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13.03.2014

Kai Klose: Beitritt des Landes Hessen zur Koalition gegen Diskriminierung

Herr Präsident, meine Damen und Herren! „Prima gemacht“ hat das Netzwerk gegen Diskriminierung Hessen gestern auf seiner Facebook-Seite über den Kabinettsbeschluss geurteilt, mit dem Hessen als zehntes Bundesland der Koalition gegen Diskriminierung beigetreten ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Vizepräsidentin Ursula Hammann übernimmt den Vorsitz.)

„Endlich“, schreibt QueerNet Hessen, der Zusammenschluss der hessischen LSBTI-Verbände, -Organisationen und Einzelpersonen am Dienstag. Leider habe Hessen in den vergangenen drei Jahren versäumt, dabei zu sein. Viele hier im Hause waren durchaus überrascht, was CDU und GRÜNE in den Bereichen der Integrations-, der Gleichstellungs- und der Antidiskriminierungspolitik miteinander vereinbart haben. Dabei drückt folgender Satz aus unserem Koalitionsvertrag hervorragend aus, welche Werte uns hier gemeinsam leiten. Ich darf zitieren:

Die freie Entfaltung der Persönlichkeit und volle gesellschaftliche Teilhabe setzen voraus, dass jeder Mensch … gesellschaftliche Akzeptanz erfährt und sein Leben ohne Benachteiligungen und Diskriminierungen gestalten kann.

Deshalb freut es uns sehr, dass die Landesregierung mit dem Beitritt zur Koalition gegen Diskriminierung bereits am Montag die erste dieser Vereinbarungen in diesem Bereich umgesetzt hat. Da sehen Sie einmal, wie Grün wirkt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, der vergangene Montag mit diesem Beitrittsbeschluss war ein guter Tag für alle Menschen, die auch in unserem Bundesland schon einmal diskriminiert wurden und Unterstützung gesucht haben. Die Koalition gegen Diskriminierung wurde von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes ins Leben gerufen, um die Zusammenarbeit mit den Ländern und Kommen zum Schutz vor Diskriminierung zu verstärken.

Mit dem Beitritt setzt die neue Hessische Landesregierung ein deutliches Signal, dass sie Diskriminierungen, sei es aus ethnischen oder rassistischen Gründen, aufgrund des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität, nicht hinzunehmen bereit ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU und der SPD)

Meine Damen und Herren, wer Diskriminierungen noch niemals selbst ausgesetzt war, dem fällt es erfahrungsgemäß schwer, nachzuvollziehen, was das für die betroffenen Menschen heißt. Das ist selbstverständlich kein Vorwurf, sondern lediglich eine Feststellung. Denn es ist nun einmal so, dass die Mehrheit in diesem Landtag weiß, männlich, christlich, heterosexuell, im mittleren Alter und nicht behindert ist und deutsche Wurzeln hat. Deshalb gestatten Sie mir heute, diese Gelegenheit auch dazu zu nutzen, Ihnen sehr konkret vor Augen zu führen, dass Diskriminierung leider auch in Deutschland ein Alltagsphänomen ist und entschiedenes staatliches, aber auch zivilgesellschaftliches Handeln verlangt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU, der SPD und der FDP)

Ende Februar wurde in der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ der Fall eines Wohnungssuchenden mit türkischem Migrationshintergrund – dritte Generation, Abitur, verheiratet, zwei Kinder – geschildert, der aufgrund seines Namens erhebliche Schwierigkeiten hat, eine Wohnung zu bekommen. Der Immobilienverband West, danach befragt, räumte offen ein, dass es für Menschen mit Migrationshintergrund schwieriger sei, eine Wohnung zu finden. Zitat:

Ja, das [Allgemeine Gleichbehandlungs-]Gesetz ist wichtig und richtig. Und speziell in unsere Branche wirkt es sehr stark hinein.

Auch das, was aktuell beispielsweise seitens der AfD an rassistischer Stimmungsmache gegenüber Zuwanderern aus Südosteuropa geäußert wird, macht deutlich, dass Diskriminierung aufgrund ethnischer Zugehörigkeit in bestimmten Kreisen leider immer noch zum guten Ton gehört. Das trifft auf unseren entschiedenen Widerstand.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Lassen Sie mich genau an dieser Stelle nochmals unserer Freude Ausdruck verleihen, dass die Landesregierung gestern eine Rahmenvereinbarung mit dem Landesverband der Sinti und Roma unterzeichnet und so eine formale Grundlage dafür gelegt hat, diese national anerkannte Minderheit bei der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft zu unterstützen. Der Landesvorsitzende des Verbandes Deutscher Sinti und Roma, Adam Strauß, hat gestern eindrücklich auf die bis heute bestehende beschämende Diskriminierung dieser Volksgruppen hingewiesen. Diese Rahmenvereinbarung ist ein richtiger und wichtiger Schritt, den auch alle Fraktionen im Landtag begrüßt haben.

