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28.03.2012

Frank Kaufmann: Wirtschaftsstandorte und Beschäftigung sichern

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Norbert Schmitt (SPD): Sehr gut!)

Der VW-Konzern hat im Jahr 2011 ein Rekordergebnis erzielt. Er hat 8,3 Millionen Fahrzeuge weltweit ausgeliefert und ist damit auf Platz 2 in der Welt, und er hat ein operatives Ergebnis von 11,3 Milliarden Euro gutgeschrieben. Weiterhin hat der Konzern eine Nettoliquidität von 17 Milliarden Euro. Das sind alles Zahlen, über die sich eine Institution wie das Land Hessen in besonderer Weise freuen würde. VW hat derzeit eine Marktkapitalisierung von rund 60 Milliarden Euro.

Da könnte man einen Strich darunter ziehen und sagen: Es ist alles gut, alles prima. Was müssen wir uns da Sorgen machen? – Aber, es ist angesprochen worden, man muss in der Tat feststellen: Es besteht der sich verschärfende Eindruck, dass insbesondere die EU-Kommission etwas gegen VW hat. Etwas gegen VW haben heißt in diesem Fall ganz logisch, auch etwas gegen erfolgreiches Wirtschaften zu haben. Da ist es wichtig, den Finger zu heben.

Nur, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich denke, wir sollten auch nicht abheben und gewisse Verunsicherungen, die es sicherlich bei dem einen oder anderen, insbesondere bei den VW-Beschäftigten, gibt, jetzt noch zusätzlich verstärken. Das heißt, angesagt ist ein nüchterner Umgang mit den Tatsachen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Tatsachen sind ein Stück weit geschildert. Tatsache ist auch, dass die EU-Kommission jetzt erneut Klage eingereicht hat. Ich möchte dazu eine kleine Anmerkung machen, liebe Kolleginnen und Kollegen, nämlich diejenige, dass Klage einreichen noch nicht gleichbedeutend damit ist, ein Urteil zu kassieren. Insoweit könnten wir auch ein Stück weit Vertrauen in den Europäischen Gerichtshof haben, wie wir in anderen Fällen auch bei dieser oder jener Gelegenheit hören, man habe einen bestimmten Antrag gestellt, um Rechtssicherheit zu erlangen. Vielleicht kommt die EU-Kommission demnächst auch auf genau diese Idee und wird uns sagen, auch da ginge es ihr nur um Rechtssicherheit.

Wir haben in diesen Fragen also durchaus Grund, uns zu äußern. Aber ich bitte sehr darum, dass wir uns möglichst emotionell mäßigen; denn wir sollten nicht verunsichern, sondern verklaren. Der Kollege Schäfer-Gümbel hat es angesprochen: Es gab im Vorfeld gewisse, doch etwas hektische Diskussionen über die Frage, ob man einen einheitlichen Text hinbekommen kann. Dies ist bislang nicht gelungen. Aber aus dem, was bisher hier vorgetragen wurde, erscheint es mir doch sehr wahrscheinlich, dass wir in den jetzt anschließenden Ausschussberatungen genau dazu kommen werden, nämlich zu einer nüchternen und klaren Positionierung des Landes Hessen in dieser auch für uns – Stichwort: Nordhessen – sehr wichtigen Frage.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Verehrter Kollege Schäfer-Gümbel, was ich aber doch auch in Richtung der SPD zu dem noch deutlich direkter betroffenen Land Niedersachsen sagen möchte: Der Niedersächsische Landtag hat am 18. Januar 2012 – das ist schon ein paar Tage her – einen einstimmigen Beschluss gefasst. Dieser Beschluss lautet:

Der Landtag setzt sich für den Beibehalt des VW-Gesetzes ein. Jeder Versuch der EU-Kommission, dieses Gesetz mit dem Gemeinschaftsrecht für nicht vereinbar zu erklären, ist nicht nachvollziehbar und daher abzulehnen.

Der zweite Absatz lautet:

Der Landtag unterstützt die Landesregierung,

– das ist dort die Formulierung; ich habe auch kein Problem, wenn wir ähnlich formulieren würden –

sich in den kommenden Auseinandersetzungen mit der EU-Kommission für den Erhalt des VW-Gesetzes in seiner heutigen Form einzusetzen und dabei eng mit der Bundesregierung, dem Vorstand der Volkswagen AG sowie dem VW-Betriebsrat zusammenzuarbeiten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage ganz nüchtern: Eigentlich muss man das Rad nicht immer wieder neu erfinden. Warum sollte sich das Land Hessen als der stärkste Standort für VW nach Niedersachsen nicht genau diesem, doch sehr sinnvollen Vorbild anschließen? Ich sehe auch weder zu dem einen noch zu dem anderen Antrag, die jetzt hier vorliegen, direkte Widersprüche. Ich erlaube mir vielmehr, darauf hinzuweisen, dass die eigenen Formulierungsversuche gelegentlich auch in Sackgassen enden könnten. Die verehrten Kolleginnen und Kollegen von der CDU seien darauf hingewiesen, dass bei Ihrer Nr. 2 der erste Satz, meiner Bewertung nach, eher kontraproduktiv ist. Da steht nämlich:

Die Beteiligung des Landes Niedersachsen am Volkswagen-Konzern stellt ein nahezu einmaliges System dar, das dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg geschuldet war.

