Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nachdem ich den Antrag der SPD gesehen habe, ahne ich, dass nun die Bemerkung kommen wird: Schwarze und GRÜNE bringen nicht mehr zustande, als einen Appell an die Bundesregierung zu richten. – Aber das ist ein Irrtum. Es ist nämlich mehr als ein Appell.
Es ist sozusagen fünf vor zwölf. Das Thema geht jeden und jede an – egal, ob er oder sie mit Bussen und Bahnen oder mit dem Auto unterwegs ist. Ohne ausreichende Finanzierung von Bussen und Bahnen stehen manche Räder still – nicht nur, wenn die GDL es will,
(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)
sondern auch weil die Verkehrsverbünde dann nicht mehr genügend finanzielle Mittel zur Verfügung haben, um die Züge zu bestellen, die auf der Schiene fahren sollen. Je weniger Busse und Bahnen im Einsatz sind, desto mehr Menschen müssen mit dem Auto fahren und stehen dann auch im Stau. Ich denke, die letzten Tage konnten Sie alle sehen, dass es auch auf der Straße kein Fortkommen mehr gab, weil kein Zug mehr fuhr.
Es sollte also unser gemeinsames Interesse sein, dass der Bund genügend Mittel für den Regionalverkehr zur Verfügung stellt. Für die Infrastruktur tut er das, wie ich heute in einer dpa-Meldung gesehen habe. Er stellt Mittel zur Verfügung, um die Schieneninfrastruktur auszubauen. Das wird aber konterkariert, wenn gleichzeitig die Mittel gekürzt oder nicht mehr dynamisiert werden, die der Finanzminister für die Bestellung zur Verfügung stellt.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)
Worum geht es, und warum ist es fünf vor zwölf? Im Zuge der Bahnreform wurde die Organisation des öffentlichen Personennahverkehrs den Ländern übertragen. Da dies eine wichtige Aufgabe der Daseinsvorsorge ist, kam es zu einer Grundgesetzänderung. In Art. 106a Grundgesetz wurde festgeschrieben, dass den Ländern für den öffentlichen Personennahverkehr ein Betrag aus dem Steueraufkommen des Bundes zur Verfügung steht. Im Moment wird das aus den Einnahmen der Mineralölsteuer finanziert. Näheres regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrats bedarf: das Regionalisierungsgesetz, das Ende des Jahres 2014 ausläuft. Wir alle wissen, wie lange Gesetzgebungsverfahren dauern. Es ist also schon nach fünf vor zwölf.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))
Die Länder haben ihre Hausaufgaben gemacht. Die Gesamtbedarfe wurden ermittelt. Es wurden Gutachten in Auftrag gegeben, und es wurde festgestellt, dass zum Erhalt der jetzigen Bestellleistung mindestens 8,5 Milliarden € pro Jahr notwendig sind, um den Schienenverkehr so aufrechtzuerhalten, wie er ist.
Wir wissen: Wir müssen ausbauen, damit es nicht zu einem Verkehrskollaps kommt und damit wir das „Mobile Hessen 2020“ verwirklichen können. Der Bundesminister stellt derzeit 7,3 Milliarden Euro zur Verfügung und äußerte in den letzten Tagen, dass er nicht vorhat, etwas daran zu ändern. Auch im Haushaltsentwurf für 2015 sind die 1,5 Prozent Dynamisierung, die es bisher gab, nicht vorgesehen. Wenn die Mittel auf 8,5 Milliarden Euro erhöht würden, wie die Länder verhandelt haben, würde das für Hessen 90 Millionen Euro mehr für den Personennahverkehr bedeuten. Ich denke, das ist Grund genug für uns alle, auf unsere Bundestagsabgeordneten einzuwirken, diesen Entwurf noch zu ändern.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)
Die Mittel wurden bisher mit 1,5 Prozrnt dynamisiert. Die Stations- und Trassenpreise, die die Bahn erhebt, stiegen aber jedes Jahr mehrfach an. Zu den steigenden Stations- und Trassenpreisen kommen noch steigende Personalkosten und eine höhere EEG-Umlage hinzu. Das Geld reicht also schon jetzt nicht, und die Verkehrsverbünde können im Moment die laufenden Kosten nur decken, weil sie Rücklagen gebildet haben. Aber auch diese werden Ende des Jahres 2015 aufgebraucht sein.
Wir brauchen also mindestens die 2 % Dynamisierung, die die Verkehrsminister aller Länder einstimmig beschlossen haben. Für die erhöhten Stations- und Trassenpreise, die über den normalen Preisanstieg durch die Inflation hinaus bezahlt werden müssen, muss der Bund das Risiko übernehmen. Auch hier waren sich die Bundesländer einig.
Eine hervorragende Leistung der Bundesländer war es auch, dass sie sich auf einen Verteilerschlüssel geeinigt haben. Das Solidarprinzip der Länder hat hier funktioniert, die östlichen Länder haben gesagt: Wir verzichten zugunsten der Länder, die mehr Verkehr und mehr Bedarfe haben.
