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09.12.2009

Frank Kaufmann zum Haushaltsgesetz 2010

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 18. Januar dieses Jahres haben 1.384.189 Wählerinnen und Wähler CDU und FDP in Hessen mit zusammen 66 Abgeordneten in den Landtag gewählt.

(Demonstrativer Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich bin mir – freuen Sie sich nicht zu früh – sehr sicher, dass etliche von ihnen das mittlerweile heftig bereuen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf des Abg. Leif Blum (FDP))

Denn die nach diesem Wahlergebnis entstandene Koalition wird mit dem heutigen Tag innerhalb von noch nicht einmal einem vollständigen Jahr die unvorstellbare Summe von 6.280 Millionen Euro an neuen, zusätzlichen Schulden beschlossen haben. Somit haftet jedes einzelne Mitglied – Herr Kollege Blum, passen Sie auf – dieser Regierungskoalition für eine Kreditsumme von 95 Millionen Euro als Nettoneuverschuldung in diesem Jahr. Das ist in der Tat eine unglaubliche Leistung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Meine Damen und Herren, natürlich wird sich diese Koalition bzw. werden sich diejenigen, die die Schulden beschlossen haben, vor der Haftung drücken. Alle Hessinnen und Hessen vom Baby bis zum Greis werden das in Zukunft bezahlen müssen, und zwar mit Zins und Zinseszins. Jeden Menschen in Hessen drückt am Ende dieses Jahres das diesjährige Weihnachtsgeschenk von Schwarz-Gelb als zusätzliche Schuldenlast von mehr als 1.000 Euro pro Kopf.

Meine Damen und Herren, man muss es Ihnen immer wieder vor Augen führen: So sieht es aus.

(Der Redner hält ein Schaubild hoch.)

Ich habe das Schaubild aus der ersten Lesung noch einmal mitgebracht. Bei Ihrer Politik geht nur eines steil bergauf: Die Schulden gehen nach oben, die Verschuldung zulasten der Steuerzahler und ihrer Kinder und Enkel.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, als Anmerkung sei gesagt: Das finde ich extrem unfair. Denn Leute wie ich, die Sie nicht gewählt haben, werden diese Schulden dennoch mitbezahlen müssen.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Gerechter wäre es schon, wenn nur Ihre Wähler für den Fehler, den sie damit gemacht haben, einstehen müssten. Allerdings wären das dann pro Kopf 4.500 Euro neue Schulden in diesem Jahr.

(Zuruf des Abg. Leif Blum (FDP))

Meine Damen und Herren, seit dem 20. November kennen wir die Eröffnungsbilanz des Landes Hessen – endlich, wie viele meinen. Da lohnt es sich durchaus, genauer hineinzuschauen. Die Vorredner haben schon darauf Bezug genommen. Aber besonders in Richtung Regierungsfraktionen sage ich: Schauen Sie etwas tiefer hinein. Denn wenn Sie die bunten Bildchen überblättern und sich die Zahlen anschauen, müssten Sie eigentlich heftig erschrecken, Herr Kollege Milde. Ich meine dies nicht, weil die hohen Pensionslasten, die wir in Zukunft werden bezahlen müssen, uns drücken. Das wissen wir schon seit mehr als zehn Jahren durch den Suchan-Bericht. Nein, ich meine dies, weil Ihnen diese Eröffnungsbilanz kompakt und zugleich klar nachweist, dass Sie, also die CDU, in den gut zehn Jahren – halb und halb gemischt mit und ohne FDP – unser Land geradezu ausgeplündert und ruiniert haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Frank Blechschmidt (FDP))

