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17.05.2011

Frank Kaufmann: Regierungserklärung des Hessischen Ministers der Finanzen - „Hessens Zukunft ohne neue Schulden“

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, Herr Kollege Noll, es fällt jetzt wirklich schwer, sich dem Thema nach dieser offensichtlich aus der fünften Jahreszeit stammenden Rede wieder ernsthaft zu nähern.

(Zuruf des Abg. Alexander Noll (FDP) – Weitere Zurufe von der FDP)

– Das ist in der Tat nicht ganz einfach. Deswegen will ich aber, Herr Kollege, einmal bei Ihnen anfangen.

Sie haben deutlich über die Stimmenzahl bei der Volksabstimmung gesprochen und dabei vergessen zu erwähnen, dass Ihre eigene Stimmenzahl bei der Landratswahl nicht ganz so komfortabel ausgefallen ist und wir deshalb nach wie vor die Freude haben, uns an Ihren Gedanken zu ergötzen – auch wenn diese Gedanken nicht sehr substanzhaltig waren;

(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU)

denn, meine sehr verehrten Damen und Herren, im ersten Semester des Studiums der Volkswirtschaft lernt man genau das Gegenteil von dem,

(Zuruf von der CDU)

was der Kollege Noll uns gerade weismachen wollte;

(Zuruf von der CDU)

denn die Aussage: „Schulden sind immer etwas Schlechtes“, diese Aussage ist falsch. Wenn es niemanden gäbe, der Kredite aufnimmt, gäbe es auch niemanden, der Zinsen kassieren kann, weil die eine und die andere Seite untrennbar zueinander gehören. Also braucht die Wirtschaft Kreditnehmer und Kreditgeber. Kaum ein Schuldner wirkt dabei so stabilisierend auf die Kreditmärkte wie solvente öffentliche Hände. Auch das ist bekannt und führt dazu, dass man z. B. sichere Anlagen tätigen kann.

Und, verehrter Herr Kollege Noll, bisher war ich möglicherweise der irrigen Auffassung, dass von denjenigen, die Anlagen tätigen wollen, durchaus eine ganze Reihe von Leuten Ihnen und Ihrer politischen Richtung zuneigten. Jetzt haben Sie denen heute allen erklärt: „Ihr kriegt nichts mehr, weil Schulden des Teufels sind“ – also kann man auch kein Geld mehr verleihen, weil das ebenfalls zwangsläufig Schulden seitens des entsprechenden Schuldners bedeutet.

Meine Damen und Herren, der Kollege Noll hat bei seinen Anmerkungen zum Thema unter volkswirtschaftlichen Aspekten zu 100 % danebengelegen.

Er hat sich dann – Herr Noll, ich befasse mich gerne mit Ihnen, es macht große Freude, dass Sie uns erhalten geblieben sind – über die Werbemaßnahmen im Zusammenhang mit der hinter uns liegenden Volksabstimmung über die Schuldenbremse befasst. Ich habe mir mehrfach Ihren Werbeflyer angeschaut, Herr Kollege, und habe immer wieder über etwas gerätselt. Warum Ihr Sparschwein blau war, war noch nicht die zentrale Frage. Aber warum hatte man ihm ein Pflaster über das linke Auge geklebt? Das habe ich nicht verstanden.

Die CDU – insoweit sie die beiden Fraktionen, die hier die Regierungsmehrheit bilden, offensichtlich Sparschweinfreunde – hat auf ihrem Flyer ebenfalls ein Sparschwein abgebildet. Sie werden sich erinnern, Herr Kollege: Dieses Sparschwein – weiß, ganz unschuldig – freut sich darüber, dass irgendjemand Geld in es hineinsteckt. Wir haben beim Thema Schuldenbremse aber eigentlich gar nicht die Frage, wo man Geld hineinstecken kann, sondern wie man verhindert, dass man sich zusätzliches Geld pumpen muss. Das heißt, die Werbung der CDU war ebenfalls nicht übermäßig gelungen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Wenn wir dieses konstatieren, sehr verehrter Herr Finanzminister, dann ist natürlich auch Folgendes ins Auge zu fassen. Der Landtag hat mit einer Mehrheit von 95 Prozent für die Schuldenbremse gestimmt. Das Volk hat mit einer Mehrheit von nur 70 Prozent für die Schuldenbremse gestimmt. Wenn man das also ganz grob und schematisch betrachtet, sind 25 Prozent verloren gegangen. Lieber Willi, du hast nach mir ja noch Gelegenheit, alles geradezurücken, aber bei aller Freundschaft: Ich glaube nicht, dass eure Propaganda für 25 % der Bevölkerung gut war. Ganz sicher nicht, vor allen Dingen auch deshalb nicht, weil eure Argumente nicht richtig waren.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

