, aber der ADAC redet von Staustrecken. Da stehen Sie auch stundenlang im Stau.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie sagen, dass sich von 2003 bis 2011 die Staustunden von 88000 auf 16000 verringert haben. Das ist eine enorme Leistung. Für diese enorme Leistung haben Sie rund 30 Millionen Euro insgesamt bis 2015 ausgegeben. Bis 2011 haben Sie 15 Millionen Euro ausgegeben – so jedenfalls das, was ab 2007 im Haushalt aufgeführt ist. Vorher gab es wahrscheinlich auch schon etwas. Finanzminister Schäfer wird wahrscheinlich auch bestätigen, dass es unsinnig ist, für die restlichen 20 Prozent, noch einmal 15 Millionen Euro auszugeben,
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Also lassen Sie das, stecken Sie das Geld in Busse und Bahnen. Dann haben Sie von den 15 Millionen Euro wesentlich mehr.
(Zuruf des Abg. Stefan Müller (Heidenrod) (FDP))
– Nein, das ist vorwärtsgewandt. Wenn Sie 80 % erreicht haben, seien Sie damit zufrieden, feiern Sie sich weiter und stecken den Rest in die Busse und Bahnen, denn jeder Busfahrer mehr bedeutet ein Auto weniger, das im Stau steht. Das ist die beste Methode.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Kurt Wiegel (CDU))
Ich zitiere Ihnen ein paar Leserbriefe zum Thema „Staufreies Hessen“, letzte Meldung vom Mai 2012:
Staufreies Hessen. Kann ich nicht erkennen. A3 Richtung Hanau ist nahezu jeden Abend dicht. Die Hinweisbrücken zeigen zu spät Informationen über Behinderungen an. Wer sieht, dass nach dem Frankfurter Kreuz die A3 dicht ist, könnte gleich am Wiesbadener Kreuz anders fahren. Ebenso sind die Meldungen auf den Tafeln und die hr-Stauinfos nie übereinstimmend. Solange die Bahnverbindungen von Hanau, Main-Kinzig-Kreis, Darmstadt, Wiesbaden, Mainz, Fulda und Gießen so langsam und unzuverlässig sind, wird sich nichts ändern. Mehr Expresszüge mit wenigen Haltestellen und S-Bahnen wären erste Maßnahmen, um den Kollaps die Spitze zu nehmen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Noch einen Leserbrief, damit Sie nicht sagen, ich erzähle nur Blödsinn.
(Zuruf des Abg. Stefan Müller (Heidenrod) (FDP))
Das probateste Mittel, um die täglichen Staus zu den Rushhours zu vermeiden, ist die Bildung von Fahrgemeinschaften. Es gibt Pendlerportale im Internet, die die Pendler zusammenbringen.
Das ist richtig, und das ist zudem noch kostenlos. Ich empfehle, sich anzumelden und es weiterzusagen. Das wird von Ihnen viel zu wenig beworben.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Stefan Müller (Heidenrod) (FDP))
– Ja, Sie haben es erwähnt. – So weit die Pressemitteilungen.
Ihr Einsatz ist nicht nur rückwärtsgewandt, sondern auch noch teuer. Wir wollen mehr Mobilität und weniger Verkehr. Sie wollen mehr Verkehr und weniger Mobilität.
(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))
Ihr eigener Minister glaubt noch nicht einmal an das Projekt „Staufreies Hessen“. Als jetzt die Meldung über die Geisterfahrer kam, forderte er sofort Asphaltkrallen an jeder Autobahnauffahrt.
(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))
Nicht nur, dass das unrealistisch ist und auch keine Krankenwagen mehr auffahren können, sondern – –
(Zuruf des Abg. Minister Florian Rentsch)
– Herr Rentsch, Sie können sich ja gleich melden.
Herr Ministerpräsident Koch hat im Jahr 2009 bereits im Rahmen des Projekts „Staufreies Hessen“ in einer Pressemitteilung erklärt: Schluss mit Geisterfahrten, Warnung vor dem Stauende. – Im Rahmen des staufreien Hessens stellte er das hessische Forschungsprojekt Diamant für die Verkehrssicherheit von morgen vor:
Das Leitmotiv von DIAMANT heißt Hochtechnologie zur Vermeidung von Unfallrisiken und Staus. Fährt ein Autofahrer beispielsweise beim Einbiegen auf die Autobahn auf die falsche Fahrbahn und wird somit zum Geisterfahrer, erkennt sein Auto künftig anhand von Daten, die es von einem automatischen Empfangs- und Meldegerät am Straßenrand empfängt, die gefährliche Situation und alarmiert den Fahrer, sodass er reagieren kann. Fahrzeuge und dynamische Infrastruktur wie digitale Schilder wiederum senden diese Information an Verkehrsteilnehmer auf der gleichen Route und informieren per Funk rechtzeitig über die Gefahr. Der Effekt: Nachfolgende Fahrer können sich auf die Verkehrssituation frühzeitig einstellen und entsprechend reagieren.
Soweit das Zitat. Für Sie ist das alles Schnee von gestern und wird anscheinend nicht weiter verfolgt.
(Zuruf des Abg. Stefan Müller (Heidenrod) (FDP))
Dieses Geld ist für Sie umsonst ausgegeben. Lieber investieren Sie in Autokrallen, um eine schnelle Meldung in der Zeitung zu haben.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wenn Sie also ernsthaft Staus vermeiden wollen, etwas für den Klimaschutz und die Menschen tun wollen, müssen Sie sich konsequent für eine Verkehrswende einsetzen, die Busse und Bahnen stärken und eine verbesserte Verknüpfung der Verkehrsträger gewährleisten.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)
Ihr Weltbild ist immer noch geprägt von der freien Fahrt für freie Bürger. Ich hoffe, die Wähler werden Ihnen das nicht weiter goutieren, denn sie sind längst weiter. – Vielen Dank.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Stefan Müller (Heidenrod) (FDP))
Vizepräsident Heinrich Heidel:
Vielen Dank, Frau Kollegin Müller.

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