Schauen Sie in die Bilanz, Herr Kollege Blechschmidt. Dort stehen Verbindlichkeiten in Höhe von rund 41,8 Milliarden Euro Vermögenswerte auf der Aktivseite von nur rund 30,5 Milliarden Euro gegenüber. Ohne allen Rückstellungsbedarf für Pensionen ist das Land deutlich überschuldet, und dies haben ganz alleine die heute Regierenden verursacht.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Meine Damen und Herren, Sie haben das Anlagevermögen in den letzten Jahren vorsätzlich gemindert. Ich erinnere an LEO 1 und 2. Sie haben in den letzten zehn Jahren zusätzliche Schulden von rund 10,3 Milliarden Euro gemacht und in dieser Zeit nicht einen Cent netto zurückgezahlt. Das sind Ihre Schulden und Ihre Überschuldung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zurufe der Abg. Gottfried Milde (Griesheim) und Dr. Walter Arnold (CDU))

Damit weist diese Eröffnungsbilanz – auch wenn Sie das nicht hören wollen, Herr Kollege Dr. Arnold – nach, dass im Jahr 1999 bei Abgabe der Regierungsverantwortung von Rot-Grün an Schwarz-Gelb das Land nicht überschuldet war, sondern eine ausgeglichene Bilanz aufgewiesen hat, wenn man von den Rückstellungen absieht.

Meine Damen und Herren, der Absturz in das Schuldenloch ist verantwortet von der Regierung Koch und dem Prima-Finanzminister Karlheinz Weimar.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wer aber so viel auf dem finanzwirtschaftlichen Kerbholz hat wie diese Regierungskoalition, der sollte schleunigst bedacht sein, die Fehlentwicklung zu bremsen und an Konsolidierung zu denken, nein, sie zu tun und nicht nur darüber zu faseln. Doch was erleben wir derzeit? Das genaue Gegenteil. Obwohl die Einnahmen des Fiskus auf allen Ebenen keineswegs ausreichen, um die Aufgabenerfüllung hinreichend zu finanzieren, sollen diese Einnahmen nochmals ebenso willkürlich wie mutwillig verringert werden. Dies wird dann, wir haben es schon gehört, Wachstumsbeschleunigungsgesetz genannt, wobei das Einzige, dessen Wachstum beschleunigt werden wird, dieser Schuldenberg ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Insoweit handelt es sich in Wahrheit um ein Schuldenwachstumsbeschleunigungsgesetz.

Das hindert allerdings die famose Regierung überhaupt nicht daran – lauthals und vorneweg kräht dabei wie üblich der Hahn –, alle Länder aufzufordern, dem Irrsinn auch noch zuzustimmen.

Sie haben bestimmt, da Sie alle gerne Zeitung lesen, am letzten Samstag in der „FAZ“ dieses Titelbild gesehen.

(Der Redner hält eine Zeitungsseite hoch.)

Das ist die erste Seite, das kann man leicht erkennen. Dort steht unter dem Bild von Asterix: „Schwarz-Gelb mirakulixt“. Diese Aussage bezieht sich ebenfalls auf das schon angesprochene Wachstumsbeschleunigungsgesetz und macht deutlich, dass es sich dabei um eine höchst okkulte Angelegenheit handeln muss, wenn per Gesetz ein Wachstum beschleunigt werden soll, da, wie die „FAZ“ schreibt, so etwas ausschließlich Zaubertränken vorbehalten ist.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, was Schwarz-Gelb vorhat, ist also nichts anderes, als Voodoo ins Bundesgesetzblatt zu schreiben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In diesem Urteil sind wir GRÜNEN nicht nur einig mit der „FAZ“, sondern auch mit dem Bundesrechnungshof, wie wir schon gehört haben und wie gestern überall verkündet wurde, und mit dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage.

Eigentlich sind alle Leute, die sich mit Fragen der Finanzwirtschaft wenigstens ein bisschen auskennen, derselben Meinung in dieser Frage: Irrsinn. Nur die Kollegen der FDP sehen dies anders. Sie wollen den Irrsinn noch vermehren als Methode, durch niedrige Tarife höhere Einnahmen herbeizuzaubern. Immerhin werden durch diesen Zaubertrank als Mindereinnahmen für alle Bundesländer 2,4 Milliarden Euro erwartet. Das bedeutet nach der eigentlich üblichen Faustformel für Hessen 240 Millionen Euro. Da müssten eigentlich die Alarmglocken schrillen. Indes, es wird sich weggeduckt.

