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22.05.2013

Karin Müller: Schwarz-gelbe Verkehrspolitik gefährdet Wohlstand und nachhaltiges Wachstum

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Dass die subjektive Wahrnehmung der Realität des Einzelnen durchaus unterschiedlich ist, haben wir in den letzten 20 Minuten eindeutig dargestellt bekommen. Die Version der Verkehrspolitik in Hessen von Herrn Frankenberger und Herrn Müller kann unterschiedlicher nicht sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schwarz-Gelb macht eine Verkehrspolitik von gestern. Das haben Sie eben noch in Ihrem Redebeitrag bewiesen. Sie haben hervorgehoben, dass die Fahrgastzahlen bei Bussen und Bahn steigen, dass der RMV Zuwächse wie noch nie hat. Und worin investieren Sie? In Straßenbau, in Umgehungsstraßen, in Projekte, die an dem Bedarf der Menschen vorbeigehen, aber nicht in Bus und Bahn. Da haben Sie nämlich im Jahr 2012 die Mittel um 20 Millionen € gekürzt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Stefan Müller (Heidenrod) (FDP))

Sie wissen so gut wie ich, dass nur Bundesmittel im ÖPNV stecken, was der Weiterreichung der Realisierungsmittel entspricht, und dass seit 2012 zum ersten Mal.

(Zuruf des Abg. Stefan Müller (Heidenrod) (FDP))

– Natürlich, aus dem FAG sind noch einmal 121 Millionen drin. Aber Sie werden das nicht als originäres Landesgeld bezeichnen, oder?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Stefan Müller (Heidenrod) (FDP) – Gegenruf des Abg. Ernst-Ewald Roth (SPD))

Unter Rot-Grün wurde noch eigenes Landesgeld in den ÖPNV investiert. Die Mittel für die Schülerbeförderung wurden zusätzlich weitergereicht. Deswegen gab es auch im Straßenbau nicht so viel Geld, während Sie jetzt für den Straßenneubau 35 Millionen € ausgeben, die wir gekürzt haben. Natürlich ist es richtig, den Erhalt vor den Neubau zu stellen, weil sonst die Tatsachen gegen Sie sprechen würden.

Sie investieren und investieren Millionen Euro in Straßen, in Flughäfen, und was ist das Ergebnis? Die Straßen sind kaputt. Es gibt überall Beschwerden, und die Menschen sind nicht zufrieden mit Ihrer Verkehrspolitik.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Frankenberger hat den Mobilitätsindex der Allianz pro Schiene erwähnt. Er hat nicht erwähnt, wer ihn erstellt hat. Aber Sie haben auch nicht erwähnt, dass alle Länder befragt worden sind. Die Länder hatten es selbst in der Hand, welche Angaben sie machen und zu welchem Ergebnis das kommt.

(Zuruf des Abg. Stefan Müller (Heidenrod) (FDP))

– Genau. – Besonders schlecht ist es um den Klimaschutz bestellt, weil Sie den Verkehrsbereich nicht als Teil der Energiewende sehen und sich keine Ziele in diesem Bereich setzen, wie CO2-Minderung durch Verlagerung und Vermeidung von Verkehr vorangetrieben werden können.

Der Anteil des Umweltverbundes ist in Hessen extrem niedrig. Der Anteil des Radverkehrs liegt bei 7 %; das ist ein Armutszeugnis. Da müssten Sie umsteuern. Aber Sie haben keine verkehrspolitischen Ziele, außer in Straßen und Flughäfen zu investieren.

(Zuruf des Abg. Stefan Müller (Heidenrod) (FDP))

Die Verbände haben Ihre Politik mit einer Note von 4,7 versehen. Von denen wurde noch einmal die Millionenkürzung im Nahverkehrsbereich, der Aus- und Neubau von Fernstraßen und der Bau des Flugplatzes Kassel-Calden – darauf komme ich später noch einmal zurück – benannt.

(Zuruf des Abg. Stefan Müller (Heidenrod) (FDP))

– Wir wollen hier keine Zwiegespräche führen.

Vizepräsident Lothar Quanz:

Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Müller?

Karin Müller: Ja!

