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02.04.2014

Jürgen Frömmrich: NSU-Komplex – Einsetzung einer unabhängigen und überparteilichen Expertenkommission ist der richtige Weg

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kolleginnen und Kollegen sind darauf eingegangen, und auch ich will daran erinnern: Wir alle waren entsetzt und schockiert, als die schrecklichen Morde des rechtsterroristischen Nationalsozialistischen Untergrundes bekannt wurden. Wir alle waren betroffen angesichts der menschenverachtenden Morde. Wir haben diese Morde auf das Schärfste verurteilt. In der Entschließung des Hessischen Landtags vom 17. November 2011 heißt es deshalb einmütig:

Die Anschläge sind eine Schande für unser Land und belegen eine neue Dimension rechtextremistischer Bedrohung.

Wir alle konnten uns nicht vorstellen, dass fast 70 Jahre nach der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft eine Gruppe rechtsextremistischer Terroristen eine Blutspur durch ganz Deutschland ziehen würde. Acht türkischstämmige Männer, ein griechischstämmiger Mann und eine Heilbronner Polizeibeamtin wurden ermordet, wurden Opfer des NSU.

Auch in Hessen hatten wir Opfer zu beklagen: Halit Yozgat, ein Internetcafebetreiber, wurde in Kassel ermordet, Enver Simsek aus Schlüchtern wurde in Nürnberg erschossen.

Wir können diese Morde nicht rückgängig machen. Wir können den Hinterbliebenen ihre Angehörigen nicht zurückgeben. Aber wir können die notwendigen Schlussfolgerungen aus diesen schrecklichen Verbrechen ziehen und Vorkehrungen treffen, dass solche Verbrechen in Zukunft in unserem Land nicht mehr stattfinden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Der Deutsche Bundestag hat einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss mit der Aufarbeitung dieser Morde sowie der Fehler und Mängel bei den deutschen Sicherheitsbehörden beauftragt. Nach rund eineinhalbjähriger Ausschussarbeit und nach über 100 Zeugenbefragungen an über 40 Sitzungstagen legte der Ausschuss im vergangenen Herbst einen umfassenden Bericht vor, der zu Recht viel Beachtung in der Öffentlichkeit gefunden hat. Einvernehmlich, über die Parteigrenzen hinweg, d. h. nicht im politischen Streit, sondern im Konsens, wurde dieser Bericht vorgelegt.

Das sagt etwas über die Ernsthaftigkeit einer solchen Ermittlung, über die Art und über die Qualität der Arbeit des parlamentarischen Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages aus. Wir sollten uns diese Empfehlung zu eigen machen und jetzt an die Umsetzung dieser Handlungsempfehlungen in Hessen gehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Auf über 1.368 Seiten fasst der Untersuchungsausschuss die Ergebnisse seiner Arbeit zusammen. Der Ausschuss gibt 47 Handlungsempfehlungen für die Bereiche Polizei, Justiz und Verfassungsschutz, aber auch drei Empfehlungen dazu, wie man Demokratieförderung betreiben kann.

Der Deutsche Bundestag hat am Anfang der neuen Wahlperiode, also auch am Anfang der neuen Großen Koalition, diesen Beschluss bekräftigt und die neue Bundesregierung aufgefordert, diese Empfehlungen zügig – ich betone: zügig – umzusetzen. In seinem Beschluss begrüßt der Deutsche Bundestag die Absicht der Bundesregierung – Zitat –, „im Dialog mit den Ländern Wege für die Umsetzung der Empfehlungen auch für den Zuständigkeitsbereich der Länder und ihrer Behörden zu erarbeiten.“

Es geht der Bundesregierung also darum, dass die Empfehlungen des Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages möglichst schnell umgesetzt werden. Darauf haben wir uns in Hessen als Koalition auch verständigt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Die SPD schlägt jetzt die Einsetzung eines Sonderausschusses zur Aufarbeitung der Fehler bei der Aufklärung der NSU-Morde in Hessen und zur Erarbeitung von Handlungsempfehlungen vor. Das ist ein legitimes Ansinnen, keine Frage.

(Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Das ist ein mögliches Vorgehen, keine Frage. Wir haben uns aber in unserer Koalitionsvereinbarung mit der CDU auf ein anderes Vorgehen geeinigt. Wir haben uns darauf geeinigt, eine Expertenkommission einzusetzen, und diesen Schritt wollen wir jetzt auch zügig gehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

In der Koalitionsvereinbarung von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNE heißt es auf Seite 40:

Wir werden uns für die Umsetzung der einvernehmlichen Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses einsetzen. Dieser Prozess soll durch eine von der Landesregierung benannte Expertenkommission unterstützt werden, die Vorschläge zur zukünftigen Arbeit der hessischen Sicherheitsbehörden sowie zur Zusammenarbeit zwischen den Ländern und mit dem Bund machen soll.

Ich frage aber die Kolleginnen und Kollegen der SPD: Meinen Sie wirklich, dass der Sonderausschuss das geeignete Mittel ist? Ich zitiere § 51 GOHLT – Sonderausschüsse –:

Zur Vorberatung bestimmter Vorlagen kann der Landtag Sonderausschüsse einsetzen.