Was heißt das denn, Herr Kollege Noll? Das heißt doch, dass Sie mit Ihrer Propaganda – Sparschwein mit Pflaster unter dem Ohr und die Aussagen, die Sie heute getroffen haben, obwohl der Termin vorbei ist und wir nicht mehr abzustimmen brauchen – noch immer den gleichen Blödsinn erzählen und damit den Leuten tatsächlich Angst machen. Sie selbst haben mit dafür gesorgt, dass die Zustimmung nicht deutlicher ausfiel. Das ist ja genau der Punkt: Solange man meint – das haben wir heute wieder sehr eindringlich hören können –, die Schuldenbremse allein durch das Zurückführen von Ausgaben einhalten zu können, so lange ist man auf dem Holzweg.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Man muss eine Diskussion über die Aufgaben des Staates führen. Das haben wir GRÜNEN, wenn ich freundlich daran erinnern darf, als Fraktion schon im Januar 2010 in unserem ersten Konzeptentwurf für Hessens Weg aus der Schuldenfalle dargelegt. Diese Diskussion kann man durchaus führen. Das sehen Sie ja ähnlich. Wir sagen, der Staat hat mehr Aufgaben und größere Pflichten, als Sie meinen, dass Sie es nötig haben – solange Sie nicht in Schwierigkeiten kommen, dann wollen Sie es auch. Davon einmal abgesehen: Die Grundidee, zunächst die staatlichen Aufgaben zu definieren, dann festzustellen, was die möglichst effektive Erbringung dieser Aufgaben kostet, und im dritten Schritt festzulegen, was wir an Einnahmen brauchen, um diese Aufgaben erfüllen zu können, ist im Prinzip ein ganz vernünftiger Dreischritt, der bei Ihnen aber überhaupt nicht vorkommt. Sie reden nur davon, die Ausgaben sollen möglichst gekürzt werden.

Herr Noll, Sie haben gesagt, das Schuldenmachen sei das Unsozialste, was man tun könne. Sie haben noch ein paar unflätige Bemerkungen über das Schuldenmachen drangehängt. Sehr geehrter Herr Kollege Noll, ist Ihnen eigentlich gegenwärtig, dass Sie – Sie als Person – in diesem Saal die Hand dafür gehoben haben, dass das Land Hessen Rekordschulden gemacht hat, dass Sie also dafür gestimmt haben, das Unsozialste, das man sich vorstellen kann, zu tun? Ist Ihnen das noch präsent? Es ist noch nicht lange her. Wir haben als Land durch Beschluss der Mehrheit in diesem Haus in den vergangenen Jahren Rekordschulden gemacht. Das ist, denke ich, unstrittig. Deutlich über 3 Milliarden € Neuverschuldung – das ist der höchste Wert, den Hessen in seiner Geschichte je hatte. Schauen Sie sich die Entwicklung der hessischen Schulden seit dem Jahr 1998 an Ich habe Ihnen dieses Bild schon öfter gezeigt.

(Der Redner hält eine Grafik hoch.)

Sie kennen das. Ich habe diesen Balken nicht rot gefärbt, weil rote Zahlen Schulden darstellen, sondern weil ich mit der Farbe die politische Verantwortlichkeit kennzeichnen wollte.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Bei der einen Linie ist die Finanzplanung noch einbezogen, Herr Kollege Rentsch. Die andere Linie, das sind die aktualisierten Zahlen, also das, was auch der Finanzminister verkündet. So sieht die Bilanz aus. Dazu kann ich nur sagen: Das Unsozialste, was man sich vorstellen kann, wird hier dokumentiert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hier sehen Sie den Schuldenstand im Jahr 1998. Bekanntermaßen hat die erste Regierung Koch im Jahr 1999 rückwirkend eine Schuldenerhöhung für das Jahr 1998 mittels eines Doppelhaushalts beschlossen. So ging es also los: Erst einmal Schulden machen. Das hat sich in dieser Weise fortgesetzt.

