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14.09.2011

Karin Müller: „Luftnummer“ Kassel-Calden stoppen

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Willkommen zu Grimms Märchenstunde Calden aus der Grimm-Heimat Nordhessen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)

Das ist auch das einzig Positive daran, dass die Grimm-Heimat Nordhessen immer mal wieder Aufmerksamkeit erhält, wenn es um Kostensteigerungen des Neubaus Kassel-Calden geht. Der Erzähler dieser Geschichte wechselt zwar immer wieder – mal ist es Herr Posch, mal Herr Koch, mal Herr Weimar und jetzt Herr Dr. Schäfer, nur von Herrn Bouffier habe ich eigentlich noch nichts zu dem Thema gehört –, der Text ist aber immer der gleiche: Der Flughafen wird gebaut, koste es, was es wolle.

(Zuruf von der CDU)

Es gibt mehrere Kapitel dieses Märchens. Eins heißt „Kostensteigerungen, die zu Ende gehen“, aber daran glaubt hier niemand mehr.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Noch einmal kurz zur Erinnerung, weil Märchen ja wiederholt werden müssen: Es gab in der 15. Wahlperiode eine Regierungserklärung von Herrn Posch. Dort sagte er, es stünden 70 Millionen Mark – wohlgemerkt D-Mark – für den Ausbau des Flughafens zur Verfügung. Damals war es noch ein Ausbau. In 2002 erklärten dann Herr Posch und Herr Ries: Wenn 90 Millionen Euro überschritten würden, müsste man über einen Ausstieg nachdenken. – Wir wissen, dass keiner über den Ausstieg nachgedacht hat, aber über eine neue Variante des Ausbaus, nämlich die Variante C. Das war auch das Ende des Ausbaus, es war ein Neubau – das auch nochmals in Richtung der SPD, die immer wieder von einem Ausbau redet. Es ist ein kompletter Neubau: Die Landebahn ist verschoben, es gibt einen komplett neuen Tower und auch einen kompletten Neubau.

(Zuruf von der SPD)

Die Erklärung der Kosten waren Verdrängungsmaßnahmen und höhere Kosten für die Erdbewegungen. Das alles kommt uns irgendwie bekannt vor, das ist immer wieder ein Argument für Kostensteigerungen.

Nur zwei Jahre später, in 2004, sind es dann 151 Millionen Euro. Bei diesen 151 Millionen Euro soll es dann eine ganze Weile bleiben. Noch in 2007 heißt es auf Nachfrage der GRÜNEN, die endgültigen Kosten könnten erst nach Ausschreibung ermittelt werden. Ziel sei aber, den Kostenrahmen nicht zu überschreiten und es bleibe bei den 151 Millionen Euro.

(Zuruf von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das war einmal! Alles Lüge!)

Danach ging es ganz schnell. Wir erinnern uns noch ziemlich gut: Letztes Jahr lagen die Kostensteigerungen bei 75 Millionen Euro, wir waren bei insgesamt 225 Millionen Euro. Heute sind wir bei 250 Millionen Euro und nach dem Worst-Case-Szenario, was von Ernst & Young bereits vermeintlich ausgerechnet wurde, kommen noch einmal 25 Millionen Euro dazu. – Soviel zu den Märchen über die Kosten, die niemals steigen und die man immer im Griff hat und die immer aus den gleichen Gründen steigen: wegen des schwierigen Baugrunds, der langen Planungsverfahren, der Sicherheitsanforderungen und all der unplanbaren, unvorhersehbaren Dinge, die man eigentlich doch hätte vorhersehen können.

Wir hatten 2001 ein Gutachten von Herrn Bossel vorgestellt, der genau das als Grundlage genommen hat, nämlich den Baugrund und die Topographie. Er hat gesagt, es würden 250 Millionen Euro werden, im günstigsten Fall 200 Millionen Euro. Dass er recht gehabt hat, sehen wir heute.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Er hatte aber auch vorausgesagt, dass es 20 Millionen Euro Defizit geben würde. Auch das glaubt heute keiner. Herr Dr. Schäfer hat im letzten Haushaltsausschuss gesagt, 2017 würde sich dieser Flughafen rechnen, zumindest betriebswirtschaftlich auf das Jahr bezogen.

(Zuruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Aber das glaubt noch nicht einmal Herr Ries. Ich zitiere die FASonntagszeitung, die hohe Kosten auf die Steuerzahler zukommen sieht, da die Fluggastzahlen in allen Regionalflughäfen um 40 Prozent zurückgingen, und auch Calden wird explizit erwähnt. Trotzdem hat die Politik nicht gelernt, Schließungen wird es auch jetzt nicht geben. Es wird weiter subventioniert, denn als Arbeitsplatzvernichter will kein Politiker gelten. – Das kommt uns irgendwie bekannt vor.

Schlimmer noch: Gerade wird in Kassel-Calden für 250 Millionen Euro an Steuergeldern ein neuer Regionalflughafen aufgebaut. Betriebswirtschaftlich sind Gewinne bei Flughäfen mit weniger als 1 Million Passagieren im Jahr schwer zu erzielen, weil die Fixkosten, etwa für die Sicherheit, zu hoch sind. Aber volkswirtschaftlich werde sich der Flughafen rechnen – behauptet der vom Frankfurter Flughafen entsandte Geschäftsführer Jörg Ries. Es wäre eine Ausnahme – so der Kommentar der FAZ am Sonntag.

