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09.07.2009
Portraitfoto von Jürgen Frömmrich vor grauem Hintergrund.

Jürgen Frömmrich zum Thema öffentliche Sicherheit

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Greilich hat am Anfang seiner Ausführungen gesagt, dass dies das liberalste Polizeigesetz sei, das die Bundesrepublik Deutschland je gesehen habe. Da ist es manchmal so, dass ein Blick ins Gesetz manchmal auch die Sachkenntnis erhöht. Herr Kollege Greilich, lesen Sie den Gesetzentwurf durch, den Sie ins Verfahren gebracht haben. Schauen Sie sich Art. 7 des Gesetzentwurfs an. Dort steht unter der Überschrift „Einschränkung von Grundrechten“:

Die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit, auf Unverletzlichkeit der Wohnung sowie das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis werden durch Art. 1 dieses Gesetzes eingeschränkt.

Das steht in dem Gesetzentwurf, den Sie hier eingebracht haben. Herr Kollege Greilich, es kann einen schon sehr verwundern, wie weit es mit der FDP in diesem Landtag gekommen ist,

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

dass Sie einem Gesetzentwurf, in dem sogar steht, dass Sie die Grundrechte massiv einschränken, auch noch zum Setzpunkt im Hessischen Landtag machen. Die FDP im Hessischen Landtag ist tief gesunken.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Peter Beuth (CDU): Rechtsstaat!)

Es gab einmal liberale Urgesteine wie Gerhart Rudolf Baum, Burghard Hirsch und Hildegard Hamm-Brücher. Das waren wirklich Kämpferinnen und Kämpfer für Bürger- und Freiheitsrechte. Spätestens nach Ihrer heutigen Rede und nach dem, was Sie hier vorgelegt haben, Herr Kolleg Greilich, können Sie nicht mehr über das Land fahren und sagen, dass Sie sich für die Bürger- und Freiheitsrechte in diesem Lande einsetzen. Genau das Gegenteil ist der Fall.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Peter Beuth (CDU): Es ist rechtsstaatlich geboten, mein Lieber!

Was soll mit dem Gesetz geregelt werden? Die Bereiche automatische Kennzeichenlesegeräte, Überwachung der Telefonkommunikation, und zwar direkt am Computer, Wohnraumüberwachung und Rasterfahndung. Herr Kollege Greilich, dass Sie hier Regelungen einführen wollen, die massiv und tief in Grundrechte eingreifen, das dürfte auch Ihnen klar sein.

Das Bundesverfassungsgericht hat die alten Regelungen zum Teil für verfassungswidrig bzw. für nichtig erklärt. Das Bundesverfassungsgericht hat sehr hohe Hürden für Eingriffe in Grundrechte aufgestellt. Schauen wir uns einmal den Bereich automatische Kennzeichenlesegeräte an. Dieser Innenminister hatte diesen Bereich schon einmal geregelt. Ich erinnere daran, dass wir uns in diesem Hause sehr intensiv darüber unterhalten haben, ob das sinnvoll ist. Da ist uns von der rechten Seite des Hauses immer wieder gesagt worden, das sei alles Nonsens, was wir vortragen, das sei alles mit dem Grundgesetz in Übereinstimmung zu bringen. Dann sind mehrere Bürgerinnen und Bürger vor das Bundesverfassungsgericht gegangen, und genau die Regelung, von der der Innenminister behauptet hat, sie sei verfassungsgemäß, ist vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt worden. So viel zu Ihren Ankündigungen im Parlament, das, was Sie machen, sei verfassungsgemäß.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)

Herr Kollege Greilich, wenn Sie den Bereich automatische Kennzeichenlesegeräte ansprechen und neu regeln wollen, sage ich Ihnen noch eines. Die alte Regelung ist vom Bundesverfassungsgericht krachend für nichtig erklärt worden. Eine Frage hat das Bundesverfassungsgericht aber gar nicht erst geklärt, weil es die Regelungen, die im Gesetz standen, für nichtig erklärt hat. Ich meine die Frage, ob es überhaupt eine Regelungskompetenz des Landes in diesem Bereich gibt. In der Entscheidung ist zu lesen:

Zu der Frage, ob die Länder zur Regelung der automatischen Erfassung von Kennzeichen im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung überhaupt befugt waren, braucht vorliegend allerdings nicht entschieden werden, da die angegriffenen Regelungen schon aus anderen Gründen verfassungswidrig sind.

Herr Kollege Greilich, selbst wenn Sie sagen, die Regelungen, die damals angegriffen wurden, werden jetzt durch neue Regelungen ersetzt, haben Sie immer noch ein Problem mit der Frage, ob überhaupt eine Regelungskompetenz des Landes gegeben ist.

Ein zweiter Punkt, der angegriffen wurde, mit dem sich das Verfassungsgericht sehr intensiv beschäftigt hat, ist die Rasterfahndung. Herr Kollege Bellino hat vorhin gesagt, man müsse alle diese Mittel haben, um Terroristen und schwere Straftaten verfolgen zu können. Ich sage Ihnen dazu eines: Das Bundesverfassungsgericht hat 2006 zur Rasterfahndung Folgendes geurteilt:

Eine allgemeine Bedrohungslage, wie sie im Hinblick auf terroristische Anschläge seit dem 11. September 2001 durchgehend bestanden hat, oder außenpolitische Spannungen reichen für die Anordnung der Rasterfahndung nicht aus.

