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15.12.2011

Frank Kaufmann: Feststellung des Haushaltsplans des Landes Hessen für das Haushaltsjahr 2012

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Weil der Kollege Reif gerade das Stichwort Abwahl in den Raum ruft: Herr Kollege Reif, im Augenblick sind es glücklicherweise CDU-Kollegen, die abgewählt wurden. Wir haben heute im Regionalverband endlich die schwarze Spitze wegschicken können, nachdem sie mit Händen, Klauen, Füßen und allem, was es gibt, versucht haben, an ihren Sesseln zu kleben. Herr Kollege Reif, insoweit sind Abwahlen im Augenblick auf anderen Tagesordnungen. Von daher müssen Sie die Baden-Württemberger nicht verschrecken.

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Meine sehr verehrten Damen und Herren, beginnen möchte ich meine heutigen Ausführungen zur anstehenden Verabschiedung des Haushalts 2012 mit einer Danksagung an die vielen Menschen, die sich engagiert, oft sogar heftig angestrengt haben, um den Prozess der Erstellung und, vor allem im Landtag, den Prozess der Beratungen und der Beschlussfassung des Haushalts zu ermöglichen, zu begleiten und zum Abschluss zu bringen. Ich sage Ihnen allen vielen herzlichen Dank für Ihr Engagement, seien es die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ministerien, im Budgetbüro hier im Haus, bei den Fraktionen oder bei denjenigen, die uns mit Stellungnahmen von außen versorgt haben.

(Beifall)

Alle haben uns Abgeordneten zugearbeitet. Viele haben sich gewiss gewundert, manche vielleicht sogar darüber geärgert, wie mit ihren Arbeitsergebnissen abschließend umgegangen wurde. Denn die finale Haushaltsdebatte ist kein Ort, wo sich Zufriedenheit ausbreitet, sondern es geht sehr oft frustrierend zu. Das ist übrigens keine Äußerung durch die Brille der Opposition, deren Haushaltsanträge – dieses Mal wie auch sonst – regelmäßig abgelehnt werden. Auch in den Regierungsfraktionen werden fachpolitische Wünsche häufig versenkt.

So nimmt es nicht wunder, dass der Haushalt von Schwarz-Gelb, ganz im Gegensatz zur Lobeshymne des Kollegen Milde, wieder einmal weder ein markantes Profil noch politische Akzente aufweist. Herr Kollege Milde, es ist und bleibt Tristesse allüberall. Am Ende können nur noch die professionellen Selbstdarsteller die regierungsamtliche Schönfärberei verbreiten. Sie haben dabei heftig mitgeholfen. Das hat aber bekanntlich mit der Sache wenig zu tun.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn der Kollege Milde in seiner Rede „The same procedure as every year“ ansprach, dann bezieht sich das auf die Traurigkeit des Haushalts. Herr Kollege, ich sage Ihnen: Wer bei der Lobhudelei für den Haushaltsentwurf auf immer länger währende Mehrjahresvergleiche Bezug nehmen muss

(Zuruf des Abg. Torsten Warnecke (SPD))

– Sie haben die letzten drei Jahre zusammengefasst –, der ist sehr schnell bei Fünfjahresplänen und ihrem Realitätsgehalt. Sie erinnern sich sicher, was mit dieser Wirtschaft geschehen ist.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Meine Damen und Herren, wahrscheinlich ist meine soeben vorgetragene Kritik sogar ein bisschen unberechtigt, weil in diesem Haushalt ebenso wie bei seinem Vorgänger Inhalt und Verfahren durchaus aufs Feinste miteinander in Einklang sind, sodass die Mehrheit in diesem Hause diese Harmonie der Traurigkeit keineswegs gestört sehen möchte. Alles ist total uninspiriert, vollständig ideen-, trost- und perspektivlos. Genau deshalb wünscht man sich aus unserer Sicht alles gern anders.

Das wünschen nicht nur die Menschen, die in dem Haus die Opposition darstellen, sondern, wie Sie den aktuellen Umfragen entnehmen können, auch die Mehrheit der Hessinnen und Hessen. Dann sind wir nämlich bei den aktuell vergebenen Noten oder auch Zustimmungsraten, die die Landesregierung derzeit erreicht.

Die Hessinnen und Hessen beurteilen die Leistung der Landesregierung deutlich negativ. Da der Haushalt genau das quantitative Abbild dieser Leistung darstellt, meine Damen und Herren in Koalition und Landesregierung, wundern Sie sich bitte nicht, dass bei den Wählerinnen und Wählern auch Ihr Haushalt kaum Zustimmung finden wird.

(Zuruf von der CDU)

Das wird Sie, wie wir gerade erlebt haben, trotzdem nicht hindern, ihn heute zu beschließen und ihn auch zu einer Perle fiskalischer Weisheit zu erklären. Dass Ihnen das aber niemand abnehmen wird, sollten Sie gleichermaßen zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Schauen wir einmal kurz in das angesprochene Produkt, den Haushalt 2012, hinein und stellen die Frage, was Sie – sprich: die Mehrheit – denn gemacht haben, um den Haushaltsentwurf von September zu verbessern. Dabei stellen wir fest: Aus dem finanzwirtschaftlichen Blickwinkel schaffen Sie es jedenfalls nicht, die Überschreitung der Verfassungsgrenze zu vermeiden.

