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18.05.2016
Portraitfoto von Jürgen Frömmrich vor grauem Hintergrund.

Jürgen Frömmrich: Hessen setzt Handlungsempfehlungen des NSU-Bundestagsuntersuchungsausschusses zügig um

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielleicht sollten wir in der Debatte ein bisschen abschichten.
(Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))
Ich würde dafür plädieren, dass wir in dieser Debatte ein Höchstmaß an Gemeinsamkeit finden sollten, was die Reform des Verfassungsschutzes und die Schlussfolgerungen aus den Handlungsempfehlungen des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestags angeht. Meine Damen und Herren, ich denke – Frau Kollegin Faeser hat es am Anfang ihrer Rede auch gesagt –, dass wir alle gut beraten wären, die notwendigen Schlussfolgerungen aus den schrecklichen Mordtaten des NSU zu ziehen – und das in möglichst großer Gemeinsamkeit. Daran kann ich nur appellieren.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)
Wir als Koalition haben relativ frühzeitig dazu Gesetzentwürfe erarbeitet, die wir im Oktober 2014 vorgelegt haben. Frau Kollegin, wir haben also gehandelt. Wir haben dann die von der Landesregierung eingesetzte unabhängige Expertenkommission gebeten, die Entwürfe aus ihrer Sicht zu bewerten. Das hat die Expertenkommission im September 2015 getan. Wir sind jetzt dabei, die Anregungen und die Kritik der Experten im Hinblick auf die von uns vorgelegten Gesetzentwürfe auszuwerten und die Entwürfe zu überarbeiten. Das ist man dieser Kommission schuldig. Sie hat mit sehr viel Sachverstand an diesem Thema gearbeitet. Meine Damen und Herren, wir sollten uns die Zeit dafür nehmen und auch die inhaltliche Kompetenz hinzuziehen, um das jetzt in die Entwürfe einzuarbeiten.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)
Frau Kollegin Faeser, wir haben ein hohes Interesse daran, diese Arbeit möglichst schnell abzuschließen, um dann mit Ihnen in die Diskussion zu kommen. Ich persönlich kann mir auch vorstellen, dass wir noch einmal das Gespräch mit Ihnen suchen, um auszuloten, wo es Gemeinsamkeiten gibt, bevor dieser Gesetzentwurf in die parlamentarische Beratung geht. Frau Kollegin Faeser, die Reform des Verfassungsschutzes sind wir allein schon den Opfern des NSU schuldig. Da sollten wir zusammenarbeiten.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)
Da es sich aber bei diesen Regelungen aber um eine komplexe Materie handelt – natürlich wissen Sie als Juristin das –, verrate ich Ihnen kein Geheimnis, wenn ich sage, dass wir hier nach der Prämisse vorgehen: Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit.
Ziel der vorgelegten Gesetzentwürfe ist es, die notwendigen Lehren aus den rechtsterroristischen Mordserien des NSU zu ziehen. Dazu gehört unter anderem, im Verfassungsschutzgesetz den Einsatz sogenannter V-Leute transparenter und restriktiver zu regeln, den Informationsfluss zu verbessern und dem Verfassungsschutz ein auf eine freie und plurale Gesellschaft bezogenes Leitbild zu geben – und natürlich die parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes zu verbessern. Meine Damen und Herren, ich glaube, darin sind wir uns einig.
Die von uns in den Gesetzentwürfen vorgesehenen Regelungen werden von der Expertenkommission als teilweise zu weitgehend erachtet. Insbesondere die Regelungen zur Transparenz, zum Landesamt für Verfassungsschutz und beim Informationsaustausch wurden von der Kommission kritisiert. Frau Kollegin Faeser, ich möchte das nochmals betonen.
Man muss sich in dieser Debatte schon entscheiden: Entweder kritisiert man uns dafür, dass wir transparentere Regelungen vorgelegt haben; oder Sie sagen, wir sollen das umsetzen, was die Expertenkommission vorgelegt hat. Die Expertenkommission hat nämlich in ihrem Bericht gerade diese weitergehende Transparenz, die weitergehende Steuerung von V-Leuten kritisiert.
(Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD))
Da müssen Sie sich schon für eines der Argumente entscheiden, und ich bin sehr gerne bereit, mit Ihnen darüber zu diskutieren.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD))
Meine Damen und Herren, gerade bei der Transparenz sind doch die Probleme im Zusammenhang mit den NSU-Mordtaten aufgetreten. Mangelnde Transparenz, mangelnder Informationsaustausch, das Fehlen von klaren Regeln für den Einsatz von V-Leuten – das waren doch die Probleme. Bei der Arbeit der Untersuchungsausschüsse in den Ländern und auch bei der Arbeit des Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages gelangen wir doch immer wieder an den Punkt, an dem wir beklagen oder feststellen, dass zwar Informationen vorgelegen haben, diese Informationen aber nicht oder nur unzureichend weitergegeben und dass falsche Schlussfolgerungen gezogen worden sind.
Wenn wir diesen Feststellungen zustimmen – und das tun wir, glaube ich, alle –, dann kann das nur heißen, dass wir transparentere, offenere Regelungen brauchen und dass wir den Datenaustausch zwischen den Ländern und dem Bund verbessern müssen. Das tun wir in diesem Entwurf. Aber die Expertenkommission sagt, dass ihr das zu weit geht. Meine Damen und Herren, diesen Diskurs müssen wir führen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)
Wir haben gesehen: Der Einsatz der V-Leute war mit Mängeln behaftet. Das wollen wir ändern. Meine Damen und Herren, auch das ist ein Konflikt. An zwei Beispielen will ich das nochmals deutlich machen.
In § 7 verpflichten wir das Landesamt für Verfassungsschutz zur gegenseitigen Information, Unterstützung und Hilfeleistung mit dem Bund und anderen Bundesländern. Die Expertenkommission sagt: Es fehle dem Land an der Regelungskompetenz, der Bund sei zuständig. Wir regeln also etwas, das im Grundsatz richtig ist, aber die Expertenkommission sagt: Ihr dürft das nicht, weil der Bund zuständig ist. – Meine Damen und Herren, darüber müssen wir reden, und das tun wir gerade in der Auswertung der Vorschläge, die die Expertenkommission vorgelegt hat.
(Widerspruch der Abg. Nancy Faeser (SPD))
In § 22 wird z. B. die Datenübermittlung an andere Bundesländer geregelt. Wir sagen dazu: Wir wollen diesen Datenaustausch. Die Expertenkommission sagt: Das ist ausschließlich Sache des Bundes.
(Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD))
Aber wenn wir an den NSU denken, dann müssen wir doch einfach einmal zur Kenntnis nehmen, dass – wenn die Informationen aus Thüringen frühzeitig an die anderen Länder gegangen wären – es unter Umständen gar nicht zu den vielen Mordtaten des NSU gekommen wäre. Deswegen wollen wir die Schlussfolgerungen aus diesen Morden ziehen.
(Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD))
Diese einfache Debatte, die hier zum Teil geführt wird, ist nicht zielführend. Wir müssen uns mit diesen Angelegenheiten grundständig beschäftigen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)
Frau Kollegin Faeser, wenn dann in der Pressemitteilung vom 10. Dezember kritisiert wird, ich zitiere: „Der Gesetzentwurf enthält Regelungen, für die das Land keine Gesetzgebungskompetenz hat“, dann ist das zwar eine, wie ich meine, ernsthafte Kritik; aber wir haben nach diesen schrecklichen Mordtaten des NSU den Auftrag, Regelungen zu treffen, die das hessische Landesamt für Verfassungsschutz im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten zu einem Informationsaustausch und zu Transparenz verpflichtet. Meine Damen und Herren, das ist das Ziel dieser Landesregierung.
