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26.06.2013
Portraitfoto von Jürgen Frömmrich vor grauem Hintergrund.

Jürgen Frömmrich: Demonstrationsfreiheit schützen – unangemessenen Polizeieinsatz bei Blockupy-Demo aufklären

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielleicht passt ein Zitat von Voltaire ganz gut, wenn man dem Redebeitrag von Herrn Dr. Wilken gelauscht hat. Voltaire sagte schon im 18. Jahrhundert:

Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst.

Das ist unsere Auffassung von Meinungsfreiheit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Die Meinungsfreiheit und das Recht, friedlich und ohne Waffen demonstrieren zu können, sind zentrale politische und demokratische Grundrechte. Das Demonstrationsrecht in Art. 8 des Grundgesetzes ist in unserer Verfassung ein sehr hohes Gut. Dieses Recht muss geschützt, notfalls auch mit staatlichen Mitteln durchgesetzt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Vielzahl von Entscheidungen die Schranken für die Einschränkung dieses Grundrechts sehr hoch gelegt. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem sehr alten Urteil, schon 1985, als es um Brokdorf ging, gesagt, ich zitiere:

[Dass] Auflösung und Verbot nur zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit … erfolgen dürfen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist für die Mehrzahl der Mitglieder dieses Hauses doch vollkommen unstrittig, dass es natürlich nicht akzeptabel ist, dass eine Gruppe von Demonstranten Pyrotechnik, Latten und Wurfgeschosse mit sich führen und diese Waffen gegen Polizeibeamte einsetzten. Das ist vollkommen indiskutabel.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Dass passive Bewaffnung auch höchstrichterlich verboten worden ist, ist eine Tatsache. Das muss man zur Kenntnis nehmen.

Meine Damen und Herren, ich frage aber, ob es verhältnismäßig ist, wegen einer Gruppe von 150 bis 200 Störern, vermummten Leuten, die zweifellos Gegenstände mit sich geführt haben, die auf einer friedlichen Demonstration nichts zu suchen haben, das Demonstrationsrecht der überwiegenden Anzahl von friedlichen Demonstranten zu behindern? – Ich meine: Nein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Dieses Vorgehen ist nicht verhältnismäßig. Ich glaube auch, dass der Einsatz gegen Demonstranten, Journalisten und Beobachtern überzogen und unangemessen gewesen ist.

Ich möchte kurz die Zahlen nennen: Über 10.000 Demonstranten, davon 947 Menschen, die eingekesselt und deren Personalien festgestellt wurden.

(Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Vier Personen wurden daraus wegen Verdachts des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte erkennungsdienstlich behandelt. Meinen Sie wirklich, dass der Polizeieinsatz verhältnismäßig war, wenn man sich diese Zahlen ansieht und zur Kenntnis nimmt? – Ich glaube, nein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Noch einmal zu den Leitsätzen des Bundesverfassungsgerichts im Brokdorf-Urteil. Dort heißt es:

Steht nicht zu befürchten, daß eine Demonstration im ganzen einen unfriedlichen Verlauf nimmt oder daß der Veranstalter und sein Anhang einen solchen Verlauf anstreben oder zumindest billigen, bleibt für die friedlichen Teilnehmer der von der Verfassung jedem Staatsbürger garantierte Schutz der Versammlungsfreiheit auch dann erhalten, wenn mit Ausschreitungen durch einzelne oder eine Minderheit zu rechnen ist.

Das ist die Frage, die wir in diesem Zusammenhang stellen müssen: „Minderheit“, „einzelne“. War dieser Polizeieinsatz verhältnismäßig? – Ich glaube, er war nicht verhältnismäßig, wie uns auch viele Berichte zeigen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

War zu befürchten, dass die Demonstration im Ganzen einen unfriedlichen Verlauf nimmt? – Ich glaube, nein. Das sehen übrigens auch angesehene Staatsrechtler so. Am Ende werden Gerichte darüber zu entscheiden haben. Aber die Äußerungen machen sehr deutlich, dass unsere Einschätzung von angesehenen Verfassungsjuristen geteilt wird.

Nun hat der Innenminister in der Sitzung des Innenausschusses am Montag ein Gutachten aus dem Hut gezaubert, in dem sozusagen das Gegenteil behauptet wird. Dazu will ich nur eines sagen: Dieser Gutachter hat 237 Veröffentlichungen auf seiner Internetseite gelistet. Keine einzige dieser Veröffentlichungen befasst sich mit Polizeirecht oder Versammlungsrecht. Dafür ist aber auf der Internetseite Folgendes zu finden: 2008 bis 2010: Mitglied der CDU-Kommission „Solidarisches Bürgergeld“. Seit 2010 Mitglied des CDU-Bundesparteigerichts. Vielfache Tätigkeiten als Gutachter und Sachverständiger für die CDU-Bundestagsfraktion.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Prozessbevollmächtigter vor dem Bundesverfassungsgericht für die Bundestagsfraktion der CDU. – Am Ende werden Gerichte entscheiden, aber Sie sollten hier nicht den Eindruck vermitteln, dass dieses Gutachten unabhängig sei. Das bestreite ich, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zuruf von der CDU)

