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20.11.2012

Frank Kaufmann: Gesetz zur Gewährleistung von Tariftreue, Mindestentgelt und fairem Wettbewerb bei öffentlichen Auftragsvergaben

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Den Gegenstand dieser Debatte bilden – wie gerade aufgerufen – vier Gesetzentwürfe, die eines gemeinsam zum Ziel haben, nämlich die bestehende Regelungslücke bei den öffentlichen Auftragsvergaben zu schließen. Diese Regelungslücke besteht im Land Hessen seit der Feststellung der europarechtlichen Inkompatibilität des Vergabegesetzes der CDU-Mehrheit aus dem Jahr 2007. Wir meinen: Hessen braucht endlich ein wirksames Tariftreue- und Vergabesetz.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir freuen uns, dass erkennbar alle anderen Fraktionen dieses Hauses dies mittlerweile genauso sehen.

Meine Damen und Herren, allerdings unterscheiden sich die vorgelegten Gesetzentwürfe unserer Erachtens gerade in dem Punkt der Wirksamkeit. Diese vier Entwürfe werden alle gemeinsam in einer Anhörung gehen. Dort werden diese Unterschiede herausgearbeitet werden, damit sie sich am Ende gut beurteilen lassen.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Deswegen will ich mich bei der heutigen ersten Lesung darauf konzentrieren, insbesondere die Unterschiede zwischen dem als Erstem eingebrachten GRÜNEN-Gesetzentwurf und dem Gesetzentwurf der Mehrheit, also der Regierungsfraktionen, schon einmal zu markieren.

Dieser Vergleichsgesetzentwurf hat eineinhalb Jahre von der vollmundigen Ankündigung bis zur eher schamvollen Einbringung gebraucht.

(Zuruf des Abg. Wolfgang Greilich (FDP))

Kollege Greilich, immerhin konnte man sehr gespannt sein, was nach dieser langen Schwangerschaft von dem schwarz-gelben Paar denn tatsächlich geboren wurde.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Meine Damen und Herren, uns GRÜNE hat bei der Abfassung unseres Gesetzentwurfs der Wille geleitet, ein Gesetz vorzulegen, das für wirklich fairen Wettbewerb bei maximaler Transparenz sorgt, das Land und Kommunen die Möglichkeit einräumt, soziale und ökologische Kriterien bei ihrer Beschaffung zu berücksichtigen,

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

und dass Unternehmen, die in Hessen für öffentliche Auftragnehmer tätig sind, keine Dumping-Löhne mehr zahlen dürfen. So ist das auch in mindestens acht anderen Bundesländern bereits der Fall.

Zu beachten dabei war es, dass sich das Vergaberecht durch europäische und deutsche Gesetzgebung, aber auch durch die Rechtsprechung in letzter Zeit weiterentwickelt hat. Diese Dynamik haben wir berücksichtigt.

Vor allem ist es im Interesse der Firmen, die sich um Aufträge bemühen, ganz wichtig, dass es in Deutschland nicht 16 unterschiedliche Vergaberegelungen gibt. Deshalb sollten wir möglichst gemeinsame Formulierungen finden, wo das geht – Stichwort Bürokratieabbau. Wer z. B. in Wiesbaden ansässig ist, der bewirbt sich doch sicherlich auch in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg oder anderen Ländern um Aufträge, nicht nur in Hessen. Deshalb sind die bundesweit geltenden Bestimmungen aus dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen unsererseits sozusagen federführend angewendet worden.

Als Allererstes heißt das: Wir wollen, dass die öffentliche Ausschreibung die Regel bleibt. Dazu wollen wir die Schwellenwerte, die Sie im Rahmen der Konjunkturprogramme sehr stark erhöht haben, wieder auf das Niveau anderer Bundesländer zurückführen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Das fordern übrigens nicht nur wir GRÜNE, sondern das fordern in gleicher Weise der Zentralverband des Handwerks und der Deutsche Industrie- und Handelskammertag – in dieser Frage, so denke ich, eher beachtliche Verbündete.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Meine Damen und Herren von CDU und FDP, in Ihrem Gesetzentwurf machen Sie diese hohen Schwellenwerte zur Regel,

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

obwohl sie damals nur situativ erhöht wurden. Damit machen Sie aber die öffentliche Ausschreibung faktisch zur Ausnahme.

(Zuruf des Abg. Wolfgang Greilich (FDP))

Nach unserer Beurteilung widerspricht das einem fairen Wettbewerb. Herr Kollege Greilich, Ihnen ist das vielleicht nicht so wichtig, uns aber schon.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn der faire Wettbewerb beeinträchtigt wird, erschwert das insbesondere jungen, neuen Firmen den Zugang zum Markt.

Das halten wir für nicht akzeptabel.

Zur Orientierung am Bundesrecht gehört aus unserer Sicht zudem, dass wir die dort festgelegten Veröffentlichungspflichten auch für Hessen zum Standard machen wollen.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

– Leider bleiben Sie deutlich dahinter zurück, Kollege Dr. Arnold.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Zu wirksamen Veröffentlichungspflichten gehört nämlich auch die Einrichtung einer Meldestelle, die Unternehmen registriert, die als unzuverlässig gelten.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Wir wollen deshalb das bereits bestehende Register bei der Oberfinanzdirektion künftig auch für die Kommunen verpflichtend machen, um dadurch auf einfache Weise eine klare Struktur zu gewährleisten. Herr Kollege Dr. Arnold, auf den Vorschlag der Regierungsfraktionen hierzu warten wir – ich sage gerne: ein bisschen ungeduldig – immer noch.

