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24.04.2013

Kai Klose: Hessische Chemie- und Pharmaindustrie hat strategische Bedeutung

Herr Präsident, meine Damen und Herren! In der Tat ist Hessen traditionell ein wichtiger Chemie- und Pharmastandort, und innerhalb der breit gefächerten hessischen Industrie sind Chemie- und Pharmaunternehmen als größte industrielle Arbeitgeber von besonderer strategischer Bedeutung. Herr Kollege Lenders hat die Zahlen bereits vorgetragen.

Die Bedeutung der Realwirtschaft hat in den letzten Jahren gerade unter dem Eindruck der Finanzkrise wieder zugenommen. Hinzu kommt, dass Umweltbelastung, Bevölkerungsexplosion, Ressourcenknappheit und Klimawandel Herausforderungen sind, für die in der Mitte der Gesellschaft inzwischen ein Bewusstsein entstanden ist; und die Verantwortung, die unserer bisherigen industriellen Produktionsweise für diese existenziellen Bedrohungen der Menschen zukommt, und damit die Einsicht, dass sie sich radikal verändern muss, ist grundsätzlich überall da. Nicht umsonst gilt die Umwelttechnik als Leitindustrie des 21. Jahrhunderts, und Hessens Chemie- und Pharmaindustrie ist mittendrin.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen die Innovationskraft der chemischen und pharmazeutischen Industrie, um zentrale gesellschaftliche Herausforderungen zu bewältigen. Die Chemie kann z. B. dabei helfen, Gebäude zu dämmen, Solarstrom zu erzeugen, saubere Autos zu bauen und die Materialeffizienz zu steigern. Wir stellen auch mit Befriedigung fest, dass die Ökologie für viele erfolgreiche Chemie- und Pharmaunternehmen längst zu einem zentralen betriebswirtschaftlichen Motiv geworden ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Branche hat auch aus Fehlern der Vergangenheit gelernt und die Sicherheit in den letzten Jahrzehnten zunehmend an die erste Stelle gesetzt. Die Kommunikation mit der Wohnbevölkerung und den Kommunen im Umfeld ihrer Standorte – wir wissen, in Hessen waren das früher durchaus erhebliche Probleme – wurden in den letzten Jahren stetiger, offener und transparenter gestaltet. Ich will hierfür bewusst Infraserv Höchst als positives Beispiel hervorheben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist ein Erfolg der Bürgerinnen und Bürger, die sich die Informationsverweigerungen nicht mehr länger haben gefallen lassen. Es ist aber auch ein Erfolg grüner Politik.

Gleichzeitig will ich nicht verschweigen, dass es natürlich auch weiterhin Konfliktfelder zwischen uns und der Chemie- und Pharmaindustrie gibt, beispielsweise bei den Zulassungsverfahren für neue Chemikalien oder Arzneistoffe, bei der Energiepolitik und der Agrogentechnik. Wir wollen, dass die Ressourceneffizienz der Branche weiter gesteigert wird. Die Chemieindustrie liegt beim Strom- und Erdgasverbrauch mit an der Spitze. Da sind ganz sicher noch Potenziale zu heben. Wir wollen auch eine weitere Steigerung der Chemikaliensicherheit. An diesen Beispielen sehen Sie: Wir sind und bleiben in einem kritischen Dialog, von dem wir aber beide profitieren.

Für uns ist elementar wichtig, Unternehmen besonders in den Fokus zu rücken, die in ihrer Produktion und ihren Produkten Ressourceneffizienz und Leistungsfähigkeit verbinden, sowie Unternehmen, die durch innovative Ideen dazu beitragen, die nötige Transformation hin zu einer schadstoffarmen Wirtschaftsweise zu beschleunigen. Es gibt gerade in der Chemieindustrie zahlreiche positive und erfolgreiche Beispiele, unter anderem dafür, wie wir vom Mineralöl als überwiegender stofflicher Produktgrundlage wegkommen können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weil ich mir schon dachte, dass es nach der Mittagspause erfahrungsgemäß besonders gut ist, ein bisschen anschaulicher zu werden, will ich das für Sie ganz konkret und ganz hessisch erlebbar machen. Deshalb habe ich Ihnen diesen schicken Kugelschreiber mitgebracht. Keine Angst, ich will Ihnen jetzt nicht weismachen, dass der Kugelschreiber an sich eine Ausgeburt von Innovation und Zukunftsfähigkeit ist.

