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25.06.2015
Portraitfoto von Jürgen Frömmrich vor grauem Hintergrund.

Jürgen Frömmrich: Kenntnisstand zu rechtsextremen und neonazistischen Strukturen in Hessen sowie zu rechtsextremen Einstellungsmustern in der sogenannten Mitte der Gesellschaft

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte am Anfang meiner Rede auf die Debatte und auf das eingehen, was der Kollege Schaus gerade gesagt hat.

Bei all dem, was man an Forderungen stellen kann, was noch mehr gemacht werden müsste, wo man noch genauer hinschauen müsste, wo Dinge noch nicht richtig laufen, wo Strukturen sind, die von öffentlichen Stellen vielleicht nicht intensiv genug beobachtet werden, bei aller Kritik, die man daran äußern kann – ich bin sehr bei Ihnen, dass man da genauer hinschauen muss –, glaube ich, dass es einer Debatte, in der es um den Rechtsextremismus geht, gut anstehen würde, wenn wir im Hessischen Landtag an erster Stelle das betonen würden, was uns im Kampf gegen den Rechtsextremismus eint.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Das sollten wir betonen, nicht in erster Linie das, wo wir durchaus unterschiedliche Herangehensweisen haben. Deswegen will ich am Anfang ganz deutlich sagen, dass ich mich bei der Kollegin Gnadl und bei der SPD-Fraktion ausdrücklich dafür bedanke, dass Sie diese Große Anfrage eingereicht haben. Gerade angesichts der schrecklichen Mordtaten des NSU und in Anbetracht der Aufarbeitung, die wir im Untersuchungsausschuss gemeinsam leisten, glaube ich, dass es allen gut tut, noch genauer hinzuschauen und die Strukturen der Nazis in Hessen noch genauer zu beobachten.

Wir haben im Untersuchungsausschuss – darüber wird eher nicht berichtet – viele Hinweise bekommen, was die Zusammenarbeit, die Organisationsstruktur, die überspringenden Gemeinsamkeiten zwischen Rechtsextremisten in Hessen und Thüringen sowie Rechtsextremisten in Hessen und Nordrhein-Westfalen angeht. Von daher glaube ich, dass es wichtig ist, immer wieder einen genauen Blick auf diese Leute zu werfen und auch auf Gruppen zu schauen, die nicht so sehr im Fokus der Verfassungsschutzbehörden stehen. Dazu haben Sie einen wichtigen Beitrag geleistet, indem Sie diese Große Anfrage formuliert haben. Dafür noch einmal einen herzlichen Dank an die Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion.

Soweit in der Anfrage Zahlen und Fakten abgefragt worden sind, beispielsweise zu Personenpotenzialen, Veranstaltungen, Treffen, Konzerten, Publikationen und Internetseiten, will ich gleich am Anfang feststellen, dass es meiner Ansicht nach nicht zielführend ist, darüber zu streiten, ob das „viele“ Personen, „viele“ Veranstaltungen oder im Vergleich zu anderen Ländern weniger Veranstaltungen sind. Ich denke, dass jede dieser Veranstaltungen eine Veranstaltung zu viel ist, dass jeder Neonazi, der im Lande Hessen aktiv ist, einer zu viel ist. Das sollten wir als Gemeinsamkeit hier im Hessischen Landtag betonen.

(Beifall)

Herr Kollege Bellino hat es schon gesagt, ich will es unterstreichen: Hessen ist ein offenes Bundesland, Hessen ist ein tolerantes Bundesland; deswegen ist in Hessen kein Platz für Intoleranz. Für uns Hessen sollte jeder Rechtsextremist, jeder Neonazi einer zu viel sein, jedes Skinheadkonzert, jede rechte Demonstration eine zu viel sein. Diesen Konsens sollten wir als Demokraten hier im Hessischen Landtag in dieser Frage haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU und der SPD)