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

– Zum hunderttausendsten Mal: Wir haben in Hessen eine Verabredung, wie wir die Verfassungsgrenze definieren. Das ist eben genau nicht so, wie Sie es gerade wieder anzusprechen versucht haben, sondern nur bezogen auf die Eigeninvestitionen und nicht das Geld, das wir anderen zum Investieren geben, Herr Kollege Milde.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Genau diese Grenze ist umso sinnvoller, als wir jetzt die Bilanzierung bei uns eingeführt haben; denn was in fremden Bilanzen steht, kann wohl kaum ein Anlagevermögen des Landes sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD) – Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Wir stellen fest: Wir haben die Verfassungsgrenze in der hier definierten Art wieder überschritten, obwohl zusätzliche Steuereinnahmen in dreistelliger Millionenhöhe zu verbuchen sind. Damit bleibt unsere Kritik aus der ersten Lesung in vollem Umfang richtig. Wer angesichts derart sprudelnder Steuerquellen nicht in der Lage ist, die Neuverschuldung deutlich zu senken, für den bleibt der Begriff der Haushaltskonsolidierung ganz offensichtlich ein Mysterium. Unter „deutlich senken“ verstehe ich auf jeden Fall, unterhalb der Verfassungsgrenze zu landen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Weil Sie das nicht schaffen, ist auch die regierungsamtliche Schuldenbremsenrhetorik, einschließlich des Koalitionsechos, ein Muster ohne Wert. Stringente ergebnisorientierte Konsolidierungsanstrengungen finden sich auf Regierungsseite jedenfalls nicht. Es wird bestenfalls so getan, als ob. Sie leben davon, dass im Augenblick die Steuereinnahmen sprudeln.

Dabei ginge es eigentlich relativ einfach, Herr Kollege Milde. Mit den insgesamt 94 Änderungsanträgen meiner Fraktion könnten Sie es schaffen, erstens klare politische Akzente im Bereich der Bildungs-, der Umwelt- und der Energiepolitik sowie im Sozialbudget zu setzen. Sie könnten dabei zweitens weniger Geld ausgeben und drittens die Verfassungsgrenze tatsächlich einhalten. Diese Vorschläge haben Sie alle in Bausch und Bogen abgelehnt,

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

selbst an Stellen, wo Sie selber in Trippelschrittchen unseren Vorstellungen hinterher trotten. Es fehlt aber der Mehrheit offensichtlich so sehr an politischem Gestaltungswillen, dass Sie nicht einmal mehr Ihre eigenen großspurigen Ankündigungen vom Jahresanfang – es ist noch nicht so lange her – noch ernsthaft verfolgt.

Das beste Beispiel hierfür sind die in Arbeitsgruppen verlagerten Beratungen über die vermeintlichen Erkenntnisse der Haushaltsstrukturkommission, zu denen wir von der Opposition uns auch bereit erklärt haben. Bislang – die Sache dauert schon länger als ein halbes Jahr – konnten – oder muss ich besser sagen: durften? – keine handlungsorientierten Feststellungen getroffen werden. Einvernehmliche haushaltswirksame Vorschläge z. B. zur Verbesserung der Effizienz will man offensichtlich möglichst verhindern. Was im Zusammenhang mit der Haushaltsstrukturkommission die Bewertung des Verhältnisses der Finanzausstattung zwischen Land und Kommunen angeht, treten wir ebenfalls auf der Stelle. Die ergänzend beauftragten Analysen konnten jedenfalls noch nicht diskutiert werden, sodass wir auf dem Weg zu einer konsensualen Datengrundlage noch immer nicht vorangekommen sind. Dann fragt man sich doch auch an dieser Stelle: Was will die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen eigentlich mit dieser Hinhaltetaktik bezwecken? Eine Beendigung der Kontroverse zwischen Land und Kommunen über die Finanzausstattung, wie sie einmal angekündigt war, kann es jedenfalls nicht sein; denn sonst müssten sich die Aktivitäten deutlich erkennbarer zeigen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Meine Damen und Herren, beim Thema „Umgang mit den Kommunen“ muss man bei der Betrachtung des Haushalts doch noch ein bisschen verweilen, meine Vorredner taten es ja auch.

Sie erinnern sich vielleicht: Am Ende meiner Ausführungen in der Debatte zur ersten Lesung sprach ich von dem vorgesehenen Abzug weiterer 20 Millionen Euro aus dem KFA. Ich freue mich, hier und heute feststellen zu können, dass die Koalition – wohl nachdem der Finanzminister das Kommunalisierungsgesetz noch einmal geprüft und in diesem Zusammenhang die vor wenigen Jahren der kommunalen Seite garantierte Finanzierungszusage auch wiedergefunden hatte – diese Kürzung rückgängig gemacht hat. Ja, der Finanzminister hat – allerdings erst auf wiederholtes Nachfragen im Ausschuss, aber immerhin – sogar eingeräumt, dass der Gesetzentwurf zum Finanzausgleichsänderungsgesetz insoweit ein Fehler war.

