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01.02.2011

Kai Klose: Regierungserklärung von Minister Posch

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Minister, als ich Ihnen eben zugehört habe, habe ich mich schon ein wenig gefragt, wozu es den Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP noch braucht. Denn offensichtlich sind Sie der Auffassung, alles was da drinnen steht, längst umgesetzt zu haben. Aber schön, wir werden uns während einer Ausschusssitzung über diesen Antrag noch ausführlich unterhalten können.

Herr Minister und auch Herr Kollege Lenders haben uns soeben ausführlich dargelegt, warum ihres Erachtens der Exporterfolg der hessischen Wirtschaft so uneingeschränkt positiv ist. Sie sagten, es sei ihre Landesregierung, die dazu wahnsinnig viel beigetragen habe.

(Demonstrativer Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Es wird Sie wenig überraschen, dass wir beides in dieser Absolutheit bestreiten. Das tun wir auch deshalb, weil es gerade einmal zwei Jahre her ist, dass die Erkenntnis, wir können nicht so weiterwirtschaften, wie es bisher geschah, eine der bleibenden Lehren der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise sein sollte.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schon starren wir wieder auf die Exportquoten, als gebe es kein Morgen mehr. Das kann es doch nun wirklich nicht gewesen sein. Aus Anlass dieser Regierungserklärung lohnt es sich deshalb, das Thema einmal ein wenig grundsätzlicher zu betrachten.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Was zeigt uns ein hoher Exportanteil? – Ein hoher Exportanteil ist ein Indikator dafür, dass ein Unternehmen, eine Branche oder eine Volkswirtschaft insgesamt wettbewerbsfähig sind und dass sie attraktive Produkte herstellen, und zwar nicht nur im nationalen Vergleich, sondern auch in der internationalen Konkurrenz.

Einen ähnlichen Indikator für einen attraktiven Standort bilden die sogenannten Direktinvestitionen. Das sind die Investitionen, die von ausländischen Unternehmen im Inland durchgeführt werden.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

– Herr Dr. Arnold, da gebe ich Ihnen absolut recht. – In einer entwickelten Volkswirtschaft wie der unsrigen ist es aber andererseits auch so, dass ein hoher Exportanteil weder über niedrige Löhne noch darüber zu erreichen ist, dass man die sozialen Standards oder die Umweltstandards anderer Länder unterbietet. Ich hoffe, auch darüber besteht Einigkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Unsere Unternehmen erreichen ihre starke Position beim Export in erster Linie durch Forschung und Innovation, durch besonders qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber auch durch die Erforschung der weltweiten Kundschaft und ihrer Wünsche. Insofern sind ein hoher Exportanteil und viele Direktinvestitionen auch aus unserer Sicht durchaus positive Indikatoren für den Zustand der hessischen Wirtschaft.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Angesichts der krisenhaft schwankenden Weltmärkte taugt das allerdings nicht als alleinige und primäre Zielsetzung.

Wenn vom deutschen Export die Rede ist, dann denken wir – ich glaube, das tun mit uns auch die meisten Mitbürgerinnen und Mitbürger – fast selbstverständlich an die Industrieprodukte. Wer sich in den USA oder in den chinesischen Wachstumszentren bewegt, weiß, auf welchen Straßen ein guter Teil der Autos aus deutschen Fabriken fahren.

Dieses Bild zeigt natürlich nur einen Teil der Wahrheit. Denn gerade auch die deutschen Maschinen sind ein Exportschlager. Sie sind in vielen Fabriken auf allen Kontinenten im Einsatz, ohne dass das sofort sichtbar wird.

Neben dem In- und Export solcher Industriegüter wird eines immer wichtiger. Das ist der weltweite Austausch der Dienstleistungen. Deshalb kommt es bei dieser Debatte darauf an, den Blick nicht nur auf die Höhe der Exporte zu richten, sondern auch auf ihre Struktur. Dabei ist festzustellen, dass neben dem Austausch der Waren der Austausch der Beratungsleistungen, des Know-hows und der Software zunehmend an Bedeutung gewinnt. Statt bloßer Industrieprodukte verlangen die Weltmärkte komplette Problemlösungen. Immer mehr dieser Industrieprodukte können Sie nur noch verkaufen, wenn Sie gleichzeitig ein ganzes Bündel exzellenter Dienstleistungen mit anbieten können. Der Weltmarkt verlangt Komplettpakete inklusive der Beratung und der Vernetzung, der regelmäßigen Softwareaktualisierung sowie maßgeschneiderte Finanzdienstleistungen.