Ich denke, dass wir uns auch darin einig sind, dass es in unserem Bundesland keinen Platz für menschenfeindliche Ideologien, für Rassismus und für Antisemitismus geben darf. Gerade angesichts der Tatsache, dass wir uns im Untersuchungsausschuss mit den schrecklichen NSU-Morden beschäftigen, müssen wir alle rechtsstaatlichen Mittel einsetzen, um gegen derartige Ideologien zu kämpfen und etwas gegen die Menschen zu unternehmen, die diese Ideologien verbreiten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich will auch hier betonen: Wir haben schon in der Vergangenheit einiges geleistet. Deshalb will ich auch dafür werben, dass wir den Ton in dieser Debatte etwas mäßigen. Ich habe das auch schon in der Zeit getan, als ich noch Oppositionspolitiker in diesem Hause war. Wir hatten genügend Punkte, wo wir uns mit dem ehemaligen Innenminister und heutigen Ministerpräsidenten in der Innenpolitik streiten konnten. Wir haben aber an einem Punkt immer die Gemeinsamkeiten betont und gesagt: Das, was die Hessische Landesregierung in den Bereichen Prävention, KOREX und Aussteigerprogramme macht, ist richtig, und das wird von uns unterstützt; obwohl wir in einzelnen Punkten zusätzliche Forderungen haben, unterstützen wir dies Maßnahmen, denn es ist der richtige Weg, im Bereich der Prävention mehr zu machen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Wir haben – das können Sie aus dem Koalitionsvertrag ersehen – nicht nur einige Maßnahmen der Vorgängerregierung übernommen, sondern auch einiges Neue aufgenommen, was wir in diesem Bereich umsetzen wollen.

Das Innenministerium hat eine Fülle von Zahlen und Fakten zusammengetragen. Man kann mit der einen oder anderen Auskunft zufrieden oder nicht zufrieden sein; Kollegin Gnadl hat es angesprochen. Ich finde es gut, dass wir das aufgreifen, damit man das nacharbeiten kann.

An der Beantwortung der Großen Anfrage waren mehrere Ministerien beteiligt. Das ist, glaube ich, auch eine Stärke. Weil so viele verschiedene Behörden und Ministerien zusammenarbeiten und ihre Arbeit koordinieren, kommen viele Fachleute aus anderen Bundesländern nach Hessen und schauen sich an, wie z. B. das Kompetenzzentrum Extremismus funktioniert. Warum sage ich das? Ich will jetzt nicht alle beteiligten Stellen aufzählen. Ich sage das, weil die Sozialdemokraten zu Recht beklagt haben, dass es acht Monate gedauert hat, diese Große Anfrage zu beantworten. Wenn man aber fünf oder sechs Ministerien zu beteiligen hat und so viele komplexe Fragen zu beantworten hat, dann ist es natürlich notwendig, dass man das ordentlich macht und sich dafür genügend Zeit nimmt.

Wir haben es in Hessen mit rund 930 Personen zu tun, die rechtsextremistischen und neonazistischen Parteien angehören. Bundesweit gehören diesen Gruppen 15.300 Personen an. 380 bis 400 davon gehören den Gruppen an, die besonders gewaltbereit und rechtsextremistisch sind; bundesweit sind es 9.600 Personen. Gerade die Personengruppen, die besonders gewaltbereit sind, müssen wir besonders im Blick haben.

Etwa 470 der bekannten Rechtsextremisten haben das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet. Das ist ein wichtiger Hinweis – auch darauf, dass wir hier ein Phänomen haben, von dem zumeist junge Menschen betroffen sind. Der Frauenanteil liegt bei diesen Organisationen bei 20 bis 25 Prozent. Der Anteil der weiblichen Tatverdächtigen bei Straf- und Gewalttaten lag in den Jahren 2005 bis 2014 zwischen 5 und 13 Prozent. Wir haben es also mit einem Personenkreis zu tun, der überwiegend jung und männlich ist. Das muss unseren Blick schärfen.

Vor dem Hintergrund dessen, was Sie gesagt haben und was in der Antwort auf die Große Anfrage steht, glaube ich, dass wir uns einige Handlungsfelder genauer anschauen müssen.

Sie haben es angesprochen. Ich habe mir auch einmal ein paar Handlungsfelder angeschaut.