Doch damit bekommen die Kommunen nicht etwa das Geld zurück, wie man jetzt vermuten könnte – z. B. über eine entsprechende Verstärkung der Schlüsselmasse –, nein, es verschwindet erst einmal im Landesausgleichsstock. Stattdessen wird obendrein ein neuer Topf definiert, aus dem ab sofort Baumaßnahmen an großen Sportanlagen bewilligt, aber viel später – nämlich erst frühestens ab 2013 – finanziert werden sollen.

Das bedeutet doch nichts anderes, als den Städten und Gemeinden jetzt dringend benötigte Mittel zu entziehen und trotz der Zeiten der Schuldenbremse, die wir haben, zusätzliches Geld aus Steuermitteln für den Profisport einsetzen zu wollen; denn es wurde bewusst gesagt, es gehe nicht um kleine Anlagen, in denen Amateure Sport treiben, sondern um die großen Anlagen, die auch Publikumsmagneten sind. Das ist Profisport, den wollen Sie finanzieren. Das halten wir GRÜNE nicht nur aus dem Blickwinkel der Finanzwirtschaft für unverantwortlich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dieses Beispiel unterstreicht auch, dass man in der Koalition tatsächlich die eigenen Wahlchancen zur Landtagswahl Ende 2013 weit stärker im Auge hat als die Haushaltskonsolidierung. Angesichts der von mir schon angesprochenen Umfragezahlen ist das ja auch nicht so verwunderlich. Deshalb hält man eine Reserve für Wahlgeschenke auch für ziemlich dringlich. Deshalb trauen wir GRÜNE auch den wortreichen Versicherungen des Finanzministers in punkto Rücklagenauffüllung nicht über den Weg. Aus einer gut gefüllten Wahlkampfkasse im Herbst 2012 oder mit Beginn des Jahres 2013 oder auch außerplanmäßig bei sich bietenden Gelegenheiten Wohltaten zu verteilen ist besonders für diejenigen eine starke Verlockung, die merken, dass die Zustimmung in der Bevölkerung schwindet. Wenn bei näherrückenden Wahlterminen die Umfragen nämlich nicht besser werden als sie aktuell sind, werden Sie, meine Damen und Herren von CDU und FDP, ganz gewiss noch versuchen, die Wählergunst durch Ausgießen eines Füllhorns an Wohltaten für sich zurückzuerobern. Dann geht es der Rücklage im Landeshaushalt nicht besser als dem berühmten Wurstvorrat bei Bewachung durch den Mops.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU)

Meine Damen und Herren, wenn ich beim Thema Rücklagen bin, so müsste ich – sofern ich den Aussagen der Regierung folgen wollte – jetzt eigentlich über den Schutzschirm für die überschuldeten hessischen Kommunen sprechen. Indes, trotz umfänglicher öffentlicher Erklärungen und der Aktuellen Stunde heute Morgen, ist insgesamt nach wie vor alles noch im Fluss und nichts endgültig klar. Klar ist nur: Im Jahr 2012 wird es kein Schutzgeld geben, keinen einzigen Schutz- oder Rettungscent, sondern frühestens im Jahr 2013, und man wird möglicherweise eben nicht sofort den Kommunen helfen, Herr Kollege Milde.

(Zuruf von der CDU)

Weil das alles noch in der Schwebe und länger hin ist, haben Sie heute Vormittag auch versucht, hier gut Wetter für den Schirm zu machen. Eigentlich ist es merkwürdig: Viele haben sich den Begriff „Knirps“ aufgeschrieben und das schon mehrfach thematisiert. Wenn Sie „Knirps“ nicht hören wollen, kann ich auch „Taschenkobold“ sagen, das ist eine andere Schirmmarke, die so ähnlich wirkt.

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Natürlich kann man zu Recht darauf hinweisen, dass wenn man bis zur Nasenspitze unter Wasser steht, der Schirm wenig hilft und eher der Rettungsring gefragt ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Meine Damen und Herren, zur generellen Haltung der Koalition gegenüber den hessischen Gemeinden, Städten und Kreisen gilt: Zwar werden aktuell mehr liquide Mittel zur Verfügung gestellt – Herr Kollege Milde hat es angesprochen –, aber das Land will natürlich nicht dafür eintreten, und so gibt es wieder einmal einen Vorschuss auf Geld, das den Kommunen sowieso gehört.

Meine Damen und Herren, eine wirksame Unterstützung für die Kommunen sieht wahrlich anders aus.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn man am Ende die im Haushalt quantifizierte Politik der Landesregierung herausdestilliert, dann steht man mit einem leeren Destillationskolben da. Da lässt sich kein Geist extrahieren. Da ist wirklich nichts, was Hessen voranbringt. Da gibt es keine Innovation. Ja, da gibt es noch nicht einmal solide Alltagsarbeit. Deswegen machen wir es ebenso wie die Mehrheit der Hessinnen und Hessen: Wir sagen entschieden Nein zu dieser Landesregierung und zu diesem Haushalt. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Schönen Dank, Herr Kollege Kaufmann.