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28.04.2010

Frank Kaufmann zum Thema: Weiterbau der A 44

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, selten zuvor ist in einem Parlament auf dieser Welt über so wenig Autobahn so viel geredet worden – und noch dazu so viel Unsinn – wie über die A 44 in Nordhessen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das fängt mit dem Nordhessenexperten Florian Rentsch an, und das hat er uns gerade auch vorgeführt.

(Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Nur, Kollege Rentsch, 1999 war nicht Lothar Klemm Verkehrsminister, sondern Ernst Welteke. Insofern ist alles, was Sie auf Herrn Klemm projiziert haben – –

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

– Jedenfalls haben Sie davon gesprochen, dass Rot-Grün die Regierungsverantwortung übernommen hat. Daher sollte man sich, bevor man die Historie hier ausbreitet, erst einmal mit ihr beschäftigen, und dann kann man weitermachen.

Meine Damen und Herren, warum wir uns so oft und so unsinnig über die A 44 streiten, liegt in der Ideologie der Straßenbauer begründet. Viele nennen sie auch gerne und nicht zu Unrecht „Betonköpfe“, und viele Fraktionen – wir haben es gerade erlebt – reihen sich hier ein. Es soll also unbedingt eine Autobahn durchgesetzt werden, die der Region nicht nützt, sondern eher schadet.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und es ist völlig zutreffend: Die GRÜNEN waren immer dagegen und sind es in der Tat in der Sache auch noch heute.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Wir waren auch nicht dafür, Herr Kollege Rentsch, als sich aufgrund des Zeitablaufs Fakten ergeben haben, die man nicht mehr so einfach aus der Welt schaffen kann, und daher hatten wir bei dem letzten Versuch einer Koalitionsbildung den Autobahnausbau akzeptiert. Wenn Sie allerdings noch einmal auf die Frage der Trassenbildung zurückblicken, dann stellen Sie fest, dass das, was Sie gerade behauptet haben – die Menschen in der Region sollten eine Entlastung erfahren –, jenseits der Fragen des Naturschutzes ein zentraler Grund war, warum die Lossetaltrasse eindeutig den Vorzug vor der Söhretrasse erhalten musste. Denn alle Verkehrswissenschaftler – diese stehen bekanntlich nur selten den GRÜNEN unmittelbar nahe; zumindest gilt dies für diejenigen, die hierzu befragt wurden – haben gesagt, dass der Entlastungseffekt insbesondere für Kaufungen bei der Söhretrasse sehr viel geringer ist.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Das sollten Sie, obwohl Sie damals noch nicht dabei waren, aber wissen, wenn Sie – –

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

– Ich war damals schon dabei, Herr Kollege, und habe es auch verfolgt. Insofern sollte man bei der Wahrheit bleiben.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Nächster Punkt. Meine Damen und Herren, um es klar und deutlich zu sagen: Das, was die GRÜNEN im Zusammenhang mit der Verkehrsader zwischen Kassel und Eisenach immer verlangt haben, war der Ausbau der B 7 in Form von Ortsumfahrungen, um die Menschen zu entlasten. Und wenn die von mir schon so allgemein titulierten Betonköpfe nicht so aus Beton gewesen wären, dann wären all diese Ortsumfahrungen nach dem Zeitablauf von über 20 Jahren längst realisiert, und die Menschen dort hätten ihre Ruhe.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE) – Zuruf des Abg. Ulrich Caspar (CDU))

Der falsche Weg, der eingeschlagen worden ist, hat dazu geführt, dass wir den Zustand haben, den Sie hier heute beklagen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Meine Damen und Herren, schauen wir uns doch eine der weiteren Kernbehauptungen derjenigen an, die die Autobahn unbedingt bauen wollen: Wirtschaftsförderung. Es gibt – das sollte Ihnen ja auch bekannt sein – diverse Untersuchungen. Ich möchte nur eine zitieren, nämlich die von Prof. Gather von der Fachhochschule Erfurt. Er hat durch Untersuchungen eindeutig nachgewiesen, dass es keinen Zusammenhang zwischen der Gewerbeentwicklung und der Anbindung ans Autobahnnetz gibt. Vielmehr sei das Gegenteil der Fall: Autobahnen hätten Sogwirkungen und – Kollege Al-Wazir möge entschuldigen – einen Braindrain, der einen Abzug der Höherqualifizierten befördere. Denn dann sei die Reisezeit in die Zentren kürzer, und deshalb seien Zentren attraktiver. All das ist bekannt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, es führt also zu keinen positiven regionalen Entwicklungen, sondern stellt eine Rennbahn für den Fernverkehr dar.

Wenn Sie glauben, dass die Menschen in Waldkappeln, Kaufungen und sonst wo da oben einen Vorteil davon hätten, wenn möglichst viele Lkw auf dem Weg von Warschau nach Paris bei ihnen in der Nähe vorbeikämen, dann mag das Ihre Sicht der Dinge sein. Wir GRÜNE erachten dies nicht als eine Wirtschaftsförderung für Nordhessen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Übrigens, der theoretisch errechnete Verkehrswert dieses Stücks der A 44 ist seit Dezember vergangenen Jahres noch einmal drastisch gesunken, nachdem die Autobahn A 38 vollständig in Betrieb gegangen ist

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

und eine Ost-West-Verbindung darstellt.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Und wenn Sie mich so fragen: Dort ist mir der Lkw-Verkehr zwischen Warschau und Paris in der Tat lieber. Da bin ich eher Vertreter hessischer Interessen, damit es nicht zu diesem Lkw-Verkehr mit all seinen Folgen in unserem Land kommt.

