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08.09.2010

Frank Kaufmann zum Haushalt 2011

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum ersten Mal in diesem Jahrtausend stand heute bei der Haushaltseinbringung nicht mehr Karlheinz Weimar am Rednerpult, sondern sein Nachfolger.

(Zuruf des Abg. Leif Blum (FDP))

Man könnte dieses Ereignis schon historisch nennen, wenn das Jahrtausend nicht noch so jung wäre. Dennoch werden nicht wenige den Eindruck gewinnen, dass damit heute das Ende einer Ära dokumentiert wurde. Meine Damen und Herren, hoffentlich stimmt diese Einschätzung, nämlich das Ende der Weimarschen Schuldenrekorde. Das sollte tatsächlich, und ich hoffe endgültig, vorbei sein.

Wenn das so ist, dann wäre damit auch die Ära eines nachhaltig gültigen Zitats aus der Zeitung für kluge Köpfe ebenfalls vorbei, und zwar endgültig. Jetzt sagen Sie aus den Regierungsfraktionen: na, hoffentlich. – Aber dafür hören Sie es heute von mir wahrscheinlich zum letzten Mal. Ich zitiere:

Solide und transparent, wahr und klar wie Haushaltswirtschaft zu sein hat, ist das nicht, sondern sprunghaft, windig, wirr, unüberlegt und nicht ganz seriös.

(Zuruf des Abg. Leif Blum (FDP))

Meine Damen und Herren, ich komme später noch einmal auf dieses Zitat zurück. Schließlich haben wir die Aufgabe, anhand des vorgelegten Haushalts und der mittelfristigen Finanzplanung zu prüfen, ob das Menetekel der unseriösen Finanzwirtschaft auch weiterhin in Hessen gilt. Aber man kann und sollte den Personalwechsel an der Spitze des Finanzministeriums zunächst zum Anlass nehmen, Rückschau zu halten und eine Bilanz der Arbeit des ausgeschiedenen Finanzministers zu ziehen. Schließlich weist eine solche Bilanz nicht nur auf die Notwendigkeiten für die Arbeit des Nachfolgers hin, sondern sie zeigt uns allen auch Soll und Haben, Vermögen und Verbindlichkeiten des Landes Hessen.

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Wie wir seit der Vorlage der Eröffnungsbilanz in brutalstmöglicher Klarheit alle wissen, haben wir einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag beim Land Hessen von rund 60 Milliarden Euro. Das ist eine durchaus schwere Hypothek. Die Bilanz weist auch ohne die Rückstellung, also nur die Verbindlichkeiten, einen Betrag aus, der mehr als 11 Milliarden Euro das Vermögen des Landes überschreitet. Damit ist diese Zahl sogar noch ein bisschen geringer als in den letzten elf Jahren unter der Verantwortung des ehemaligen Finanzministers Karlheinz Weimar aufgenommen Kredite und zusätzlich verkauften Immobilienwerte.

Fazit: Die bilanzielle Überschuldung des Landes ist eindeutig die Verantwortung des ausgeschiedenen Finanzministers.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Meine Damen und Herren, natürlich räume ich ein, dass die Schlussbilanz Weimars unterschiedlich interpretiert werden kann. Allerdings sind die nüchternen Zahlen, die in der Eröffnungsbilanz stehen – ich sagte es bereits –, durchaus besorgniserregend. Als Mitte Juli dieses Jahres gewiss wurde, dass Weimar der neuen Regierung nicht mehr angehören wollte, war dies für Insider keine echte Überraschung. Schließlich war es für ihn die beste und eleganteste Gelegenheit, ohne allzu viele bohrende Fragen und journalistische Ursachenforschung den Abgang zu finden. Weimar konnte von dem Respekt, der dem Rücktritt von Roland Koch allerorten gezollt wurde, profitieren, und der Vorwurf, er fliehe aus der Verantwortung, wurde auch nicht laut. Meine Damen und Herren, ein solcher Vorwurf wäre auch, wenn er z. B. von uns erhoben worden wäre, etwas schwierig zu erklären gewesen.