Gerade dieser Aspekt der internationalen Wirtschaftsentwicklung ist für uns in Hessen besonders interessant. Denn hier sind im Umfeld der ansässigen Industrieunternehmen besonders viele Dienstleister vorhanden, die genau dies anbieten können. Hier kann sich das Land durchaus sinnvoll als Wegbereiter betätigen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Walter Arnold (CDU) und Jürgen Lenders (FDP) – Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Wenn wir kleineren Unternehmen helfen wollen, im nationalen und internationalen Markt zu bleiben und ihre Anteile auszubauen, dann liegt in der Nutzung solcher Unternehmensdienstleister ein Schlüssel. Wir alle wissen doch auch, dass sich gerade Mittelständler nicht selten scheuen, externe Expertisen anzunehmen. Man will sich nicht hereinreden lassen. Man hält die externe Beratung für zu teuer. Es gibt da einen bunten Strauß an Vorurteilen.

Das ist genau die Stelle, an der unserer Ansicht nach die Wirtschaftsförderung intensiver werden sollte. Herr Minister, genau dazu wäre die Neuaufstellung der Hessen-Agentur notwendig, die Sie in Ihrer Rede zwar kurz berührt haben. Sie haben das aber leider erneut ohne echte Konkretisierung getan. Nach einer langen Phase der Ankündigung dieser Neustrukturierung haben Sie uns heute ein paar Bruchstücke der Entscheidungen serviert, die offensichtlich hinsichtlich der Neustrukturierung der Hessen-Agentur anstehen.

Auf eine systematische Präsentation, wie diese Neustrukturierung aussehen soll, warten wir nach wie vor.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Michael Siebel (SPD) und Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Gleichzeitig können wir über die hessische Exportwirtschaft nicht sprechen, ohne einzuräumen, dass Hessen wirtschaftlich signifikant anders als die Bundesrepublik insgesamt aufgestellt ist. Deshalb ist es jenseits der Feststellung, dass Deutschland derzeit erfreuliche Exporterfolge zu verzeichnen hat, wichtig, genau auf die Verhältnisse in Hessen zu schauen.

Da die Wirtschaftsstruktur in Hessen erheblich vom deutschen Durchschnitt abweicht, ist auch die Art der hessischen Exporte besonders. Während in Deutschland insgesamt rund 27 % der Wertschöpfung aus Industrie und Bauwirtschaft stammen, sind es in Hessen nur rund 22 %. Aus der Finanzierung, Vermietung und unternehmensnahen Dienstleistungen hingegen stammen in Deutschland 31 Prozent der Wertschöpfung, in Hessen sogar 39 Prozent – immer bezogen auf die Zahlen aus 2009.

Hessen hat – das ist wahrlich keine neue Erkenntnis – einen vergleichsweise großen Dienstleistungs-, insbesondere Finanzsektor. Der spielt bei uns eine größere Rolle als anderswo in Deutschland.

Ich hatte schon gesagt, dass Ausfuhren der Industrie in Autos, Maschinen und Chemieprodukten usw. sofort leicht anschaulich werden. Die Chancen, aber auch die Risiken sind hoch. Sie hängen an der Weltwirtschaft. Sie hängen nach wie vor zu einem guten Teil an dem Wohlergehen der USA und zunehmend – das ist völlig unstrittig – am Wohlergehen Chinas und anderer Schwellenländer.

Das weiß Baden-Württemberg. Das müssen wir in Hessen noch stärker zur Kenntnis nehmen. Dass die Exportquoten unserer Industrieunternehmen zum Teil noch über den Exportquoten im Bundesdurchschnitt liegen, trägt einen besonderen Teil dazu bei. Viel weniger greifbar als diese Ausfuhren von Industrieprodukten sind die Auslandsverflechtungen der Banken, der Börse und der Fondsgesellschaften am Finanzplatz Frankfurt.

Dass insbesondere die Finanzmärkte weltweit verknüpft sind und dass diese Entwicklung unumkehrbar ist, das haben wir fast alle akzeptiert. Dass die weltweite Vernetzung der Finanzmärkte aber auch mit ganz erheblichen Risiken verbunden ist, das hat gerade Hessen schmerzlich erfahren müssen. Die Bankenkrise, insbesondere die weltweite Finanzkrise nach der Lehmann-Insolvenz im Jahre 2008 haben durchaus auch in Hessen deutliche Spuren hinterlassen.

