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18.05.2011
Portraitfoto von Jürgen Frömmrich vor grauem Hintergrund.

Jürgen Frömmrich: 60 Jahre des Landesamtes für Verfassungsschutz in Hessen – Verfassungsschutz auch zukünftig unverzichtbar

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! 60. Geburtstage oder Geburtstage insgesamt sind dafür da, dass man sie feiert und dass man auch zurückblickt auf das, was gewesen ist,

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

und schaut, was man sich für die Zukunft vornimmt. Deswegen sagen auch wir dem Landesamt für Verfassungsschutz, Herrn Präsidenten Desch, der anwesend ist, herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Richten Sie das bitte auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus.

Ich kann sagen als jemand, der in dieser Legislaturperiode in der Parlamentarischen Kontrollkommission mitarbeitet, dass ich von der Zusammenarbeit sehr angenehm überrascht war. Ich hoffe auch, dass wir im Weiteren eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit haben, weil die parlamentarische Kontrolle beim Verfassungsschutz ein hohes Gut ist. Es kommt natürlich darauf an, dass die Kontrollkommission mit den Verantwortlichen des Verfassungsschutzes gut zusammenarbeitet.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Geburtstage sind auch dafür da, dass man die Arbeit würdigt. Geburtstage sind auch dafür da – ich habe es gerade schon gesagt –, nicht nur zu jubeln und sich an die schönen Tage zu erinnern, sondern vielleicht auch den Blick nach hinten zu wenden und einmal darüber nachzudenken, was nicht so gut gelaufen ist.

Ich glaube, das ist wie im Leben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand einen runden Geburtstag feiert, zurückblickt und sagt, das ist gut gelaufen, das ist alles ganz hervorragend. Deswegen bedauere ich es sehr, dass wir es hier mit einem Antrag der CDU und der FDP zu tun haben, der relativ undifferenziert ist. Ich hätte mir gewünscht, dass dieser Antrag auch auf diese Bereiche eingeht.

Umso mehr freue ich mich, dass die Kolleginnen und Kollegen der SPD einen Antrag nachgeschoben haben, der auch auf die Historie eingeht, diese Dinge anspricht und auch den Blick nach vorne wendet.

(Beifall der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, dass es wichtig ist, in einer solchen Debatte differenziert zu argumentieren. Es ist wichtig – Frau Kollegin Faeser hat das gemacht –, die Historie zu betrachten. Ich glaube auch, dass es wichtig ist, den Blick nach vorne zu wenden und zu schauen, wie man das, was es an parlamentarischen Kontrollrechten gibt, unter Umständen ausbaut, effektiviert und im Sinne der Bürgerinnen und Bürger Transparenz herstellt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich brauche es Ihnen nicht zu sagen, das wissen Sie auch. Wenn sich ein GRÜNER mit der Geschichte des Verfassungsschutzes beschäftigt, beschäftigt er sich auch mit seiner eigenen Geschichte und damit, wie sich sozusagen die Auffassung und Beurteilung unserer eigenen Fraktion im Hinblick auf den Verfassungsschutz geändert hat. Aber wir haben es auch mit anderen Zeiten zu tun. Herr Kollege Schaus, bei Ihnen wird sich wahrscheinlich nichts ändern.

(Beifall des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Aber das hat auch etwas damit zu tun, dass es Ihnen ab und an gut anstehen würde, nachzudenken, bevor Sie hier dazwischenbrüllen.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Es gibt zwei große Ereignisse, die dazu geführt haben, dass man neu darüber nachdenkt. Das war zum einen der Wegfall des Ost-West-Konflikts, der Mauerfall. Der zweite Punkt waren die Ereignisse am 11. September 2001, der Anschlag in New York. Danach haben wir alle darüber nachgedacht, wie man Sicherheitsbehörden neu aufstellen muss, wie man sich nachrichtendienstlich anderer Mittel bedient, um das, was Herr Kollege Bellino gerade angesprochen hat – die wehrhafte Demokratie und den Schutz unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung –, zu gewährleisten.

Ich glaube, das war für uns ein Punkt, wo wir als GRÜNE  einen anderen Blick auf den Verfassungsschutz genommen haben. Man sollte aber nicht aus dem Blick verlieren – ich sage das auch gleich noch einmal –, was in der Vergangenheit beim Verfassungsschutz falsch gelaufen ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der internationale Terrorismus stellt neue Anforderungen. Das ist ganz deutlich. Wir haben es mit islamistischem Terrorismus zu tun. Wir haben es mit Ausländerextremismus zu tun. Wir haben es sowohl mit Rechts- als auch mit Linksextremismus zu tun. Von daher glaube ich schon, dass eine wehrhafte Demokratie einen Dienst braucht, der auf diesen Bereich schaut und mit den anderen Sicherheitsbehörden zusammenarbeitet.

Ich habe vorhin gesagt, dass wir meinen, dass der Antrag der CDU- und der FDP-Fraktion ein bisschen undifferenziert ist. Ich will aber auch die Gemeinsamkeiten betonen, die wir durchaus haben. Ich glaube, dass das Landesamt für Verfassungsschutz wichtige Aufgaben erfüllt, gerade bei der Beobachtung verfassungsfeindlicher und extremistischer Organisationen. Ich glaube, dass wir gemeinsam die Arbeit der Parlamentarischen Kontrollkommission schätzen. Wir wissen, welch wichtige Aufgabe das ist. Das ist kein Selbstzweck, sondern diese parlamentarische Kontrolle für einen Geheimdienst ist so organisiert, dass sich solche Dienste nicht verselbstständigen. Das haben wir in anderen Bereichen erlebt. Deswegen ist es so organisiert.

