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27.02.2013

Kai Klose: Handwerk in Hessen – Herausforderungen und Chancen

Verehrte Frau Vizepräsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das hessische Handwerk – das hat es uns anlässlich seiner jüngsten Betriebsumfrage selbst mitgeteilt – präsentiert sich in robuster Verfassung. 83 % der Betriebe betrachten ihre aktuelle Geschäftslage als gut oder befriedigend. Das sind gute Zahlen für die hessischen Handwerkerinnen und Handwerker sowie für die Handwerksbetriebe; denn sie sind das Rückgrat unserer Realwirtschaft.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gleichwohl wissen wir alle, dass die Einschätzung der Konjunktur raschen Wandlungen unterliegt. Um die umfangreiche Antwort der Hessischen Landesregierung auf die Große Anfrage zur Situation des Handwerks einordnen zu können, lohnt sich deshalb auch – über den hessischen Tellerrand hinaus – ein Blick auf die ökonomischen Rahmenbedingungen.

Da zeigt sich, dass die Gegensätze zwischen der Finanz- und der Realwirtschaft, zwischen dem Norden und dem Süden Europas sowie zwischen der Entwicklung unserer Exportmärkte und der Entwicklung des Binnenmarktes das wirtschaftspolitische Geschehen prägen und sich weiter verschärfen. Gerade was den letzten Punkt, nämlich den vermeintlichen Gegensatz zwischen Export und Binnenwirtschaft angeht, scheint sich inzwischen auch in Deutschland eine etwas ausgewogenere Beurteilung durchzusetzen, was wir GRÜNE begrüßen.

Wenn Sie deshalb in Ihrer Antwort darauf hinweisen, dass die Handwerksbetriebe sich ergebende Exportchancen ergreifen, sage ich: Das ist zwar richtig; richtig ist allerdings auch, dass die deutsche Volkswirtschaft deutliche Leistungsbilanzüberschüsse aufweist, während unsere europäischen Partnerländer Leistungsbilanzdefizite zu verzeichnen haben. Deshalb ist in der gegenwärtigen Wirtschaftslage gerade die Binnennachfrage von großer Bedeutung. Derzeit kann das Handwerk gerade hier seine Chancen nutzen, und das macht es auch.

Mit Blick auf die Weiterentwicklung des europäischen Arbeitsmarktes und den Fachkräfteaustausch innerhalb Europas begrüßen wir es ausdrücklich, wenn die Transparenz und die Vergleichbarkeit europäischer Bildungsabschlüsse weiter verbessert werden, wie Sie das in Ihrer Antwort ankündigen. Das Handwerk liefert nicht nur Waren und Dienstleistungen, sondern es stellt auch hervorragendes Personal bereit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im letzten Ausbildungsjahr wurden im hessischen Handwerk 10.500 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen. Ich möchte besonders hervorheben, dass nach wie vor über die Hälfte der Auszubildenden im Handwerk einen Hauptschulabschluss besitzt und dass der Anteil der Auszubildenden mit Migrationshintergrund im hessischen Handwerk 10 % beträgt und damit fast doppelt so hoch ist wie im Bundesdurchschnitt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Handwerk trägt mit seiner verlässlichen Ausbildungsleistung zur Kontinuität in der Berufsausbildung über alle Konjunkturzyklen hinweg bei. Dafür bedanken wir uns ausdrücklich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gleichzeitig können wir nicht darüber hinwegsehen, vor welchen Herausforderungen das hessische Handwerk steht. Der Umsatz des Handwerks lag 2011 unterhalb des Umsatzes um die Jahrtausendwende. Die Mitarbeiterzahl ist in demselben Zeitraum ebenfalls zurückgegangen. Auch das Handwerk unterliegt ganz offensichtlich einem Strukturwandel.

Während die Betriebszahlen im Bau- und Ausbaugewerbe seit 1999 gestiegen sind, nimmt die Zahl der Betriebe des Nahrungsmittelgewerbes deutlich ab. Hier schlägt sich der Trend zu einer weiteren Filialisierung, beispielsweise bei Bäckern und Metzgern, brutal nieder. Das kann man als Zeichen funktionierenden Wettbewerbs sehen; es deutet aber auch auf ein Problem hin.