Meine Damen und Herren, was müssen wir weiter konstatieren? – Auch dank unseres Drucks – Herr Rentsch, wir greifen die Vorwürfe durchaus auf – hat es seinerzeit 1991/1992 den berühmten Eichel-Krause-Kompromiss gegeben. Sie werden sich erinnern: Herr Krause war der damalige Bundesverkehrsminister, und dabei ging es um zwei Dinge, nämlich einerseits um den Bau der A 44 als „Verkehrsprojekt Deutsche Einheit“ und andererseits – das war daran geknüpft – um die Aufrüstung der Mitte-Deutschland-Verbindung auf der Schiene. Diese Mitte-Deutschland-Verbindung sollte realisiert werden, damit – und das hat eigentlich jeder als vernünftig anerkannt – die Güter auf die Schiene verlagert werden. Wie der traurige Zustand der Mitte-Deutschland-Verbindung indes aussieht, kann uns der Verkehrsminister gleich erläutern.

Meine Damen, meine Herren, ein letzter Punkt: Auf einer gedachten Skala liegen die Kosten bei 20 Millionen Euro pro Kilometer für die Bauplanung der A 44. Das ist der reine Irrsinn.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg.  Jürgen Lenders (FDP))

Wissen Sie auch, warum das so ist?

(Jürgen Lenders (FDP): Erklären Sie es mal!)

Das liegt daran, dass Sie nicht in der Lage sind, Fakten anzuerkennen. Es gibt auf dieser Welt aus guten Gründen, Herr Kollege Lenders, auch Dinge, die man lieber bleiben lässt. Man lässt den Autobahnausbau z. B. dort lieber bleiben, wo der Naturschutzwert der Landschaft so hoch ist, dass man Werte – das mögen nicht Ihre Werte sein – zerstören würde, die viel größer sind als die gerade von mir genannten 20 Millionen Euro je Kilometer.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und weil das so ist und weil man unserer Meinung nach auch ein Stück Respekt vor der Schöpfung haben sollte – wenn Sie es großspurig ausdrücken wollen –, muss man zu dem einen oder anderen Projekt auch sagen können: Nein, wir lassen es lieber.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schließlich konnte nur mit völlig übertriebenem Aufwand ein einigermaßen gangbarer Weg gefunden werden.

Die Ergebnisse und das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. April beweisen es doch gerade. Die Entscheidung wurde vor Ort bejubelt. Freibier und Bratwurst wurden vor lauter Glück verteilt. Der Hintergrund ist – und das hat insbesondere Kollege Rentsch wohlweislich verschwiegen –, dass in dem Verfahren mehrere planerische Nachbesserungen nötig waren, zu denen es selbstverständlich nicht gekommen wäre, wenn nicht z. B. der BUND das Verfahren angestrengt hätte. Hierdurch kam es zu einer Verbesserung und bedauerlicherweise – das räume ich ein – auch zu einer Verteuerung der Planung.

Der Fehler liegt aber doch darin, wenn man das Falsche plant und mit Gewalt durchsetzen will. Denjenigen, die sagen: „Das ist falsch“, sollte man nicht immer wieder Vorwürfe machen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, es gibt ein Schreiben des Bundesumweltministers aus dem November 2008 – das ist noch nicht so lange her – an den Ministerpräsidenten, der sich damals über die Verzögerung beim Bau der A 44 beschwert hat.

Folgenden Satz darf ich aus dem Schreiben zitieren:

Die teuren Verzögerungen mit einem Schaden von rund 660 Millionen Euro gingen auf die jahrelange Nichtbeachtung der Naturschutzrichtlinien und damit auf schwerwiegende politische und administrative Mängel in Hessen zurück. Die Rahmenbedingungen für die Planung der A 44 wurden von Ihnen

– das heißt: dem Land Hessen; der Brief ging an den Ministerpräsidenten –

nicht zügig und klar genug geschaffen. Die Auswahl und Abgrenzung der Schutzgebiete ist erst mit rund zehnjähriger Verzögerung erfolgt. Selbst dann wurden gerichtliche Entscheidungen nur stückchenweise und unzulänglich befolgt. Die mehrfachen gerichtlichen Aufhebungen der Planfeststellungsbeschlüsse sprechen hier eine deutliche Sprache.

So weit das Zitat. Bei der Frage, wo die Verantwortung liegt, sollte man nicht vergessen: Seit 1999 regieren bedauerlicherweise Sie. Herr Koch ist seitdem Ministerpräsident, und Herr Posch war schon mehrfach der zuständige Verkehrsminister. Wir sind zumindest seitdem unschuldig, um das ganz klar und deutlich zu sagen.

(Lachen bei der CDU)

Wenn Sie es von 1999 bis 2010 nicht schaffen, angebliche Fehler der GRÜNEN zu korrigieren, dann taugen Sie nichts. Aber wir sind stark. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Schönen Dank, Herr Kollege Kaufmann.

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