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26.06.2012
Portraitfoto von Jürgen Frömmrich vor grauem Hintergrund.

Jürgen Frömmrich: Gesetz zur Neuregelung des Glücksspielwesens

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Bauer, Sie haben das Problem richtig beschrieben. Sie haben davon geredet, dass man in vielen Städten und Gemeinden merkt, wie sich Stadtbilder verändern, wie Einzelhändler verdrängt werden und die neuen Spielhallen in diese Lücken hineindrängen. Das haben Sie ganz richtig dargestellt.

Das Problem ist aber: Der Gesetzentwurf regelt das nicht konsequent. Diesen Vorwurf machen wir Ihnen.

Leider haben Sie lange gebraucht, bis Sie einen Gesetzentwurf vorgelegt haben. Jetzt haben Sie einen Entwurf vorgelegt, der – wenn Sie die Anhörung nochmals Revue passieren lassen – von fast allen Anwesenden kritisiert worden ist. Es wurde ganz deutlich gesagt, dass dieser Gesetzentwurf nicht weit genug geht.

Um das nochmals in Erinnerung zu rufen: Wir haben am 13.04.2011 einen Gesetzentwurf zu dieser Thematik vorgelegt und geschrieben, wie wir diese Branche regulieren wollen. Eines muss doch klar sein: Wenn man die Probleme erkennt, die mit den Spielhallen entstehen – der Verdrängungswettbewerb, die Veränderung von Stadtquartieren und daraus entstehende Probleme – und wenn man die Thematik Suchtverhalten und -prävention einbezieht, dann muss man einen Gesetzentwurf vorlegen, der auch tatsächlich reguliert und in den Markt eingreift. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das aber tun Sie nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Ich will nochmals in Erinnerung rufen, worum es eigentlich geht.

Aus der Suchtforschung gibt es dazu statistisches Material: 18.489.491,72 Euro werden in jedem Monat in hessischen Spielhallen verspielt. Das muss man sich einmal vorstellen: mehr als 18 Millionen Euro.

Mittlerweile haben wir in Hessen ca. 2.000 Spielsüchtige mit problematischem Verhalten. Es gibt Gebiete in der Bundesrepublik, in denen diese Zahl noch wesentlich höher liegt. Die Zahl der Personen, die Probleme im Umgang mit dem Glücksspiel haben, steigt permanent.

Wenn man diese Probleme erkennt und sieht, dann muss man in den Markt eingreifen und ihn auch regulieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Sie legen uns jetzt einen Gesetzentwurf vor, der nachher wahrscheinlich mit Ihrer Mehrheit auch verabschiedet werden wird. Die darin enthaltenen Regelungen sind mehr als das, was wir zurzeit haben. Aber die Grundprobleme werden nicht angepackt.

Es geht da beispielsweise um Mindestabstände zu Jugendeinrichtungen, um Mehrfachkonzessionen, um Öffnungszeiten. Sie wollen die Sperrzeiten auf sechs Stunden festsetzen – wir hatten acht Stunden vorgeschlagen. Es geht um den Spielerschutz, die Suchtprävention sowie um die Schulungen derer, die in solchen Einrichtungen arbeiten: Wer finanziert diese Schulungen? In der Anhörung wurde auch die Frage aufgeworfen, ob man solche Unternehmen nicht generell zertifizieren müsse.

All diese Dinge sind in Ihrem Gesetzentwurf nicht aufgegriffen worden. Mit dem Gesetzentwurf, den Sie heute hier verabschieden wollen, springen Sie zu kurz.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Ich will Ihnen noch einige Stellungnahmen zitieren, die deutlich machen, dass Ihr Gesetzentwurf nicht weit genug geht.

Das Kommissariat der katholischen Bischöfe in Hessen sagt: Wir begrüßen die mit diesem Gesetzentwurf vorrangig verfolgten Ziele Suchtprävention, Spieler- und Jugendschutz – das ist auf den Gesetzentwurf der GRÜNEN gemünzt. Das Zitat weiter: Wir halten es für einen sinnvollen Weg, wenn die Dichte der Spielhallen auf eine je angefangene 20.000 Einwohner begrenzt wird. – Das war unser Vorschlag.