Wir wissen auch, dass die parlamentarische Kontrolle nur so weit gehen kann, wie die Parlamentarische Kontrollkommission in Kenntnis gesetzt wird. Das hat mit dem Berichtswesen sowohl der Regierung als auch des Verfassungsschutzes zu tun. Wenn die Parlamentarische Kontrollkommission nicht über diese Dinge informiert wird, dann kann sie natürlich nicht nachfragen. Es gibt kein Befassungsrecht, es gibt kein Akteneinsichtsrecht. Kollegin Faeser hat zu Recht gesagt, dass man in diesem Bereich vielleicht einmal darüber nachdenken sollte, wie man die Parlamentarische Kontrollkommission den geänderten Bedürfnissen und den geänderten Befugnissen anpassen muss.

Denn das, was wir an Befugnissen für den Verfassungsschutz im Gesetz normiert haben, sind tiefe Eingriffe in Grund- und Freiheitsrechte. Das muss man wissen. Hier gilt es Abwägung zu treffen zwischen den Grund- und Freiheitsrechten auf der einen Seite und den Interessen des Staates und der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger auf der anderen Seite.

Wir haben einen weiteren Punkt, wo wir Gemeinsamkeiten haben. Das ist die Prävention. Ich nenne hier das Stichwort KOREX. Da gibt es eine gute Arbeit des Verfassungsschutzes. Es ist das Kompetenzzentrum Rechtsextremismus, um es denen zu sagen, denen die Abkürzungen nicht so präsent sind. Ich glaube, dass es eine wichtige Arbeit ist. Es gibt eine Fülle von Broschüren zu verschiedensten Themenbereichen, die sich gerade an Jugendliche und an junge Menschen richten und auch den Rechtsextremismus behandeln. Ich glaube aber, dass man in diesem Bereich unter Umständen noch mehr machen kann.

Wenn man sich z. B. den Islamismus anguckt, könnte man sich auch vorstellen, hier präventiv tätig zu werden und in diesem Bereich beispielsweise auch einmal die Frage eines Aussteigerprogramms in Erwägung zu ziehen. Man kann nicht auf der einen Seite die Entwicklungen beklagen und auf der anderen Seite keine Maßnahmen ergreifen, um hierbei präventiv tätig zu werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ein weiterer Punkt, in dem Einigkeit besteht, ist, dass wir in sehr fachkompetenter Weise von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verfassungsschutzes informiert werden.

Ich habe es gerade schon gesagt: Wir haben es mit Bedrohungen für die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland und des Landes Hessen zu tun, wir haben es mit Rechts- und Linksextremismus, mit gewaltbereitem Islamismus, mit Salafismus – neulich erst gab es Demonstrationen und Aufmärsche in Frankfurt – sowie mit Ausländerextremismus zu tun. Es gilt hier also schon, den Staat wehrhaft zu halten und ihm auch Informationen zugänglich zu machen, was in diesen Bereichen passiert. Ich glaube daher auch, dass es wichtig ist, dass der Verfassungsschutz in diesen Feldern Kompetenzen besitzt.

Ich habe gerade schon über die wehrhafte Demokratie geredet. Ich glaube, dass wir den Spagat zwischen dem Schutz der Grundrechte der Betroffenen auf der einen und dem Gewinn von Informationen auf der anderen Seite hinbekommen müssen.

Rückblickend – und das ist auch eine kleine Schwäche der Debatte – muss man auch sagen, dass beim Verfassungsschutz in Hessen wie auch insgesamt nicht immer alles gut gelaufen ist und es hier durchaus Kritikpunkte gibt – ich erinnere an Skandale, als parlamentarische Kontrolle nicht funktioniert hat und Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission aus Zeitungen erfahren haben, dass V-Leute von Behörden in gewisse Straftaten verstrickt waren. Wir wissen, dass es Pannen bei der Führung von V-Leuten gegeben hat. Wir wissen – das betrifft jetzt nicht den Verfassungsschutz in Hessen – beispielsweise um die Frage der Sprengung der JVA in Weiterstadt – Herr Dr. Wagner kann sich noch erinnern –:

(Zuruf von Hermann Schaus (DIE LINKE))

Da waren die Dienste in Rheinland-Pfalz wie auch die Bundesdienste vorher informiert und sie haben billigend in Kauf genommen, dass seinerzeit dieser Anschlag durchgeführt worden sind. Wir hatten die Debatte zur Führung von V-Leuten im Zusammenhang mit dem NPD-Verbot – ich erinnere daran, dass das NPD-Verbot vom Verfassungsgericht unter anderem daran gescheitert ist, weil fast alle Dienste V-Leute in den Entscheidungsgremien der NPD platziert hatten und daher gar nicht einsichtig war, welche Entscheidungen bei der NPD ohne Einwirkung von V-Leuten gefällt worden sind; die Dienste waren auch nicht bereit, ihre V-Leute dort abzuziehen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss sagen: Ich glaube, dass es Anlass zur Gratulation für den Verfassungsschutz gibt. 60 Jahre kann man zurückblicken und sowohl die positiven wie auch die negativen Seiten betrachten; das ist, wie schon gesagt, wie im normalen Leben. Herr Desch, bitte richten Sie auch von meiner Fraktion herzliche Grüße aus, wir werden das wohl auch hier im Hessischen Landtag demnächst in einer Feierstunde feiern.

Ich glaube, dass wir uns beim Verfassungsschutz auch den Zukunftsangelegenheiten stellen müssen, nämlich dem, was Frau Faeser mit der Neuorganisation angesprochen hat, ebenso wie der Frage der Aufarbeitung der Geschichte. Daher wünsche ich mir auch weiterhin eine gute Zusammenarbeit. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD, Abgeordneten der CDU und Abgeordneten der FDP)

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