Sie können sich selbst ein Urteil darüber erlauben, wie ernst Ihre Argumente zu nehmen sind, wenn eigentlich alle sagen, der Flugplatz werde sich nicht rechnen, es werde ein Millionengrab geben. Der Bund der Steuerzahler, sonst eigentlich eher Freund der CDU – –

(Lachen bei der CDU – Horst Klee (CDU))

– Auf jeden Fall sollte der Bund der Steuerzahler Freund des Finanzministers sein. – Aber auch die sagen, dass Calden ein Millionengrab sei und gestopft werden müsse. Das sagen sie nicht erst seit heute, das haben sie schon im letzten Jahr und vor zwei Jahren gesagt. Die Deutsche Bank hat eine Untersuchung erstellt. Alle sagen, der Flughafen werde sich nicht rechnen. 39 Regionalflughäfen – keiner schreibt schwarze Zahlen. Der einzige der es tut, ist im Moment noch Paderborn, und für den ist Calden eine Konkurrenz.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dann geht es weiter in der Märchenstunde, und zwar mit dem Märchen von den Chinesen. Wir wissen, dass auch die Chinesen auf die Grimms stehen. Die kommen immer wieder gern nach Nordhessen, um sich die Handschriften anzusehen. Und dann haben sie sich gedacht: Na ja, vielleicht kaufen wir auch mal einen Flughafen und betreiben Grimm-Forschung. – Wir haben ja gerade von der SPD gehört, dass der Flugplatz ein weiterer Uni-Standort werden wird, vielleicht kommt dann auch ein Grimm-Museum dort hin, wo die Chinesen direkt angebunden sind.

(Zuruf von der SPD)

Aber mehr als Märchenerzählungen sind es nicht, weil wir auch nicht konkret gehört haben, was die Chinesen dort wollen, was sie zahlen oder ob es Interkontinentalflüge geben soll; dann müsste die Landebahn nochmals verlängert werden – alles unklar, alles Märchen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber auch die SPD will ich heute nicht verschonen.

(Die Mirkofonanlage fällt aus)

– Jetzt wird einem hier schon der Strom abgestellt. Zu viel Geld in den Flughafen gesteckt, deswegen gibt es keinen Strom mehr.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

2008 war die SPD schon einmal schlauer. Da haben wir zusammen vereinbart, wenn der Neubau des Flughafens Kassel-Calden teurer wird als eine Sanierung und Ertüchtigung des alten Flugplatzes, dann ist es ein Grund, auszusteigen.

Wir wissen, dass der Flugplatz 30 Millionen Euro gekostet und das Land nichts gezahlt hätte, Sie aber trotzdem nicht ausgestiegen sind.

(Zuruf von der SPD)

Ja, wir hätten uns gefreut und gern auch Unterstützung in der Stadtverordnetenversammlung in Kassel gehabt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD)

Dann gibt es noch das Märchen von den Gewerbeansiedlungen; das Interesse sei groß, stand auch in der HNA. Es gebe ein großes Interesse von Firmen, die sich dort während der Bauphase ansiedeln wollen, um dann die Hallen zu bauen. Auch von anderen Firmen gibt es zugegebenermaßen Interesse, allerdings nicht von Firmen, die sich dort neu ansiedeln würden – es sind alles Unternehmen aus der Region, die sich dann am Flugplatz ansiedelten. Dass das unbedingt ein Gewinn ist, würde ich nicht behaupten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD)

Dann gibt es noch das Märchen von der entstehenden Kaufkraft und den vielen Arbeitsplätzen. Ich habe Herrn Bossel bereits zitiert. Bei ihm kann man nachlesen, dass es einen Kaufkraft-Export geben wird, direkt am Flugplatz 320 Arbeitsplätze vernichtet werden und es einen Nettoverlust von 900 Arbeitsplätzen geben wird. Das ist genauso belegt wie die Kosten, Sie können es ja einmal nachlesen. Wenn Sie sich besser informieren würden, würden Sie vielleicht auch Ihre Entscheidung überdenken.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber das ist das wirklich Bittere daran, dass nicht einmal darüber nachgedacht wird, was es für Alternativen gäbe. Wäre der alte Flughafen saniert worden, hätten auch die Firmen, die Sie gern zitieren, von dort fliegen können. Zu den Ferienflügen, die von Herrn Lenders erwähnt wurden und die angeblich nicht stattfinden würden – damit wirbt aber Calden:

(Die Rednerin hält eine Werbeanzeige hoch)

„Entdecke die Welt ab 2013 von Kassel-Calden.“ Wir hoffen, dass es dann nicht heißt: „Ab 2013 in die Investitionsruine“.

Zum Schluss vielleicht noch einen Vorschlag. Beberbeck wird nicht gebaut. Man könnte aus den Flächen, die dort sind, Baggerseen machen, den Flughafen sanieren. Dann könnte man direkt zu den Baggerseen fliegen. Die Scheichs, die nach Beberbeck kommen wollten, hätten es dann noch näher, und alle wären zufrieden.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Schönen Dank, Frau Müller.

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