Wir kritisieren nachdrücklich diese verantwortungslose Haltung, die leider die ganze Landesregierung infiziert zu haben scheint. Man wundert sich allerdings noch mehr darüber, Herr Finanzminister, dass ausgerechnet Sie diesen Einnahmefehlbetrag so locker herunterfaseln, von ein paar hundert Milliönchen reden und erklären, die Steuergeschenke aus Miraculix Kessel aus Berlin würden den Haushalt 2010 nicht zusätzlich belasten. Ich frage mich, ob dies eine von den mehr und mehr üblichen gezielten Irreführungen von Parlament und Öffentlichkeit ist, Herr Weimar, oder ob es nur Ihre Feigheit ist, die Konsequenzen der falschen Entscheidung zu benennen;

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

denn wenn man sie als falsch bezeichnet, könnte man sie nicht mehr treffen. Diese Entscheidung möchte man aber aus Gründen der Koalitionsraison in Berlin wie in Wiesbaden jedoch treffen.

Meine Damen und Herren, PHC ist kein Kunststoff wie PVC, sondern – in Fortsetzung des „FAZ“-Artikels gesprochen – so etwas wie der Obelix in diesem Voodoo-Drama, weil er ebenfalls ein bisschen rundlich ist und große Lasten tragen muss. Mit PHC meine ich Peter Harry Carstensen. Das ist der meerumschlungene Koch von der Küste. Dieser hat mit analytischem Scharfblick das einzig zutreffende Urteil über das Wachstumsbeschleunigungsgesetz gesprochen. Es lautet: Ihr habt sie doch nicht mehr alle.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Das gilt in mehrfacher Hinsicht für alle Landesregierungen, die im Bundesrat diesem Gesetzentwurf zustimmen. Erst fehlt es an Verstandesklarheit und anschließend an Geld in der Landeskasse. Daher sollten alle, die für Hessen verantwortlich handeln wollen, heute klar erklären und beschließen: Die weitere Beschleunigung des Wachstums unseres Schuldenbergs lehnen wir ab.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Meine Damen und Herren, das betrifft in besonderem Maße die kommunalen Finanzen. Es bestehen große Sorgen wegen der Finanznot der Gemeinden. Wir haben heute Besuch von einer Abordnung des Hessischen Städte- und Gemeindebundes. Darunter ist unser ehemaliger Kollege Manni Schaub. Manni, ich sage dir eines: Würdest du nicht da oben, sondern hier unten sitzen, dann würde es dem Land Hessen deutlich besser gehen.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, geben Sie den kommunalen Vertretern doch wenigstens eine kleine Hoffnung, indem Sie die ohnehin schon miserable Finanzlage der Kommunen nicht noch weiter verschlechtern. Dies ist umso mehr angebracht als der Gesetzentwurf. Damit meine ich das Schuldenwachstumsbeschleunigungsgesetz, mit dem inhaltlich nichts Richtiges erreicht wird.

Wir haben gehört, dass Familien entlastet werden sollen. Es werden aber nur diejenigen Familien entlastet, die es mehr oder weniger gar nicht nötig haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Bezieher niedriger Einkommen und Hartz-IV-Empfänger erhalten kaum etwas, und das wird auch noch auf die sonstigen Leistungen angerechnet.

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Frohlocken können hingegen die Erben größerer Vermögen. Sie haben zwar nichts geleistet für diese zusätzlichen Einnahmen, dürfen jetzt aber wenigstens mehr davon behalten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der CDU und der FDP)

Frohlocken können auch die Hoteliers, die ein schönes Zubrot erhalten, wenn sie beim Übernachtungsgeschäft nur noch den ermäßigten Mehrwertsteuersatz abführen müssen.