Ich zeige Ihnen das nur, damit wir Klarheit darüber bekommen, wer der Verursacher dieser hohen Schulden ist. Wir sollten bei der Debatte auch einmal kurz zurückschauen. Herr Kollege, von einem Paradigmenwechsel zu reden und zu sagen, wir alle seien an den Schulden schuld, ist ein bisschen zu kurz gesprungen. Man sollte dann schon feststellen: Die Rekordschuldenmacher in Hessen sind CDU und FDP. Deswegen kann ich nur immer wiederholen: Man muss sich wundern, warum sich nach wie vor das Gerücht in der Welt hält, dass gerade die Schwarzen und die Gelben gut mit Geld umgehen können. Das Gegenteil ist der Fall.

(Lebhafte Zurufe von der CDU und der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, schon bei der Anhörung im Gesetzgebungsverfahren zum Thema Schuldenbremse hier im Saal haben wir von den Wissenschaftlern gehört – man kann es nicht oft genug unterstreichen –: Eine vernünftige Fiskalpolitik braucht keine Schuldenbremse, weil in keinem Gesetz dieser Welt steht, dass man Schulden machen muss. Das Schuldenmachen ist immer eine politische Entscheidung und hängt oftmals mit der Überschreitung rechtlicher Grenzen zusammen. Insoweit ist der Versuch, durch Verfassungsbindung – sowohl auf Bundesebene als auch bei uns – sich selbst das Schuldenmachen zu verbieten, natürlich nichts anderes als ein Stück weit ein Offenbarungseid der Politik, dass sie es ohne eine solche Regel nicht schaffen zu können meint. Die Frage ist dabei natürlich auch: Wo nehmen wir eigentlich die begründete Hoffnung her, dass wir es mit einer solchen Regel schaffen werden, keine Schulden mehr zu machen?

Herr Kollege Milde, eines der politischen Grundprinzipien der GRÜNEN ist, wie Sie wissen, die Nachhaltigkeit. Ich weiß nicht, in wie vielen Haushaltsreden an diesem Pult ich mir über die Verschuldungspolitik des damaligen Finanzministers den Mund fusselig geredet habe. Sie haben dann immer das schöne Wort gesagt, das letztes Jahr endlich zum Unwort des Jahres wurde, dass nämlich die Politik des Schuldenmachens „alternativlos“ sei. Auf einmal kam ein guter Geist, woher auch immer, und daraufhin haben Sie beschlossen: Das Schuldenmachen, das bisher als „alternativlos“ galt, ist ab jetzt verboten.

Meine Damen und Herren, wir haben im Wahlkampf für die Schuldenbremse geworben. Wir haben in der Tat nicht so platt geworben, dass wir ein Sparschwein mit oder ohne Pflaster präsentiert haben, sondern wir haben gesagt: Die Schuldenbremse muss gerecht gestaltet werden. – Das heißt in der Tat, dass wir die Schuldenbremse als eine Verpflichtung verstehen, dem Staat die Einnahmen zu verschaffen, die er benötigt, um die als notwendig erkannten Aufgaben bei effizienter Durchführung bezahlen zu können und nicht auf Kredit gehen zu müssen. Denn es ist ein nicht akzeptabeler Zustand – darüber sind wir uns alle wahrscheinlich einig –, dass die wichtigste Einnahmequelle, über die die Länder selbst entscheiden können, die Schuldenmacherei ist. Das war bisher so, und ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch immer so. Deswegen hätte man schon guten Grund, sich auch darüber Gedanken zu machen, wie die Einnahmesituation des Landes aussieht.

Deswegen war es wichtig und richtig – ich bin sehr dankbar, dass das am Ende gelungen ist –, dass wir als Ergebnis der Verhandlungen den Einnahmeaspekt in die Verfassung hineingeschrieben haben, um sicherzustellen, dass es, um in solchen Bildern zu bleiben, nicht nur um das Mähen, sondern auch um das Düngen geht.

Verehrter Herr Finanzminister, in diesem Kontext hätte ich es als ein bisschen mutig, in jedem Fall aber als geboten empfunden, wenn Sie diese wichtigen Aussagen nicht nur am letzten Samstag gegenüber der „Frankfurter Rundschau“, sondern auch in diesem Saal getroffen hätten. Jetzt schauen Sie mich fragend an und überlegen: Was meint er denn? – Der Herr Finanzminister hat am 14. Mai der „Frankfurter Rundschau“ ein Interview gegeben, in dem nach den Einnahmen gefragt wird. Die Antwort lautet – ich darf zitieren: O-Ton Dr. Schäfer –:

Ich könnte mir vorstellen, dass den Ländern bei einzelnen Steuerarten die Möglichkeit gegeben wird, Zuschläge zu generieren. Ein Landeszuschlag bei der Einkommensteuer oder der Körperschaftsteuer wäre etwas, was man diskutieren könnte. Die Föderalismuskommission ist leider zu einem anderen Ergebnis gekommen.