Von den drei großen privaten Banken mit Sitz in Frankfurt ist im Grunde lediglich die Deutsche Bank mehr oder minder unversehrt bestehen geblieben. Wir können uns glücklich schätzen, dass die Helaba dank ihrer konservativen Geschäftspolitik nicht in den Sog manch anderer Landesbank geraten ist.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Deshalb ist es einfach richtig, dass die von Präsident Obama eingesetzte Kommission zur Erforschung der Ursachen der Finanzkrise unmissverständlich festgestellt hat – ich zitiere –, „es waren nicht Mutter Natur oder durchgeknallte Computermodelle“, nein, es war die jahrelange Deregulierung der Finanzmärkte auf Teufel komm raus. Es waren Gier, Missmanagement und Tatenlosigkeit, die in diese Krise geführt haben.

Es war gerade diese blinde Marktgläubigkeit, die wesentlichen Anteil daran hat, dass die Welt nach der Lehmannpleite wirtschaftlich in Schieflage geriet, und zwar so sehr in Schieflage, dass ein einmaliger Vorgang eingetreten ist, dass sich nämlich Kanzlerin und Finanzminister gezwungen sahen, an einem – ich meine – Sonntag eine öffentliche Garantieerklärung für die Spareinlagen abzugeben.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

So richtig es war, dass die Politik auf die weltweite Krise mit kurzfristigen Konjunkturprogrammen, staatlichen Garantien und Bürgschaften reagiert hat – der zweite Schritt, sinnvolle Leitplanken und verlässliche Regularien für den weltweiten Finanzmarkt einzuführen, ist noch lange nicht abgeschlossen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Minister, wenn Sie auf nationaler und internationaler Ebene gerade für die hessische Wirtschaft etwas erreichen wollen, dann packen Sie bitte auch an dieser Stelle beherzt zu. Setzen Sie sich dafür ein, dass es kein Finanzinstitut und kein Finanzprodukt mehr gibt, das ohne rechtlichen Rahmen und staatliche Aufsicht bleibt. Sorgen Sie dafür, dass der Konsument die Risiken kennt, die in den ihm angebotenen Finanzprodukten enthalten sind. Es wäre eine dringend gebotene Maßnahme im Interesse der Bürgerinnen und Bürger, aber auch im Interesse der hessischen Finanzdienstleistungsbranche.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

– Herr Dr. Arnold, dass das im Zusammenhang zur Außenwirtschaft steht, werden Sie am Ende der Gedankenführung nicht bestreiten.

(Zuruf des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Gegenruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Ich will mich deshalb auch unserer Verantwortung für den dringend nötigen Umbau der Industriegesellschaft widmen. Auch das steht in einem Zusammenhang mit der hessischen Außenwirtschaft. Jedem ist mittlerweile klar, dass wirkliche Massenmobilität in den Ländern, die z. B. der Minister genannt hat, Brasilien, China, Indien, heute nicht mehr mit der Effizienz eines VW Käfers zu erreichen ist. Es muss aber auch jedem klar sein, das würde auch mit der Effizienz eines heutigen VW Golf nicht gelingen.

Natürlich haben Brasilianer, Chinesinnen oder Inder den gleichen Anspruch auf komfortable Fortbewegung, wie wir in den Industriestaaten. Um diesen Anspruch zukunftsfähig umzusetzen, bedarf es einer neuen Vernetzung der Verkehrsträger. Es bedarf neuer energieeffizienter Fahrzeuge. Es bedarf eines umfassenden Einsatzes moderner Informationstechnologien. Wer hier auf dem heimischen Markt mutig vorangeht und beispielhaft Lösungen umsetzt, der gewinnt mittelfristig – das ist unsere feste Überzeugung – auch auf den Weltmärkten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer diesen Weg beschreitet, der muss zunächst Widerstände überwinden. Er wird den Märkten aber auch voraus sein. Wer im Verkehrssektor, in der Energiewirtschaft, in Chemie und Landwirtschaft früh umsteuert, wer auf die Herausforderungen des globalen Klimawandels und der Ressourcenknappheit rechtzeitig reagiert, der sorgt auch dafür, dass er wenige Jahre später weltweit effiziente Fahrzeuge, effiziente Maschinen, Heizungen oder z. B. Wärmedämmung verkaufen kann. Wenn wir es nicht tun, dann verkaufen es eben andere. Deshalb kommen moderne Hybridautos aus Japan.