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Denn wer wie wir GRÜNEN die weimarsche Finanzpolitik für grundfalsch hält, kann nicht ernsthaft die Fortsetzung derselben durch personelle Kontinuität fordern. Das gebe ich gerne zu.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Meine Damen und Herren, dennoch will ich festhalten, dass aus unserer Sicht Karlheinz Weimars Rückzug im Persönlichen eindeutig ein Verlust, im Finanzpolitischen aber ein ebenso eindeutiger Gewinn für Hessen ist. Natürlich werden auch wir GRÜNE Weimars bodenständige Art und seine gelegentlich virtuosen Formulierungen, oft auch bei Erklärungen hochkomplexer Sachverhalte, schon vermissen, und ebenso noch seiner Fähigkeit zu spontaner Empörung, die nicht selten die Würze einer Debatte war, nachtrauern.

Aber von Offenheit und von großer Kooperationsbereitschaft gegenüber den Abgeordneten des Landtags konnte bei ihm nun wahrlich keine Rede sein.

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Kaum ein Minister der Regierungen Koch ist so zugeknöpft und auch so schnodderig mit den Nachfragen aus dem Parlament umgegangen wie Karlheinz Weimar,

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU)

der bis über die Grenze der Unerträglichkeit hinaus parlamentarische Rechte ins Leere laufen ließ.

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Ich erinnere an Dutzende Kleine Anfragen nach der Finanzplanung und anderen Dingen, wo immer so schöne Worte gesagt wurden wie, es würde im Rahmen des Haushalts dann konkretisiert und finalisiert. Am Ende wurden die Schulden immer höher.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD) – Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Lediglich auf dem Gebiet des Controllings kooperierte Weimar gelegentlich sogar mit der Opposition, was allerdings dann abrupt endete, wenn es um ein Controlling seiner eigenen Finanzwirtschaft ging. Somit ist also der Personalwechsel an der Spitze des Finanzministeriums neben dem Verlust auch eine Chance. Es kommt jetzt darauf an, die Chance zu nutzen und künftig eine andere Finanzpolitik als bislang zu machen.

Sehr geehrter Herr Finanzminister Dr. Schäfer, die Hessinnen und Hessen wollen keine neuerlichen Schuldenrekorde mehr. Sie wollen vielmehr eine verlässliche und transparente Finanzpolitik, die ehrlich ist und nicht gleichzeitig Schuldenabbau und Steuersenkungen verspricht. Ich hoffe, Sie wissen das und haben es nicht bereits im letzten Jahr als Amtschef des Finanzministeriums dauerhaft verdrängt.

Meine Damen und Herren, wir GRÜNE bitten Sie, Herr Finanzminister, ja, wir fordern Sie auf, nein, wir mahnen es nachdrücklich bei Ihnen an, endlich die desaströse Finanzwirtschaft zu beenden und auf die in den heutigen Vorlagen immer noch benutzte dumm-dreiste Schutzbehauptung der Alternativlosigkeit des bisherigen Schuldenkurses künftig zu verzichten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen einen echten Politikwechsel in der Finanzwirtschaft und wollen nicht nur ein „Weiter so“, dieses Mal nur aus einem anderen Mund hören.

