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17.11.2011
Portraitfoto von Jürgen Frömmrich vor grauem Hintergrund.

Jürgen Frömmrich: Hinterlassenschaften von Ministerpräsident Bouffier im Innenressort „beschädigen“ Ansehen der hessischen Polizei

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Schon beim Aufruf hat man gesehen, dass wir noch einen Änderungsantrag nachgereicht haben. Daran erkennt man, dass sich in dieser Causa praktisch täglich etwas ändert. Wir wollten, dass Ihnen ein aktueller Antrag vorliegt.

Wir wollen uns über die Hinterlassenschaften des ehemaligen Innenministers und heutigen Ministerpräsidenten Volker Bouffier im Innenressort unterhalten.

Man hat schon ein bisschen Verständnis dafür, dass der jetzige Innenminister sozusagen einen Fluchtversuch in das Amt des Stadtoberhauptes der Stadt Frankfurt unternimmt und dort Oberbürgermeister werden will.

(Zuruf des Ministers Boris Rhein)

– Herr Minister, man muss schon von einem „Fluchtversuch“ sprechen, denn Sie sind noch nicht gewählt. Es ist ein Versuch.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Ich habe ein bisschen Verständnis dafür. Fast könnte man mit Ihnen ein bisschen Mitleid haben – wenn nicht das „Schmerzensgeld“ für das, was Sie gerade machen, so hoch wäre. Herr Innenminister, bei diesen Hinterlassenschaften kann ich es mir gut vorstellen, dass Sie sich nach einer gut funktionierenden Koalition und einer wunderschönen Arbeit in der wunderschönen Stadt Frankfurt sehnen. Das kann ich in der Tat nachvollziehen – wenn aus Ihrem Innenressort jeden Tag eine neue Meldung kommt, die im Prinzip allesamt die Hinterlassenschaften des heutigen Ministerpräsidenten betreffen.

Meine Damen und Herren, eigentlich sind das unvorstellbare Dinge, mit denen wir es hier zu tun haben. Das spielt nicht etwa in einem schlechten Film, sondern diese Meldungen stammen mitten aus der hessischen Polizei, aus dem Innenministerium, aus der Führungsebene der hessischen Polizei. Es sind also keine schlechten Filme.

Wir mussten lesen, dass es im Polizeipräsidium Frankfurt ein Jeder-gegen-jeden gibt: Da wird beobachtet, bespitzelt und denunziert. Wir haben es mit Schmerzensgeld- und Schadenersatzforderungen von Polizeibeamten gegen das Land Hessen zu tun, mit Verstößen gegen die Unschuldsvermutung und mit der Verfolgung Unschuldiger. Es gibt Mobbingvorwürfe. Es sollen Wohnungen von Polizeibeamten durchsucht werden, ohne dass es dafür einen Grund gibt. Gott sei Dank funktioniert da bei uns der Rechtsstaat.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, bei all diesen Überschriften muss man sich in der Tat fragen: Was für ein Ministerium, was für eine Führungskultur hat dieser Ministerpräsident seinem Nachfolger hinterlassen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Das Letzte, das wir zu lesen bekamen, war die Herausgabe von geheimen – auch gestern hatten wir es mit Geheimem zu tun; wir sind auf „geheim“ vergattert worden – Abhörprotokollen über Telefonüberwachungskommunikation, die nach außen gespielt wurden. Es geht um Geheimnisverrat.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das sind Straftaten – Straftaten, die mitten in der hessischen Polizei stattfinden, im Ministerium, im Landespolizeipräsidium. Das alles sind Hinterlassenschaften dieses leider nicht anwesenden Ministerpräsidenten, die er seinem Nachfolger Boris Rhein in seinem Haus vermacht hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, man muss sich auch bei den Personalentscheidungen wundern. Boris Rhein entbindet die Vizepräsidentin des Hessischen Landeskriminalamtes von ihren Aufgaben.

(Zuruf des Ministers Boris Rhein)

– „Führungsversagen“ sagt der heutige Innenminister. Ich kann Ihnen einmal sagen, was Volker Bouffier kurz vorher zur Einführung der LKA-Präsidentin gesagt hat. Bei der Einführung sagte er:

Sabine Thurau – eine innovative, qualifizierte, engagierte Polizistin und Juristin.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, was stimmt denn nun? Ist das nun eine qualifizierte Polizistin? Oder ist das eine Führungspersönlichkeit, die „keine Führungskultur“ hat, wie es der Innenminister gesagt hat, der also Führungsversagen nachzuweisen ist? Herr Innenminister, Sie müssten sich schon einmal einigen, welches Personal Sie für die oberste Führungshierarchie der hessischen Polizei ausgewählt haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Wir haben es damit zu tun, dass der ehemalige Landespolizeipräsident Nedela von diesem Innenminister in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden ist – ausgesucht vom Hessischen Ministerpräsidenten, ausgesucht, gelobt und eng verbunden mit dem heutigen Hessischen Ministerpräsidenten, aber rausgeschmissen und von seinem Nachfolger in den einstweiligen Ruhestand versetzt.

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das spricht nicht gerade für die Qualität der Personalauswahl, die diese Landesregierung und dieser Ministerpräsident an den Tag gelegt haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wie suchen Sie eigentlich das Führungspersonal der hessischen Polizei aus?

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Geht es da streng nach dem Beamtengesetz? Wird da nach Eignung und Befähigung ausgesucht? Oder wird danach ausgesucht, wer dem Ministerpräsidenten und ehemaligen Innenminister am nächsten sitzt?

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Oder wird danach ausgesucht, wer der hessischen CDU angehört, um darüber in Führungspositionen zu kommen? Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Frage müssen Sie hier doch einmal beantworten.

