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05.09.2012
Portraitfoto von Jürgen Frömmrich vor grauem Hintergrund.

Jürgen Frömmrich: Schaffung und Änderung hessischer Vollzugsgesetze

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Wilken, ich war ein bisschen erschrocken, als ich gehört habe, was Sie hier gerade vorgetragen haben. Ich muss wirklich sagen: Wie man in dieser Art über einen Themenkomplex reden kann, der wirklich schwierig ist, weil auf der einen Seite die Bevölkerung vor Schwerststraftätern geschützt werden soll, aber auf der anderen Seite eine Balance gefunden werden muss zwischen den Grundrechten auf Freiheit, die eingeschränkt werden, wie man in einem solchen Maße über dieses Thema so reden kann – ich bin echt erschrocken. Lesen Sie einmal nach, was Sie hier gesagt haben. Das kann nicht Ihr Ernst sein, Herr Kollege.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU und der FDP)

Gerade wenn Sie § 18 ansprechen, wo es um die freiwillige Unterbringung, um den freiwilligen Verbleib in einer solchen Einrichtung geht, muss man doch sehen, dass es offensichtlich – davon geht Sicherungsverwahrung aus – Menschen gibt, die nicht therapierbar sind, von denen eine hohe Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht. Wenn es so jemanden gibt, der jetzt aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden soll, der aber für sich erkennt und sagt: „Ich bin noch nicht so weit, es kann unter Umständen passieren, dass ich wieder straffällig werde“ – ich will noch einmal sagen, es geht um schwerste Straftaten, die verübt wurden, z. B. Kindesmissbrauch oder Vergewaltigung –, wenn er also sagt, er will lieber in dieser Einrichtung verbleiben, weil er selbst merkt, dass von ihm eine Gefahr ausgeht, dann ist es im Grunde eine richtige Regelung in einem solchen Gesetz. Von daher kann ich nicht verstehen, wie Sie hier so vortragen können, Herr Kollegen Wilken.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Es haben bisher alle Kolleginnen und Kollegen gesagt, dass die Vollzugsgesetze – –

Vizepräsidentin Ursula Hammann: 

Herr Kollege Frömmrich, lassen Sie eine Zwischenfrage von Herrn Wilken zu?

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt habe ich es angefangen, da muss ich es auch klären! Natürlich!)

Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE): 

Herr Frömmrich, Sie haben gerade gesagt: wenn jemand erkennt, dass er nicht therapierbar ist. Das weist darauf hin, dass dieser Mensch krank ist. Sind Sie dann mit mir einer Auffassung, dass er damit gar nicht schuldfähig war und eigentlich nicht in das System gehört hätte,

(Zurufe von der CDU und der FDP: Oh!)

sondern dass dort von vornherein etwas falsch gelaufen ist?

Jürgen Frömmrich: 

Sehen Sie, Herr Kollege Wilken, da haben wir grundsätzlich andere Auffassungen. Das stelle ich nicht fest, sondern das stellen bei uns Gerichte fest, ob es eine Schuldfähigkeit gibt oder nicht. Auch die Anordnung von Sicherungsverwahrung regelt bei uns der Rechtsstaat. Das entscheiden bei uns Gerichte, das entscheiden wir Gott sei Dank nicht politisch.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Daher sollte man dazu noch inhaltlich eine Runde drehen. – Alle haben gesagt, dass die gesetzlichen Regelungen, die es zurzeit gibt, vom Bundesverfassungsgericht am 04.05.2011 kassiert worden sind. Die angegriffenen Normen dürfen jedoch bis zum 31. Mai 2013 angewendet werden.

Es gibt in diesem Bereich also Handlungsbedarf. Es ist nicht so, dass wir das machen, weil es so viel Spaß macht. Vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht ganz klar gesagt, dass in diesem Bereich Handlungsbedarf besteht. Es hat Bund und Ländern aufgegeben, ein Gesamtkonzept zur Sicherungsverwahrung zu entwickeln und dazu gesetzliche Regelungen zu schaffen. Mit dem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf trägt man diesen Anforderungen Rechnung.

