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15.12.2015

Eva Goldbach: Gesetz zur Erleichterung der Bürgerbeteiligung auf Gemeindeebene

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Gesetzentwurf der Landesregierung und die Änderungsanträge der Regierungskoalitionen verfolgen vor allem das Ziel, den hessischen Kommunen Handlungsspielräume zu eröffnen und in einigen Feldern Rechtssicherheit zu schaffen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)
Ich komme zum ersten Punkt, Bürgerbeteiligung. Wir sehen seit einigen Jahren zunehmende Bürgerproteste in den unterschiedlichsten Ausprägungen. Das sind vor allem Proteste, die Nein zu irgendetwas sagen. Wie sollen wir darauf reagieren? Die Proteste richten sich meistens gegen größere Infrastrukturentscheidungen. Deshalb wollen wir die Erfolgsaussichten für Bürgerbegehrsinitiativen verbessern. Das gilt insbesondere für Großstädte, weil es da sehr schwierig ist, das Interesse von Bürgerinnen und Bürgerinnen für bestimmte Sachfragen zu wecken. Das Zustimmungsquorum lag bisher einheitlich bei 25 Prozent, und – Herr Bauer hat es schon ausgeführt – wir wollen es für Städte mit über 50.000 Einwohnern auf 20 Prozent und für Städte mit über 100.000 Einwohnern auf 15 Prozent senken.
Daneben wollen wir ein Vertreterbegehren initiieren. Das heißt, dass die Volksvertreter, die Parlamente, die Möglichkeit erhalten, bei wichtigen Entscheidungen die Bürgerinnen und Bürger zu beteiligen. Das ist keine Flucht vor Entscheidungen, wie Kollege Dr. Hahn das dargestellt hat.
(Zuruf des Abg. Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP))
Ich möchte zwei Beispiele dazu nennen. Erstens. Stuttgart 21: Ich glaube, die Bürgerinnen und Bürger wären recht froh gewesen, wenn man sie vorher einmal gefragt hätte, ob sie mit dieser Entscheidung einverstanden wären. Zweites Beispiel. Hamburg, Olympia.
Da haben wir gesehen, dass mitnichten genau das herauskommt, was sich die Gemeindevertreter vorgestellt haben. Vielmehr haben die Bürger ganz anders entschieden, als es erwartet wurde. Damit muss ein Parlament dann auch umgehen können. Deswegen ist es auch richtig, dass eine Zweidrittelmehrheit ein solches Vertreterbegehren initiiert. Wir halten das für ein richtiges und wichtiges Instrument – und keinesfalls für eine Verlagerung der Verantwortung.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)
Ich möchte nun ein bisschen auf den Gesetzentwurf der LINKEN eingehen, weil die deutlich mehr Instrumente zur direkten Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger fordern: Kreisbegehren, Kreisentscheid, Bürgerantrag, Bürgerpetition. Ich mache einmal ein paar Ausführungen zum Bürgerantrag.
Sie fordern hier z. B. das Recht für alle Bürgerinnen und Bürger ab 14 Jahren, einen Antrag in das Gemeindeparlament einzubringen. Dann sollen die Antragsteller ein Rederecht erhalten, und – und das ist das Wesentliche – das Parlament soll dazu eine Entscheidung treffen.
Stellen wir uns das einmal in der Praxis vor. Das könnte z. B. ein Antrag zur Einrichtung irgendeiner Beratungsstelle sein. Klammer auf: Schauen Sie einmal in die Haushaltsanträge der LINKEN, das sind fast alles Anträge auf die Einrichtung von Beratungsstellen. Klammer zu.
Diese Beratungsstelle kostet Geld. Es gibt also eine Wirkung auf den kommunalen Haushaltsplan, nämlich eine Ausgabenerhöhung.
(Unruhe)
Gehen wir einmal davon aus, dass die Gemeinde einen Haushaltsplan verabschiedet hat.
Präsident Norbert Kartmann:
Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, sich etwas ruhiger zu verhalten. – Danke schön.

Eva Goldbach:

Dort ist aber gar kein Spielraum mehr für zusätzliche Ausgaben. Selbst wenn die Gemeindevertreterinnen und -vertreter dem Anliegen gewogen wären, hätten sie gar keine Möglichkeit, ihm zu entsprechen.
(Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))
Das führt zu nichts anderem als zu Frust – Frust bei den Antragstellern und bei den Gemeindevertretern.
(Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))
Denn sie glauben, sie hätten Einfluss auf kommunale Entscheidungen durch ihren Bürgerantrag – tatsächlich aber sind die Weichen bereits in der Haushaltsplanung gestellt. Also müssten die Bürgerinnen und Bürger hier Einfluss nehmen.
Und wissen Sie was? Das können sie schon jetzt. – Und wissen Sie noch etwas? Das tun die auch. Denn sehr viele Kommunen in Hessen haben es ihren Bürgerinnen und Bürgern schon lange ermöglicht, sich an der Haushaltsplanung zu beteiligen. Das Ganze heißt dann: „Bürgerhaushalt“. Das ist ein wichtiges und richtiges Instrument.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU –Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE)
Damit kommen wir zum Kernpunkt Ihrer gesamten Forderungen und zu dem Systemfehler, der dem innewohnt. Eine echte Bürgerbeteiligung muss nämlich lange vor den Entscheidungen in den Kommunalparlamenten stattfinden.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)
Dort, wo über Bauleitplanung diskutiert wird; wenn es um die Ansiedlung von Gewerbe geht; wenn es um die Zukunft städtischer Einrichtungen wie Bibliotheken, Schwimmbäder, Musikschulen geht: Hier, in dieser Planungsphase, brauchen die Bürgerinnen die Chance, sich aktiv einzubringen. Und sehr viele Kommunen nutzen da auch schon den Sach- und Fachverstand ihrer Bürgerinnen und Bürger.
Darüber hinaus kommt das auch der veränderten Haltung vieler Menschen entgegen, die sich nämlich nicht für eine gesamte Legislaturperiode, sondern in einem konkreten Projekt mit einem klaren zeitlichen Limit verpflichten wollen. Wenn dann gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern ein Projekt entwickelt wurde, stellen die Kommunalparlamente die Haushaltsmittel bereit, und dann kann es auch durchgeführt werden.
Ich möchte betonen: Wir haben eine repräsentative Demokratie. Das Handeln für andere ist das Wesen des Politischen. Auch in der direktesten Demokratie, auch in Ländern wie der Schweiz, handeln die Bürgerinnen und Bürger, wenn sie politisch entscheiden, immer auch für andere. Das Handeln für andere, für das Gemeinwohl, lässt sich nicht ersetzen durch das Handeln eines jeden oder einer kleinen Gruppe für sich selbst.
Der Unterschied ist: Die gewählten Vertreterinnen und Vertreter sind legitimiert. Sie werden kontrolliert, und sie werden auch zur Verantwortung gezogen. Wir brauchen diese Strukturen, in denen die Verantwortlichkeit für das große Ganze, für das Gemeinwohl institutionalisiert ist.
Deshalb sind die Regelungen, die die Regierungsfraktionen, die Regierung vorschlägt – nämlich die Zustimmungsquoren zu staffeln und in großen Städten abzusenken und das Vertreterbegehren einzuführen –, richtig, maßvoll und angemessen, um den Willen der Bürgerinnen stärker zu berücksichtigen, ohne dabei die Kommunalparlamente zu schwächen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Clemens Reif (CDU))
Nächster Punkt. Ich kann es Ihnen nicht ersparen, denn wie Sie sehen, bin ich kein Mann: Wenn wir uns die Zusammensetzung der Gemeindeparlamente anschauen – der Kreistage, der Zweckverbände –, dann sehen wir nach wie vor hauptsächlich Männer.
(Zuruf des Abg. Timon Gremmels (SPD))
Die Anzuhörenden aus den Kommunalen Spitzenverbänden, die bei uns in den Ausschüssen sitzen, sind fast ausschließlich Männer; neulich waren auch einmal nur Männer da. Von den Landrätinnen und Bürgermeisterinnen sind leider nur ganz wenige Frauen, und diese Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen.
Ich möchte betonen: Gegen Männer an sich ist nichts einzuwenden.
(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Manfred Pentz (CDU) –Zuruf des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
– Ja, ausdrücklich bitte ins Protokoll.
(Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Aber die Überrepräsentanz der Männer hat eine Unterrepräsentanz der Frauen zur Folge.
(Zuruf der Abg. Claudia Ravensburg (CDU))
Um von 0 Prozent Frauenanteil in den Kommunalparlamenten auf 20 Prozent zu kommen, hat es – raten Sie einmal – 90 Jahre gedauert.
(Heiterkeit des Abg. Michael Boddenberg (CDU))
Von 20 Prozent auf heute 32 Prozent hat es weitere 30 Jahre gedauert. Wir wollen aber, dass es einfach nicht weitere 30 Jahre, 90 oder 100 Jahre dauert, bis wir endlich eine paritätische Besetzung mit Frauen und Männern in den Kommunalparlamenten haben.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Michael Boddenberg (CDU))
Deshalb haben wir in die HGO und im Kommunalwahlgesetz eine appellatorische Norm eingefügt.
(Heiterkeit des Abg. Marius Weiß (SPD) –Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))
Auch hier gilt: Wir wollen nichts erzwingen, sondern wir sagen ganz klar, in welche Richtung wir wollen, und die Kommunalparlamente, vor allem die Parteien haben Zeit, sich darauf einzustellen und zur Hälfte Frauen auf ihre Listen zu bringen. Aber vor allem: Wir wollen auch in den Aufsichtsgremien kommunaler Gesellschaften eine paritätische Beteiligung. Darauf werden wir hinarbeiten.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))
Ein weiterer wichtiger Punkt im Änderungsantrag der Regierungsfraktionen ist die Tourismusabgabe. Wir möchten, dass nicht nur Kur- und Heilbäder, sondern auch Gemeinden, die touristische Angebote haben, eine Tourismusabgabe erheben dürfen. Das wird hier ebenfalls geregelt. Auch hier eröffnen wir einen Handlungsspielraum, eine Möglichkeit für die hessischen Kommunen.
Letzter Punkt: die Fraktionen in größeren Zweckverbänden. Da nehmen wir ganz klar eine Anregung größerer Zweckverbände auf. Dort existieren nämlich faktisch schon länger Fraktionen, die auch wie Fraktionen arbeiten – sie halten Fraktionssitzungen ab, sie schreiben Anträge und erhalten Aufwandsentschädigungen –, aber bisher gab es dafür keine Rechtsgrundlage. Deswegen schaffen wir mit der Änderung des Art. 5 des Gesetzes über die kommunale Gemeinschaftsarbeit und den Verweis auf § 36a HGO nun Rechtssicherheit für diese großen Zweckverbände. Das heißt dann, dass sie auch ihre Anliegen als Fraktionen nach außen darstellen dürfen und dass sie dafür ihre Fraktionsmittel erhalten.
Das waren einige wichtige Punkte dieses sehr guten Gesetzentwurfes mit den sehr guten Änderungsanträgen von CDU und GRÜNEN. Ich bitte Sie alle um Zustimmung zu diesem wunderbaren Gesetzentwurf.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

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