Stefan Müller (Heidenrod) (FDP):

Welche Kürzung im Nahverkehrsbereich? Ich kann ganz ehrlich jedes Jahr ein Mehr sehen, wenn ich mir die Zahlen betrachte, die wir in den letzten zehn Jahren in den Nahverkehrsbereich investiert haben. Deswegen würde ich gerne wissen, welche Kürzung Sie dort meinen. Vielleicht können Sie mir auch noch beantworten – ich gebe zu, das hat eben Herr Frankenberger gesagt –, dass auch im Schienenverkehr erheblich gekürzt worden ist. Auch das ist mir, ehrlich gesagt, nicht gegenwärtig. Ich habe ihn gestern schon einmal gefragt. Darauf konnte er nicht genau antworten, woher das kommt. Vielleicht wissen Sie es.

Karin Müller:

Ihr Gedächtnis ist anscheinend ziemlich kurz. Im vergangen Jahr 2012 haben Sie den Verbünden die Mittel um 20 Millionen Euro gekürzt.

(Stefan Müller (Heidenrod) (FDP): Wir haben 7 Millionen Euro mehr gezahlt!)

Sie haben die Kürzung für die Jahre 2013 und 2014 zurückgenommen. Sie können noch zehn Mal so argumentieren, aber Sie haben um 20 Millionen Euro gekürzt; das bleibt Fakt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Die Erhöhung der Mittel kam von den Bundesmitteln, die durchgereicht worden sind. – Wir jedenfalls begreifen Verkehrspolitik als Mobilitätspolitik, als Teil einer Daseinsvorsorge. Wir wollen weniger Verkehr, aber mehr Mobilität für die Menschen. Das heißt, Verkehr ist immer ein Teil von Klimaschutzpolitik, und ohne die Verkehrswende würde es auch keine Energiewende geben. Darin müssen Sie nun einmal investieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist die Aufgabe der Politik, umzusteuern und wahrzunehmen, dass die Menschen mehr mit dem Fahrrad fahren, mehr Bus und Bahn benutzen und dass weniger Verkehr in den ländlichen Räumen ist. Aber Sie machen mit Ihrer Politik genau das Gegenteil davon.

Wie falsch diese Politik ist, zeigt sich gerade auch wieder am Bau des Flughafens Kassel-Calden. Da haben Sie 271 Millionen € investiert. Sie werden da jedes Jahr noch Millionen Euro für den Betrieb dieses Flughafens nachzahlen. Das sehen Sie als nachhaltige Verkehrspolitik an. Da wurde in Nordhessen eine Aussichtsplattform gebaut, und die Leute gucken, wenn einmal ein Flieger landet oder sich verfahren hat. Ich kann dazu nur sagen: Das ist die verkehrte Verkehrspolitik von Schwarz-Gelb.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich kann die SPD da auch nicht aus der Verantwortung entlassen. Herr Frankenberger, es war alles schön, was Sie hier erzählt haben. Das hörte sich alles gut an. Aber die Realität sieht ein bisschen anders aus. Den Bau des Flughafens Kassel-Calden in Nordhessen haben Sie mit bejubelt. Das Geld haben Sie mit vollen Händen ausgegeben.

Auch der Ausbau der A 44 und der A 49 sind Projekte, die die SPD immer weiter vorantreibt, obwohl auch da Verkehrsmengen vorliegen, die besagen, dass der Weiterbau der A 44 überhaupt nicht mehr gebraucht werde, es bestehe kein Bedarf dafür.

Auch bei dem Straßenbauprogramm „Kommunales Interessenmodell II“ sind es Ihre Bürgermeister, die zuerst zuschlagen, obwohl die Verkehrsmengen es nicht hergeben. Damit wird ein Scheck auf die Zukunft ausgestellt. Die Kommunen finanzieren das vor. Das Land wird das im Jahr 2020 zurückzahlen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wo beim Straßenbau wirklich Engpässe sind, da fehlt das Geld. Da haben Sie nichts mehr zum Investieren.

Für uns ist ganz klar: Der Erhalt muss zwingend vor dem Neubau stehen. Herr Ramsauer hat es mittlerweile auch erkannt, zumindest theoretisch. Das heißt, selbst wenn Sie nicht der Meinung sind, dass der Verkehr einen Beitrag zum Klimaschutz leisten muss, müssen Sie umsteuern. Denn wir lesen ständig in der Zeitung, dass die Brücken kaputt sind und dass nicht mehr gewährleistet ist, dass LKWs darüber fahren können.

Die Wirtschaft wird zusammenbrechen. Wer ist schuld? – Schwarz-Gelb ist es.