Meine Damen und Herren, wer eigentlich nichts braucht, erhält Zuwendungen aus der Staatskasse. Wer es hingegen dringend nötig hat, geht leer aus. Das ist schlimmer als nur eine einfache soziale Schieflage. Das ist eine völlig auf den Kopf gestellte Sozial- und Gesellschaftspolitik.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Da aus Gründen der Klientelbefriedigung vor allem die FDP dieses Hotelier- und Erbengefälligkeitsgesetz mit Gewalt durchsetzt, wundere sich bitte niemand mehr, wenn sich der Ruf des Wortes „neoliberal“ immer mehr als Schimpfwort festigt. Nicht nur fiskalpolitisch ist dieses Gesetz falsch. Obendrein ist es gesellschaftspolitisch eine Unverschämtheit, die nur noch durch den Worthülsenantrag der hiesigen Koalition, Drucks. 1691, überboten wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lehnen Sie das Wachstumsbeschleunigungsgesetz im Interesse Hessens im Bundesrat ab, Herr Koch. Stellen Sie endlich einmal die parteipolitischen Interessen der CDU hintenan und vertreten Sie – Ihrem Diensteid gemäß – die Interessen des Landes und seiner Menschen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Nach Schuldenrekord und mutwilliger Einnahmenverkürzung vollendet sich das Bermudadreieck der hessischen Fiskalpolitik durch die Scham- und Verantwortungslosigkeit in der Ausgabenpolitik. Aus Zeitgründen möchte ich nur einige Beispiele anführen.

Alle politischen Akteure in diesem Saal und darüber hinaus erklären die Bildung zur Schlüsselressource der Zukunft. Nur die Regierung und ihre Mehrheit ignorieren die Befunde und lehnen alle Haushaltsanträge ab, die in diesem Bereich Verbesserungen einfordern. Haben Sie nicht den aktuellen Bildungsmonitor der „Initiative neue soziale Marktwirtschaft“ gelesen? Danach ist nach elf Jahren der Regierung Koch das Land auf Rang 11 von 16 Bundesländern im Gesamtranking. Meinen Sie nicht, dass Sie endlich einmal die Realitäten der hessischen Bildungspolitik wahrnehmen sollten, anstatt sie nur schönzureden?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

In der Bildung gibt es schöne Worte statt der notwendigen Mittel. Bei der Repräsentation sieht das jedoch ganz anders aus. Die zweifellos vorhandenen räumlichen Probleme der Unterbringung der Landesvertretung in Brüssel werden trotz miserabler Finanzlage genutzt, um einen neuen Palast für rund 30 Millionen Euro zu planen. Offensichtlich spielt fehlendes Geld dabei keine Rolle. Gilt es doch, dem beeindruckenden Gebäude der Kollegen aus dem südlich von uns liegenden Freistaat Paroli zu bieten. Für Hessen soll es zwar nicht ein zweites Schloss „Neuwahnstein“ werden, aber ein „Palazzo protzo“ mit mindestens der dreifachen Fläche gegenüber dem bisherigen Gebäude inklusive einer netten Weinstube und großzügiger Küchen soll es dann doch schon sein. Man gönnt sich ja sonst nichts.

Vorhin haben wir gehört, wie der Europaminister, der dieses Quartier gern beziehen würde, mit den Kommunen umgeht. Herr Hahn, andere sollen sparen, für Sie soll das nicht gelten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wer sich aus angeblich finanziellen Gründen dem Schulungsprogramm verweigert und obendrein gegebene Versprechen der Mitfinanzierung der Schulsozialarbeit gleichzeitig bricht, aber die finanzielle Freigabe für ein solches Prestigeobjekt beschließt, der setzt eindeutig die falschen Prioritäten in diesem Haushalt.

(Zuruf des Abg. Peter Beuth (CDU))

Deshalb ist eine Zustimmung ausschließlich aus ideologischen Gründen, aber auf keinen Fall aus vernünftigen Gründen möglich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit anderen Worten: Wir GRÜNE lehnen den Haushalt 2010 aus Überzeugung ab. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Vielen Dank, Herr Kaufmann.