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21.03.2013

Kai Klose: Gesetz zur Gewährleistung von Tariftreue, Mindestentgelt und fairem Wettbewerb bei öffentlichen Auftragsvergaben

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Thema öffentliche Auftragsvergaben begleitet uns während der ganzen zu Ende gehenden Legislaturperiode. Das Gesetz, das CDU und FDP heute beschließen wollen, wird das, fürchte ich, leider nicht ändern, denn Sie haben eineinhalb Jahre an einem Gesetz gestrickt, das letztlich ein zahnloser Tiger ist, und zwar deshalb, weil Sie nicht verstanden haben, dass das Vergaberecht nicht in erster Linie dazu da ist, es den Beschaffern – dem Land, seinen Behörden oder den Kommunen – besonders leicht zu machen oder die regionale Wirtschaft besonders zu fördern, sondern zuvorderst die Aufgabe hat, Transparenz und fairen Wettbewerb zu gewährleisten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Prof. Ronellenfitsch hat Ihnen das in der Anhörung überdeutlich gesagt, dass es darum gehe, eine öffentliche Aufgabe im Interesse aller Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zu erfüllen – wirtschaftlich, aber zugleich unter fairen Rahmenbedingungen. Deshalb ist es völlig legitim, dass weitere Kriterien aufgestellt werden, z. B. Tariftreue sowie ökologische oder soziale Kriterien, die das öffentliche Wohl konkretisieren. Auch das hat Ihnen Prof. Ronellenfitsch in der Anhörung ins Stammbuch geschrieben. Sie selbst machen das im Übrigen in der Definition des Mittelstands, die Sie dem Gesetzentwurf voranstellen.

Damit sind wir direkt bei den erhöhten Vergabegrenzen. Es wird Sie nicht wundern, dass ich dieses Thema hier besonders anspreche.

Sie wollen diese auf dem hohen Niveau der Konjunkturprogramme halten, und Sie haben den Schwellenwert für freihändige Vergaben auf 100.000 Euro verzehnfacht. Dort soll er jetzt bleiben.

Damit machen Sie die öffentliche Ausschreibung faktisch von der Regel zur Ausnahme. Gerade nach den Erfahrungen, die in Hessen gemacht wurden – Stichworte: HZD und die Autalhalle in Niedernhausen, wo Ihnen nachgewiesen wurde, dass gerade im Windschatten dieser erhöhten Schwellenwerte Aufträge in Millionenhöhe rechtswidrig vergeben wurden –, ist das ein völlig abwegiger Vorgang.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schauen wir uns abgesehen davon einmal an, was die Praktiker sagen, also diejenigen, denen das angeblich nutzt. Herr Weimar hat als Finanzminister bei der Verabschiedung der Konjunkturprogramme versprochen, es werde eine seriöse Evaluation der Erfahrungen mit den erhöhten Wertgrenzen geben. Das Wirtschaftsministerium hat uns nach mehrfacher Nachfrage endlich etwas vorgelegt, was zusammengefasst so lautete: Die meisten Befragten haben die Erfahrungen mit den erhöhten Vergabegrenzen mit „sehr gut“ bewertet. – Es ist also alles bestens.

Ich habe den begründeten Verdacht, dass Finanzminister a. D. Weimar mit einer seriösen Evaluation damals etwas anderes gemeint hat. Herr Weimar, ich empfehle Ihnen diese Papiere des Wirtschaftsministeriums zur vertieften Lektüre.

Bei dieser Evaluation wurde nämlich unterschlagen, dass all die Praktiker aus dem Hessischen Competence Center, dem Hessischen Baumanagement und der Hessischen Zentrale für Datenverarbeitung – das sind die großen Beschaffungsstellen des Landes – die Erfahrungen mit den erhöhten Vergabegrenzen für beschränkte Vergaben als „nicht gut“ bewertet haben. „Nicht gut“ war die schlechteste der drei angebotenen Kategorien. Diejenigen, die für das Land Hessen die meisten Waren und Dienstleistungen beschaffen, sagen also, die erhöhten Vergabegrenzen hätten sich in der Praxis nicht bewährt.