Meine Damen und Herren, eine weitere Herausforderung, vor der das Handwerk steht – das geht aus Ihrer Antwort klar hervor –, ist die unzureichende Eigenkapitalausstattung vieler Handwerksunternehmen. Mehr als ein Drittel aller Unternehmen muss mit einem Eigenkapitalanteil von unter 10 % wirtschaften. Das zeigt zum einen, dass wie in der Gesamtgesellschaft offensichtlich auch im Handwerk die Vermögenswerte ungleich verteilt sind, und zum anderen, dass da ein Problem besteht; denn die Programme zur Mittelstandsförderung, die die Landesregierung in ihrer Antwort schildert, mögen zwar akute Kapitalengpässe lindern, ersetzen aber eine bessere Eigenkapitalausstattung nicht.

Die Zahl der Existenzgründungen im hessischen Handwerk nimmt dennoch tendenziell zu, vor allem bei den zulassungsfreien Handwerken, z. B. bei den Gebäudereinigern, den Fliesenlegern und Raumausstattern. Der Zusammenhang liegt auf der Hand. Ich finde es zumindest bemerkenswert – wir werden später sicherlich noch einmal darauf zurückkommen –, dass die Landesregierung in ihrer Antwort aus einer Studie zitiert, wonach kleine bis mittelgroße Handwerksbetriebe durch die Ausweitung von PPP-Vorhaben benachteiligt sind.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): So ist es!)

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns nach den Herausforderungen vor allem über die Chancen sprechen. Sie selbst betonen die Chancen der Energiewende für das Handwerk. Da kann ich Ihnen nur sagen: Willkommen in der Gegenwart.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Handwerk hat grünen Boden. Das ist seit vielen Jahren unsere Rede.

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Die dezentrale Energieversorgung durch erneuerbare Energien und energetische Gebäudesanierungen bringen den Klimaschutz voran und sichern den Beschäftigungsaufbau im Handwerk, vor allem in den kleinen, regional tätigen Unternehmen.

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Solange die Atomkraftwerke vor sich hin liefen, haben Sie die Potenziale im Handwerk, die durch den Umstieg auf erneuerbare Energien sowie durch Energieeinsparungen und Energieeffizienz entstehen, nicht die Spur interessiert.

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Im Gegenteil, Schwarz-Gelb – nicht nur im Bund, sondern auch unter tätiger Mithilfe der Hessischen Landesregierung – fügt Industrie und Handwerk durch das jahrelange Hin und Her großen Schaden zu. Der Ausbau der Windenergie und des Stromnetzes stocken, der Solarbranche werfen Sie gezielt Knüppel zwischen die Beine, und beim Thema Energieeinsparung und Energieeffizienz passiert viel zu wenig.

Die FDP will – wir haben es gestern erneut gehört – das Erneuerbare-Energien-Gesetz am liebsten abschaffen. Das ist ein Gesetz, das gerade dem Handwerk eine ungeheure konjunkturelle Dynamik beschert hat. Es abzuschaffen ist nicht nur falsch, sondern auch gefährlich, und deshalb ist es kein Wunder, dass nach einer Umfrage der „Deutschen Handwerks Zeitung“ 52 Prozent der Handwerksbetriebe meinen, die Regierung solle endlich klare Entscheidungen zur Energiewende treffen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie in den Ihnen verbleibenden Monaten noch etwas Positives zur Entwicklung des Handwerks beitragen wollen, hören Sie auf, am EEG zu zündeln. Bewegen Sie Ihren Bundeswirtschaftsminister endlich dazu, seine Hausaufgaben zu machen, und lösen Sie die Bremsklötze, die Schwarz-Gelb – niemand sonst – dem Handwerk in Hessen und im Bund angelegt hat. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Ursula Hammann:

Vielen Dank, Herr Kollege Klose.

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