Meine Damen und Herren, in einem Interview in der „FAZ“ von der vergangenen Woche hat Ministerpräsident Bouffier ausdrücklich betont – schade, dass er die Finanzdebatte nicht hören möchte –, er wolle – ich zitiere – „nicht alles beim Alten lassen, wenn Veränderung erwartet wird und auch notwendig ist“. Gestern in seiner Regierungserklärung hat er es ähnlich formuliert. Sehr geehrter Herr Finanzminister, nehmen Sie diese Äußerung Ihres Chefs bitte als Auftrag, an dem vorgelegten Haushalt noch wesentliche Änderungen vorzunehmen. Denn so, wie er sich heute präsentiert und wie Sie ihn präsentiert haben, erfüllt er die von Ihnen selbst postulierten Ziele keineswegs. Der Haushaltsentwurf stammt von der vergangenen Landesregierung. Er atmet demgemäß auch noch den Geist von gestern, so ihm überhaupt ein Geist innewohnt. Er schafft keinerlei Abbau des strukturellen Defizits, sondern reduziert, fälschlicherweise Konsolidierungsschritt genannt, im Wesentlichen nur die Investitionsausgaben und die Zuschüsse an die Kommunen, zusammen rund 660 Millionen Euro.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD) – Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Der Haushalt greift die fachlichen Probleme nicht auf, sondern signalisiert uns allerhöchstens, dass mindestens zwei neue Fachressortchefs, nämlich Frau Puttrich und Herr Grüttner, die bisher in den Häusern nicht tätig waren, zumindest bislang keinerlei eigenen Gestaltungswillen zum Ausdruck bringen wollen oder konnten. Meine Damen und Herren, das alles ist eine ebenso klare wie bedauerliche Absage an die Veränderung der Politik. Genau die erwarten wir. Wir erwarten eben nicht, dass das, was Koch gemacht hat, weiterhin serviert wird, nur von einem anderen Kellner. Nach der gestrigen Erklärung des Ministerpräsidenten soll alles etwas zugewandter werden.

Wir hoffen, dass es auch im fiskalischen Verhältnis zwischen Land und Kommunen tatsächlich besser wird. Es wurden schon einige kritische Bemerkungen dazu gemacht. Wir fänden das begrüßenswert. Aber auch da gilt es, am Ende an den Taten zu messen, was den Haushalt angeht, an den Zahlen. Denn es wäre wirklich ein bisschen schade, wenn das, was anfangs verkündet wurde, bereits nach einer Amtswoche wieder zur Makulatur würde.

Meine Damen und Herren, wir sind wirklich gespannt, wie die neue Regierung es schafft, in den knapp 100 Tagen, die bis zur geplanten Verabschiedung des Haushalts im Landtag noch bleiben, den vom Ministerpräsidenten formulierten Gestaltungswillen noch zum Ausdruck zu bringen. Acht Tage nach Amtsantritt kann man sicherlich noch nicht allzu viel von der neuen Riege erwarten.

Aber, verehrter Herr Finanzminister, ich muss Ihnen sagen: Unser Wohlwollen und unsere Nachsicht werden nicht ewig dauern. Heute und hier müssen wir uns deshalb nochmals mit den weimarschen Zahlen auseinandersetzen. Er hat den Entwurf Anfang Juli der Öffentlichkeit präsentiert. Dabei rühmte er sich, dass die Neuverschuldung – wir haben es schon gehört – von dem Allzeitrekord des laufenden Jahres von 3,375 Milliarden Euro um 555 Millionen Euro auf rund 2,82 Milliarden Euro im kommenden Jahr gesenkt werden könnte. Wenn aber, wie bereits genannt, die Kürzung der Investitionen und die Zuweisung des Landes an die Kommunen allein zusammen bereits eine Einsparung von 660 Millionen Euro ausmachen, dann ist der sogenannte Konsolidierungserfolg eher virtuell denn real. Zumindest wurde am strukturellen Defizit nichts wirksam verändert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Es ist in unseren Augen eben genau keine solide Finanzwirtschaft, wenn man für die weitgehend unverändert beibehaltene defizitäre Ausgabenpolitik nur jemand anderen zur Kasse bittet, im Fall des Haushaltsentwurfs 2011 die hessischen Kommunen.