Selbst in dieser Situation – nach dem 11. September und angesichts terroristischer Bedrohungen – reicht die allgemeine Bedrohungslage nicht aus, sagt das Bundesverfassungsgericht. Sie sehen also, das Bundesverfassungsgericht hat in diesen Fragen sehr hohe Hürden aufgestellt. Herr Kollege Greilich, ich glaube nicht, dass Sie mit den Regelungen, die Sie hier treffen wollen, diesen Auflagen gerecht werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein weiterer Punkt, mit dem sich das Bundesverfassungsgericht ausgiebig beschäftigt hat, sind die Onlinedurchsuchungen. Dazu sagt das Bundesverfassungsgericht – im Hinblick auf das Verfassungsschutzgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen – :

§ 5 des Verfassungsschutzgesetzes, der den heimlichen Zugriff auf informationstechnische Systeme regelt (Onlinedurchsuchung), verletzt das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner besonderen Ausprägung als Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme und ist nichtig.

Im übrigen: Nordrhein-Westfalen hat einen FDP-Innenminister, der dieses Gesetz gemacht hat, das vom Bundesverfassungsgericht ebenfalls krachend kassiert worden ist. Das heißt, auch für den Bereich, wo Sie an Computern herumfummeln wollen, hat das Verfassungsgericht hohe Hürden aufgestellt. Bei dem, was Sie regeln wollen, nämlich dem Abhören von Telefongesprächen an der Quelle, bei der Internettelefonie, greifen Sie direkt in Informationssysteme ein. Von daher gesehen sollten Sie sich überlegen, ob das mit dem in Einklang zu bringen ist, was das Bundesverfassungsgericht geurteilt hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das sind also hohe Hürden für tiefe Eingriffe. Die Frage bleibt: Haben diese Regelungen vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand? Wir werden das, glaube ich, irgendwann erleben. Ich bin deshalb sehr gespannt auf die Anhörung und auf das, was die Rechtswissenschaftler und die Datenschutzbeauftragten dazu ausführen.

Herr Kollege Greilich, einen Punkt möchte ich noch anführen, den ich gerade deshalb wichtig finde, weil Sie von diesem Pult aus gesagt haben, das sei das „liberalste“ Polizeigesetz. Sie verzichten in diesem Gesetzentwurf sogar auf die Subsidiaritätsklausel, also die Klausel, die besagt, dass Maßnahmen, die die Grundrechte einschränken, erst dann durchgeführt werden dürfen, wenn andere Maßnahmen nicht zum Erfolg führen. Selbst die Subsidiaritätsklausel haben Sie gestrichen. Von Liberalität, Herr Kollege Greilich, kann also überhaupt keine Rede sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein anderer Punkt, damit auch die, die nicht so tief in die Debatte eingestiegen sind, das verdeutlicht bekommen: Wir bewegen uns hier im Bereich der Gefahrenabwehr. Alle Maßnahmen, die hier beschrieben werden, sind schon heute möglich. Alle diese Maßnahmen können Sie schon heute in der Strafverfolgung einsetzen. Sie können diese Maßnahmen im Bereich des Verfassungsschutzes einsetzen, sowohl in Hessen als auch auf Bundesebene. Das steht so auch im Bundesverfassungsschutzgesetz. Sie können diese Maßnahmen in Bereichen durchführen, wo es um bundespolizeiliche Befugnisse geht. Das alles geht schon heute. Deshalb stellt sich die Frage: Brauche ich diese Maßnahmen im Bereich der Gefahrenabwehr, also zu präventiven Zwecken? Das glaube ich nicht, weil die Eingriffe in Grundrechte, die Sie vornehmen wollen, so tief sind, dass man darauf verzichten kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben hier den Fall Sauerlandgruppe angesprochen. Herr Innenminister, wir sind damals von Ihnen informiert worden, nachdem die Mitglieder dieser Gruppe gefasst waren. Ich bin sehr froh, dass das damals geklappt hat. Aber es hat doch geklappt, diese Gruppe hoppszunehmen, sie lange zu beobachten, ihr immer einen Schritt voraus zu sein, z. B. die Fahrzeuge zu verwanzen. Alle diese Maßnahmen waren doch möglich, ohne dass wir in Hessen entsprechende Regelungen im Polizeigesetz und in der Gefahrenabwehrverordnung hatten. Das hat doch deshalb funktioniert, weil der Verfassungsschutz, die Bundespolizei und die Landeskriminalämter eng zusammengearbeitet haben und sehr koordiniert vorgegangen sind. Deswegen ist die Sauerlandgruppe seinerzeit gefasst worden. Von daher gesehen kann man das nicht als Argument anführen, Herr Kollege Bellino.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist um.

Jürgen Frömmrich:

Wir haben es hier mit einem schwierigen Abwägungsprozess zu tun. Es geht darum, zwischen Freiheit und Sicherheit abzuwägen.

Ich glaube, in alldem, was Sie hier vorlegen, neigt sich die Waagschale zulasten der Freiheit. Ich sage: Da müssen Sie noch einmal nachdenken.

Zum Schluss möchte ich – der Kollege hat es schon gemacht – einen Satz von Frau Leutheusser-Schnarrenberger zitieren. Diesen Satz sollten sich die Mitglieder der FDP-Fraktion vielleicht zu Gemüte führen. Sie ist immerhin Präsidiumsmitglied der Bundes-FDP:

Die Privatheit der Bürger, der Kern ihrer Freiheit, ist durch die Große Koalition

– da bezieht sie sich auf die Sicherheitsgesetze der Großen Koalition –

immer wieder eingeschränkt worden. Der Staat darf in Handys, Computer und Wohnungen gucken. Das ist nicht die Politik der Liberalen. Wir werden den dramatischen Bürgerrechtsabbau stoppen.

Herr Kollege Greilich, Sie machen hier gerade genau das Gegenteil.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Vielen Dank, Herr Kollege Frömmrich.

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