Wo ist das Gutachten im Übrigen, Herr Innenminister? Sie haben uns am Montag zugesichert, wir könnten Einsicht in dieses Gutachten nehmen. Ich stelle fest, dass dieses Gutachten bis heute nicht von Ihnen zur Verfügung gestellt worden ist. Offensichtlich tragen die enthaltenen Argumente nicht so, dass Sie uns dieses Gutachten aushändigen wollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Meine Damen und Herren, auch wenn Sie der Opposition nicht zustimmen – das kennen wir – und unsere Kritik in Bausch und Bogen zurückweisen – auch das kennen wir –, sollten Sie doch wenigstens einmal die Reaktion der Medien zur Kenntnis nehmen. Ich weiß nicht, wann es schon einmal eine so eindeutige Presselage gegeben hat: Von Bild-Zeitung bis Frankfurter Allgemeine Zeitung, von Welt bis taz, FNP, Frankfurter Rundschau, Süddeutsche Zeitung, Online-Medien, Rundfunk, Fernsehen – alle berichten über einen unangemessenen Polizeieinsatz sowie Übergriffe und Behinderungen der Pressefreiheit und Beschimpfungen. Spätestens jetzt sollten Sie doch einfach einmal zur Kenntnis nehmen, dass es nicht nur die böse Opposition in diesem Hause ist, die diesen Einsatz kritisiert, sondern ein großer Teil der öffentlichen Medien.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Aber auch das kennen wir, indem nach der Sitzung des Innenausschusses gesagt wird, die Vorwürfe der Opposition seien wie ein Kartenhaus zusammengebrochen. Aber was ist eigentlich mit den Vorwürfen und Berichten der Medien? Ich frage Sie: In welcher Parallelwelt leben Sie eigentlich, meine Damen und Herren?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will einmal ein paar Zitate bringen. Laut FAZ – kein linkes Kampfblatt, da sind wir uns wohl einig – seien Schlagstöcke und Pfefferspray auch gegen Demonstranten eingesetzt worden, von denen mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Gefahr ausgegangen sei. Beamte hätten sich auch nicht gezügelt, wenn sie versehentlich einen der Berichterstatter gepackt hätten. Auch der Hessische Rundfunkt ist kein Kampfsender. Dort heißt es: „Man muss den Innenminister offenbar erinnern, dass das Demonstrationsrecht ein hohes Gut ist.“

Dann gab es eine Pressekonferenz im Frankfurter Polizeipräsidium, etwas Vergleichbares habe ich in dieser Form noch nicht erlebt. Eine Journalistin der FAZ fragte dort, warum auch Personalien von Journalisten erfasst worden seien. Darauf meldete sich ein weiterer FAZ-Journalist und schilderte, wie seine Personalien trotz Presseausweis aufgenommen worden seien. Dann wurde von einem RTL-Reporter berichtet, seinem Kameramann sei ein Bein gestellt worden, ein Polizist habe ihm „Verpiss dich“ zugerufen. – Ist das ein Einsatz von Polizei, wie wir ihn in einem demokratischen Rechtstaat wollen? Nein, Herr Innenminister, ich glaube, das ist durchaus überzogen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Dann haben sich immer mehr Reporter zu Wort gemeldet und dazwischengerufen: „Eine Schande für Frankfurt“, nirgends habe es so etwas schon einmal gegeben. Eine Reporterin sagte, sie habe gesehen, wie friedliche Demonstranten von Polizisten niedergeprügelt worden seien. In Richtung des Einsatzleiters wurde gesagt: „Ich glaube, Sie waren auf einer anderen Veranstaltung“. Der Präsident des Polizeipräsidiums Frankfurt, politischer Beamter an diesem Tag, sagt auf dieser Pressekonferenz kein einziges Wort. – Meine Damen und Herren, so etwas habe ich nach einem solchen Einsatz noch nicht erlebt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist doch nicht die böse Opposition, es ist nicht der Schwarze Block. Das ist vielmehr der eindeutige Tenor der Berichterstattung nach der Blockupy-Demonstration am 1. Juni in Frankfurt.

Es ist völlig inakzeptabel, dass Polizisten gegenüber Demonstranten, Journalisten oder Unbeteiligten so etwas sagen wie: „Hau ab, du Pisser“ oder „Ich prügle dir die Birne zu Matsch“. – Herr Innenminister, so etwas ist indiskutabel. Wir wollen nicht, dass unsere Polizeibeamten gegenüber Demonstranten und Bürgern dieses Landes solche Aussagen tätigen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Zuruf von der CDU)

Spätestens die Kritik der OSZE müsste Ihnen zu denken geben. Nach der Blockupy-Demonstration in Frankfurt zeigt sich die OSZE besorgt über den Umgang der Polizei mit Medienvertretern. So seien Journalisten behindert und sogar angegriffen worden. Ein Reporter wurde der OSZE zufolge aus nächster Nähe mit Pfefferspray attackiert. Es sei bereits das zweite Mal gewesen, dass man bei Blockupy-Protesten in Frankfurt in die Rechte der Presse eingegriffen habe.

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Jürgen Frömmrich:

Ein weiteres Recht, das verletzt worden ist, das Grundrecht auf Pressefreiheit, ist bei uns ebenfalls ein hohes Gut und müsste geschützt werden. So geht man nicht mit Mitarbeitern der freien Presse um, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Jürgen Frömmrich:

Herr Präsident, ich komme zum Ende. – Der Polizeieinsatz war nach meiner Auffassung unverhältnismäßig. Sie wollten in Frankfurt den harten Hund geben, Sie wollten vor dem Wahlkampf Hessen-CDU und Law and Order geben. Das ist deutlich in die Hose gegangen, wie man nicht nur anhand der Kritik der Opposition in diesem Hause, sondern auch der breiten Berichterstattung der Presse in Hessen und deutschlandweit erkennen kann. Herr Innenminister, dieser Einsatz war vollkommen indiskutabel.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

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