Meine Damen und Herren, das wird jetzt möglicherweise auch die SPD nicht gerne hören: Ich will damit aber überhaupt nicht leugnen, dass es aus Sicht eines Landespolitikers durchaus ein Problem bei der Einnahmeverteilung zwischen Land und Kommunen gibt. Wenn in einem für den Fiskus guten Jahr wie 2008 die hessischen Kommunen insgesamt einen Finanzierungssaldo von 179 Euro je Einwohner und damit einen mehr als doppelt so hohen Wert wie der Durchschnitt der Kommunen der westdeutschen Flächenländer aufwiesen, während das Land im selben Jahr einen negativen Finanzierungssaldo von 177 Euro je Einwohner verkraften musste, dann zeigt sich damit zumindest ein Verteilungsproblem. Aber die Argumentation von Weimar und seiner Gefolgschaft in den Fraktionen ist bis heute trotzdem alles andere als glaubwürdig. Für dieses Missverhältnis wird nämlich die Anrechnung im Länderfinanzausgleich verantwortlich gemacht. Das ist aber bereits seit 2005 wirksam. Deshalb kann man die für 2011 geradezu überfallartig geplante Kürzung der Zuweisung an die Kommunen wohl kaum korrekt mit der Tatsache des Länderfinanzausgleichs begründen.

Damit bin ich auch schon bei dem Thema Länderfinanzausgleich. Im Rahmen der Haushaltsdebatte in der ersten Lesung, wo die Finanzwirtschaft im Vordergrund steht, ist das üblicherweise einer der Schwerpunkte der Diskussion. Den hessischen Gemeinden, Städten und Landkreisen werden mit dem Haushaltsentwurf 2011 Finanzmittel zugunsten des Landes entzogen. Dies wird zu großen Teilen über den Kommunalen Finanzausgleich abgewickelt. Ich sage dazu: Es soll auf diese Weise auch verschleiert werden.

Herr Kollege Schmitt hat darauf schon Bezug genommen.

Meine Damen und Herren, hören Sie genau zu. Der Finanzminister sagt, die Finanzausgleichsmasse verringere sich nur um 103 Millionen Euro.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Der Einzelplan 17 dagegen zeigt, dass sich die Steuerverbundmasse um 174,5 Millionen Euro, also deutlich stärker verringert. Da fragt man sich: Wie passt das zusammen?

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD) – Vizepräsidentin Sarah Sorge übernimmt den Vorsitz.)

Das ist zunächst natürlich einfach zu erklären: Der Steuerverbundmasse werden üblicherweise Verstärkungsmittel zugeführt, z. B. die Krankenhausumlage, die Wohngeldentlastung oder auch aus dem Landeshaushalt die Zinsdienstumlage für die Konjunkturprogramme, sodass die Finanzausgleichsmasse stets größer als die Steuerverbundmasse ist. Weil die Finanzminister – ich weiß gar nicht, wer es von beiden war; nehmen wir einmal an, es waren beide zusammen – dieses Sommers aber glauben, die kommunale Seite ein bisschen hinters Licht führen zu müssen, greifen Sie in die Trickkiste, Abteilung übler Geruch.

(Lachen des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Erstmals wird die Finanzausgleichsmasse durch eine neue, sogenannte Kompensationsumlage kreisangehöriger Gemeinden mit etwas mehr als 73 Millionen Euro erhöht.

