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08.03.2012
Portraitfoto von Jürgen Frömmrich vor grauem Hintergrund.

Jürgen Frömmrich: Hessen macht Schluss mit „Bespitzelung und politischer Diskriminierung“

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das war wieder ein weiteres Beweis dafür, dass der eine den anderen in solchen Debatten dringend braucht.

(Heiterkeit sowie Beifall bei Abgeordneten von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

– Nein, das nutzt sich nicht ab, sondern es wird immer deutlicher: dass Sie einander brauchen. Deswegen muss man das für das Publikum auch immer wieder sagen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wenn man sich die Geschichte vergegenwärtigt und ein bisschen differenziert argumentiert, kann man das eine oder andere Argument einmal wirken lassen. Kollege Bauer, ich kenne Sie als jemanden, der das eigentlich auch kann. Daher hätte ich mir gewünscht, dass Sie in dieser Debatte etwas abgewogener argumentieren.

Kollege Bauer, es ist doch so: Unsere Werte, den Rechtsstaat, das, wofür wir als Demokraten stehen, ziehen wir doch nicht daraus, was in einem Erlass steht. Wir alle versammeln uns hinter dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Nicht hinter irgendeinem Erlass, der von irgendeiner Regierung einmal herausgegeben worden ist. Das sollte das Gemeinsame sein, das wir hier betonen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn man aus der Geschichte heraus über den Radikalenerlass diskutiert, muss man doch sagen, dass sogar derjenige, der ihn seinerzeit zu verantworten hatte, wie ich meine, ein großer Demokrat Willy Brandt –, gesagt hat, dass er rückblickend auf diesen Erlass meint, es sei ein Fehler gewesen, diesen Erlass zu formulieren. Sein Nachfolger im Amt, Helmut Schmidt, wird von Ihnen gerne in vielen anderen Zusammenhängen immer als einer der großen deutschen Kanzler zitiert. Er hat zum Radikalenerlass gesagt, damit sei „mit Kanonen auf Spatzen geschossen“ worden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Das muss man sich auch einmal vergegenwärtigen, wenn man darüber redet, dass hier über 3,5 Millionen Menschen diesem Radikalenerlass unterworfen worden sind. Die wurden untersucht und überprüft. Das muss man sich doch vergegenwärtigen: dass es über 11.000 Verfahren gegen Menschen gegeben hat, dass über 2.200 Disziplinarverfahren eingeleitet worden sind, dass Lehrerinnen und Lehrer zum Teil nicht in den Schuldienst übernommen worden sind, dass – Willi van Ooyen hat es gesagt – sogar der Lokomotivführer nicht eingestellt worden ist.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Es hat über 265 Entlassungen aus dem öffentlichen Dienst gegeben. Es gab viele Menschen, die von diesem Erlass betroffen waren. Herr Kollege Bauer, das muss man beim Rückblick auf diesen Erlass doch einfach einmal zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf des Abg. Alexander Bauer (CDU))

Meine Damen und Herren, auch von der LINKEN, man muss auch zur Kenntnis nehmen, in welchem Umfeld dieser Erlass seinerzeit formuliert worden ist. 1972 gab es die Anfänge der RAF. Deshalb: Man muss den Erlass nicht gut finden, und man muss nicht sagen, dieser Erlass sei deshalb richtig gewesen. Aber man muss sich einfach einmal die Geschichte vor Augen führen, wenn man über diese Dinge redet.

Kollege van Ooyen, es wundert mich ab und an schon, woher Sie solche Reden haben, wie Sie sie hier gerade gehalten haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU und der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin sehr dafür, über die Betroffenen zu reden und darüber, was da eigentlich passiert ist, wer da eigentlich auch unschuldig verfolgt worden ist und welchen Menschen da ihre Lebenswege verbaut worden sind. Das muss man einfach zur Kenntnis nehmen.

Ich weiß, Herr Kollege van Ooyen, es betrifft Sie nicht persönlich, und Ihnen persönlich ist da nichts vorzuwerfen.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Aber Sie gehören einer Partei an, die sich aus der SED über die PDS in Linkspartei umbenannt hat, und ich würde mir eine Aufarbeitung auch dieser Geschichte wünschen: was Bespitzelung und was die Frage der Staatssicherheit angeht. Hier würde ich mir auf Ihrer Seite ein ebenso vehementes Eintreten für Aufklärung und Aufarbeitung wünschen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU)

Herr Kollege van Ooyen, das sage ich jetzt auch einmal: Ich finde es geradezu unerträglich, wenn ich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 06.03. lese, wie von Ihnen benannte Mitglieder der Bundesversammlung, den Kandidaten der großen Mehrheit der Bevölkerung und der Parteien in Deutschland, Joachim Gauck, der Bundespräsident werden soll, in einer solchen Art und Weise diffamieren. Das finde ich schlichtweg unerträglich:

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

jemanden, der gegen ein Unrechtssystem gekämpft hat, der sich für Bürger- und Freiheitsrechte in Zeiten eingesetzt hat, in denen das sehr schwierig war, ihn als „Schönredner“ und als „Beschöniger“ zu bezeichnen; oder zu sagen, dass mit der Entscheidung für den ehemaligen Beauftragten der Stasiunterlagenbehörde seien Hunderttausende von Menschen ausgegrenzt worden,

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

nämlich jene, die zu den Verlierern des Wirtschaftssystems gehören. Wer ausgrenzt, der leistet auch einen Beitrag dazu, dass neonazistisches und fremdenfeindliches Gedankengut entstehen kann.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das im Kontext von Joachim Gauck zu sagen, finde ich schlichtweg unerträglich, und ich würde mir wünschen, dass Sie sich von solchen Aussagen Ihrer Delegierten distanzieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU, der SPD und der FDP)

Präsident Norbert Kartmann:

Kommen Sie bitte zum Ende.

Jürgen Frömmrich:

Ich komme sofort zum Schluss, Herr Bundespräsident.

(Lebhafte Heiterkeit und Zurufe)

Präsident Norbert Kartmann:

Ja, das wäre die beste Wahl.

(Heiterkeit)

Jürgen Frömmrich:

So kommt das, wenn man über den zukünftigen Bundespräsidenten reden will. Entschuldigung.

(Günter Rudolph (SPD): Jetzt hast Du noch zehn Minuten! – Weitere Zurufe)

– Mit Verlaub, ich finde trotzdem Joachim Gauck noch als den geeigneten Kandidaten.

(Heiterkeit und Zurufe – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Im Kontext mit Joachim Gauck zu sagen – –

(Zurufe)

Präsident Norbert Kartmann:

Meine Damen und Herren, ich ziehe meine Kandidatur zurück.

(Heiterkeit)

Herr Kollege Frömmrich, Sie können weiterreden.

Jürgen Frömmrich:

Vielen Dank, das werde ich mir auch für die nächsten Reden merken.

Im Zusammenhang mit Joachim Gauck zu sagen, er sei kein Bürgerrechtler gewesen und noch schnell auf einen Zug aufgesprungen, und dann zu sagen – die Krönung des Ganzen –, mit seinem Engagement für mehr Freiheit setzt Gauck zudem den falschen Schwerpunkt, das finde ich in der Tat, Herr Kollege van Ooyen, unerträglich. Ich würde mir wünschen, dass Sie sich als Partei für Ihre Delegierten an diesem Punkt entschuldigen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU, der SPD und der FDP)

Präsident Norbert Kartmann:

Vielen Dank.

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