Es heißt dort weiter: Wir halten es für richtig, dass Spielhallen mindestens 500 m von Kinder- und Jugendeinrichtungen entfernt sein müssen. Ganz besonders positiv sehen sie die in § 8 Abs. 2 getroffenen Regelungen; danach besteht ein Spielverbot an allen Sonntag- und gesetzlichen Feiertagen.

Das sind alles Vorschläge von uns. Das Kommissariat der katholischen Bischöfe stimmt dem ausdrücklich zu.

(Zuruf des Abg. Alexander Bauer (CDU))

Die Psychotherapeutenkammer begrüßt ausdrücklich den Gesetzentwurf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und sagt: Ihr Gesetzentwurf ist nicht weitgehend genug.

Die Wissenschaftsstadt Darmstadt hat unseren Gesetzentwurf ausdrücklich begrüßt und gesagt, dass man in dieser Branche Regelungen braucht, weil die Kommunen sonst mit diesen Problemen allein gelassen werden und sie nicht bewältigen können.

Ich könnte Ihnen noch eine Vielzahl von Zitaten aus dieser Anhörung vortragen, aber wir haben das vorhin schon erlebt: Solche Anhörungen dienen Ihnen nicht dazu, Sachverstand wirklich anzuhören und die dort vorgetragenen Argumente in den Gesetzentwurf einzuarbeiten, sondern Sie übergehen diese Argumente einfach.

Das gilt insbesondere für die Sachverständigen zur Suchtproblematik. Die haben ganz deutlich darauf hingewiesen, dass wir eine Regulierung brauchen, und zwar eine stärkere Regulierung als die, die Sie in Ihrem Gesetzentwurf vorsehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Ich verstehe auch nicht, wie der Innenminister Rhein von seinem ersten Vorschlag zu dem jetzigen gekommen ist. Denn er weiß es besser, deutlich besser. Als ehemaliger Ordnungsdezernent der Stadt Frankfurt weiß er um die Probleme. Er weiß, dass wir hier dringenden Handlungsbedarf haben. Deswegen hat er damals diese Vorschläge vorgelegt, die sich mit unserem Gesetzentwurf fast gedeckt haben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser erste Vorschlag, dieser Referentenentwurf aber wurde dann von der Schutzmacht der Automatenlobbyisten, nämlich der FDP, eingefangen. Meine Damen und Herren, das bedauern wir ausdrücklich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Günter Rudolph und Nancy Faeser (SPD))

Ich will jetzt zu den Gesetzentwürfen kommen, die sich mit dem Spielwesen beschäftigen. Auch hier haben wir dringenden Handlungsbedarf.

Herr Wintermeyer, natürlich weiß ich um die Schwierigkeit, Staatsverträge zu schließen. Dabei muss man eine Vielzahl von Interessen unter einen Hut bringen. Aber das, was hier als Staatsvertrag vorgelegt wurde, trägt so nicht. Es wird den Anforderungen des Europäischen Gerichtshofs nicht gerecht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will dazu einige Punkte anführen.

Beispielsweise sagt der Europäische Gerichtshof ganz deutlich: Eine Regelung für das Glücksspielwesen muss kohärent sein – also schlüssig; die Regeln müssen nachvollziehbar sein.

Sie aber regeln in diesem Staatsvertrag gerade nicht kohärent. Auf der einen Seite öffnen Sie den Markt der Sportwetten und wollen Konzessionen vergeben. Da stellt sich aber doch sofort die Frage: Warum gerade 20 Konzessionen? Warum nicht 21? Es wird denjenigen geben, der eine 21. Konzession haben will – und der wird vor den Europäischen Gerichtshof ziehen, sich auf die Dienstleistungsfreiheit berufen und gegen diesen Staatsvertrag klagen. Ich befürchte, er wird recht bekommen.