Was macht aber der Bund? Er lehnt sich zurück, erteilt den Ländern eine Absage und will über die Neuverteilung der Regionalisierungsmittel im Rahmen der Bund-Länder-Finanzbeziehungen verhandeln. Bis es zu diesem Ergebnis kommt, ist es aber viel zu spät. Ich habe Ihnen eben dargestellt, dass die Verkehrsverbünde gerade noch Rücklagen bis 2015 haben. Da die Verkehrsverträge aber längerfristig laufen, müsste eigentlich schon nächstes Jahr mit Abbestellungen begonnen werden, damit sich die Verkehrsverbünde nicht strafbar machen. Wenn sie nämlich bestellen und kein Geld zur Verfügung haben, könnte das zur Insolvenzverschleppung führen. Sie sehen also, es ist fünf vor zwölf, und wir müssen dringend handeln.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))
Die Fahrpreise weiter zu erhöhen, die jedes Jahr schon über den Anstieg durch die Inflationsrate hinaus erhöht werden, ist keine angemessene Maßnahme. Wir haben das jedes Jahr kritisiert. Wenn dazu noch Leistungseinschränkungen kämen, wäre das nicht vermittelbar und kontraproduktiv, da diejenigen, die es können, dann auf das Auto umsteigen, und diejenigen, die sich das nicht leisten können, in ihrer Mobilität erheblich eingeschränkt werden.
Neue Formen von Mobilitätsangeboten, wie Uber oder BlaBlaCar, sind im besten Fall nette Ergänzungen, aber keine Gewährleistung für ein Angebot der Daseinsvorsorge, wie wir es brauchen, sondern sie sind rein privat auf Kosten unserer Daten organisiert, die wir dafür hergeben müssen. Es gibt also keine Alternative zu einem zuverlässig und gut ausgebauten öffentlichen Personennahverkehr. Deswegen ist es fünf vor zwölf.
An dieser Stelle will ich noch kurz etwas zu dem SPD-Antrag sagen. Ich finde es schade, dass zwar die grundsätzliche Notwendigkeit anerkannt wird, jetzt Druck auf den Bund auszuüben, gleichzeitig aber in den üblichen Oppositionsmodus verfallen wird: Das Land muss originäre Landesmittel zur Verfügung stellen. – Das haben auch wir immer gefordert, wie Sie uns wahrscheinlich gleich vorhalten werden. Das zieht in diesem Fall aber nicht. Ich habe es anfangs bereits erwähnt, und ich denke, Sie haben mir zugehört: Der Bund ist verpflichtet, die Länder hinreichend auszustatten – das ist grundgesetzlich verankert –, damit der Regionalverkehr funktioniert.
Wir haben im Koalitionsvertrag eine Prüfung vorgesehen. Aber selbst wenn die Prüfung erfolgreich gewesen wäre, kann das Land nicht die Aufgaben des Bundes übernehmen. Das ist das, was Sie immer einfordern, wenn es um die Kommunen geht. Also: gleiches Recht für die Länder wie für die Kommunen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)
Ein Konzept vom Land zu fordern, wenn man kein eigenes hat, ist schnell getan. Was den ländlichen Raum angeht, wissen Sie so gut wie wir, es gibt Mobilfalt in Nordhessen und Garantiert Mobil! im Odenwald, die jetzt zusammengeführt werden, um ein Modellprojekt für die ländlichen Räume zu schaffen. Auch das wird aus Regionalisierungsmitteln finanziert. Auch das wäre nicht mehr möglich. Aber wir haben ein Konzept.
Im Ballungsraum Rhein-Main ist der Verkehrsminister ständig unterwegs, um für den Ausbau der Schieneninfrastruktur zu sorgen. Nur so können die Verkehrsmengen bewältigt werden.
(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))
Im Ballungsraum Nordhessen haben wir die gut funktionierende Regiotram. Auch die wäre gefährdet, wenn es nicht genug Geld gäbe, um die Züge fahren zu lassen. Die Strecken sind jetzt mühsam ausgebaut worden: drittes Gleis in Vellmar usw. Aber das alles geht anscheinend an Ihnen vorbei.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)
Ich appelliere also dringend an Sie: Liebe Abgeordnete der SPD, kommen Sie zur Sachpolitik zurück, ziehen Sie den Antrag zurück, unterstützen Sie den gemeinsamen Antrag von CDU und GRÜNEN, und machen Sie Druck bei den Bundestagsabgeordneten, damit die Erfolgsgeschichte des regionalen Schienenverkehrs weitergeht.
Die Verkehrsleistung des regionalen Schienenverkehrs ist innerhalb von zehn Jahren, zwischen 2002 und 2012, um 34 Prozent gestiegen. Zum Vergleich: Die Verkehrsleistung des Personenverkehrs insgesamt ist nur um 7 Prozent gestiegen. Der regionale Schienenverkehr trägt also erheblich zur Mobilität und damit zur Teilhabe sowohl am Erwerbsleben als auch am gesellschaftlichen Leben bei.
Dieses Grundrecht darf nicht infrage gestellt werden. Ich denke, darüber sollten wir uns alle einig sein. Deswegen freue ich mich auch über eine einheitliche Unterstützung für unseren Antrag. – Vielen Dank.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)
Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken:
Danke schön, Frau Müller.