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04.02.2015

Frank Kaufmann zu "Bouffier-Brief an RWE öffnete Tür für Schadensersatzklage"

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Allerwichtigste zuerst: Es ist gut und richtig, dass wir in Hessen bereits jetzt und in Deutschland wenigstens ab 2022 unseren Strom nicht mehr durch das Höllenfeuer der Atomkraft erzeugen,

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU und der SPD)

durch eine unverantwortliche, weil unbeherrschbare und uns heute Lebende und viele nachfolgende Generationen weiterhin belastende Technologie. Wir GRÜNE haben damit eines unserer wichtigsten politischen Ziele erreicht, das wir seit der Gründung unserer Partei unbeirrt verfolgt haben, und wir sind stolz darauf.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU und der SPD)

Meine Damen und Herren, wir sind ebenfalls froh darüber, dass der einst von uns GRÜNEN als krasse Minderheitsmeinung propagierte Atomausstieg längst zu einem breiten Konsens in der Gesellschaft geworden ist. Allerdings muss dieses in der heutigen Debatte nach dem, was wir bisher vom Kollegen Schäfer-Gümbel gehört haben, doch noch einmal unterstrichen werden. Sie von der SPD-Fraktion haben durch Ihren Beifall gezeigt, dass Sie das in der tagespolitischen Streiterei offensichtlich vergessen hatten. Deshalb ist das Faktum des Atomausstiegs als wirklich wichtiges Ergebnis noch einmal festzuhalten.

Wenn wir aber, wie es der Antrag der SPD-Fraktion tut, rückwärts, in das Jahr 2011, schauen wollen, dann müssen wir das richtig tun, um Fehler zu identifizieren. Aus grüner Sicht ist der politische Skandal nämlich nicht das Moratorium nach Fukushima und in dessen Folge die 13. Novelle des Atomgesetzes im Jahre 2011, sondern die unter aktiver Mitwirkung der FDP von der Bundesregierung im Jahre 2010 auf massiven Druck der Atomwirtschafts-Lobby durchgesetzte 11. Novelle des Atomgesetzes, d. h. die Laufzeitverlängerung für die deutschen Atomkraftwerke.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU)

Sie erinnern sich sicher: Nach dem von Rot-Grün nach mühsamen und schwierigen Verhandlungen mit der Atomwirtschaft durchgesetzten Gesetz zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität war der Ausstieg aus der Atomwirtschaft beschlossene Sache. Mit diesem Gesetz und ohne die von RWE angewandten diversen technischen Tricks wäre Biblis im Jahre 2011 nicht mehr im Leistungsbetrieb am Netz gewesen. Alle derzeitigen Debatten hätten sich komplett erübrigt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU und der SPD)

Jetzt kommt es aber: Statt dass wir uns gemeinsam gegen die ungeheuerliche Frechheit der Atomwirtschaft, speziell von RWE, stellen, um den dreist erhobenen Schadenersatzanspruch zurückzuweisen,

(Beifall des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

findet es die SPD-Fraktion offensichtlich richtig, sich aus kleinkarierter tagespolitischer Taktik heraus die Argumentationsversuche von RWE ohne weitere Prüfung zu eigen zu machen und damit faktisch zu unterstützen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU – Zurufe von der SPD)

Wir alle wissen – es ist ja auch erwähnt worden –, dass wir mitten in der Untersuchung der Geschehnisse und Abläufe des März 2011 stecken. Der Untersuchungsausschuss unseres Parlaments könnte übrigens deutlich zügiger arbeiten – auch das ist erwähnt worden –, wenn das SPD-geführte Bundesumweltministerium mit Barbara Hendricks an der Spitze unsere Arbeit nicht sabotieren würde.

(Zuruf des Abg. Timon Gremmels (SPD))

Herr Kollege Schäfer-Gümbel, bitte geben Sie der Wahrheit insoweit die Ehre. Wir haben uns im Untersuchungsausschuss gemeinsam darauf vereinbart, dass zunächst der Vorsitzende bei der Bundesumweltministerin noch einmal schriftlich vorstellig wird. Wenn das erfolglos bleiben sollte, was ich nicht hoffe, haben wir uns weitere Maßnahmen ausdrücklich vorbehalten. Ihre Behauptung, alle Maßnahmen seien bereits beschlossen, geht also wieder einmal scharf an der Wahrheit vorbei.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Statt dass Sie von der SPD-Fraktion die gemeinsamen Aufklärungsbemühungen bei Ihrer Bundesministerin unterstützen, wollen Sie, dass wir hier und heute im Landtag per Beschluss Vor-Urteile festschreiben, die uns gegenüber dem Kläger RWE keineswegs nützen, sondern womöglich schaden könnten. Da darf man doch einmal nach dem Grund fragen. Was wollen Sie eigentlich? Wollen Sie Aufklärung und Transparenz, oder wollen Sie für RWE Argumente mundgerecht aufarbeiten? Oder was wollen Sie sonst?

(Zurufe von der SPD und der LINKEN)

Herr Schäfer-Gümbel, wenn Sie Ihr Argument ernst meinen, der Brief und das Verhalten des Ministerpräsidenten im Juni 2011 habe etwas mit der Landtagswahl am 27. März 2011 zu tun – was Sie uns gerade unterzujubeln versucht haben –, dann sollten Sie Ihre eigenen Worte vielleicht noch einmal überdenken.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU –  Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) – Weitere Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, wir haben im Untersuchungsausschuss zunächst hessische Beamte vernommen. Auf die beteiligten Bundesbeamten haben wir leider bislang vergeblich gewartet. Jetzt haben wir uns, übrigens ebenfalls einvernehmlich – daran merken Sie, dass wir die Aufklärung auf der Ebene des Ausschusses gemeinsam betreiben wollen, im Plenum gelingt das leider weniger –, auf die Vernehmungsreihenfolge verständigt, und wir werden heute nach Lage der Dinge auch den Beweisantrag für die Vernehmung von Herrn Bundesminister a. D. Pofalla gemeinsam beschließen. Das ist zumindest so vorbesprochen.