Herr Justizminister, ich will hier aber kurz noch etwas hinterlegen, weil Sie gesagt haben, es seien schließlich alle Gesetze von allen Bundesländern angegriffen worden, alle seien vom Bundesverfassungsgericht kassiert worden. Ich will hier hinterlegen, dass der Kollege Dr. Jürgens in der Debatte am 19.11.2009 und am 20.05.2010, als es genau um die Schaffung dieser Rechtsnormen ging, die jetzt angegriffen worden sind, gesagt hat – hier zitiere ich den Kollegen Dr. Jürgens –:

Herr Minister, als völlig unzureichend sehe ich Übrigen Ihre Regelung über die Sicherungsverwahrung an, der Sie gerade einmal drei magere Paragrafen widmen. Das wird den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts aus meiner Sicht sicherlich nicht gerecht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Sicherungsverwahrung nicht die Fortsetzung der Strafe, sondern eine eigenständige Maßregel, die schuldunabhängig ist und dem Verwahrten ein Sonderopfer – natürlich ein berechtigtes – zugunsten der Sicherheit der Allgemeinheit auferlegt.

Bei der Sicherungsverwahrung findet die Resozialisierung nach Ihrem 

– damaligen –

Entwurf überhaupt nur noch am Rande statt, obwohl sie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein zwingender Auftrag auch der Sicherungsverwahrung sein muss.

Meine Damen und Herren, es ist also nicht so, dass dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Himmel gefallen ist, sondern es gab hier schon Abgeordnete, die darauf hingewiesen haben, dass das, was Sie seinerzeit normiert haben, sehr dünn war. Es gab auch eine Anhörung, wo Rechtsverstand anwesend war, der das auch so gesehen hat. Von daher will ich noch einmal den Versuch unternehmen, Herr Justizminister, die Expertise sowohl in den Anhörungen als auch der Kolleginnen und Kollegen, auch der Oppositionsfraktionen, ernst zu nehmen und zu würdigen. Dann können Sie sich vielleicht das eine oder andere Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe ersparen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Ministers Jörg-Uwe Hahn)

– Sie können es nachlesen, ich gebe Ihnen gerne die Protokolle. Herr Dr. Jürgens hat es sehr schön ausgeführt. Aber an Ihren Zwischenrufen merke ich, Herr Justizminister, dass der Appell auch dieses Mal ins Leere gehen wird und dass er auch dieses Mal nichts nützen wird.

Meine Damen und Herren, die Kollegin Hofmann hat es schon gesagt: Das Bundesverfassungsgericht hat inhaltliche Vorgaben gemacht, die bei der Gesetzgebung beachtet werden müssen. Es muss das verfassungsgemäße Gebot des Abstands beachtet werden, dass der Vollzug der Sicherungsverwahrung vom Strafvollzug deutlich zu unterscheiden ist.

Alle Bundesländer haben sich in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe auf gesetzliche Grundlagen zur Neuregelung des Vollzugs der Sicherungsverwahrung verständigt. Dies soll der Festlegung einheitlicher Standards dienen. Ich meine, das ist auch gut und richtig so, weil es nicht sein kann, dass wir in 16 Bundesländern unterschiedliche Regelungen haben, die die Sicherungsverwahrung, wie gesagt, unterschiedlich regeln. Von daher ist dieser Ansatz richtig.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in Anbetracht der Tatsache, dass die Zeit davongelaufen ist, freue ich mich auf eine intensive Beratung auch im Ausschuss. Wir werden natürlich zu diesem Themenkomplex eine Anhörung beantragen, weil wir es hier schon mit einem sehr wichtigen und sehr weit reichenden Eingriff auch in Grundrechte versus Schutz der Bevölkerung zu tun haben. Ich glaube, da müssen wir gute und solide Gesetze verabschieden. Deswegen werden wir inhaltlich im zuständigen Ausschuss noch darüber diskutieren. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Ursula Hammann: 

Vielen Dank, Herr Kollege Frömmrich.

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