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19.05.2011

Kai Klose: In die Zukunft investieren – erneuerbare Energien und Stromnetze ausbauen

Herr Präsident, vielen Dank. – Meine Damen und Herren! Auch bei einem schnellen Ausbau der Nutzung der erneuerbaren Energien sind leistungsfähige und intelligente Stromnetze unverzichtbar. Wir GRÜNE wollen deshalb den Ausbau und die Modernisierung der Stromnetze in Deutschland. Uns geht es dabei nicht um das Ob, sondern nur noch um das Wie. Das haben wir als Partei Anfang April 2011 in Kassel noch einmal einstimmig beschlossen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bis letzte Woche dachte ich ernsthaft, dass der Ministerpräsident genau für diese jetzt notwendige Diskussion eine entsprechende Arbeitsgruppe des Energiegipfels eingesetzt hat, die den Aus- und Umbau der Energieinfrastruktur problemlösungsorientiert diskutieren soll. Inzwischen haben sich da leider Zweifel eingestellt. Denn unmittelbar bevor wir uns überhaupt das erste Mal in der entsprechenden Unterarbeitsgruppe zu dem Thema trafen, haben CDU und FDP den Antrag, Drucks. 18/4032, vorgelegt, der eben schon Gegenstand der Debatte war. Der wirft nun mehrfach die Frage auf: Wie ernst eigentlich dürfen all diejenigen, die sich dort konstruktiv einbringen – das sind bei weitem nicht nur die Abgeordneten, sondern auch Vertreterinnen und Vertreter der Verbände, Institutionen und Unternehmen –, die Diskussion in den Arbeitsgruppen des Energiegipfels nehmen, wenn Sie hier mit Ihrem Antrag qua Landtagsbeschluss die Ergebnisse schon vorwegnehmen wollen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Willi van Ooyen und Janine Wissler (DIE LINKE))

Wie ernst nehmen Sie selbst die Arbeit in diesen Gruppen? – Ich will Beispiele nennen.

Erstes Beispiel. Der Landtag soll mit Ihrem Antrag beschließen, dass die dena-Netzstudie II eine geeignete Grundlage für den Ausbau der Stromnetze sei. Dabei war in der Diskussion in der entsprechenden Unterarbeitsgruppe bisher unwidersprochen, dass die Grundlagen, auf denen die dena-Netzstudie II aufsetzt, aus den unterschiedlichsten Gründen inzwischen überholt sind und es eine neue Netzbedarfsstudie braucht, die die neuen Voraussetzungen, vor allem auch den beschleunigten Ausbau der Nutzung der erneuerbaren Energien, auch berücksichtigt. Die dena-Netzstudie II tut das so nicht, einmal abgesehen von den Vorbehalten, die es aufgrund der Intransparenz gibt, unter denen sie erstellt wurden.

Zweites Beispiel. Der Landtag soll mit Ihrem Antrag beschließen, dass es die „mangelnde gesellschaftliche Akzeptanz“ und das „Umwelt- und Naturschutzrecht“ seien, die den Ausbau der Stromnetze wesentlich behindern. Da frage ich Sie: Können Sie das eigentlich irgendwie mit Beispielen belegen?

Ich rate Ihnen, dazu einmal einen Blick in den Monitoringbericht 2010 der Bundesnetzagentur zum Netzausbau zu werfen. Da gibt es eine schöne Übersicht. Von den 24 dort untersuchten Vorhaben des sogenannten vordringlichen Bedarfs sind es ganze drei – drei Stück –, die aufgrund mangelnder Akzeptanz in der Bevölkerung Verzögerungen aufweisen.

Die Aussage des hessischen Umweltministeriums in unserer Unterarbeitsgruppe war auch sehr deutlich: In Hessen ist kein solcher Fall bekannt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hören Sie also endlich damit auf, sich ständig hinter diesen konstruierten Widerständen vor Ort zu verstecken, und fangen Sie an, mit uns daran zu arbeiten, die Akzeptanz der notwendigen Maßnahmen vor Ort zu erhöhen. Denn das ist doch der Schlüssel.

Sich darüber Gedanken zu machen, das muss unsere Aufgabe sein, wenn wir uns alle im Ziel einig sind. Herr Lenders, so habe ich Sie eben verstanden.