Vollends lächerlich wird es, wenn man sich vor Augen führt, dass z. B. das Hessische Ministerium des Innern und für Sport in dieser Evaluation zwar bescheinigt, sehr gute Erfahrungen mit den erhöhten Vergabegrenzen gemacht zu haben, es sich aber bei einer Nachfrage herausstellt, dass dieses Ministerium im Betrachtungszeitraum genau null Aufträge vergeben hat. Ihnen müssen wirklich alle Argumente fehlen, wenn Sie solche Taschenspielertricks nötig haben.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch der Bundesrechnungshof hat die erhöhten Vergabegrenzen evaluiert. Es waren 16.000 Vergabeverfahren an der Zahl. Er kommt zu folgendem Schluss – ich darf zitieren –:

Die Dauer der Verfahren wurde nicht verkürzt. Der Wettbewerb wurde deutlich eingeschränkt. Der Einkauf von Leistungen wurde zum Nachteil der Auftraggeber beeinträchtigt. Zusammengefasst: Die Zunahme nicht öffentlicher Vergabeverfahren erhöht die Korruptions- und Manipulationsrisiken.

Ähnlich der Deutsche Industrie- und Handelskammertag, wenn er dafür plädiert, die Wertgrenzen zurückzuführen; denn sie hätten „zu Kirchturmpolitik, Preissteigerungen und einer schlechteren Korruptionsprävention geführt“.

Sie tun gerade so, als sei Hessen eine einsame Insel, auf der völlig andere Regeln gelten. Ihre eigenen Fachleute haben Ihnen das bescheinigt, die Industrie- und Handelskammern sehen das so, und auch das Urteil des Bundesrechnungshofs fällt eindeutig aus. Wer die öffentliche Ausschreibung von der Regel zur Ausnahme macht, erweist der Wirtschaftlichkeit, dem fairen Wettbewerb und auch den Unternehmen einen Bärendienst.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Uns GRÜNE hat bei der Abfassung unseres Gesetzentwurfs der Wille geleitet, ein Gesetz zu schaffen, das für wirklich fairen Wettbewerb bei maximaler Transparenz sorgt, das es aber auch Land und Kommunen ermöglicht, soziale und ökologische Kriterien bei der Beschaffung zu berücksichtigen, und das es Unternehmen, die für öffentliche Auftraggeber in Hessen tätig sind, verbietet, Dumpinglöhne zu zahlen. Das ist übrigens in den meisten anderen Bundesländern bereits der Fall. Das alles – wir werden das wahrscheinlich gleich wieder hören – nennen Sie inzwischen „vergabefremd“.

Vor zwei Jahren gab es, geleitet vom hessischen Finanzminister Dr. Thomas Schäfer, eine Arbeitsgruppe mit dem Titel „Hessen: Vorreiter für eine nachhaltige und faire Beschaffung“. Diese Arbeitsgruppe hat Ziele definiert und ausdrücklich fixiert, dass es für die konkrete Beschaffungspraxis klarer rechtlicher Vorgaben bedarf. Herr Minister, was für Kriterien hat diese Arbeitsgruppe aufgeschrieben?

Erstens: Mindestlohn. In Ihrem Konzept heißt es:

In eine normative Verankerung

– das ist dieses Vergabegesetz zweifelsohne –

sollen soziale Aspekte einfließen und zusätzliche Anforderungen an die Auftragnehmer gestellt werden.

Als Beispiel sind „existenzsichernde Löhne (Tariftreue, Mindestlohn …)“ angeführt. Ja, was denn jetzt, Herr Finanzminister? Ist das vergabefremd, oder ist es geboten?

Zweitens: ökologische und soziale Kriterien. Auch dazu finden sich im Schäfer-Papier ganz andere Aussagen. Es wird nicht auf eine angebliche Vergabefremdheit hingewiesen. Kriterien für eine nachhaltige Beschaffung im Lande Hessen sollen demnach unter anderem faire Preise, Chancen für wirtschaftlich benachteiligte Produzenten, sozial verträgliche Arbeitsbedingungen sowie ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit sein. Das alles soll jetzt vergabefremd sein. Der hessische Finanzminister hat damals sogar Folgendes festgehalten – ich darf nochmals zitieren –:

Die einschlägigen vergaberechtlichen Grundlagen lassen die Berücksichtigung von umwelt- oder sozialbezogenen Aspekten bei der öffentlichen Beschaffung zu.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Da steht kein Wort von Vergabefremdheit. Herr Schäfer, nichts von dem, was Sie ganz persönlich in Aussicht gestellt haben, wird mit diesem schwarz-gelben Gesetz Realität in Hessen. Im Gegenteil, Sie sollten Ihr Gesetz lieber „Gesetz gegen Wirtschaftlichkeit im Beschaffungswesen und zur Behinderung des fairen Wettbewerbs“ nennen. Das beschreibt jedenfalls weit besser, was in diesem Gesetzentwurf real steckt. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

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