Zielführender als die Erklärung zur Außenwirtschaft wäre deshalb, auch Sie von CDU und FDP würden sich der notwendigen Weiterentwicklung der Industriegesellschaft nicht länger verschließen, statt am Althergebrachten festzuhalten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Lösen Sie sich an dieser Stelle von Ihren Reflexen. Genau solche Unternehmen, die in ihren Produkten Effizienz und Leistungsfähigkeit verbinden, sind es doch, die für qualitatives Wachstum sorgen – beim Export, bei der Wertschöpfung und auch bei den Arbeitsplätzen. Wer im Geschäft bleiben will, der muss den Märkten voraus sein. Der muss ökologische Notwendigkeit und ökonomische Vernunft zusammenführen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer den Märkten voraus ist, der setzt übrigens auch Milliardeninvestitionen im Inland frei. Dies erhöht hier die Stabilität von Wirtschaft und Beschäftigung, fördert beispielsweise das Handwerk und kleinere Dienstleistungsbetriebe oder auch eine verbrauchernahe Landwirtschaft, wie sie gerade angesichts der stetig wiederkehrenden Lebensmittelskandale immer mehr Bürgerinnen und Bürger wollen.

Wenn wir diese Situation der globalen Klima-, Finanz- und Gerechtigkeitskrise nicht auch, wie es Präsident Obama so treffend ausgedrückt hat, als Sputnikmoment begreifen und grundsätzliche Änderungen angehen, dann haben wir nichts, aber auch gar nichts aus dieser Krise gelernt. Deshalb heißt, über die hessischen Exporterfolge zu reden, auch, den Blick auf die Verantwortung für den Rest der Welt nicht zu verlieren. Ein globales nachhaltiges Wirtschaftssystem zu ermöglichen, heißt auch, die soziale Spaltung zwischen Nord und Süd zu überwinden. Gemeinsam handeln beispielsweise beim Klimaschutz gibt es nur unter der Voraussetzung gerechter Bedingungen.

Die hessische Wirtschaftspolitik trägt ihren Anteil an der Verantwortung für die weltweite Entwicklung. Deshalb begrüßen wir, dass Union und FDP diesen Aspekt in ihrem Antrag aufgreifen. Gegen die von Ihnen benannten Ziele ist nichts einzuwenden. Die Förderung der Privatwirtschaft, von Beschäftigung und Qualifizierung tragen unzweifelhaft zur wirtschaftlichen Entwicklung in den Schwellenländern bei. Allerdings ignorieren Sie andere, aus unserer Sicht ebenso wichtige Entwicklungsziele.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Zum einen bleibt das Wirtschaftswachstum vieler Schwellenländer ohne eine angemessene Verteilung des Wohlstandes auf alle Bevölkerungsschichten unbefriedigend und wenig stabil. Die aktuellen Vorgänge in Nordafrika legen davon täglich beredt Zeugnis ab.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Zum anderen sollten wir unsere Außenwirtschaft nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ z. B. mit ethischen Maßstäben messen. Welche Güter exportieren wir eigentlich? Sind das in erster Linie Luxusgüter für eine kleine Oberschicht oder z. B. Rüstungsgüter? Oder liefern wir, wenn man das andere Ende der Skala betrachtet, Investitionsgüter, die dazu dienen, vor Ort eine nachhaltige Produktion und Wertschöpfung aufzubauen?

Ähnliche Fragen können wir genauso beim Import stellen. Unter welchen ökologischen und sozialen Bedingungen werden eigentlich die Güter erzeugt, die bei unseren Discountern in den Regalen stehen? Wie gestalten hessische Unternehmen, die in Entwicklungs- und Schwellenländern tätig sind, die dortigen Arbeitsbedingungen? Wie gehen sie mit den Arbeitnehmervertretungen um? – Darüber müssen wir genauso nachdenken, wenn es um die öffentliche Beschaffung geht, denn der Staat hat hier eine Vorbildfunktion.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Wir GRÜNE halten es deshalb für notwendig – Ihre Regierungserklärung hat das noch einmal bestätigt –, dass es eine von der Außenwirtschaft losgelöste eigenständige Entwicklungszusammenarbeit gibt.