Meine Damen und Herren, aber genau an dieser Stelle sind wir wieder bei dem eingangs zitierten Menetekel der unseriösen Finanzwirtschaft.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Das angesprochene Verfahren ist weder solide noch transparent, sondern eher windig und nicht ganz seriös.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Dass der Entwurf des Finanzausgleichsänderungsgesetzes, der hier ebenfalls zur Debatte steht, diese Kompensationsumlage enthält, macht die irreführende Darstellung nicht seriöser. Es ist nämlich keine Zuführung zum Topf des KFA, sondern allerhöchstens ein Umrühren oder, wenn Sie so wollen, ein Schaumschlagen innerhalb des Topfes.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Mit dieser Kompensationsumlage erzeugen Sie nämlich einen völlig neuen Zustand. Der Kommunale Finanzausgleich, der auf Art. 117 Abs. 5 der Verfassung des Landes Hessen beruht, und der kommunalen Familie, die für die Aufgabenerfüllung erforderlichen Geldmittel zur Verfügung stellt – das wurde auch schon zitiert –, wird damit erstmals aus bereits den Kommunen gehörenden Mitteln, in diesem Fall speziell aus denen der kreisangehörigen Kommunen, gespeist. Das ist so etwas wie die fiskalische Parthenogenese oder auch monetäre Selbstbefruchtung, ein Verfahren der Finanzierung, das gewiss Vorbilder hat, aber seine Alltagstauglichkeit erst noch beweisen müsste.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Seit den Abenteuern des Barons von Münchhausen hat sich niemand mehr am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Deshalb, glaube ich, wird es der kommunalen Familie gewiss auch nicht gelingen, ihre Finanzprobleme auf diese Weise zu lösen.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Meine Damen und Herren, wenn es der Finanzminister für nötig erachtet, als Maßnahme der durch die Schuldenbremse geforderten Konsolidierung des Landeshaushalts eine kommunale Blutspende an den KFA neu einzuführen, wird damit sehr deutlich unterstrichen, wie nötig es ist, im Rahmen der Debatte über die rechtliche Ausgestaltung der Schuldenbremse für die hessischen Kommunen eine klare Schutzklausel mit Verfassungsrang festzuschreiben.

Unser Fraktionsvorsitzender hat letzte Woche und auch gestern genau auf diesen Punkt hingewiesen und damit deutlich gemacht, dass der von den Koalitionsfraktionen aus unserer Sicht etwas überstürzte und nicht voll durchdachte Verfassungsänderungsentwurf nochmals gründlich überdacht werden muss. Ein schlichtes Abschreiben dessen, was im Grundgesetz steht und damit in Hessen sowieso geltendes Recht ist, macht weder Sinn noch wird es der gestellten Aufgabe gerecht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Leif Blum (FDP))

Wir haben gerade die Aufgabe entsprechend der Vorgabe des Grundgesetzes die notwendigen hessenspezifischen Regeln für eine tatsächlich wirksame Schuldenbremse aufzustellen, und davon ist aufseiten der Regierung bislang noch nichts zu sehen. Das lässt sich auch feststellen, obwohl wir hier erst morgen den Gesetzentwurf der Koalition zur Änderung des Art. 141 intensiv und auch politisch beraten werden.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Da wir in der Debatte der ersten Lesung primär die finanzwirtschaftlichen Aspekte beleuchten, gestatten Sie mir einen Augenblick lang das Thema Schuldenbremse dennoch unter fachlichen Aspekten aufzugreifen, schließlich ist davon – auch das wurde bereits erwähnt – auf einigen Seiten des vorliegenden Finanzplans auch die Rede.

Im Rahmen der Schuldenbremsdebatte ist sowohl für den Bund als auch für die Länder immer wieder die Rede davon, dass das Neuverschuldungsverbot in konjunkturell normalen Zeiten gelten soll. In Zeiten konjunktureller Schwächen und daraus resultierende Einbrüche sollen auch zukünftig Einnahmen aus Krediten zum Ausgleich des Staatshaushalts zulässig sein.

(Zuruf von der CDU)

Dann kommt natürlich auf alle Beteiligten sofort die Frage zu: Was heißt denn das? – Auf Bundesebene gibt es dazu neben der präziseren Beschreibung im Grundgesetz, Art. 115, auch einfach gesetzliche Regelungen, die unter anderem den Stabilitätsrat geschaffen haben.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Dessen Ergebnisse sind auch für die Länder von großer Bedeutung, entheben sie aber nicht der Aufgabe, ihre eigenen Regelungen zu schaffen. Wie solche Regelungen aussehen sollten, meine Damen und Herren, wird in der Fachwelt bereits engagiert diskutiert. Deshalb wiederhole ich nachdrücklich: Die Vorschriften des Art. 115 des Grundgesetzes und des Gesetzes zur Ausführung dieses Artikels gelten nicht für die Länder. Wir müssen eigene Regelungen schaffen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da wir dies müssen, will ich allein eine, allerdings wichtige Frage erörtern, nämlich wie denn eine Abweichung der wirtschaftlichen Entwicklung von der konjunkturellen Normallage, auch Produktionslücke genannt, ermittelt werden soll. Denn schon hier scheiden sich die Geister.