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

– Natürlich geht es. Verehrter Kollege Schäfer-Gümbel, aber warum haben Sie sich dann Ihre Meinung in der SPD-Fraktion schon gebildet, bevor diese Vernehmungen stattgefunden haben,

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

und warum beantragen Sie hier im Plenum per Entschließungsantrag, dass wir, unabhängig von den Ergebnissen der Beweisaufnahme, bereits heute abschließende Feststellungen treffen sollen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Zurufe der Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) und Norbert Schmitt (SPD))

Sie wollen, dass wir bereits heute die rechtliche Beurteilung eines Schreibens abschließend feststellen, über das wir außer dem eigentlichen Text noch nichts Genaues wissen. Fest steht nur, dass Herr Bouffier an Herrn Großmann einen Brief geschrieben hat, dem die SPD-Fraktion und andere, die am Abkassieren interessiert sind, rechtliche Bedeutung beimessen. Was aber z. B. in der Klageschrift von RWE steht, wissen wir nicht, dürfen wir auch gar nicht wissen. Sie wollen dennoch aus dem Brief gewissermaßen einen Nachteil für Hessen und damit einen Vorteil für RWE destillieren und dieses hier lauthals propagieren. Herr Kollege Schäfer-Gümbel, da frage ich Sie: Was sagen eigentlich die Juristinnen und Juristen in Ihrer Fraktion dazu? Die müssten sich doch ganztägig dafür fremdschämen, dass Sie hier gegen die Landesregierung Politikklamauk veranstalten. So wenig Ahnung von rechtlichen Zusammenhängen kann noch nicht einmal ein Sozialdemokrat haben. Das kann doch wohl nicht wahr sein.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Lebhafte Zurufe von der SPD)

– Ganz ruhig – Um es schlagwortartig zu erläutern: Das schreibt nicht die Atomaufsicht an einen AKW-Betreiber, sondern ein unzuständiger Regierungschef – der Ministerpräsident – an einen Konzernchef, den Herrn Großmann, der eben nicht Betreiber eines AKWs ist. Betreiberin ist nämlich die RWE Power AG: eigene Rechtsperson, eigener Vorstand, eigene Adresse.

(Zuruf des Abg. Timon Gremmels (SPD))

– Herr Kollege Gremmels, das hat etwas mit Juristerei zu tun. – Dies macht er zu einem Zeitpunkt, an dem bereits alle Beteiligten wissen, dass die Bundesregierung die 13. Novelle des Atomgesetzes verabschiedet und das Gesetzgebungsverfahren eingeleitet hat. Es wurde also vom Ministerpräsidenten eine höfliche Antwort auf eine wie auch immer motivierte politische Frage gegeben. Mehr wissen wir bislang nicht. Alles Weitere wollen und werden wir im Untersuchungsausschuss in Erfahrung bringen.

Deswegen sei an dieser Stelle die Frage gestattet, was der Ministerpräsident nach Meinung der SPD Herrn Großmann anderes hätte antworten sollen. Vielleicht hätte er sagen sollen, dass er, Großmann, dem Betreiber des AKW Biblis, also der RWE Power AG, bitte mitteilen soll, dass diese das Atomkraftwerk wieder anfahren könne. Das wollen Sie? Ich bekenne freimütig, ich bin ausgesprochen froh darüber, dass Herr Bouffier genau dies nicht getan hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Ich dachte damals, dass auch die SPD keinen weiteren Betrieb von Biblis wollte. Irre ich mich da wirklich? Ich glaube nicht.

Meine Damen und Herren, ist Ihnen nicht bekannt, dass, formalrechtlich betrachtet, RWE Power bereits seit April 2011 das AKW wieder hätte anfahren dürfen, es aber nicht tat? Wieso RWE Power das nicht gemacht hat, wissen wir derzeit nicht. Das wird im Rahmen des Untersuchungsausschusses und in den Verfahren vor den Zivilgerichten noch zu klären sein. Meinen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, nicht ebenso wie wir, dass es bei dieser Thematik viel nachzufragen gibt, um Fakten zu ermitteln, die wir jetzt noch gar nicht kennen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dabei werden wir wahrscheinlich auch feststellen, dass der Umgang mit der Schadensminderungspflicht seitens der RWE Power eine wesentliche Frage im zivilgerichtlichen Verfahren sein wird,

(Zuruf des Abg. Manfred Pentz (CDU))

über die wir heute hier wahrlich nicht spekulieren und zu der wir auch kein vorschnelles Urteil abgeben sollten, damit wir nicht am Ende aus tagespolitischen Erwägungen einen Schaden verursachen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Ich komme zum Schluss. Insgesamt gesehen haben wir den Untersuchungsausschuss genau deshalb eingerichtet, um unsere Aufklärungsarbeit im Sinne des Landes und damit natürlich auch im Sinne der hessischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zügig voranzubringen. Sie wissen, gerade wir GRÜNE sind die Partei des Wissenwollens, nicht die des Glaubens und des Vermutens.

(Zurufe von der SPD und des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Deshalb sind wir auch im unmittelbaren Wortsinn gegen jedes Vor-Urteil, auch gegen das Vor-Urteil, das Sie heute per Beschluss abgeben wollen. Deswegen werden wir Ihren Antrag anlehnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vizepräsidentin Heike Habermann:

Vielen Dank.