In den ärmsten Entwicklungsländern ist es absolut vordringlich, die Grundbedürfnisse zu befriedigen. Dazu haben die Vereinten Nationen in den bereits angesprochenen Millenniumszielen unter anderem verankert, dass Armut und Hunger in der Welt bis 2015 halbiert werden sollen. Wenn wir dabei helfen wollen – dazu sind wir gerade aufgrund unserer Wirtschaftsweise der vergangenen Jahrzehnte verpflichtet –, dann treten unsere vordergründigen und kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen in den Hintergrund. Ein entsprechender Antrag von den GRÜNEN und von der SPD zu den Millenniumszielen wird derzeit vom Sozialpolitischen Ausschuss beraten.

In diesem Sektor sehen wir leider erhebliche Lücken in Ihrem Antrag. Die Schwellen- und Entwicklungsländer sind eben nicht nur potenzielle Absatzmärkte. Wenn wir die Verantwortung Hessens für die Welt ernst nehmen, müssen wir sie als Partner auf Augenhöhe respektieren. Wir müssen die Bedingungen eines wirklich fairen Welthandels akzeptieren und die Agenda der wechselseitigen Verantwortung von reichen und armen Staaten endlich ernst nehmen. Es würde unserem Bundesland gut anstehen, hierbei mit gutem Beispiel voranzugehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Lassen Sie mich abschließend auf die Frage der einseitigen Exportorientierung zurückkommen. Es gibt zwei Glaubenssätze, die in der außenwirtschaftlichen Diskussion der vergangenen Jahrzehnte wie in Beton gegossen waren.

Erstens. Das Wohlergehen der Wirtschaft hängt von der Laune und der Kaufkraft der amerikanischen Konsumenten ab. Geht es dem amerikanischen Konsumenten gut, wächst demzufolge die amerikanische Wirtschaft und damit auch die Weltwirtschaft.

Zweitens. Das Wohlergehen der deutschen Wirtschaft hängt vom Export und der Weltwirtschaft ab; denn die Binnennachfrage des deutschen Konsumenten ist und bleibt schwach. Das ist eine Rhetorik, von der wir heute auch schon gehört haben.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Die erste Überzeugung wird inzwischen zu Recht modifiziert. Auch die Regierungsfraktionen thematisieren in der Begründung ihres Antrags, dass neben den USA inzwischen Länder wie China, Indien, Russland und Brasilien ein Viertel der globalen Wirtschaftsleistung repräsentieren.

Die zweite Überzeugung – Sie haben es vorhin noch einmal bestätigt, Herr Dr. Arnold – bleibt jedoch augenscheinlich bestehen. In der Begründung Ihres Antrags ist hierzu zu lesen:

Prognosen für Deutschland zeigen, dass auf absehbare Zeit über eine stärkere Binnennachfrage allein kein wirklicher Wachstumsschub ausgelöst werden kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Exportabhängigkeit der deutschen Wirtschaft ist ausweislich aller Zahlen tatsächlich hoch. Allerdings ist es auch kein Geheimnis, dass die Weltwirtschaft keine Einbahnstraße ist. Weltweit betrachtet entspricht der Wert aller Exporte dem Wert aller Importe. Das heißt, Überschussländern wie Deutschland müssen Defizitländer wie z. B. die USA gegenüberstehen. Wir sollten allerdings gelernt haben, wie fahrlässig es ist, unsere wirtschaftliche Dynamik darauf aufzubauen, dass sich Millionen Konsumenten in den USA oder anderswo verschulden. Irgendwann bricht die Schuldenfinanzierung der amerikanischen Handelsdefizite ab. Die USA werden irgendwann ihre Defizite abbauen. Wenn sie ihre Schulden tilgen, dann werden sie ihre Defizite möglicherweise sogar in Überschüsse verwandeln.

Temporäre Defizite oder Überschüsse sind unproblematisch. Die simple Arithmetik zeigt aber auch: Mit dauerhaften Defiziten oder Überschüssen zu rechnen, ist gefährlich. Damit werden die Lehren der gerade erst überwunden geglaubten globalen Wirtschafts- und Finanzkrise bewusst ignoriert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hinzu kommt, dass Unternehmen, die ihre Produkte erfolgreich exportieren wollen, ihre Produkte zunächst einmal in einem anspruchsvollen Heimatmarkt erproben und dort erfolgreich durchsetzen können müssen. In diesem Zusammenhang schafft der europäische Binnenmarkt als unser Heimatmarkt unbestritten eine hervorragende Basis für Exporterfolge auf globalen Märkten.