Der nächste Punkt in der Reihe der deutlichen Unterschiede ist der Mindestlohn. Wenn der Staat nicht endlich vorangeht und nicht wenigstens seine in Sektoren durchaus vorhandene, wenn auch beschränkte Marktmacht dafür nutzt, dass auch in diesem Land Löhne gezahlt werden, die er nicht selbst durch Transferleistungen ergänzen und subventionieren muss, sondern von denen man leben kann: Wer soll es denn sonst tun, wenn es der Staat nicht tut?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir fordern deshalb einen Mindestlohn von 8,50 €. Wir wollen dafür sorgen, dass sich auch Nach- und Leihunternehmer daran halten müssen. Wer sich nicht tariftreu verhält, die für allgemein verbindlich erklärten Mindestlöhne nicht zahlt oder nicht regelmäßig nachweisen will, dass er sie zahlt, der kann und soll keine öffentlichen Aufträge bekommen.

(Zuruf des Dr. Walter Arnold (CDU))

Sie von der CDU und der FDP sehen die Tariftreue verbal zwar durchaus vor; Sie machen sie aber zu einem zahnlosen Tiger, weil Sie auf obligatorische Nachweispflichten verzichten. Herr Kollege Arnold, das ist mehr eine Symbolpolitik und für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer keine wirklich wirksame Hilfe.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Meinen Sie nicht, dass das eher eine Mogelpackung ist und deswegen negativ beurteilt werden wird? Meinen Sie nicht, dass Sie lieber einen klaren Mindestlohn festschreiben und dessen Zahlung auch nachweisen lassen sollten, damit Sie hier Handlungsfähigkeit beweisen?

Meine Damen und Herren, mein dritter Punkt betrifft die nachhaltige Beschaffung. Wir GRÜNE geben den Kommunen und Landesbehörden mit unserem Gesetzentwurf endlich die Möglichkeit, bei Bau- und Dienstleistungen sowie bei der Warenbeschaffung auch die Einhaltung sozialer und ökologischer Kriterien zu verlangen, wie es in den meisten Bundesländern längst üblich ist. Sie können von einem Unternehmen, das als öffentliche Auftragnehmer arbeiten möchte, natürlich auch ein Umweltmanagement verlangen. Die vergebenden Körperschaften sollten natürlich gehalten sein, die Folgekosten ihrer Beschaffung ernsthaft zu berücksichtigen und von sich selbst und ihren Auftragnehmern Nachhaltigkeitskonzepte zu verlangen.

Dabei lassen wir den Unternehmen die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, welche der Kriterien für sie entscheidend sind. Das erst macht nämlich, wenn man es ernst meint, den Weg für eine nachhaltige Beschaffung richtig frei. Wir raten Ihnen: Machen Sie es einfach nach.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unsere Diagnose ist, dass Sie es nur wenig ernst meinen. Ihrem Gesetzentwurf sieht man nämlich an, dass die ökologischen und sozialen Kriterien kaum Beachtung finden, gelegentlich sogar – in Diskussionen hört man es immer wieder – als „vergabefremd“ diffamiert werden.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Das muss dann doch erstaunen, Herr Kollege Dr. Arnold. Wie absurd das ist, sieht man, wenn man z. B. die Verlautbarungen auf der Website „hessen-nachhaltig“ mit den Äußerungen – wir haben es eben wieder gehört – im Zusammenhang mit der Vergabegesetzgebung vergleicht. Herr Dr. Arnold, im Netz ist nämlich unter dem freundlich dreinblickenden Konterfei des Finanzministers und der Überschrift „Vorreiter für eine faire und nachhaltige Beschaffung“ Folgendes zu lesen – ich zitiere –:

Rechtliche Vorgaben sind für die konkrete Beschaffungspraxis der öffentlichen Hand unerlässlich. … Klare Regelungen bieten am ehesten die Gewähr für die rechtskonforme Durchführung von Vergabeverfahren. Es werden insbesondere jeweils Vorschläge zu den Themen ökologische, soziale und ökonomische Nachhaltigkeit und zu entsprechenden Kontrollmechanismen unterbreitet.

So wird es propagiert. Und dann sagen Sie hier, das sei „vergabefremd“. Meine Damen und Herren, von sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit ist in dem Gesetzentwurf der Mehrheitsfraktionen leider so gut wie nichts zu finden. Schon deshalb steht er aus unserer Sicht nicht in Übereinstimmung mit den Äußerungen des Finanzministers und schlicht und einfach schlecht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Herr Kollege Kaufmann, Sie kommen bitte zum Schluss.

Frank-Peter Kaufmann:

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Warum Sie so lange gebraucht haben, uns diesen schlechten Text vorzulegen, verstehe ich in der Tat nicht.

(Beifall der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Die Zeit erlaubt es nicht, jetzt noch etwas zu dem zu sagen, was Sie zur Mittelstandsförderung in den Gesetzentwurf geschrieben haben. Das ist aber nicht schlimm, denn es handelt sich dabei um nichts Hilfreiches, sondern lediglich um weiße Salbe.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Vizepräsident Lothar Quanz:

Danke schön, Herr Kaufmann.

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