(Lachen des Abg. Stefan Müller (Heidenrod) (FDP) – Zuruf des Abg. Stefan Müller (Heidenrod) (FDP))

Sie erzählen hier, mit Ihren Investitionen würden Sie eine zukunftsfähige Verkehrspolitik machen. Da müssen Sie selbst lachen, weil das so bescheuert ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie machen für Projekte, die keiner braucht, Betonpolitik. Sie führt dazu, dass das Geld da, wo es gebraucht wird, nicht mehr da ist.

Den Bau des Flughafens Kassel-Calden habe ich schon erwähnt. Ich will das jetzt auch nicht überstrapazieren.

Herr Müller, Sie haben vorhin die Verknüpfung der Verkehrsmittel und das Thema Carsharing erwähnt. Es wäre eine Sache des Landes, das mit einer Initiative voranzubringen. Der Bund hat nach jahrelanger Prüfung und steigender Zahl der Nutzer endlich erkannt, dass er etwas tun muss. Es wurde festgestellt, dass es keiner Änderung des Gesetzes bedarf. Vielmehr sind die Länder jetzt am Zug. Die Länder sollen untereinander einen Ausweis konzipieren, mit dem es Fahrern von Carsharingautos ermöglicht wird, auf ausgewiesenen Flächen zu parken. Dazu warte ich auf eine Initiative des Landes Hessen. Das wäre Mobilitätspolitik, so wie sie im Moment angesagt ist. Ihre Straßenbaupolitik ist das nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Selbst die Automobilhersteller haben erkannt, dass sie zum Mobilitätsdienstleister werden müssen. Daimler-Benz hat jetzt die Einführung der neuen S-Klasse gefeiert. Gleichzeitig hat es aber auch einen Mobilitätsdienst vorgestellt, nämlich „moovel“. Die „Süddeutsche Zeitung“ kommentierte in ihrem Wirtschaftsteil, dass Daimler-Benz die Vorstellung dieser Mobilitätsplattform genauso groß hätte feiern müssen. Bei diesem Pilotprojekt werden Reiserouten von A nach B mit dem Fahrrad, dem Bus, der Bahn, dem Auto, Carsharing und Mitfahren zusammengestellt. Das ist es, was heutzutage angesagt ist. Die S-Klasse ist es nicht.

Das ist die Zukunft. Erkennen Sie es endlich an. Steuern Sie endlich um. Greifen Sie die Trends auf.

Sie haben es ja gesehen. Es gab auf der letzten CeBIT den großen Schwerpunkt Ökonomie des Teilens. Junge Menschen wollen die Autos benutzen, sie aber nicht mehr besitzen. Sie brauchen nur noch ihre Apps. All das nehmen doch auch Sie wahr. Nehmen Sie endlich wahr, dass es nicht reicht, Geld in Beton zu investieren. Vielmehr muss es in intelligente Verkehrskonzepte investiert werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will noch ein paar Worte zur Stadtbahn sagen. Sie haben zum Schienenverkehr in Wiesbaden gerade aus der „Hessenschiene“ zitiert. Herr Rentsch hat den Bau der Stadtbahn mit einem Fax gestrichen. Das heißt, er stellt die Verkehrspolitik jetzt ein. Denn bis zum Jahr 2019 können überhaupt keine Projekte mehr bis zum Ende realisiert werden.

Ich habe mich darüber gefreut, dass Hessen der Bundesratsinitiative zugestimmt hat, das GVFG-Programm zu verlängern. Glauben Sie selbst nicht daran, dass Sie das schaffen? Haben Sie schon aufgegeben? Warum gehen Sie so mit Projekten der Kommunen um?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unterstützen Sie die Trends. Nehmen Sie die Wünsche der Bevölkerung wahr. Schaffen Sie die Rahmenbedingungen, dass die Klimaschutzziele erreicht werden können. Damit würden Sie die Lebensqualität in den Städten erhöhen und würden die Kosten für die Allgemeinheit durch aktiven Gesundheitsschutz, mehr Bewegung, weniger Krankheiten und weniger Lärm verringern. Umweltzonen würden überflüssig.

Auf das Thema Tempolimit kommen wir morgen noch zu sprechen. Wir brauchen die freie Verkehrsmittelwahl, aber nicht die freie Fahrt auf der Autobahn und für jedes Dorf die Umgehungsstraße. Das ist die Botschaft der Zukunft. Das entspricht nicht Ihrer rückwärtsgewandten Politik.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Vizepräsident Lothar Quanz:

Frau Müller, vielen Dank.

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