Drittes Beispiel. Sie wollen mit Ihrem Antrag auch erreichen, dass der Landtag beschließt, dass das Raumordnungsverfahren unter bestimmten Bedingungen künftig entbehrlich sein soll. Da muss ich Sie fragen: Wozu sitzen wir eigentlich in dieser Arbeitsgruppe des Energiegipfels zusammen, um darüber nachzudenken, welche Konsequenzen hinsichtlich der Änderung des Planungsrechtes zu ziehen sind, wenn Sie das Ergebnis jetzt schon kennen?

Angesichts dieser Beispiele kann es Sie doch nicht ernsthaft überraschen, dass wir einen solchen Antrag in dieser Phase der Debatte kaum anders als eine unnötige Provokation auffassen können. Ich habe Ihre Angebote eben sehr wohl zur Kenntnis genommen. Wir werden uns an der weiteren Beratung auch konstruktiv beteiligen.

Wir haben Ihnen mit unserem Dringlichen Antrag eine Alternative vorgelegt. Er kann an einigen Stellen ergänzen. Er bietet aber auch die Chance, die Debatte des Energiegipfels zu begleiten und nimmt die Ergebnisse nicht vorweg.

Meine Damen und Herren, Sie wollen über die Akzeptanz reden. Dann reden wir darüber, wie wir die Akzeptanz erhöhen können.

Die Voraussetzungen für die Akzeptanz sind Transparenz und Bürgerbeteiligung. Transparenz und Bürgerbeteiligung sind gerade keine Hemmschuhe für eine Entwicklung. Das Gegenteil ist sogar der Fall. Es sind die Intransparenz, die mangelnden Informationen und die daraus resultierende Verunsicherung, die erst den Raum für Vorurteile und Ängste schaffen.

Das lässt sich übrigens gerade an der Trasse Wahle – Mecklar belegen, die auch durch Nordhessen verlaufen wird. Die Universität Magdeburg hat genau an diesem Beispiel untersucht, welche Bedingungen bei der Bevölkerung vor Ort dazu beitragen können, die Akzeptanz der Trasse zu erhöhen. Die erste Feststellung der Studie lautet: Eine grundsätzliche Ablehnung des Netzausbaus ist nicht messbar. Das Gegenteil ist sogar der Fall. Die Notwendigkeit wird von der Bevölkerung, die davon betroffen ist, überwiegend anerkannt.

Die zweite Feststellung der Studie lautet: Hilfreiche Aspekte zur Steigerung der Akzeptanz sind beispielsweise die Bündelung der Trassen – und damit auch die Verlegung alter Trassen aus den Siedlungsgebieten heraus – und die stärkere Nutzung der Erdverkabelung, jedenfalls in Siedlungsnähe.

Jetzt sind wir uns sicherlich darin einig, dass die Erdverkabelung nicht überall verwirklicht werden kann. Den Eindruck sollte auch niemand erwecken.

(Zuruf des Ministers Dieter Posch)

– Wir erwecken ihn nicht. Herr Posch, ich weiß nicht, wer ihn erweckt.

(Zuruf von der FDP)

Sie können dazu gleich noch etwas sagen. – Da, wo es ökonomisch und ökologisch vertretbar ist, können die Erdverkabelung und die Trassenbündelung einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die Akzeptanz zu steigern. Wir reden über die Kriterien, die die Akzeptanz steigern können.

Ich komme zur dritten Feststellung der Studie. Für die Bürgerinnen und Bürger kommt es entscheidend darauf an, welcher Strom durch die entsprechenden Leitungen transportiert wird. Zwei Drittel der Befragten unterstützen den Netzausbau, wenn er dem verstärkten Transport des Stroms aus Wind- und Solarenergie dient.