So sehr das historisch richtig ist, so wenig ist das hilfreich in einer Auseinandersetzung vor dem Europäischen Gerichtshof oder mit der EU-Kommission, wo es nämlich genau darum geht, dass es keine Einmaligkeitsregelung geben darf, vor allem nicht mit einer Begründung, die nun schon einige Jahrzehnte zurückliegt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin guten Mutes, dass wir am Ende ein Signal an die Beschäftigten bei VW senden können und – ich hoffe darauf – uns noch auf eine gemeinsame Formulierung einigen werden.

Wenn wir hier so starke Sorge im Zusammenhang mit dem VW-Gesetz bezüglich der VW-Beschäftigten äußern, die uns allen selbstverständlich am Herzen liegen, dann möchte ich die Gelegenheit nicht versäumen, darauf hinzuweisen, dass uns eine andere Automobilfirma, die Hessen noch ein Stückchen näher liegt, sehr viel größere Sorgen macht. Das ist die Firma Opel.

(Zuruf von der SPD)

Wir haben hier schon viel über Opel diskutiert und haben uns bemüht. Wir haben insgesamt gut zusammengestanden, auch in parlamentarisch schwierigen Zeiten, an die ich mich gerne zurückerinnere.

(Zuruf der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Nur haben wir Opel am Ende offensichtlich nicht in einen Zustand bekommen, dass die Existenz in dem Maße dauerhaft gesichert ist, wie wir uns das wünschen. Wir haben gerade über VW gesprochen; ich versuche jetzt, zu Opel überzuleiten und komme damit zu einem ganz konkreten Punkt. Meine Damen und Herren, die Volkswagen AG hat im Jahr 2011 rund 5 Millionen Pkws weltweit ausgeliefert, davon 1,8 Millionen in Europa und damit auch in Deutschland. Das heißt, 62 % der Pkw-Produktion des VW-Konzerns ist außerhalb von Europa verkauft worden. Genau da sind wir bei dem Problem, das Opel hat; denn Opel darf dies durch seine Konzerneinbindung nicht.

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Sie dürfen nur in Europa verkaufen. Das heißt, sie haben eine sehr viel schmalere Basis, vor allem die Wachstumsmärkte sind woanders. Meine Damen und Herren, dies ist, wenn auch durch andere gesellschaftsrechtliche Konstruktionen begründet, eine starke Wettbewerbsbehinderung. Wenn der GM-Konzern seiner Tochter Opel verbietet, außerhalb von Europa zu verkaufen, aber umgekehrt die koreanische Produktion mit Chevy-Zeichen umetikettiert und dann hier als Konkurrenz anbietet, dann muss man sich nicht wundern, dass es hier Probleme gibt. Insoweit erlaube ich mir, einen freundlichen Rat an die EU-Kommission mit deren kraftvollen Überlegungen zu geben: Wie wäre es, hier die Wettbewerbsbeschränkungen anzugreifen und zu sagen: „So geht das nicht, weil die Freiheit, im Markt tätig zu werden, sollte nicht dadurch beschränkt sein, dass man über die Kontinentgrenzen hinweg und damit in die EU hineinwirkend Beschränkungen zulässt.“ Das wäre aus meiner Sicht ein guter Aspekt für die EU-Kommission. Das könnte an dieser Stelle den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sehr viele Sorgen nehmen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dirk Landau (CDU))

Uns liegt am Herzen, dass wir denjenigen, die in unserem Land tätig sind, sei es bei VW, sei es bei Opel, möglichst gute Perspektiven eröffnen, damit sie durch ihr eigenes Engagement Vorteile erlangen können.

Wenn wir dies so zusammenfassend diskutieren, gibt es noch ein Stichwort, über das wir ganz aktuell reden müssen. Das ist Schlecker. Wenn wir jetzt die Brücke zwischen dem Hauptstandort Niedersachsen und dem Verhalten von Niedersachsen, was VW angeht, schlagen, dann kann man nur mit großer Verwunderung zur Kenntnis nehmen, dass das Land Niedersachsen das abgelehnt hat, was wir gestern, wenn man so will, im Schulterschluss zwischen allen gemeinsam für wichtig befunden haben, nämlich dass auch das Land Hessen anteilig eine Rückbürgschaft im Zusammenhang mit der Schlecker-Übergangslösung übernimmt.

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Insoweit wäre es bei den Gesprächen im Zusammenhang mit VW, die in Richtung Unterstützung des VW-Gesetzes gehen, für die Landesregierung sicherlich angezeigt, den Kollegen in Niedersachsen den Hinweis zu geben: Auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei Schlecker sind uns wichtig, nicht nur die bei VW. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Vizepräsident Frank Lortz:

Vielen Dank, Kollege Kaufmann.

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