(Zuruf des Abg. Stefan Müller (Heidenrod) (FDP))

An diesem Kugelschreiber sind nicht Form oder Funktion interessant, sondern es ist das Material, aus dem er besteht.

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Dieser Kugelschreiber besteht nämlich aus Stärke. Sie sagen, das sei jetzt noch nichts Besonderes. – Klar, denn wir GRÜNE haben schon lange Kugelschreiber aus Maisstärke, aber diese Stärke wurde weder konventionell noch z. B aus Biofasern gewonnen, sondern aus Kohlendioxid.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Frank Blechschmidt (FDP))

Das südhessische Unternehmen BRAIN hat Bakterien mithilfe weißer Biotechnologie nicht nur dazu gebracht, Kohlendioxid aus Abgasen herauszufiltern, sondern es noch dazu zu einem nutzbaren Werkstoff zu machen. So könnten wir zusätzlich also auch noch Plastik auf Mineralölbasis ersetzen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese wie ich finde geniale Erfindung hilft also gleichzeitig dem Klimaschutz und bei der Einsparung von Ressourcen. Deshalb steht dieser Kugelschreiber wirklich beispielhaft für die Innovationskraft gerade auch der kleineren und mittleren Unternehmen im Sektor Chemie und Pharma, die in Hessen tätig sind und die – wie Sie hier sehen – beim ökologischen Wandel der Wirtschaft ganz zentrale Beiträge leisten können.

Was wir als Land uns an dieser Stelle natürlich fragen müssen, ist: Was können wir dazu beitragen, dass das, was in Zwingenberg im Kleinen gelungen ist – manifestiert in diesem Kugelschreiber –, endlich im großen Maßstab zum Einsatz kommt? Das Know-how ist nämlich da. Wie können wir es soweit fördern, dass es auch im Großen eingesetzt wird?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will deshalb auch ausdrücklich sagen, dass wir die Forderung von CDU und FDP in ihrem Antrag teilen, die Forschung in kleinen und mittleren Unternehmen steuerlich zu fördern. Wir schlagen auch konkret vor, auf Bundesebene eine steuerliche Forschungsförderung für Unternehmen mit bis zu 250 Beschäftigten in diesem Bereich einzuführen. Das vorhandene Innovationspotenzial darf nicht im Keller verstauben, der Zugang zu Projektförderung für kleine und mittlere Unternehmen muss dringend erleichtert werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Darüber hinaus wollen wir auch die Netzwerkbildung im Bereich Chemie/Pharma weiter ausbauen und den Transfer zwischen unseren Hochschulen und der Wirtschaft erleichtern helfen.

Meine Damen und Herren, Pharmaunternehmen sind natürlich auch für uns ein Teil der hessischen Gesundheitswirtschaft. Diese wird – sowohl durch den medizinischen Fortschritt als auch durch den demografischen Wandel – eine der Schlüsselbranchen des 21. Jahrhunderts sein. In der Bündelung von Wirtschaftsförderungsaktivitäten in dieser Wertschöpfungs- und arbeitsintensiven Branche liegt gerade für Hessen – das nämlich neben dem Pharmabereich auch über namhafte Medizintechnikhersteller verfügt, Hochschulen mit bedeutenden medizinischen Fachbereichen hat und eben auch eine Vielzahl von Klinik- und Kurstandorten – eine große Chance.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unseres Erachtens greift Ihre im Februar vorgestellte Initiative Gesundheitsindustrie leider zu kurz. Sie wird leider – das haben Sie ja selbst eingeräumt – erste Ergebnisse frühestens im Herbst zeitigen.

Unterm Strich appelliere ich an Sie, Ihre Perspektive zu weiten. Denken Sie nicht nur – wie in Ihrem Antrag – in Standardfloskeln wie Bürokratieabbau und schlanken Genehmigungsverfahren, sondern bedenken und erkennen Sie die Chancen, die sich der hessischen Chemie- und Pharmaindustrie gerade auch bei der unausweichlichen Transformation unserer Wirtschafts- und Lebensweise hin zu mehr Ressourceneffizienz eröffnen, wie es Herr Dr. Zinke – Gründer und Geschäftsführer von BRAIN – formuliert hat. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Vielen Dank, Herr Kollege Klose.

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