Handlungsfeld Waffen und Munition: Frau Kollegin Gnadl, völlig zu Recht haben Sie das gesagt. Die rechtsextremistische Szene in der Bundesrepublik verfügt über eine nicht unerhebliche Anzahl von Waffen und eine nicht unerhebliche Menge an Munition. Das ist erschreckend. Hier muss dringend nachgearbeitet werden. Hier müssen dringend Anstrengungen unternommen werden, damit Waffen nicht in die Hände rechtsextremistischer Menschen geraten.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Sicherheitsbehörden in Hessen nutzen natürlich die rechtlichen Möglichkeiten, die sie haben, z. B. waffenrechtliche Erlaubnisse; aber ich denke, dass man auch mit Maßnahmen, die in anderen Bereichen erfolgreich waren, arbeiten muss: Kontrolldruck erhöhen, die Leute nerven, öfter einmal auf der Matte stehen und schauen, was das eigentlich los ist.

Ich glaube, dass man sich diesen Bereich genauer anschauen muss. Wir hatten es in Deutschland mit rechtsextremistischen Morden zu tun. Über die NSU-Morde debattieren wir hier gerade, auch im Untersuchungsausschuss. Wir wissen, dass die Rechtsextremisten bereit sind, diese Waffen einzusetzen, und deswegen müssen wir genauer hinschauen und alle Anstrengungen unternehmen, damit die Waffen aus den Händen solcher Extremisten verschwinden.

Ein weiteres Handlungsfeld sind die Medien. Frau Kollegin Gnadl hat die Internetauftritte und anderes angesprochen. Wir haben es mit dem Problem zu tun, dass diese Server oft im Ausland stehen und wir keinen Zugriff darauf haben. Doch in den Fällen, in denen die Server in Deutschland stehen, wird einiges unternommen.

Aber auch da müssen wir mehr Anstrengungen unternehmen – wir müssen uns bilateral mit denen unterhalten, die diese Server betreiben –, und wir müssen öfter darangehen und unsere Behörden ermuntern, möglichst gegen diese Organisationen vorzugehen, die im Internet auftreten. Es sind eigentlich alle in Hessen bekannten Organisationen auch im Internet vertreten. Ich glaube, dieses Handlungsfeld müssen wir noch einmal besonders in den Blick nehmen.

(Vizepräsidentin Heike Habermann übernimmt den Vorsitz.)

Ein weiteres Handlungsfeld ist die Prävention. Frau Kollegin Gnadl, bei allen kritischen Anmerkungen, die Sie gemacht haben, sollten wir auch einmal feststellen, dass wir in Hessen neben der repressiven Säule gerade eine ganz starke Säule an Präventionsarbeit aufbauen. Es kommen Besucher aus vielen anderen Bundesländern, die sich das genauer anschauen.

Ich finde, wir sollten im Zusammenhang mit diesem Themenkomplex einmal sagen – vielleicht auch im Hessischen Landtag –: Wir sind uns einig, dass wir eine ganz starke Säule Prävention aufbauen; denn jeder Jugendliche, den wir daran hindern, überhaupt erst in solche rechtsextremistischen Szenen abzugleiten, ist ein Jugendlicher, der für die Demokratie gewonnen worden ist. – Das muss uns leiten, nicht aber das Herumkritisieren an den einzelnen Programmen.

Vizepräsidentin Heike Habermann:

Herr Kollege Frömmrich, bitte kommen Sie zum Schluss Ihrer Rede.

Jürgen Frömmrich:

Ich komme zum Schluss. – Eine unserer großen Forderungen, auch in der Opposition, auch zusammen mit den Sozialdemokraten, war immer, dass ein eigenes Landesprogramm aufgestellt wird. Wir haben jetzt ein eigenes Landesprogramm Rechtsextremismus, und ich finde, das sollte man hier auch einmal würdigen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Unter dem Strich danke ich den Kollegen von den Sozialdemokraten, die diese Große Anfrage gestellt haben. Ich finde es wichtig, dass wir dieses Thema immer wieder aufrufen, dass wir uns der Gefahren bewusst wird, mit denen wir es in Hessen zu tun haben, und dass wir als demokratische Parteien im Hessischen Landtag in dieser Frage möglichst an einem Strang ziehen. Wir sollten die Gemeinsamkeiten betonen und nicht das Trennende. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Vizepräsidentin Heike Habermann:

Vielen Dank, Herr Frömmrich.

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