(Beifall beidem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Auch die Auswahl des Präsidenten der hessischen Bereitschaftspolizei wird derzeit von einem veritablen Untersuchungsausschuss beleuchtet: ob gegen Urteile des höchsten hessischen Verwaltungsgerichts verstoßen worden ist. Gestern wurde Ihnen zum zweiten Mal vom Hessischen Staatsgerichtshof bescheinigt, dass Sie gegen die Verfassung verstoßen, indem Sie die Minderheitenrechte der Opposition in diesem Haus eklatant verletzen.

Sie müssten doch einmal sagen, wie das in der Causa der Besetzung des Bereitschaftspolizeipräsidenten ist. Herr Innenminister, auch da gibt es viele Fragen. Das ist auch die Frage der Qualität und der Art und Weise, wie Sie Führungspersonal aussuchen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ein weiter Punkt, den es anzusprechen gilt, ist die Frage des Präsidiums für Technik, Logistik und Verwaltung. Ich erinnere daran, dass wir einmal einen Untersuchungsausschuss zu diesem Präsidium hatten. Damals ist gesagt worden, es handele sich um einen Einzeltäter, der Geld in die eigene Tasche gesteckt habe.

Seinerzeit hat der Hessische Rechnungshof eklatante Mängel bei der Auftragsvergabe festgestellt: freihändige Vergabe von Aufträgen, Stückelung von Aufträgen, Beschaffungen auf verkehrten Wegen. Meine Damen und Herren, das war 2005. Da denkt man ja, wenn es einen solchen Untersuchungsausschuss und einen entsprechenden Bericht gibt, dass der zuständige Minister, und heutige Ministerpräsident, sich um eine Umstrukturierung und Umorganisation der Vergabepraxis kümmert.

In diesem Jahr kommt wieder ein Bericht des Landesrechnungshofs, der genau die gleichen eklatanten Mängel bei der Vergabe feststellt. Seit 2005 ist nicht passiert. Das liegt alles in der Verantwortung dieses ehemaligen Innenministers und heutigen Ministerpräsidenten. Was für ein Haus hat der dieser Innenminister seinem Nachfolger eigentlich hinterlassen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, man könnte das Ganze weiterführen. Wir haben über Vergabeverfahren im Digitalfunk geredet. Es sind eklatante Vergaberechtsverstöße aufgedeckt worden, auch von meiner Fraktion. Da wurden Parteifreunde bedient. Der Regierungssprecher hat sich in Auftragsvergaben eingemischt. Gescheiterte Bürgermeisterkandidaten aus Seligenstadt wurden dann im Innenministerium zuständig für den Digitalfunk.

(Zuruf des Abg. Alexander Bauer (CDU))

Wenn Sie diese Vorwürfe einem sozialdemokratischen oder einem grünen Innenminister unterstellten würden, möchte ich gerne sehen, welchen Rambo Sie dann veranstalten würden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zurufe der Abg. Alexander Bauer und Holger Bellino (CDU))

Das spricht nicht für die Qualifikation, das spricht nicht für das Auswahlverfahren. Das spricht nicht für die Hinterlassenschaften dieses Ministerpräsidenten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, deswegen haben wir einen Antrag nachgereicht. Wir haben gedacht, das sei irgendwann einmal vorbei. Der Nachfolger, der geschätzte Herr Rhein, hat angekündigt, er beginne mit einer neuen Führungskultur, er wolle einen Neuanfang, er wolle anders mit Beamtinnen und Beamten umgehen. Was lesen wir jetzt? Da sollen bei Polizeibeamten Wohnungen durchsucht werden. Gott sei Dank funktioniert bei uns der Rechtsstaat. Das Amtsgericht in Offenbach und die Landgerichte haben dieses Vorgehen gestoppt. Die Wohnungen sollten nicht durchsucht werden, weil da Kriminelle am Werk sind, sondern weil sich Polizisten öffentlich über die Führungskultur in dieser Polizei beschwert haben. Wo bitte schön ist da der Grund, Wohnungen durchsuchen zu wollen? Das ist ein tiefer Grundrechtseingriff. Was ist eigentlich los in Ihrem Haus, Herr Innenminister?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Das Gericht hat gesagt, es sei nicht ersichtlich, dass die öffentliche Diskussion von mutmaßlichen Missständen in der Personalführung des Präsidiums in Südhessen wichtige öffentliche Interessen gefährden könnte. Dann wird der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, sie ermittele ins Blaue.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben es bei Wohnungsdurchsuchungen mit tiefen Grundrechtseingriffen zu tun. Die Unverletzlichkeit der Wohnung ist bei uns ein hohes Rechtsgut. Nur, weil man Kritik nicht ertragen kann, weil man Menschen nicht ertragen kann, die sich gegen offensichtliche Missstände wehren, sollen Wohnungen durchsucht werden. Was ist das eigentlich für ein Zustand bei der hessischen Polizei, was ist das für ein Zustand bei Ihnen im Haus, Herr Innenminister?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Herr Kollege Frömmrich, die Redezeit ist abgelaufen.

Jürgen Frömmrich:

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Herr Innenminister, es reicht nicht, wenn man das Amt übernimmt, dass man vollmundige Erklärungen abgibt und wortreich erklärt, man wolle eine neue Führungskultur etablieren, einen Neuanfang versuchen und mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen anderen Umgang organisieren. Herr Innenminister, man muss diesen Worten auch Taten folgen lassen. Wir fordern Sie auf, endlich einen vernünftigen Führungsstil in der hessischen Polizei zu implementieren und aufzuhören, kritische Geister in der Polizei zu verfolgen und zu versuchen, sie klein zu halten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Schönen Dank, Herr Kollege Frömmrich.

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