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Dass die Föderalismuskommission zu einem anderen Ergebnis gekommen ist, weiß ich selbst. Nur, dass der Hessischen Finanzminister, der in eine schwarz-gelbe Koalition eingebunden ist, deutlich sagt, dass er ein Steuerfindungsrecht für das Land haben will, halte ich für ein Stückchen Fortschritt. Das sage ich ganz offen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Noll, dieser Fortschritt wird durch die Aussage, die Sie vorhin gemacht haben, geradezu flankiert. Sie haben gesagt – für einen Menschen von der FDP ist das, auch nach der jüngst angestoßenen neuen Debatte fast schon als sensationell zu bewerten –, an der Steuergesetzgebung solle sich nichts ändern.

(Zurufe von der FDP)

Nach den Berichten über den FDP-Bundesparteitag am letzten Wochenende, die an meine Ohren und an meine Augen gelangt sind, gab es dort deutlich andere Ankündigungen. Man wolle bei den Steuern wieder einen Anlauf machen, da man neuerdings so viel Geld im Säckel habe. Das finde ich durchaus bemerkenswert. Ich werde mit Interesse und Freude die Auseinandersetzung zwischen dem Herrn Finanzminister und den Vertretern der FDP – wer immer das sein mag – über die Frage begleiten, ob wir uns Steuersenkungen, die zwangsläufig auch Gesetzänderungen wären, leisten können oder nicht.

Genau hier ist nämlich das Dilemma. Mein Fraktionsvorsitzender hat Sie, was diese Frage betrifft, einmal als Sekte identifiziert, die nur daran glaubt und ständig das Mantra „Steuersenkungen, Steuersenkungen, Steuersenkungen“ wiederholt. Auch bei Ihnen kam es in der Debatte wieder zum Vorschein. Aber allein damit kann man nicht gestalten.

Damit sind wir jetzt meiner Meinung nach bei der großen Krux dieser Regierungskoalition und dieser Regierung. Verehrter Herr Finanzminister, es geht um das, was Sie uns hier geboten haben. Sie haben am Ende gesagt, Sie seien sparsam und würden deshalb die Redezeit nicht ausschöpfen. Das ist richtig. Allerdings war Ihre Rede auch etwas sparsam an Gedanken.

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Sie haben nämlich schlicht und einfach wenig bis gar nichts Innovatives gebracht, sondern nur das Mantra wiederholt, das vielleicht allen an der Regierung Beteiligten gemeinsam ist: Wachstum, Wachstum, Wachstum.

(Zuruf des Abg. Alexander Noll (FDP))

„www“ ist aber nicht, wie Sie vielleicht meinen, die neudeutsche Bezeichnung für „Wachstum, Wachstum, Wachstum“, sondern hat eine andere Bedeutung.

Nur, eines ist doch klar, wenn wir die Regeln, die wir alle hinreichend kennen sollten, ernst nehmen. Herr Kollege Noll, wenn Sie sie nicht kennen, können Sie sie sich noch einmal anschauen. Ich meine z. B. die Beschreibung in Art. 115 Grundgesetz, die in den Grundgedanken dem entspricht, was wir als – wie ich es einmal nennen will – Perspektivbeschluss für unsere eigene konkrete Regelung festgehalten haben. Das ist im Prinzip dasselbe.

Wenn man sie ernst nimmt und für einen Augenblick gedanklich unterstellt, diese Regeln würden schon gelten – sie gehören zur Schuldenbremse und sollen daher erst ab 2020 greifen; aber wir wenden sie einmal auf die Ist-Situation an –, stellt man fest, dass mit der Sanierung des Haushalts im Hinblick auf sein strukturelles Defizit mithilfe der Steuermehreinnahmen, die zurzeit glücklicherweise sprudeln, relativ schnell Schluss ist. Wissen Sie auch, warum das so ist? Ein Wachstum von 2,5 Prozent oder sogar mehr ist nämlich nicht mehr als eine konjunkturelle Normallage zu bezeichnen, sondern eher als eine Überausnutzung der Produktionskapazitäten, was nichts anderes bedeutet, als dass wir nach diesen Regeln dann etwas zurücklegen müssten. Damit sind wir an genau dem Punkt, dass mit der Gesundbeterei und der Hoffnung auf Steuermehreinnahmen, die einfach so kommen – Wachstum, Wachstum, Wachstum –, das strukturelle Defizit nicht zu beseitigen ist. Es ist ein Stück weit zu mildern; aber man muss mehr tun.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Man muss z. B. sparen! Das hat der Kollege Noll auch gesagt! – Weitere Zurufe von der CDU und der FDP))