Gleiches gilt für die Auswahl und die Arbeit der sogenannten V-Leute. In unserem Gesetzentwurf haben wir sehr restriktive Regelungen für deren Einsatz formuliert. Ich zitiere § 15 Abs. 5, dort wird normiert:
Verdeckt eingesetzte Personen dürfen zur Erfüllung ihres Auftrages keine Straftaten begehen.
Der Expertenkommission ist das zu weitgehend. Die Expertenkommission sagt: Wenn ihr euch nicht vom Informationsfluss aus diesen Gruppen abschneiden wollt, müsst ihr unter Umständen auch Straftaten zulassen.
Also, Frau Kollegin Faeser, Sie müssen sich schon entscheiden:
(Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD))
Entweder sollen wir den Vorschlägen der Expertenkommission folgen – oder Sie wollen restriktivere Regelungen für den Verfassungsschutz, für den Einsatz der V-Leute. Für eines dieser Ziele müssen Sie sich entscheiden, beides zusammen geht leider nicht.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD))
Meine Damen und Herren, diesen Konflikt müssen wir auflösen. Das tun wir.
(Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD))
Ich bin gerne bereit, jederzeit mit Ihnen das Gespräch dazu zu führen.
Wir arbeiten an der Lösung dieser Konflikte. Ich will es nochmals betonen, auch Kollege Bauer hat es bereits gesagt.
(Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD))
In Hessen haben wir frühzeitig begonnen, Konsequenzen aus den Erkenntnissen zu der NSU-Mordserie zu ziehen und die Arbeit der Sicherheitsbehörden zu verbessern. Diese Anstrengung würdigt die Expertenkommission ausdrücklich in ihrem Bericht zur Umsetzung der Handlungsempfehlungen des Deutschen Bundestages. Ich zitiere. Laut Expertenkommission setzt die Landesregierung die Handlungsempfehlungen „zügig, gründlich und erfolgreich um“. Die Kommission lobt also dem Grunde nach die Arbeit der Landesregierung und die Arbeit der Sicherheitsbehörden bei der Umsetzung der Handlungsempfehlungen. Ich will aus diesem Bericht ein bisschen zitieren, damit das einmal klar wird und nicht permanent diese Unterstellungen im Raum stehen, wir wollten diese Probleme nicht angehen. Wir wollen diese Probleme angehen, damit so etwas wie NSU nie wieder passieren kann. Aber das müssen wir dann bitte auch gründlich tun – und nicht einmal gerade so, mit einem Wisch hier vom Pult aus.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)
Die Kommission sagt, die zahlreichen Veränderungen bei der Polizei, Justiz und Verfassungsschutz, um eine neue Arbeits- und Fehlerkultur zu etablieren, ist gut. Das bereits im Frühjahr 2013 neu gestaltete Personalentwicklungskonzept für das Landesamt für Verfassungsschutz wird gelobt. Die erfolgreiche Überprüfung ungeklärter Delikte aus der Vergangenheit auf einen rechtsterroristischen Hintergrund wird gelobt. Die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Polizei und Justiz wird ausdrücklich gelobt.

Vizepräsidentin Heike Habermann:

Kollege Frömmrich, Sie müssen zum Ende kommen.

Jürgen Frömmrich:

Ich komme sofort zum Ende. – Die Verbesserung der Aufklärung politisch motivierter Kriminalität wird gelobt. Die Präventionsprojekte werden gelobt. Die Verbesserung der Betreuung von Opfern rassistischer Gewalt wird gelobt.
(Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD))
Meine Damen und Herren, ich bin sehr dafür, dass wir gemeinsam grundständig an diesem Prozess arbeiten. Ich bin dafür, dass wir ein modernes und transparentes, ein gutes Gesetz für den Verfassungsschutz auflegen. Das sind wir den Opfern des NSU schuldig. Wir sollten das nicht zur kleinen, parteipolitischen Debatte nutzen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vizepräsidentin Heike Habermann:

Vielen Dank.

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