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18.11.2010

Karin Müller: Karenzzeiten nach dem Ausscheiden aus Regierungsämtern

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Auch wir sind ein bisschen enttäuscht, dass DIE LINKE sich mit ihrem Antrag nur auf Herrn Koch konzentriert und ihm dadurch heute noch einmal eine so große Aufmerksamkeit geschenkt hat. Auch wir würden gerne noch ernsthaft über das Thema reden. Es ist nämlich nicht ganz so leicht; wir haben es in den verschiedenen Wortbeiträgen schon gehört. Deswegen wäre unsere Bitte, heute nicht den Entschließungsantrag zu verabschieden, sondern noch einmal in aller Differenziertheit und im Dialog im Ausschuss darüber zu reden und dann erst abzustimmen. Ansonsten würden wir uns heute enthalten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Der Antrag enthält einiges Richtiges. Abs. 3 und 4 sind von Transparency International übernommen; auch das unterstützen wir. Aber eine differenziertere Diskussion im Ausschuss wäre notwendig.

Ich will jetzt auf Herrn Koch eingehen, der Anlass dieses Antrags war, wie wir deutlich gehört haben. Dass er sich kurz nach seinem Ausscheiden einen anderen Job sucht, ist von keinem zu kritisieren; dass er in die Wirtschaft geht, im Prinzip auch nicht. Aber wo ein Geschmäckle aufkommt, ist die Frage, ob er aus der Regierungsverantwortung in die Wirtschaft wechselt und dort ein Zusammenhang mit seiner vorherigen Tätigkeit besteht.

Da finden wir es schon bedauerlich, dass erst die Oppositionsfraktionen im Ausschuss nachfragen müssen, wie die Kriterien waren, wie transparent es war und ob ein Zusammenhang besteht oder nicht. Da hätten wir uns gewünscht, dass Herr Koch das vorher offengelegt hätte; dann wäre es auch für viele verständlicher gewesen. Er hat noch kurz vor seinem Abgang in allen Tages- und Wochenzeitungen gesagt, dass er ungerecht behandelt worden sei, weil er unverdient in die Schwarzgeldaffäre hineingezogen worden sei.

(Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Da hätten wir ein bisschen mehr Fingerspitzengefühl erwartet.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Herr Boddenberg, ganz besonders hätten wir aber mehr Fingerspitzengefühl erwartet, als es darum ging, mit den Medien umzugehen und ihnen die Wahrheit zu sagen. Noch im Sommer hat Herr Koch gesagt, es sei nichts dran, er gehe nicht zu Bilfinger Berger, alles Lüge. Auch Bilfinger Berger hat gesagt, es gibt keine Verhandlungen.

(Zuruf des Ministers Jörg-Uwe Hahn)

– Das hat er gesagt, auch das stand in der Zeitung.

(Zuruf des Ministers Jörg-Uwe Hahn)

Ich glaube, niemand hätte ein Problem damit gehabt, wenn er offen damit umgegangen wäre und gesagt hätte: „Ich rede nicht über laufende Verhandlungen“, oder: „Ich kann mich dazu nicht äußern“. Aber nein, er hat es ausdrücklich dementiert. Das ist das, was die Menschen nicht mehr wollen: von der Politik angelogen werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Das ist das, was die Glaubwürdigkeit kostet. Dann wundern wir uns, wenn sie bei Politikerinnen und Politikern abnimmt und unterm Strich nur noch übrig bleibt, dass die Menschen in die Politik gehen, um danach einen gut bezahlten Job in der Wirtschaft zu bekommen.

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU) – Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

– Genau, erst in die Politik und dann in die Wirtschaft. Die Unterstellung ist, keine Glaubwürdigkeit, und das nur deswegen zu machen.

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Genau dagegen müssen wir uns wehren, weil diese Lügen von Herrn Koch auch die Demokratie beschädigen und sich immer weniger Menschen finden, die zum einen wählen gehen und zum anderen sich selbst in der Politik engagieren. Darüber sollten Sie zumindest einmal nachdenken und nicht lapidar sagen, bei uns gehen die Leute vom Studium in die Politik.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Wie gesagt, wir sind daran interessiert, Lösungen zu finden, weil es nicht nur Herrn Koch betrifft, sondern auch viele andere, die in Regierungsverantwortung sind. Dafür müsste es erst einmal Lösungen geben. Die könnte es in einem Ministergesetz geben, also gesetzliche Regelungen wie für die Beamten auch für die Minister. Denn im Beamtengesetz ist es ganz klar geregelt. In § 83a Hessisches Beamtengesetz sind die Karenzzeiten geregelt, ist die Aufnahme der Erwerbstätigkeit geregelt, usw. Das wäre ein erster Schritt, wo man zumindest klare Regeln hätte. Dann hätte man immer noch nicht die Kriterien festgelegt, weil es schwierig ist, wie wir zugeben. Aber immerhin es gäbe eine Regelung. Dass die Selbstverpflichtung nicht funktioniert, haben wir gesehen.

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

– Natürlich gilt das auch für Herrn Fischer, für alle. Ich nehme da keinen aus.

(Zuruf der Abg. Sigrid Erfurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Ergänzend zu den Regelungen im Beamtengesetz sollte allerdings überlegt werden, ob es auch für Nicht-Versorgungsempfänger gilt. Jetzt nehme ich wieder das Beispiel Koch. Bei ihm wäre es wahrscheinlich nicht so schlimm gewesen, wenn er auf seine Versorgungsbezüge hätte verzichten müssen.

(Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD) – Weitere Zurufe)

– Ich überlege, ob ich es Ihnen erspare, dass ich das alles noch einmal vortrage, weil Sie sowieso nicht zuhören, sondern mit Ihren Zwischenrufen beschäftigt sind.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Michael Boddenberg (CDU) und Holger Bellino (CDU))

– Das ist sehr schön. Aber danach sollten Sie auch weiter zuhören und nicht innerhalb des Parlaments einen Dialog führen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Ja, Herr Boddenberg redet im Parlament.

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Ich wollte aber noch auf einen Punkt eingehen, den Herr Beuth angesprochen hat, dass es nämlich einem Berufsverbot gleichkäme. Dem ist nicht so. Es gab bereits 2006 im Bundestag eine Anhörung, bei der Prof. Dr. Dr. Hans Meyer ganz klar festgestellt hat, dass es sich nicht um ein Berufsverbot handelt und keine verfassungsrechtlichen oder grundrechtlichen Bedenken dagegen bestehen. Der Staat kann seinem Führungspersonal berufsrechtliche Einschränkungen abverlangen, wenn sie dem sinnvollen Zweck dienen, auch nur den Schein mangelnder Integrität zu vermeiden.

(Zuruf des Abg. Peter Beuth (CDU))

– Klar muss man sich dann auch darüber unterhalten, ob weiterbezahlt wird. Das ist aber ein anderer Punkt. Jetzt geht es erst einmal darum, wie man es transparent macht und ob es einen Wechsel geben kann oder nicht.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Wir haben ein Interesse daran, Regeln zu finden, wie wir Transparenz und Vertrauen in Politik und Staat zurückbringen und stärken. Dazu sollten wir alle einen Beitrag leisten und das Thema nicht so populistisch aufbereiten, wie wir es gerade tun.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Also führen wir diese Diskussion differenziert im Ausschuss weiter. Wir hoffen auf die konstruktive Zusammenarbeit aller.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Vielen Dank, Frau Müller.