Derzeit werden mindestens fünf Verfahren debattiert. Das reicht erstens von Hochrechnungen aus Unternehmerbefragungen, zweitens über die Peak-to-Peak-Methode, d. h. die Verlaufskurven der Vergangenheit zu beurteilen und daraus Hochrechnungen anzustellen, und setzt sich drittens über den HP-Filter, Hodrick-Prescott-Filter, fort. Das ist übrigens das Verfahren, das die Europäische Zentralbank bevorzugt. Es geht weiter zu Schätzungen über die Produktionsfunktion, ein Verfahren, das von der Deutschen Bundesbank propagiert wird, und endet noch nicht bei der kapitalstockorientierten Methode, die der Sachverständigenrat für die Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Lage favorisiert.

Meine Damen und Herren, jedes dieser Verfahren kommt zu etwas anderen Ergebnissen und damit auch zu anderen Konsequenzen möglicher Kreditfinanzierungen des Haushalts. Deshalb müssen wir doch jenseits der Methodendebatte auch darauf genauer schauen und insbesondere die Spezifika der Volkswirtschaft der jeweiligen Länder, ich meine damit Bundesländer, berücksichtigen, weil z. B. die Finanzmärkte in Hessen bestimmt eine andere Rolle spielen als z. B. in Thüringen, aber zugleich anderen konjunkturellen Zyklen unterworfen sind als die realwirtschaftlichen Produktionssektoren.

Meine Damen und Herren, ich erzähle Ihnen dies alles – vor allen Dingen Ihnen, Herr Finanzminister, wo immer er hin ist –, weil das, was Sie auf den Seiten 17 und 18 des Finanzplans dazu ausführen, sehr freundlich ausgedrückt, nun wirklich unterkomplex ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD) – Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Hier lesen wir nämlich: „Die Konjunkturkomponente ergibt sich aus der Multiplikation der Produktionslücke mit der Budgetintensität.“ Den soeben von mir nur sehr punktuell angerissenen Problemen, die dabei zu bewältigen sind, wird diese Aussage jetzt aber gewiss nicht gerecht.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

In meinen Augen als früherer Physiker und damit einer, der der exakten Wissenschaft verschrieben ist, verdienen Volkswirte, denen wir soeben dabei sind, uns auszuliefern, dass man ihnen äußerst scharf in die Schuldenbremstrommeln hineinschaut. Ich hoffe, dass sich dies die fachlich eher betriebswirtschaftlich ausgerichtete Spitze des Finanzministeriums auch zueigen macht, die volkswirtschaftlichen Argumente kritisch betrachtet und die bei Betriebswirten gleichermaßen natürlich vorhandene wie auch notwendige Skepsis gegenüber volkswirtschaftlichen Theorien und Methoden nicht verliert. Die im vorliegenden Finanzplan erreichte intellektuelle Eindringtiefe in das Problem ist auf jeden Fall bei Weitem zu gering.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Mit der Aussage auf Seite 19 des Finanzplans, das mit der jetzt präsentierten Verfassungsänderung festgestellt sei – ich zitiere – dass „Hessen künftig die in Art. 109 Abs. 3 GG vorgesehenen Ausnahmen von striktem Neuverschuldungsgebot in Anspruch nehmen kann“, irren Sie auf jeden Fall. Zu der Verfassungsvorschrift gehören nämlich zwingend konkrete Regeln, die zwar nicht in der Verfassung stehen, aber existieren müssen. Noch sind diese überhaupt nicht zu sehen.

Meine Damen und Herren, ich dachte bisher immer, das Land Hessen – unter anderem mit dem wichtigsten deutschen, wenn nicht einem oder dem wichtigsten Finanzplatz in Europa, nach London vielleicht – müsse Wert darauf legen, dass uns nicht irgendwelche Regeln, die auch für Mecklenburg-Vorpommern gut sein mögen, übergestülpt würden. Hier ist die Landesregierung nach unserer Feststellung aber dabei, etwas deutlich zu versäumen. Deshalb sage ich, Sie sollten wirklich rasch aufwachen.