Diese Bemerkung muss ich auch noch machen. Da hat der Ministerpräsident mit seinem Auftritt gestern keinen hilfreichen Beitrag geleistet. Denn nicht nur uns, die Mitglieder der Opposition, sondern auch diese Menschen trifft er doch mit seiner gestern gemachten fahrlässigen Bemerkung von dem naiven Glauben an die Nutzung der erneuerbaren Energien. Damit hat er der Steigerung der Akzeptanz einen Bärendienst erwiesen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Lothar Quanz (SPD))

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich sage es noch einmal: Eine schnelle Planung zum Ausbau der Stromnetze ist unbedingt notwendig. Deshalb ist es richtig, dass die Bundesnetzagentur im Sommer beginnen wird, einen Zehnjahresplan für Stromnetze zu erarbeiten. Aber Akzeptanz kann dieser Plan nur erreichen, wenn er transparent und demokratisch erstellt wird. Damit das auch wirklich möglich ist, müssen die Netzdaten und die Lastflüsse öffentlich zugänglich gemacht und durch eine unabhängige Fachbehörde bewertet werden. Es ist doch nur logisch, dass die Menschen vor Ort an den Zahlen zweifeln, solange diese Daten nicht von neutraler Stelle bewertet werden und die Bundesregierung und die Bundesnetzagentur ausschließlich auf das angewiesen sind, was ihnen die Betreiber zur Verfügung stellen.

Keine der Bürgerinitiativen lehnt den Bau neuer Höchstspannungsleitungen in ihrer Heimat grundsätzlich ab. Die Menschen wollen aber bei der Ausgestaltung mitreden. Sie wollen den Netzausbau, ausgerichtet auf die Nutzung erneuerbarer Energien, auch akzeptieren.

Deshalb wäre es genau der falsche Schluss, darauf mit der Einschränkung der Beteiligungsrechte zu reagieren. Andersherum wird ein Schuh daraus. Der Weg muss sein, die Bürgerinnen und Bürger in einem ernst gemeinten Prozess des Dialogs schon vor dem eigentlichen Planungsverfahren einzubinden, um den Ausbau so zu beschleunigen. Herr Lenders, da bin ich bei Ihnen.

Dafür braucht es dann aber auch Spielraum für die Entscheidungen vor Ort. Dazu muss es beispielsweise möglich sein, dass die festzulegenden Trassenkorridore viel Flexibilität aufweisen. Auch das ist Gegenstand unserer Debatte in der Arbeitsgruppe des Energiegipfels.

Eines muss aber auch allen Beteiligten klar sein: Es geht nicht darum, vollständige Akzeptanz zu erreichen. Akzeptanz zu 100 % ist auch hier nicht erreichbar. Deshalb kann sie selbstverständlich nicht die Maxime unseres Handelns sein.

Wenn Sie ernsthaft an der Steigerung des Akzeptanzgrads interessiert sind, dann empfehle ich, nach den Erfahrungen in den Arbeitsgruppen des Energiegipfels, denen zuzuhören, die solche Zielkonflikte zwischen Klima-, Emissions-, Lärm-, Arten-, Natur- und Landschaftsschutz, Energiewende und Strompreisverträglichkeit vielleicht auch intern austragen müssen und über die entsprechenden Erfahrungen verfügen. Der BUND Hessen hat das z. B. aktiv angeboten. Nutzen Sie doch die Erkenntnisse und Schlussfolgerungen, die beispielsweise der maßgeblich von der Deutschen Umwelthilfe erarbeitete Plan N anbietet, um genau diese Akzeptanz zu erhöhen.

Lassen Sie uns in der Arbeitsgruppe des Energiegipfels weiter darum ringen, welchen Beitrag alle Beteiligten dort zum zügigen Aus- und Umbau der Stromnetze und zur Steigerung ihrer Akzeptanz leisten können. Wenn Sie die Arbeit dort ernst meinen, hören Sie doch auf, Widerstandsszenarien zu beschwören, die es so gar nicht gibt, weil Sie einmal wieder, diesmal im Windschatten der Energiedebatte, eine Gelegenheit wittern, Ihre Ladenhüter zur Einschränkung der Beteiligungsrechte ins Schaufenster zu stellen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Letzter Satz: Es ist aufwendiger, um Akzeptanz zu werben als mit einem Federstrich die Beteiligungsrechte einzuschränken. Aber es ist mittel- und langfristig – anders sollten wir in Energiefragen gar nicht denken – in jedem Fall aller Mühen wert. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Vielen Dank, Herr Kollege Klose.

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