– Ich danke für den Applaus. – Darauf, dass man noch mehr tun muss, bezog sich meine Bemerkung – entschuldigen Sie, Herr Finanzminister –, dass das, was Sie uns vorgetragen haben, noch ein paar Gedanken mehr hätte in sich haben müssen. Darauf war das gemünzt. Wir haben in der Tat erwartet, dass von Ihnen deutlich mehr kommt.

Stattdessen teilt uns der Herr Finanzminister mit, dass wir in dem merkwürdigen Wettbewerb, wer wann die Schuldenbremse in seiner Verfassung verankert hat, auf dem 3. Platz liegen – als ob es darauf ankäme. Es kommt darauf an, dass man einen Plan hat, wie man die strukturellen Defizite abbaut und zu einer stabilen Finanzierung seines Betriebs kommt, nicht aber darauf, wer das zuerst wo hineingeschrieben hat.

Herr Finanzminister, abgesehen davon hat es mir nicht gefallen – ich sage das ganz offen –, dass Sie das Handeln derjenigen, die das über einfache gesetzliche Regelungen festgeschrieben haben, mit dem Begriff „lediglich in der Landeshaushaltsordnung“ umschreiben. Was am Ende besser funktioniert, wird man sehen. Das wird sich insbesondere dann zeigen, wenn das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung getroffen hat.

Ich gehe davon aus, dass es sinnvoll ist – ich stelle das zumindest als Frage in den Raum –, dass wir mit unserer Ausführungsgesetzgebung erst dann in die entscheidende Phase treten, wenn wir wissen, was das Bundesverfassungsgericht gesagt hat. Es hat nämlich keinen Sinn, sich irgendetwas auszudenken und anschließend festzustellen, dass man das in Karlsruhe etwas anders sieht. Insoweit sollten wir hier nicht unnötigerweise auf die Zeit-Tube drücken.

Es ist richtig, dass man auch noch nicht sagen kann, das Problem sei komplett gelöst. Es sind noch Punkte offen, ganz ohne Zweifel. Aber vielleicht können wir es jetzt ruhiger angehen, nachdem sich die anfängliche Hektik gelegt hat, die, Herr Kollege Milde, auch etwas mit politischer Taktik Ihrerseits zu tun hatte. Das ist auch in Richtung FDP gesagt. Es hat Sie bei der Wahl nicht so recht nach oben getragen, wie man ganz nüchtern feststellen kann. Insoweit war es eine Fehlkalkulation. Aber jetzt können wir versuchen, die Probleme sachgerecht zu lösen.

Ich bin auch nicht glücklich darüber, dass jetzt versucht wird, festzulegen, dass wir es genauso wie alle anderen Bundesländer machen. Wir haben hier schon ein paar Mal – zumindest kurz – darüber diskutiert, und es braucht heute auch nicht breit ausgewalzt zu werden. Aber es genauso zu machen wie die anderen ergibt nur dann einen Sinn, wenn auch die Bedingungen genauso sind wie bei den anderen.

Mit Verlaub, ich bleibe dabei: Die Wirtschaftsstruktur des Landes Hessen und die – um nur ein Beispiel zu nennen – des Landes Mecklenburg-Vorpommern unterscheiden sich. Insofern sind z. B. auch die zeitlichen Abläufe der konjunkturellen Phasen unterschiedlich. Dafür gibt es eine gewisse Kompensation durch den Länderfinanzausgleich alter Art. Wie der Länderfinanzausgleich neuer Art aussehen wird, wissen wir noch nicht. Aber es wird ein Unterschied bleiben. Insofern kann es nicht richtig sein, wenn wir davon ausgehen, dass alles über einen Leisten geschlagen wird.

Herr Finanzminister, ich möchte noch einmal darauf zurückkommen, warum manche die Umsetzung der Schuldenbremse zu Recht – manche auch mit großem Recht – sehr kritisch hinterfragt haben. Sie haben den Beweis selbst geliefert. Das heißt: Besteht zwischen den Regeln und dem, was man als Minister macht – das bedeutet auch, Texte in die Welt zu setzen oder Vorgaben zu machen –, eine Übereinstimmung oder ein Widerspruch? Sie merken, ich spreche vom Aufstellungserlass für das Haushaltsjahr 2012.