Ich frage mich wirklich, ob es das richtige und adäquate Mittel ist, einen Sonderausschuss einzusetzen,

(Zuruf des Abg. Pentz – Zuruf der Abg. Nancy Faeser(SPD))

der Akten aus staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, von Verfassungsschutzbehörden und von Ermittlungen der Polizei heranzieht, Zeugen vernimmt und Sachverhalte der Vergangenheit aufklärt. Wir haben uns auf ein anderes Vorgehen geeinigt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Der Innenminister hat in der vergangenen Woche den ehemaligen Richter am Bundesverfassungsgericht, Prof. Jentsch, als Vorsitzenden der Expertenkommission vorgestellt. Ein ehemaliger – –

(Günter Rudolph (SPD): CDU-Mitglied! – Gegenruf des Abg. Manfred Pentz (CDU): Das ist der einzige Grund! – Weitere Zurufe von der CDU)

– Herr Kollege Rudolph, wie kleinkariert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Zurufe von der SPD)

Ich finde, das ist eine sehr gute Wahl.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Herr Jentsch war Mitglied des Hessischen Landtags. Herr Jentsch war Oberbürgermeister dieser Landeshauptstadt.

(Zurufe von der SPD)

Herr Jentsch war Justizminister des Landes Thüringen. Er war Mitglied des Verfassungsgerichtshofs in Thüringen. Er war Richter am Bundesverfassungsgericht. Ich finde wirklich, Sie sollten Ihren Zwischenruf noch einmal überdenken.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Ich finde, das ist eine gute Wahl. Wir gehen davon aus,

(Zurufe der Abg. Günter Rudolph und Norbert Schmitt (SPD))

dass der Innenminister weitere anerkannte Persönlichkeiten für diese Kommission benennen wird, die die Anerkennung über alle Parteigrenzen hinweg haben werden. Ich bin mir sicher, dass der Innenminister das machen wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Es muss jetzt darum gehen, die Arbeit aufzunehmen und Vorschläge zu unterbreiten, damit die Defizite behoben werden und damit die Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt(SPD))

und die parlamentarische Kontrolle der Sicherheitsbehörden verbessert werden. Das ist die Aufgabe, der wir uns stellen wollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Aufgabe von Politik muss sein, die Schlussfolgerungen aus diesem NSU-Komplex zu ziehen und zu gesetzlichen Neuregelungen zu kommen. Das ist die Aufgabe von Politik.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Es gibt nach umfangreichen Arbeiten des Deutschen Bundestages kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem, und an das Beheben dieses Defizits wollen wir uns machen. Dieses Problem wollen wir beheben. Wir wollen es angehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Der Dissens besteht in der Tat darin, wie wir es angehen. Gehen wir es über eine Expertenkommission oder über einen Sonderausschuss an? Wir haben uns darauf geeinigt, eine Expertenkommission einzurichten. Das ist unser Vorschlag. Darauf haben wir uns im Koalitionsvertrag verständigt. Wir haben immer gesagt, ein Untersuchungsausschuss ist aufgrund der guten Arbeit des Bundestagsuntersuchungsausschusses nicht notwendig.

Ich frage Sie: Was sollen ein Untersuchungsausschuss oder ein Sonderausschuss in Hessen herausbekommen, das ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss in Berlin nicht herausbekommen hat?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Ich frage Sie: Glauben Sie, dass Zeugen vor einem Sonderausschuss in Hessen etwas anderes sagen als das, was Sie vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Berlin gesagt haben? Ich glaube nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Ein Sonderausschuss, der Akten herbeizieht, der Fehlverhalten aufdeckt und der die Vergangenheit beleuchtet, ist faktisch nichts anderes als ein Untersuchungsausschuss. Ich kenne keinen Ausschuss im Landtag, der Akten der Landesregierung herbeizieht.

(Lachen des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Wir waren uns mit der SPD immer einig, dass aufgrund der guten Arbeit des parlamentarischen Untersuchungsausschusses in Berlin ein Untersuchungsausschuss nicht notwendig ist.

(Zurufe von der SPD)

Ich sage noch einmal – das ist parteiübergreifend –: Clemens Binninger, Eva Högl, Wolfgang Wieland, Herr Wolff von der FDP-Fraktion

(Zurufe der Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE) und Manfred Pentz (CDU))

Vizepräsidentin Heike Habermann:

Herr Kollege Frömmrich, die Redezeit ist abgelaufen. Letzter Satz, bitte.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Jürgen Frömmrich:

oder Frau Pau von der Linkspartei haben hervorragende Arbeit gemacht und Handlungsempfehlungen vorgelegt.

Wir haben kein Erkenntnisproblem, wir haben ein Umsetzungsproblem. Diese Koalition will das angehen. Unser Vorschlag ist, eine Expertenkommission einzurichten. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vizepräsidentin Heike Habermann:

Herzlichen Dank.

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