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15.12.2011
Portraitfoto von Jürgen Frömmrich vor grauem Hintergrund.

Jürgen Frömmrich: Landesprogramm gegen Rechtsextremismus

Vielen Dank, Herr Präsident. Meine sehr geehrten Damen und Herren, es fällt jetzt nach der Unterbrechung schwer, sich wieder in diesen Themenbereich einzufinden. Ich finde es nicht angemessen, dass wir hier über einen Themenkomplex diskutieren, der viele Menschen in diesem Lande berührt, der sich darum dreht, dass in den letzten Jahren in Deutschland eine blutige Spur von Rechtsextremisten durch Deutschland gelegt worden ist und zehn Mitbürgerinnen und Mitbürger mit Migrationshintergrund und die Polizeikollegin aus Heilbronn mit einem rechtsterroristischen Hintergrund ermordet worden sind, und wir als Hessischer Landtag nicht in der Lage sind, eine geordnete Debatte zu diesem Thema zu führen. Ich muss sagen, das macht mich in der Tat etwas ratlos.

Wir haben es mit Taten des Rechtsterrorismus zu tun. In der letzten Plenarwoche haben wir zu diesem Thema einen, wie ich meine, guten Entschließungsantrag gefasst.

Wir haben als Hessischer Landtag gesagt, dass diese rechtsterroristischen Attentate Attentate auch auf uns, auf die freie und offene Gesellschaft sind, dass wir sie zutiefst verurteilen und dass unsere Gedanken bei denen sind, die Menschen verloren haben, Freunde, Bekannte, Eltern, und dass wir zutiefst beschämt darüber sind. Wir haben gesagt:

Der Landtag fordert eine rasche, vollständige und rückhaltlose Aufklärung der durch die Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ begangenen Straftaten und aller sie begleitenden Umstände. Die Parlamentarische Kontrollkommission für den Verfassungsschutz sowie der Innenausschuss werden mit der parlamentarischen Aufarbeitung der Vorgänge betraut. Die Rolle der Polizei, der Justiz und der Verfassungsschutzbehörden sowie die Wirksamkeit der parlamentarischen Kontrolle sind dabei von besonderer Bedeutung.

Ich fand, dass diese Entschließung, die wir hier getroffen haben, umfangreich war. Deswegen habe ich mich ein bisschen gewundert, dass wir jetzt einen Antrag von der Fraktion DIE LINKE vorgelegt bekommen haben, der die Tonalität dieses Antrags ein bisschen verändert. Aber es ist natürlich das gute Recht der Fraktionen, Anträge vorzulegen. Es ist natürlich auch das Recht der Fraktionen, das zu bewerten. Die Kolleginnen und Kollegen haben das gerade schon getan.

Auch der Deutsche Bundestag hat eine umfangreiche Entschließung zu diesen Vorgängen beschlossen, die im Antrag der Fraktion DIE LINKE erwähnt worden ist.

Meine Damen und Herren, lassen wir Revue passieren, was in den letzten Jahren geschehen ist. Ich habe nachgeschlagen, mit wie vielen Anträgen wir uns in diesem Hause in den letzten Jahren beschäftigt haben, die sich mit Rechtsextremismus beschäftigen. Wir haben eine Fülle von Entschließungsanträgen gehabt. Ich kann mich erinnern, dass wir hier eine große Anhörung über Extremismus und Gewalt gehabt haben, die hochkarätig besetzt war und wo wir versucht haben, Wege zu finden, wie man aus dieser Spirale herauskommt und wie man die auffängt, die bedroht sind, in diese Rechtsecke abzugleiten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, dass wir eigentlich genug Anträge haben. Wir müssen endlich darüber reden, welche Konsequenzen dies für unser Land hat. Das ist die Aufgabe, die wir in Zukunft haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Welche Konsequenzen hat dieses Handeln für uns als Politik? Was heißt das als Auftrag an die, die mit Bildung befasst sind bei uns? Was heißt das für Schulträger, was heißt das für außerschulische Bildung, was heißt das für Jugendarbeit? Wie können wir mit diesem Phänomen des Rechtsextremismus umgehen? Was heißt es dafür, wie wir Zivilgesellschaft stärken, sich in diesem Bereich stärker zu engagieren?