Am 5. März, kurz vor dem Internationalen Frauentag in der letzten Woche, hat die EU-Grundrechteagentur eine umfangreiche Studie über die sexuelle Belästigung von Frauen vorgelegt. Dazu zählen z. B. unerwünschte Berührungen, Umarmungen oder Küsse. Viel zu oft werden solche Vorfälle als Bagatellen abgetan. Nein, es ist vollkommen inakzeptabel, dass drei von fünf Frauen in Deutschland seit ihrem 15. Lebensjahr sexuelle Belästigung erfahren haben, davon ein Drittel im Umfeld ihrer Arbeit.

Es ist vollkommen inakzeptabel, dass auch ein Jahr nach der von Rainer Brüderle ausgelösten Aufschrei-Debatte damit deutlich wird, dass Sexismus und Belästigung in Deutschland leider weiter verbreitet sind, als wir das oft wahrhaben wollen. Nicht zuletzt sind heute besonders auch trans- und intersexuelle Menschen und Transgender Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts ausgesetzt, denen wir entgegenwirken werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Auch Diskriminierung aufgrund von Religion oder Weltanschauung findet unter uns statt. Beispielsweise kam es im vergangenen Sommer – das wissen Sie – in Offenbach zu Übergriffen einer Gruppe 11- bis 15-jähriger Jugendlicher auf einen Rabbiner, mitten unter uns. Auch hier gilt: Wehret den Anfängen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Die Diskriminierung Behinderter stellt trotz substanzieller Fortschritte in den vergangenen Jahren europaweit weiterhin eine Herausforderung dar. Vor wenigen Wochen erst wurde eine Billigfluglinie in Frankreich verurteilt, weil sie sich geweigert hatte, eine auf den Rollstuhl angewiesene Passagierin zu befördern. Die Frau war bereits an Bord. Ein mitreisender Pilot hatte sich als Begleiter angeboten. Dennoch musste sie das Flugzeug nach einer Anweisung der Zentrale der Fluggesellschaft wieder verlassen. Solche Verletzungen der Menschenwürde und des selbstbestimmten Lebens dürfen wir nicht hinnehmen.

(Allgemeiner Beifall)

Ich will an dieser Stelle ausdrücklich hinzufügen, dass ich glaube, auch chronisch Kranke haben den Schutz des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes verdient. Wer beispielsweise schon einmal erlebt hat, welcher Ablehnung und welchen Schuldzuweisungen Menschen mit einer HIV-Infektion auch im Jahr 2014 noch ausgesetzt sind, weiß, wovon ich spreche.

Schließlich werden auch 20 Jahre nach der Aufhebung des § 175 und 13 Jahre nach der Einführung des Lebenspartnerschaftsgesetzes Menschen in Deutschland aufgrund ihrer sexuellen Identität diskriminiert. Es ist keineswegs so, dass die rechtliche Gleichstellung automatisch auch die gesellschaftliche Diskriminierung beseitigt, so essenziell die rechtliche Gleichstellung auch ist. Gerade junge Lesben und Schwule werden nach wie vor insbesondere in unseren Schulen ausgegrenzt. Nach einer aktuellen Studie ist die Suizidrate unter ihnen etwa um den Faktor 5 höher als unter heterosexuellen Jugendlichen.

Deshalb bin ich sehr froh und durchaus auch ein bisschen stolz, dass CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in ihrem Koalitionsvertrag gerade in diesem Bereich sehr konkrete Maßnahmen wie den Aktionsplan für Akzeptanz und Vielfalt, die Unterstützung der SchLAu-Projekte an den Schulen und eben den Beitritt zur Koalition gegen Diskriminierung vereinbart haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

An all diesen Beispielen sehen Sie, wie wichtig es ist, dass der Staat, aber auch die Zivilgesellschaft deutlich zeigen, dass jede Art der Diskriminierung in unserer Gesellschaft keinen Platz hat. Hessen tritt der Koalition gegen Diskriminierung als zehntes Bundesland bei. Mit der Unterzeichnung der Erklärung verpflichtet sich das Land zu konkreten Maßnahmen, um von Diskriminierung betroffenen Menschen bestmöglich zu unterstützen und Benachteiligung zu bekämpfen. Das ist ein ganz wichtiger Schritt für unser Land.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, mit der Berufung eines eigenen Staatssekretärs und Bevollmächtigten des Landes für Integration und Antidiskriminierung, unseres Freundes Jo Dreiseitel, hat die neue Landesregierung gerade in diesem Bereich ein starkes Zeichen gesetzt. Mit der Einrichtung der Antidiskriminierungsstelle des Landes setzen wir diesen Weg konsequent fort und schaffen zentrale Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für das Thema Diskriminierung. Unser Leitmotiv ist, die Vielfalt der Gesellschaft anzuerkennen, zu respektieren und als Gewinn zu begreifen. Nicht alle Menschen sind gleichartig, aber eben gleichwertig.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Jürgen Lenders (FDP))

Deshalb laden wir auch Sie hier im Hessischen Landtag ein, mit uns gemeinsam diesen Weg in den bevorstehenden Jahren weiter konsequent zu verfolgen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vizepräsidentin Ursula Hammann:

Vielen Dank, Kollege Klose. Das war eine Punktlandung.

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