Darüber hinaus ist in Deutschland ein erheblicher Nachholbedarf insbesondere im Dienstleistungssektor – ich nenne die Stichworte Gesundheit, Pflege, Kinderbetreuung usw. – entstanden, ein Nachholbedarf, der in Zukunft überwiegend von heimischen Unternehmen und Arbeitskräften befriedigt werden muss.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Es zeichnet sich bereits jetzt ab, dass z. B. die Exportindustrie und das Gesundheits- und Bildungswesen verstärkt um Fachkräfte konkurrieren werden müssen. Das ist ein Problem, das Sie wegignorieren wollen, wie Ihr Umgang mit unserem Antrag zum Fachkräftemangel in den vergangenen Wochen zeigt.

Schließlich stehen wir vor Milliardeninvestitionen, um den dringend notwendigen Umbau der Industriegesellschaft hin zur Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit voranzutreiben. Die Energieerzeugung wird erneuert. Dazu müssen unter anderem die Stromnetze umgebaut werden. Auch in privaten und öffentlichen Gebäuden ist der Modernisierungsstau keinesfalls aufgelöst. Der Umbau von Heizanlagen und die Wärmedämmung werden auf Jahrzehnte für Milliardenumsätze sorgen.

Der Ausbau des öffentlichen Verkehrs und der Elektromobilität erfordern eine Vielzahl von Investitionen sowohl vom Staat als auch von der Privatwirtschaft.

All diese Technologien werden wir dann auch weltweit vermarkten, allerdings nur dann, wenn wir sie zunächst bei uns zu Hause erfolgreich und mutig eingeführt haben. Dabei trägt das funktionierende Beispiel hierzulande möglicherweise mehr zur Exportförderung bei als eine weitere vom Ministerium oder der Hessen-Agentur organisierte Auslandsreise.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Auch deshalb lassen Sie uns nicht den Fehler begehen, beim Blick auf die deutschen oder meinetwegen auch auf die hessischen Exportzahlen vor lauter Eurozeichen in den Augen die langfristige Entwicklung zu vernachlässigen. So wenig wie die USA dürfen wir die Finanz- und Wirtschaftskrise abschütteln und für einen schlechten Traum halten.

Herr Minister, Ihre Regierungserklärung war vermutlich so etwas wie Ihre Grußadresse von Wiesbaden nach Davos, wohin Sie offenbar überraschend erneut nicht eingeladen worden sind.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Passenderweise haben Sie sich genau bei denjenigen eingereiht, von denen gestern in der „FAZ“ Folgendes zu lesen war:

Deutsche Politiker räumen in vertrauter Runde schon einmal ein, dass weder der politische Betrieb noch die Öffentlichkeit die nötige Aufnahmefähigkeit zeigen, fundamentale Veränderungen zu diskutieren und Gewissheiten infrage zu stellen. Daher rühmen sie in Davos auch lieber die scheinbar wiedergekehrte Stärke der deutschen Wirtschaft,

– das haben wir heute mehrfach hier gehört –

als sich mit dem chinesischen Weltwährungsfondsmanager Tsu Min auseinanderzusetzen, der am selben Ort das mittelfristige Ende des westlichen Wohlstandes voraussagte.

Meine Damen und Herren, diesen Geist atmen leider auch Regierungserklärung und Antrag. Wir GRÜNE glauben, wir müssen so mutig sein, diese grundsätzlichen tiefer gehenden Fragestellungen anzupacken und Glaubenssätze zu hinterfragen, wenn wir nicht von der weltwirtschaftlichen Entwicklung überrollt werden wollen. Herr Minister, Außenwirtschaft bedeutet nämlich neben wirtschaftlichem Erfolg hessischer Unternehmen und neben der Sicherung von Arbeitsplätzen auch Verantwortung. Ihre Wettlaufrhetorik vom Überholen und vom Abdrängen ließ dies bei allen Gemeinsamkeiten leider allzu sehr in den Hintergrund treten. – Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Beifall des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Vizepräsident Lothar Quanz:

Danke sehr, Herr Klose.

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