Dazu gehört auch – das will ich deutlich sagen –, dass man die zivilgesellschaftlichen Institutionen bei ihrer Arbeit gegen Rechtsextremismus nicht behindert, wie das in Teilen über die Extremismusklausel im Bund gemacht wird, sondern dass man zivilgesellschaftliche Institutionen im Kampf gegen Rechtsextremismus unterstützt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es geht in dieser Debatte auch darum, die Frage zu stellen: Wie haben Sicherheitsbehörden in unserem Land gearbeitet? Welche Fehler und welches Versagen müssen wir Sicherheitsbehörden vorwerfen? Warum wurde Rechtsextremismus bei der Untersuchung der Taten ausgeklammert? Warum wurde nicht dahin geschaut? Warum wurde dieser rechtsextremistische Hintergrund nicht durchleuchtet?

Es ist die Frage, warum die Sicherheitsbehörden nicht ordentlich zusammengearbeitet haben. Warum haben Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder und die Verfassungsschutzbehörden sich nicht ordentlich über diese Hintergründe ausgetauscht?

Es geht auch um die V-Mann-Problematik. Wir haben das in einem ersten Durchlauf schon in der Parlamentarischen Kontrollkommission besprochen. Aber ich glaube, auch die Problematik der V-Leute gehört auf die Tagesordnung und muss diskutiert werden. Wenn es so ist, wie aus Thüringen berichtet wird, dass mit dem Bezahlen der V-Leute des Verfassungsschutzes rechtsextremistische Strukturen zum Teil zu fast 100 % finanziert werden, dann muss man sich die Frage stellen, ob diese V-Leute der Vergangenheit angehören müssen, ob man sich nicht von diesem Institut verabschiedet.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Es gehört auch dazu, dass wir über die Opfer reden. Diese Opfer sind zum Teil nach ihrem Tod gesellschaftlich geächtet worden, weil man nicht begreifen wollte, dass sie Opfer sind, sondern weil man als Sicherheitsbehörden immer nachgeforscht hat, ob die Opfer nicht auch Täter waren, ob sie in ausländerextremistische Straftaten verwickelt waren, ob sie mit Drogen gehandelt und in mafiösen Zusammenhängen waren. Ich glaube, hier haben wir etwas aufzuarbeiten. Ich glaube auch, dass sich der Staat bei den Opfern und bei den Hinterbliebenen entschuldigen muss; denn dieses Handeln war vollkommen unangemessen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Meine Damen und Herren, ich glaube auch, dass wir, wenn wir Aufklärung betreiben – ich bin rückhaltlos dafür, wie wir das in unserem Antrag beschrieben haben –, ganz deutlich sagen müssen, dass diese Aufklärung nicht so aussehen kann, dass wir das in der Parlamentarischen Kontrollkommission hinter verschlossenen Türen machen, sondern diese Aufklärung muss öffentlich stattfinden, weil es ein öffentliches Interesse gibt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Dieses öffentliche Interesse gibt es nicht nur bei uns in der Bundesrepublik Deutschland, sondern gerade in der Türkei wird sehr genau darauf geachtet, wie wir mit der Aufarbeitung dieser Terrortaten umgehen. Von daher gehört eine öffentliche Aufklärung dazu, und deswegen begrüße ich ausdrücklich, dass unsere Fraktion im Deutschen Bundestag die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses beantragt hat, damit diese Dinge in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Denn nur so kann man aus den Fehlern, die gemacht worden sind, lernen. Nur so kann man Sicherheitsbehörden dazu bringen, dass das in Zukunft nicht mehr passiert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, zur Aufarbeitung gehört aber auch, dass man sich darüber Gedanken macht, dass man bei solchen Taten nicht immer mit gewissen Reflexen arbeitet. Es gibt Reflexe in die eine Richtung, dass man über Verbote von Parteien nachdenkt. Ich will durchaus sagen, dass ich sehr viel Verständnis für die habe, die nach diesen ekelhaften Verbrechen sagen, man muss irgendwie reagieren, und wenn es nur ist, dass man die Partei verbietet, die man ideologisch damit in Verbindung bringt.