Ich möchte einen zweiten Punkt anmerken. Warum öffnen Sie das Internet für die Sportwetten, nicht aber für die anderen Glücksspiele? Meine Damen und Herren, das ist nicht kohärent. Sie können nicht hergehen und sagen, Sportwetten im Internet lassen wir zu, aber Kasino oder Poker dürfen nicht im Internet stattfinden.

Das ist ein Problem, und Sie kennen das. Spätestens dann werden Sie diese Ungleichbehandlung vor die Füße gekehrt bekommen, wenn jemand deswegen vor dem Europäischen Gerichtshof klagt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da nützt auch die Zusage der Europäischen Kommission nichts, die praktische Umsetzung dieser Regelung in Deutschland zwei Jahre lang prüfen zu wollen. Das kann Ihnen der zuständige Kommissar zwar zusichern, aber wenn der erste Kläger vor den Europäischen Gerichtshof zieht, dann nützt Ihnen die Zusage des Kommissars überhaupt nichts.

Meine Damen und Herren, daher hätte ich mir gewünscht, dass Sie hier eine kohärente Regelung vorlegen. Leider haben Sie das nicht getan.

Ich befürchte, darüber wird die gesamte Glücksspielbranche erneut in die Diskussion geraten, und wir werden aufs Neue hier darüber diskutieren müssen.

Es geht um einen Riesenmarkt. Deswegen sind dort auch so viele unterwegs. Deswegen erhalten wir so viele Schreiben der Lobbyverbände. Ich will es nochmals sagen: Alleine bei den Sportwetten geht es um ein Volumen von 7 bis 9 Milliarden Euro. Die Zahlen sind da etwas unterschiedlich, aber es ist ein Riesenmarkt, und zu mehr als 90 Prozent ist derzeit illegal organisiert. Mit dem aber, was Sie hier als Staatsvertrag vorlegen, werden Sie keine EU-konforme Regulierung dieses Bereichs bekommen. Vieles wird weiterhin illegal bleiben, weil Ihre Regelungen nicht kohärent, nicht schlüssig sind.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Günter Rudolph und Nancy Faeser (SPD))

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will zum Schluss kommen. Wir werden uns mit dieser Thematik wieder beschäftigen müssen. Ich möchte noch kurz auf den Änderungsantrag der Linkspartei eingehen. Er folgt dem Motto: Darfs für die Destinatäre noch ein bisschen mehr sein?

Darüber haben wir im Ausschuss diskutiert. Ich weiß, dass dort sehr viele, sehr aktive Menschen in Vereinen und Verbänden unterwegs sind, die mit Recht als Destinatäre partizipieren. Man kann aber jetzt nicht dort den Deckel aufheben und an die, die als Destinatäre sowieso schon bevorteilt sind, mehr ausschütten, aber nicht erklären, woher wir dieses Geld nehmen sollen – das müssen wir dann aus anderen Bereichen abziehen, die aus Toto- und Lottomitteln finanziert werden.

Das ist eine Art von Populismus, die wir nicht mitmachen. Meine Damen und Herren, Sie müssten dann schon erklären, woher Sie das nötige Geld nehmen, ohne diese Mittel den anderen wegzunehmen, die auch im karitativen oder im künstlerisch-kreativen Bereich und im Sport tätig sind.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie werden heute den Glücksspielstaatsvertrag – –

Präsident Norbert Kartmann: 

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist längst zu Ende.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Darauf müssen Sie aber hinweisen!)

Jürgen Frömmrich: 

Herr Präsident, vielen Dank, ich komme zum Schluss.

Sie werden diesen Gesetzentwurf heute hier beschließen. Aber Sie werden sich damit keinen Gefallen tun, weil Sie einen Staatsvertrag und gesetzliche Regelungen verabschieden, die nicht den Anforderungen des Europäischen Gerichtshofs gerecht werden. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Nancy Faeser und Reinhard Kahl (SPD))

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