Ich möchte meine Betrachtung des Finanzplan damit zu Ende führen, dass ich kritisch festhalte, dass auch der diesjährige Plan, der den Zeitraum bis 2014 umfasst, in gewohnter Weise leider wieder sehr unambitioniert daherkommt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Landesregierung bescheinigt sich sicherheitshalber gleich selbst, dass sie einen Haushaltsentwurf unter Einhaltung der gegenwärtig noch geltenden Verfassungsgrenze für die Kreditaufnahme nicht vor 2014 vorlegen wird, und schweigt sich darüber hinaus weiterhin aus, wie sie das Verfassungsgebot des Haushaltsausgleichs ohne Einnahmen aus Krediten ab 2020 überhaupt erfüllen wird. Extrapoliert man nämlich die Daten des vorliegenden Planes, stellt man fest: Jedenfalls dieses Ziel wird verfehlt. Der Handlungsbedarf ist also deutlich größer, als uns und der Öffentlichkeit gegenüber auch heute wieder eingeräumt wird. Herr Finanzminister, die Unsitte der Aufnahme globaler Minderausgaben in erheblichem Umfang in die Finanzplanung wurde obendrein leider nicht beendet, sondern fortgesetzt, sodass nach den bisherigen Erfahrungen der Kreditbedarf im Zweifel wieder höher sein wird als ausgewiesen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, alles in allem zeigt der Finanzplan wieder einmal die höchst abschätzige Wertung, die Weimar ihm schon immer zuteil werden ließ – Stichwort: Märchenbuch. Deshalb bin ich ehrlicherweise etwas verunsichert, wenn ich im Finanzplan dann doch echt märchenhafte Aussagen lese – ich zitiere von Seite 27: „Alle Möglichkeiten der Einnahmeerhöhung sind auszuschöpfen“ – und dies mit der bisherigen Praxis, insbesondere der politischen Praxis der Regierung vergleiche. Noch stärker wird die Verwirrung durch die Lektüre von Seite 29 des Finanzplans. Dort lese ich, dass es in den kommenden Jahren zu keiner weiteren Schwächung der staatlichen Einnahmebasis kommen dürfe. Wörtlich steht dort: „Umfassende Steuersenkungen sind auf absehbare Zeit mit dem vorgezeichneten Pfad zur Rückführung der Nettokreditaufnahme nicht vereinbar.“

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Da staunt der Laie, und der Fachmann wundert sich. Hat denn die FDP beim Kabinettsbeschluss über den Finanzplan komplett geschlafen, oder waren alle Gelben auf Auslandsreise? Oder was ist sonst schiefgegangen?

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Ich denke einmal positiv, Herr Kollege Milde, und nehme das als Ankündigung, dass die Regierung von Volker Bouffier auf Bundesebene alsbald initiativ werden wird, um die unsägliche Mövenpick-Privilegierung im Umsatzsteuerecht wieder zu korrigieren. Unsere Unterstützung hätte der Herr Ministerpräsident auf jeden Fall.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, die letzte Haushaltseinbringung fand vergangenes Jahr während der Endphase des Bundeswahlkampfes statt. Deswegen gab es in der Debatte auch wahlkampfbezogene Argumente. Diesmal liegt die nächste Wahl in Hessen noch mehr als ein halbes Jahr vor uns: die Kommunalwahl am 27. März. Da hätte man sich das Wahlkampfgetöse eigentlich sparen können. Doch die Koalitionsfraktionen wollten sich wieder einmal über das ewig beliebte Thema Länderfinanzausgleich aufregen und haben deshalb das Nachbarland ins Visier genommen. Schließlich wählen die Rheinland-Pfälzer am 27. März ihren Landtag.

