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25.09.2010

Frank Kaufmann: "Wir brauchen die kundenfreundliche Bahn"

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Wirtschaftsminister, ich wollte mich gerade für die schöne Überleitung bedanken, dass Sie auf die Bahn zu sprechen kamen. Dann haben Sie aber ein anderes Thema drangehängt.

Ich will jetzt vom Bahnbetrieb reden. Ich spreche damit eines der letzten Abenteuer des 21. Jahrhunderts an: das Bahnfahren in Hessen und in Deutschland.

(Heiterkeit)

Dieses Abenteuer ist, wie Sie wissen, bereits vielfach literarisch aufgearbeitet worden.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Lübcke (CDU))

– Auch Sie sollten das einmal nachlesen, Herr Kollege Dr. Lübcke.

(Dr. Walter Lübcke (CDU): Ich fahre gerne Bahn!)

Ich meine bei den Worten literarische Aufarbeitung nicht Klassiker wie „Mord im Orientexpress“ von Agatha Christie, sondern ich beziehe mich auf aktuelle Werke: „Senk ju vor träwelling“, ein empfehlenswertes Buch von Spörrle und Schumacher. Dort erhalten die Leserinnen und Leser wichtige Hinweise, wie sie „mit der Bahn fahren und trotzdem ankommen“ können.

(Heiterkeit)

Meine Damen und Herren, das Werk ist natürlich eine satirische Überzeichnung der alltäglichen Erlebnisse in Zügen und Bahnhöfen. Dass sich die DB AG seit Erscheinen des Buches vor ungefähr einem Jahr so intensiv darum bemüht, die Satire Realität werden zu lassen, ist dann aber doch ziemlich befremdlich.

(Heiterkeit)

Die DB AG war dereinst unter anderem mit dem Argument der größeren Kundenfreundlichkeit eines privatrechtlich verfassten Wirtschaftsunternehmens gegenüber einem Staatsbetrieb propagiert worden. Jetzt, gerade zu dem Zeitpunkt, wo man sich den Eigentumsprivatisierungsmaßnahmen nähert, erleben wir plötzlich geballte Abschreckungsmaßnahmen gegen möglichst viele Kunden. Da kann man doch nur – wie viele ehemalige Bahnreisende, die jetzt leider wieder im Auto sitzen – mit heftigem Kopfschütteln reagieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Kundenvergraulungsprogramm der Bahn hat Methode. Aus der jüngeren Zeit will ich drei vermeintliche Highlights nennen. Zunächst wurde die Zahl der Reisezentren drastisch reduziert. Das heißt doch nichts anderes, als dass an etlichen Bahnhöfen kein ordentlicher Service beim Vertrieb der Tickets mehr geboten wird. Dies war vor allem eine Maßnahme gegen die treuesten Kunden der Bahn, die nämlich mit dem Internet-Ticketverkauf oder den technisch blamabel ausgestatteten und miserabel funktionierenden Automaten nicht gut zurechtkommen und deshalb eine persönliche Bedienung brauchen.

Ergänzt wurde diese Maßnahme der Einschränkung in den Reisezentren durch zusätzlichen Personalabbau mit der Folge, dass Sie meist nur noch mithilfe vorgefertigter schriftlicher Hinweise bzw. unter Verweis auf Callcenter Auskünfte bekommen oder dass Beschwerden erst gar nicht entgegengenommen werden.

Die nächste Stufe der Kundenabschreckung war die Idee des Bedienzuschlags beim Ticketverkauf in Reisezentren. 5 Euro mehr für eine Rückfahrkarte, z. B. nach Kassel und zurück. Allein das wäre eine Preiserhöhung von 5,5 Prozent gewesen.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Lübcke (CDU))

Glücklicherweise hat der geballte Protest – Herr Dr. Lübcke, ich gebe gerne zu, auch der famose Einsatz der Bundeskanzlerin – beim Vorstand der DB AG zwischenzeitlich zum Abgehen von diesem Vorschlag geführt. Wir erwarten jetzt allerdings ständig neue Ideen, um Kunden abzuzocken. Sie wissen, es war bereits von der Fahrscheinkontrollabgabe die Rede, die jedes Mal fällig wird, wenn jemand im Zug die Abteiltür aufmacht und sagt: „Personalwechsel, Ihre Fahrscheine, bitte“.

(Heiterkeit – Dr. Walter Lübcke (CDU): So sind die Sozialisten!

Meine Damen und Herren, das war leider noch nicht alles. Ein anderer Vorschlag ist aktuell in der Diskussion. Diesmal geht es ausnahmsweise nicht direkt an das Portemonnaie der Kunden, sondern es geht um eine weitere Einsparung. Aber dennoch: Auf 4.500 kleineren Bahnhöfen in Deutschland – und damit etlichen in Hessen – soll es keine Lautsprecherdurchsagen mehr geben, zumindest keine regulären, sondern nur noch die Durchsagen, die die Bahn als unbedingt notwendig erachtet und für die sich zufällig jemand findet und zuständig fühlt. Somit wird es künftig im Bahnhof heißen müssen: Achten Sie nicht auf die Durchsagen am Bahnsteig, denn es wird keine mehr geben.

(Heiterkeit – Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Walter Lübcke (CDU))

Vielleicht geht es auch nach dem Motto „Fahrplanhinweise erübrigen sich, wenn sowieso kaum ein Zug mehr fahrplanmäßig fährt“.

(Heiterkeit)

Meine Damen und Herren, der versprochene Ersatz von Schriftbändern hilft übrigens nichts. Erstens kennen wir alle die Funktionsunfähigkeit solcher Schriftbänder an Bahnhöfen, und zweitens: Was machen dann eigentlich Blinde und sehbehinderte Menschen? Die sollen auf den Bahnhöfen doch auch zurechtkommen. Das ist der Bahn offensichtlich ziemlich egal. Da werden zusätzliche Barrieren aufgebaut, anstatt sie einzureißen.

Meine Damen und Herren, notwendig ist, Barrierefreiheit und Kundenfreundlichkeit endlich zu tatsächlichen Handlungsmaximen bei der Bahn zu machen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da die DB AG dieses aber offensichtlich nicht hören will, versuche ich es noch einmal in der alten Sprache der Bundesbahn.

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Ich darf Sie bitten, zum Schluss zu kommen.

Frank-Peter Kaufmann:

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Der Satz, an die Bahn gerichtet, lautet in alter Sprache: Der Beförderungsfall Mensch will nicht länger an die Betriebsvorschriften angepasst werden.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Vielen Dank, Herr Kollege Kaufmann.

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