Ich kann nur eines sagen: Wenn man einerseits erklärt, es gebe Prioritäten, die man finanzieren will, nämlich Bildung und innere Sicherheit – das ist Ihre Festlegung, nicht meine – , und andererseits der vorgeschriebene Einsparbetrag, der für das kommende Jahr allen Ressorts vorgegeben ist, zu mehr als der Hälfte aus Kürzungen besteht, die man in eben diesen Bereichen vornimmt, ist man nicht glaubwürdig. Das kann man drehen und wenden, wie man will.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dann setzt man dort keine Priorität mehr. Wenn die Kürzungen bei der inneren Sicherheit – sprich: Einzelplan 03 – und bei der Bildung, nämlich bei den Einzelplänen 4 und 15, zusammen mehr als die Hälfte der Gesamteinsparungen liefern sollen, ist es nicht glaubwürdig, wenn Sie sagen, dass Sie dort eine Priorität setzen.

Deswegen muss man das noch einmal überarbeiten. Herr Finanzminister, wir finden es ja gut, dass Sie da jetzt am Einlenken sind – am Einlenken, dass man angesichts der Steuermehreinnahmen davon ausgeht, dass gerade im Bildungsbereich das eine oder andere nicht so stark gekürzt wird.

(Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Aber es ist keineswegs das, was z. B. wir in der Darstellung, wie die Schuldenbremse umgesetzt wird – mit „wir“ meine ich jetzt die GRÜNEN-Fraktion –, in unserem Papier „Hessen tritt auf die Schuldenbremse“ vom Herbst vergangenen Jahres deutlich gemacht haben: dass es gerade für die Zukunftsfähigkeit unter dem Stichwort Nachhaltigkeit auch notwendig ist, in bestimmte Bereiche mehr Geld hineinzustecken, mehr zu investieren, wenn Sie so wollen, als es derzeit der Fall ist. Das ist an allererster Stelle die Bildung. Hierüber streiten wir immer weiter. Denn es nützt am Ende nichts, wenn ich ein paar Schulden weniger habe, aber dafür sich der allgemeine Bildungsstand so verschlechtert hat oder nicht positiv entwickelt hat – ganz wie Sie es ausdrücken wollen –, dass am Ende auch der Wohlstand, die Generierung von Mehrwert, deutlich darunter leidet. Das macht keinen Sinn, dann hat man sich kaputtgespart.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, angesichts der fortgeschrittenen Zeit kann ich nur noch einige Anmerkungen machen. Ich will Sie nur darauf hinweisen, dass der Versuch, die LFA-Diskussion jetzt in die Schuldenbremse einzubinden, schon immer daneben war.

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Andererseits, wenn Sie einmal genau nachsehen, was die neue Landesregierung von Baden-Württemberg zu dem Thema gesagt hat – bislang gibt es noch nicht so viele Äußerungen –, ist das genau der vernünftige Ansatz, über den wir uns in diesem Hause übrigens schon einmal einig waren, nämlich konkret zu analysieren, dann Verhandlungen aufzunehmen und, wenn die Verhandlungen am Ende zu keinem Ergebnis führen, auch den Rechtsweg zu beschreiten.

Insoweit können wir, gerade auch wir Hessen, sehr froh sein, dass der polternde Stefan Mappus jetzt in dieser Frage nichts mehr zu sagen hat. Denn ich glaube, er hat mehr Porzellan zerdeppert, als er uns in dieser Frage geholfen hat, nämlich am Ende zu einer gerechteren Lösung beim Länderfinanzausgleich zu kommen.

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Von daher ist ein Ergebnis des 27. März, jetzt nicht auf unser Bundesland bezogen, sondern auf das südlich von uns, auch darin festzustellen, dass wir jetzt eine gute Chance haben, in der Auseinandersetzung um den Länderfinanzausgleich gemeinsam mit mehr Vernunft tätig zu werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Milde, wenn Sie sich an das erinnern, was wir hier gemeinsam beschlossen haben, dann kommen wir alle ein Stück weiter, und dann bin ich ganz fest davon überzeugt, dass wir, auch gemeinsam mit Baden-Württemberg – ob jetzt die Südschiene noch trägt, was Herr Dobrindt so alles erzählt, will ich jetzt nicht vertieft untersuchen –, mit Vernunft einen guten Weg gehen werden. Mit Gepolter à la Mappus allerdings nicht, aber der ist Gott sei Dank weg. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Herr Kaufmann, vielen Dank.