Meine Damen und Herren, ich bin wahrlich kein Verteidiger oder Parteigänger von Kurt Beck. Ich kann die für Hessen höchst peinlichen Entgleisungen des Kollegen Rentsch trotzdem nicht unkommentiert lassen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der FDP)

Seinen bisherigen Rekord in Niveaulosigkeit erreicht er am 4. August durch seinen Vorwurf des „parasitären Verhaltens“ im Zusammenhang mit der Mitfinanzierung einer Ausstellung am letzten Wohnsitz des ehemaligen Bundeskanzlers der rot-gelben Koalition und Friedensnobelpreisträgers Willy Brandt durch die Rheinland-Pfälzische Landesregierung. Das war sogar Altbundespräsident Walter Scheel entschieden zu viel, sodass er sich öffentlich vernehmen ließ, er halte diese Ausgabe für sinnvoll und habe selbst eine Spende beigetragen. Verehrter Herr Kollege Rentsch, hätten Sie doch lieber geschwiegen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zurufe von der FDP)

Auch gestern haben Sie das Thema noch einmal aufgreifen zu müssen gemeint und dabei wieder verfehlt. Ebenso wie Sie wird der neue Chef der Staatskanzlei bei der Neidkampagne gegen Gebührenfreiheit in der Kinderbetreuung in Rheinland-Pfalz die Wahrheit bestimmt nicht treffen. Herr Kollege Wintermeyer, wenn Sie Ihren Kollegen aus Mainz demnächst treffen, sollten Sie wissen, dass man erstens niemandem vorwerfen sollte, eine bessere Politik zu machen als man selbst, sondern ihn lieber als Vorbild sehen sollte.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Da zeigt der Blick in den Haushalt, dass Sie das nicht beachten. Zweitens sollten auch Sie erkennen, dass besonders in Zeiten des demografischen Wandels attraktive und garantierte Kinderbetreuungsplätze, wie sie Rheinland-Pfalz bietet – was Sie denen vorwerfen – eine exzellentes Element erfolgreicher Strukturpolitik sind.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben das einmal nachgerechnet. Eine Beispielrechnung zeigt: Wenn sich 2.500 Familien mit insgesamt 10.000 Personen – also mit jeweils zwei Kindern – in Rheinland-Pfalz, statt z. B. in Hessen, ansiedeln, weil sie z. B. die Kinderbetreuungsplätze attraktiv finden, dann führt dies ceteris paribus zu einer Mehreinnahme für das Nachbarland in Höhe von rund 20 Millionen €. Da kann man nur sagen: Als Nehmerland machen die genau das, was Sie als Geberland Hessen immer fordern; sie versuchen nämlich, ihre Einnahmen zu steigern. Wo ist da berechtigte Kritik anzusetzen?

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Damit sage ich nicht, dass der LFA so, wie er ist, gut und richtig sei. Ganz im Gegenteil, wir haben hierzu gemeinsam mit Ihnen einen Beschluss gefasst. Ich verweise auf Drucks. 18/2095. Mich wundert aber, wie kurzlebig bei Ihnen gemeinsam gefasste Beschlüsse sind. Den haben Sie anscheinend schon längst wieder vergessen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der FDP)

Ich sage im Einklang mit diesem Beschluss: Die Baustelle Länderfinanzausgleich sollte mit Vernunft und nicht mit Schaum vor dem Mund – wie beim Kollegen Rentsch – gemeistert werden. Dasselbe wäre bei der Gestaltung des Haushalts 2011 das richtige Verfahren. Herr Finanzminister, stoppen Sie deshalb diese gelbe Rasselbubenbande mit ihrem häufig unerträglichen Geplärr.

(Große Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir GRÜNEN werden jedenfalls auch in der diesjährigen Haushaltsdebatte wieder mit kritisch-konstruktiven Vorschlägen aufwarten und sind sehr gespannt, ob das Angebot des neuen Ministerpräsidenten auf Konsensorientierung auch in der Haushaltspolitik wenigstens ein klein wenig Geltung bekommt. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Vielen Dank, Herr Kollege Kaufmann.