Aber ich finde, man sollte das nicht reflexhaft tun; denn ein solches Verbot muss vor dem Bundesverfassungsgericht tragen, und die Hürden für ein Parteienverbot sind bei uns in der Bundesrepublik Deutschland sehr hoch. Sie sind so hoch, weil wir aus unserer Vergangenheit gelernt haben, weil die Väter und Mütter des Grundgesetzes ganz bewusst die Hürde für ein Parteienverbot hoch gelegt haben. Deswegen dürfen wir es uns nicht erlauben, dass ein erneuter Verbotsantrag vor dem Bundesverfassungsgericht scheitert. Denn das würde die NPD stärken. Es würde sie reinwaschen, und das kann keiner von uns wollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU und der FDP)

Es gehört aber auch dazu, dass keine Reflexe auf der anderen Seite herbeigeredet werden, dass, wenn man es mit ekelhaften und abscheulichen Straftaten zu tun hat, nicht gleich geschrien wird: Wir brauchen jetzt unbedingt die Vorratsdatenspeicherung, und damit kriegen wir das alles in den Griff. – Mitnichten, sage ich da. Wer meint, mit einer solch leichten Antwort könne er dieser komplexen Thematik entgegentreten, der irrt; denn die Tatsachen lagen auf der Hand.

1998 wurde eine Garage durchsucht; dabei fand man vier fertige Rohrbomben. Nur die Zünder haben noch gefehlt. Die Sicherheitsbehörden in Thüringen haben die Leute, die in diesem Zusammenhang tätig waren, nicht verhaftet, sie haben sie laufen lassen. Am nächsten Tag wurde kein Haftbefehl herausgegeben, die Fahndung nicht eingeleitet, weil man gedacht hat: Die kommen irgendwann schon wieder, dann holen wir sie uns. – Nein, die Leute sind abgetaucht und waren über zehn Jahre im Untergrund. Von daher wäre auch eine Vorratsdatenspeicherung, die hier immer wieder gefordert wird, keine Lösung des Problems gewesen. Das ist zu kurz gegriffen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen uns auch Gedanken darüber machen, ob hier immer mit dem nötigen Augenmaß und mit der nötigen Zielgerichtetheit agiert worden ist. Was wäre eigentlich gewesen, wenn die Garage, in der die Bomben gefunden wurden, einem Muslim gehört hätte? Meine Damen und Herren, in Deutschland wäre kein Stein auf dem anderen geblieben. Alle Sicherheitsbehörden wären unterwegs gewesen. Von daher kann man schon darüber diskutieren, warum nicht auch in Richtung Rechtsextremismus ermittelt worden ist und warum diese Taten erst so spät ans Licht gekommen sind und aufgeklärt wurden. Diese Frage muss man sich gefallen lassen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Ich denke, wir sind sehr gut beraten, wenn wir uns einen Satz, der in der Entschließung des Deutschen Bundestags steht, besonders zu Herzen nehmen.

Präsident Norbert Kartmann:

Ich darf Sie jetzt doch bitten, etwas schneller zum Ende zu kommen.

Jürgen Frömmrich:

Wir sollten uns diesen Satz zu Herzen nehmen und alle, mit denen wir zu tun haben, dafür begeistern, sich im Kampf gegen den Rechtsextremismus zu engagieren. In der Entschließung des Deutschen Bundestags heißt es:

Wir stehen ein für ein Deutschland, in dem alle ohne Angst verschieden sein können und sich sicher fühlen – ein Land, in dem Freiheit und Respekt, Vielfalt und Weltoffenheit lebendig sind.

Diesen Satz sollten wir uns täglich zu Gemüte führen. Wir sollten dafür kämpfen, dass der Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland keine Chance mehr hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU, der SPD, der FDP und der LINKEN

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